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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1980 erschienen.

Streik bei der Post
EIN WARMER HÄNDEDRUCK FÜR DIE SCHICHTARBEITER

Niemand redet so desillusionierend über die Leistungen der Gewerkschaft wie diese selbst. Nur, wenn die Deutsche Postgewerkschaft berichtet, daß nach einer Schicht

"bei Nacht und Nebel, Regen und Wind, auf Bahnhöfen und Straßen, in rollenden Bahnpostwagen, in Hitze, Kälte und Staub"

Tausende von Postlern ziemlich fertig nach Hause gehen und mehr als die Hälfte

"aus Gesundheitsgründen vorzeitig in Rente gehen müssen",

dann handelt es sich nicht um eine Selbstbeschuldigung wegen Pflichtvergessenheit. Es ist im Gegenteil der mit der Schinderei der Postler geführte Beweis für die Unverzichtbarkeit ihrer gewerkschaftlichen Politik, ein Beweis, bei dem Ausgangspunkt und Resultat sich immer wieder aufs schönste ergänzen und zwar sehr praktisch.

Durch ihre Zustimmung zu den oben aufgeführten Arbeitsbedingungen, Rationalisierungen, Personalabbau und Arbeitsvermehrung wirkt die Gewerkschaft einvernehmlich an der Schaffung der "sozialen Probleme" mit, die sie dann händeringend bejammert (und die mittlerweile solche Dimensionen angenommen haben, daß trotz steigender Arbeitslosigkeit die Post für Neueinstellungen nur mit Mühe Leute findet).

Dann wird jahrelang darüber verhandelt und, um zum Abschluß zu kommen - nicht, um diese Zustände zu beenden -, eine spektakuläre Aktion beschlossen. Unter dem Druck des Streiks setzt nicht die Gewerkschaft die Forderung nach 30 Freischichten durch, die es zu Beginn einmal gegeben hat, sondern die Post erhöht ihr letztes Wort von 3 auf 4 Freischichten, ab '82 eine zusätzliche für die 55jährigen und ab '83 eine für die 50jährigen.

Das Resultat ist ein einziger Hohn: Eine Urlaubsverlängerung um vier Tage "erleichtert" die ganzjährige Schichtarbeit haargenau um soviel wie eine freundliche Ansprache von Minister Gscheidle. Die zusätzliche Freischicht für die 55- und 50jährigen ist wohl mehr eine Art Orden für diejenigen, die so lange durchhalten. Überdies teilt die Gewerkschaft mit der auf drei Jahre hinausgezögerten Verteilung der Verbandlungs"erfolge" ihren Leuten mit, daß sie für eben diese Frist die Frage der Schichtarbeit als geregelt zu betrachten haben, daß solange an Verbesserungen - nicht einmal an solche des ausgehandelten Kalibers - nicht zu denken ist.

Das Ergebnis dieses Streiks ist eine dermaßen unverschämte Düpierung der Schichtarbeiter, daß sogar die öffentliche Meinung sich einer gewissen Milde bei der Begutachtung des Arbeitskampfs nicht enthalten kann und auch die notwendigen Klagen über die ungeheuren Kosten, die die Regelung verursacht, und das schlechte Beispiel, das der Bund gegeben hat, fast nurmehr aus reiner Pflichterfüllung zu Protokoll gegeben werden. So ist das Rezept beschaffen, mit dem Staat, Kapital, Gewerkschaft und Öffentlichkeit den sozialen Frieden sichern: Die Gewerkschaft läßt ihre Mitglieder zu Arbeitskämpfen antreten und das Resultat erkämpfen, daß ihnen von allen Seiten bescheinigt wird, ein anerkanntes soziales Problem zu sein. Das genügt, und damit geht es wieder zurück an die Arbeit, um die während des Streiks liegengebliebenen Berge zusätzlich zur Weihnachtspost abzutragen.

Da ist dem IG-Chemie-Vorsitzenden Hauenschild nur zuzustimmen, wenn er diese so einfache wie erfolgreiche Methode zum weiteren Gebrauch empfiehlt:

"Nach dem Poststreik wird die Humanisierung der Schichtarbeit nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden."