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China
EIN SCHAUPROZESS MIT DER "VIERERBANDE"
Die gegenwärtige Führung der chinesischen KP hat es für zweckmäßig befunden, gegen die Repräsentanten der politischen Linie, gegen die sie sich vor vier Jahren innerhalb der Partei durchsetzte, das ehrwürdige und schon länger nicht mehr zur Anwendung gekommene, dabei gleichwohl ausgefeilteste Instrument des Revisionismus an der Macht zur Eliminierung parteiinterner Differenzen einzusetzen: den Schauprozeß.
Die "westlichen Beobachter" vor Ort läßt dieses Ereignis "historischen Ausmaßes", bei dem
"gewissermaßen eine ganze Epoche der jungeren chinesischen Vergangenheit einschließlich ihrer gesellschaftspolitischen Ideologie und ihrer Führungspersönlichkeiten zur Verurteilung vor Gericht steht"
und letztlich gar
"der bisher noch weitgehend geschonte 'große Steuermann' und Staatsgründer Mao selbst direkt getroffen wird" (Süddeutsche Zeitung, 11.11.80),
einen entsprechend wohlig-gruseligen Schauer verspüren, im übrigen aber statt der Stalinschen Prozesse der 30er Jahre doch lieber die Nürnberger Prozesse der 40er Jahre als illustrierenden Vergleich heranziehen.
Zwar paßt die Veranstaltung angesichts der längst vorweg beschlossenen Schuld und Verurteilung der Angeklagten angeblich "kaum zu den Rechtsreformen der jüngsten Zeit" (vgl. hierzu MSZ Nr. 5/1980), muß man
"abwarten, ob der Prozeß rechtsstaatlichen Kriterien genügt" (ZDF-Auslandsjournal, 21.11.80).
Andererseits aber machte schließlich
"erst ihre Ausschaltung durch Hua Guofeng China zu dem, was es heute ist: ein gigantisches Experimentierfeld" (ZDF-Auslandsjournal).
So daß man auch gleich die Frage stellen kann, wozu es nach dieser begrüßenswerten Leistung Huas den Prozeß überhaupt noch braucht:
"Was mag also die heutigen Machthaber bewogen haben, diesen Prozeß allen Schwierigkeiten, allen nicht unerheblichen politischen Sicherheitsrisiken und offensichtlichen juristischen Unzulänglichkeiten zum Trotz durchzuziehen?" (Süddeutsche Zeitung, 11.11.80),
statt sie friedlich weiter in der Zelle schmoren zu lassen bzw. diskret einen Kopf kürzer zu machen. Eine saudumme Frage, die konsequenterweise ein weites Feld von lauter blödsinnigen Spekulationen eröffnet, obwohl die Chinesen selbst noch jedem, der es wissen wollte, ihre ebenso dumme, den Kern der Sache dabei aber durchaus treffende Antwort gaben:
"Das Volk verlangt, daß die Viererbande vor Gericht gestellt wird."
Mehr ist es halt nicht als die nach der jüngsten Veränderung des Kräfteverhältnisses im "Kampf zweier Linien" fällige Demonstration, daß die herrschende Linie der Partei zutiefst dem Willen des Volkes entspricht und folglich auch in ihrer Abrechnung mit ihren Gegnern nichts anderes als dessen ureigenstes moralisches Empfinden zum Ausdruck bringt.
Und insoweit unterscheidet sich die Kampagne gegen die "Viererbande" samt ihrer gegenwärtigen Schlußinszenierung herzlich wenig von der Kampagne der jetzt angeklagten Fraktion während der Kulturrevolution gegen die damals unterlegene, jetzt an der Macht befindliche Linie, wie nicht zuletzt die Anklagepunkte des laufenden Prozesses zeigen. Hier geht es nämlich ausdrücklich "nicht um Fehler der politischen Arbeit, der politischen Linie" der Angeklagten, sondern ausschließlich um "konterrevolutionäre Verbrechen, begangen in Verletzung des Strafrechts", als da sind:
- "Verschwörung zum Umsturz der golitischen Macht der Diktatur des Proletariats",
- "Verleumderische Beschuldigungen und Verfolgungen von führenden Partei- und Staatsfunktionären, um selbst die Macht zu ergreifen",
- "Errichtung einer faschistischen Diktatur zur Verfolgung und Unterdrückung von Kadern und Massen", was genau 34.512 Chinesen das Leben gekostet habe.
- "Organisation eines bewaffneten Aufstandes" und schließlich gar: "Mordkomplott gegen den Vorsitzenden Mao."
Daneben hört man, daß Jiang Quing, die "Mao-Witwe", eine machtlüsterne Sex-Hexe war (man stelle sich vor: Das ganze chinesische Volk - ein Viertel der Menschheit - durch eine einzige Frau in Maos Schlafzimmer in Elend und Anarchie gevögelt!), eitel und luxuriös, die sogar Kaiserin werden wollte (angesichts ihrer physiognomischen Ähnlichkeit mit der englischen Königin, die mit deren Älterwerden immer deutlicher zutagetritt, schließlich gar kein so abwegiger Gedanke!).
Da sie und ihre Kumpane also eine Blase von eigensüchtigen, verbrecherischen Volksverrätern sind, bedarf es keines weiteren Beweises, daß sie überhaupt persönlich verantwortlich sind für die übelsten Übel der chinesischen Gesellschaft: Kriminalität, Kornption, Bürokratismus, schlechte Arbeitsmoral, daß sie es waren, die das Gute im Volk unterdrückten.
