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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1980 erschienen.

Systematik

Griechenland
NATO-RÜCKKEHR EINES TREUEN BÜNDNISPARTNERS

Seit dem 20. Oktober ist die Süd-Flanke der NATO, die schon durch die Machtübernahme der türkischen Militärs eine beruhigende Stabilisierung erfahren hatte, wieder gänzlich intakt: Griechenland, 1974 grollend ausgetreten, ist ohne weitere Umstände in die militärische Organisation der NATO zurückgekehrt. Ein "bedauernswerter und eigentlich überflüssiger Konflikt unter Bündnispartnern" hat ein Ende gefunden, womit sich die weitere Erörterung der Frage, wieso es zu dieser diplomatischen Störung überhaupt kam - zu der eh niemandem mehr einfällt als das bekanntlich historische Mißtrauen zwischen Griechen und Türken -, für die Öffentlichkeit der größeren Bündnispartner ebenfalls erübrigt hat.

Nur in Griechenland selber gibt's noch einen Streit darum, ob es nun dem nationalen Interesse eher entsprochen hätte, wieder einzutreten oder den gemeinsamen Kommandos der NATO weiterhin fernzubleiben oder gar ganz auszutreten. Abgesehen von dem antiamerikanischen Nationalismus der antifaschistischen Studenten, der sich jährlich bei den Demonstrationen zur Erinnerung an den Studentenaufstand unter der Militärdiktatur 1973 mehr oder weniger heftig austobt, findet dieser Streit in den gemäßigten Bahnen von Regierung und Opposition statt. Seine politische Grundlage hat er in dem spezifischen Verhältnis dieses Landes zu den imperialistischen Staaten des freien Westens, das durchaus Anlässe zum innenpolitischen Streit darüber liefert, wie es um die Vorteilsrechnung des eigenen Staatswesens im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zum westlichen Verteidigungsbündnis bestellt ist. "Anikomen eis tin dysin - wir gehören zum Westen", das ist in Griechenland nicht per se gemeinsame Grundlage aller Politik, sondern zunächst einmal eine der zentralen Losungen der Regierungspartei Nea Dimokratia, die von der Oppositionspartei Papandreous nicht umstandslos unterstrichen, sondern zumindest mit dem Zusatz "Und was haben wir davon?" versehen, wenn nicht - wie von den Kommunisten - ganz bestritten wird. Dabei weiß die Opposition, die mit der Forderung nach Blockfreiheit die existente Unzufriedenheit ausnutzt, sehr genau, daß eine Aufkündigung der Zugehörigkeit zum Westen lediglich zur Alternative führt, als faschistischer Staat zum Westen zu gehören - worin übrigens die Werbewirksamkeit des o.a. Spruches für die Karamanlispartei liegt: dann doch lieber als demokratischer!

Und dies ist kein Urteil über eine fehlende Souveränität Griechenlands, sondern einfach ein Hinweis auf den Inbalt des souverän verfolgten Interesses des griechischen Staates, wie die jüngst wieder für Aufmerksamkeit sorgenden Kuriositäten seines Verhältnisses zur NATO wie zur Türkei und ihre Behandlung in der griechischen Innenpolitik beweisen.

Der Austritt aus der NATO - Ein Akt der Einheit und Souveränität der Nation

Das Ende der Junta im Sommer 1974 war bekanntlich kein Resultat einer Volksbewegung, sondern eine Entscheidung der maßgeblichen griechischen Truppenkommandeure, die den Obristen die Unterstützung entzogen und ihren Staatschef aufforderten, den schon aus früherer zehnjähriger Regierungszeit bewährten Karamanlis als Regierungschef einzusetzen, mit der Aufgabe, den Laden wieder demokratisch aufzuziehen. Die beständigen Unruhen von Studenten, Linken, Königstreuen und anderen Demokraten wurden ja zu einem Argument für die Ablösung der Junta durchs Militär erst dann, als sie sich mit einer außenpolitischen "nationalen Katastrophe" paarten, die auch der Opposition im Innern kräftigen Auftrieb gab. Die Junta war mit ihrer Zypernpolitik, d.h. mit dem bißchen, was auch Griechenland als Spielraum für offensive nationale Politik hatte - Stärkung des "Griechentums" = des eigenen Einflusses im zweiten, kleineren griechischen Staatswesen -, gründlich auf den Bauch gefallen. Der von ihr zu diesem Zweck angezettelte faschistische Putsch gegen den zypriotischen Präsidenten, Erzbischof Makarios war hinsichtlich der "Stärkung des Griechentums" auf der Insel durch die Besetzung von 40% ihres Territoriums durch türkische Truppen entschieden ins Gegenteil ausgeschlagen. Und die NATO hatte sich angesichts dieses Konflikts zweier ihrer Mitglieder für nicht beteiligt erklärt. Sie ließ sowohl die Griechen bei ihrem Putsch auf Zypern wie die Türken bei ihrem Gegenschlag explizit gewähren, was per Saldo natürlich unter den gegebenen Verhältnissen auf Begünstigung der Türken hinauslief.