Mit dem über Jahre durchgehaltenen Verfahren, der drastisch illustrierten abgrundtiefen Schlechtigkeit der Viererbande noch jede chinesische Zugverspätung, jeden Betriebsunfall, jeden Gewaltakt in der Bevölkerung, jeden Produktionsausfall und Versorgungsmangel als Schuld zuzuschreiben, wurde den Chinesen so nicht nur in guter alter Manier mitgeteilt, daß die neue Linie den staatlichen Machtapparat in der Hand hat und zur Durchsetzung ihres Programmes der "Vier Modernisierungen", d.h. der entschlossenen Rationalisierung und Effektivierung von Staatsmacht und Ökonomie zu benutzen gedenkt. Sondern auch, daß dies im Einklang mit den elementaren Interessen der Massen geschieht, es daher in jeder Hinsicht opportun ist, sich darauf einzurichten.
Der Volkswille - dem Volk als Straf-Prozeß zur Anschauung gebracht
Daß die Chinesen die endgültige Durchsetzung der neuen Massenlinie diesmal nicht in großen moralischen Massenmobilisierungskampagnen begrüßen, sondern sie erstmals als interessierte, im übrigen aber nicht weiter zur Beteiligung aufgerufene Öffentlichkeit in Form der Prozeßberichterstattung zur Kenntnis nehmen dürfen, markiert einen bemerkenswerten Fortschritt der Herrschaft in China.
Mit der Eröffnung des Prozesses gegen die Repräsentanten der unterlegenen Linie erfahren die aus dem Kampf zweier Linien bekannten saudummen moralischen Vorwürfe nämlich eine charakteristische Umkehrung:
Es handelt sich zwar auch diesmal wie bei jedem politischen Prozeß um Volksfeinde und deshalb Verbrecher. Aber der Staat legt mit seinem Schauprozeß Wert auf die Feststellung, daß sie als solche Rechtsbrecher sind und damit allein seinem Urteil unterliegen, welches den Volkswillen exekutiert. D.h. der Staat teilt dem Volk mit, daß er zur Verurteilung seiner Gegner sich nicht mehr auf zu diesem Zweck von ihm angeleierte massenhafte Bekundungen der Volksmoral zu verlassen gedenkt, sondern den Maßstab seiner Urteile nur noch aus dem von ihm gesetzten Recht bezieht, das deshalb auch der alleinige Maßstab der Volksmoral zu sein hat. Letztere darf in der entsprechenden Richtung somit auch weiterhin mit erbaulichen Vorschlägen wie "siedet die Hunde in heißem Öl" den Massen nahegebracht werden, aber in zivilisierten Formen der Meinungsäußerung, in Leserbriefen etwa, versteht sich! Die amtliche moralische Agitation findet demgegenüber, wie gesagt, als Prozeßberichterstattung statt, die dem Volk Informationen aus der Welt des Rechts liefert, vor allem über die niederschmetternde Wirkung der Justiz, des schieren Gerichtssaalszenariums sowie der Wucht der 69-seitigen Anklageschrift: Jiang Quing sei zwar voller Arroganz in fellgefütterten Samtschuhen hocherhobenen Hauptes in den Gerichtssaal geschritten, habe am nächsten Tag bei der Verlesung der Anklageschrift aber bereits geweint. Zhang Chunquian habe währenddessen trotz offenen Hemdkragens ständig geschwitzt, während Yao Wenyuan weinerlich und ruhelos gewirkt habe und seit Erhalt der Anklageschrift an hohem Blutdruck, Schlafstörungen und Appetitlosikeit leide.
Die Aufgabe der modernisierten Abteilung Öffentlichkeit des chinesischen Staates ist es dabei, die ganzen phantastischen Vorwürfe und mit klassisch-chinesischer Blumigkeit ausgemalten Schandtaten der Angeklagten, die früher auf den Wandzeitungen zu lesen und in den Volkstribunalen zu hören waren, von Staats wegen unter die Massen zu bringen. Als Justiz wiederum führt sich das moderne China als durch und durch neutral und human vor:
"Chinas Führer wollen mit diesem Schauprozeß demonstrieren, daß die eigenen Methoden humaner sind als die der Vorgänger und das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen brauchen.
Die Verpflegung und ärztliche Versorgung der Angeklagten scheint wesentlich besser gewesen zu sein als die eines Durchschnittschinesen.
Die Chinesische Führung versäumte nicht, ihren revolutionären Humanismus auch im Gerichtssaal zu demonstrieren. Zwei der Angeklagten wurden auf der Anklagebank 'mit Lehne', wie in einem Zeitungsbericht hervorgehoben wurde, ärztlich versorgt, als sie sich 'unwohl' fühlten." (FAZ, 22.11.80)
So viel Humanismus eröffnet der Lebenserwartung der Angeklagten nach Urteilsverkündung auf jeden Fall entschieden düstere Perspektiven.
Resultat dieses Strafprozesses
gegen die unterlegene Fraktion der KPCh ist also die rechtlich eindeutige Klarstellung, daß die Partei als die Verkörperung der Einheit von Volk und Staat das politische Instrument der ökonomischen und politischen Stärkung des Staates zu sein hat, durch die Beförderung der "Modernisierungen" von Wirtschaft und Rüstung und der produktiveren Benutzung der fleißigen Volks-Massen "auf allen Ebenen".
Und das beinhaltet auch die unmißverständliche Absichtserklärung, ganz ohne große Mobilisierung der Massen mit den geschaffenen rechtlichen Mitteln die massenhafte Säuberung der Partei durchzuführen, die diese bis zum 12. Parteitag Mitte kommenden Jahres zu diesem Instrument macht.