Damit war - und ist - das "Zypernproblem" für die NATO und deshalb auch für Zypern erledigt: der ständig mit der Blockfreiheit kokettierende, Russenkreuzern Hafenrechte gewährende und über die NATO Stützpunkte auf der Insel nörgelnde Makarios abserviert, die Insel aufgeteilt und so de facto NATO-Territorium. Für das verletzte Gleichgewicht bestrafte man die Türkei - durch nachträgliche Streichung einiger Militärhilfen.

Griechenland stellte sich allerdings weiter auf den Standpunkt, daß sie nicht eine 180.000-Mann-Armee aufgezogen und der NATO zur Verfügung gestellt hatten - eine Armee, die sich wenn schon nicht in der Zahl, so doch der technischen Ausrüstung und Schlagkraft aller drei Waffengattungen nach mit der türkischen vergleichen kann, und das unter Aufwendung eines wahrhaft nicht geringen Teils des nationalen Reichtums (beim Anteil der Militärausgaben am Sozialprodukt darf man auf den dritten Platz in der NATO gleich hinter den USA und England stolz sein!) -, um sich im entscheidenden Moment vom eigenen Bündnis in zentralen nationalen Fragen geprellt zu sehen.

Denn seit ein Krieg gegen die Türken durch die Einbeziehung der Region in das westliche Bündnis absolut nicht mehr vorgesehen ist, findet die Konkurrenz zwischen beiden Staaten sehr zweckmäßig statt: Sie wetteifern um die eigene strategische Bedeutung für die "Sicherung der NATO-Südflanke" mit der Demonstration der Bündnistreue, die sie mit ihren militärischen und politischen Anstrengungen unter Beweis stellen. Das ist nicht nur ihr hauptsächliches Mittel im Handeln um Wirtschafts- und Rüstungshilfe, sondern auch nur in diesem Rahmen haben sie eine Chance, die Unterstützung der Bündnispartner für einen Stich gegen den anderen zu gewinnen.

Und angesichts der nicht zu knappen allein territorialen Interessenkollisionen etwa in der Ägäis - über wie unter Wasser - entfaltet dieser friedliche Wettstreit eben einige Dynamik.

Vom Standpunkt der staatstragenden Macht Griechenlands, der Streitkräfte, erforderte die Verletzung des nationalen Interesses, die nur ihr Verursacher, die NATO, auch wieder zu beheben in der Lage war, somit logischerweise eine Demarche innerhalb des Bündnisses gegen das Bündnis, wie eben die Herausnahme des größten Teils der eigenen Truppen aus dem gemeinsamen militärischen Kommando bei Aufrechterhaltung der politischen Mitgliedschaft. Womit aber auch klar ist, daß gerade das ein rein diplomatisches Manöver war, durch das die berühmte Südflanke militärisch absolut nicht geschwächt wurde, im Gegenteil: Die fünf US- bzw. NATO-Stützpunkte blieben bestehen. Und die ja bereits recht üppigen griechischen Militäraufwendungen wurden - gerade in Untermauerung der ganzen Operation - innerhalb von zwei Jahren nahezu verdoppelt. Last but not least war der "Austritt" aus der NATO auch noch ein konstituierendes Moment der Stabilität der neuen Demokratie:

war in den Augen der griechischen antifaschistischen Parteien und ihrer Anhänger damit dem letztlich Schuldigen an der Diktatur der fällige Denkzettel verpaßt.

wurde Karamanlis seinen Makel los, als vom Militär eingesetzter notorisch rechter Beauftragter für die Wiedererrichtung der Demokratie der demokratischen Glaubwürdigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung zu entbehren, und konnte sich damit getrost den Wahlen stellen.

wurde die Stärkung der Streitkräfte, die immerhin seit dem Bürgerkrieg als bewaffneter Arm der Rechten im Lande angesehen worden waren, als Grundlage der nationalen Souveränität im bzw. gegenüber dem Bündnis wieder gemeinsames Anliegen aller Demokraten, einschließlich der dafür durch den Staat erhobenen Opfer.

Für patriotische Rüstungsanstrengungen bürgen Regierungschef und Oppositionschef in seltener Einmütigkeit auch heute:

"Aber was geschähe, wenn Griechenland (das stark von US-Militärhilfe abhängt) die NATO verließe und die Stützpunkte schlösse? Herr Rallis, der kürzlich grünes Licht für den Kauf einer neuen Fregatte für die Marine zum Preis von 380 Mio DM gab, mit einer Option auf eine zweite, sagte: 'Das griechische Volk ist bereit, jedes Opfer auf sich zu nehmen, um seinem Land die Mittel bereitzustellen zur Verteidigung seiner Sicherheit und seiner legitimen Rechte.'" (Aus einem Bericht der "Times" vom 18.8.80, also der Schlußphase der Wiedereintrittsverhandlungen, über ein Gespräch mit Ministerpräsident Rallis.)

Und der PASOK-Chef Papandreou stellte klar:

"Im Fall einer Neuorientierung der Außenpolitik müssen wir die Kampffähigkeit der Streitkräfte in Betracht ziehen. Maßnahmen, die die Kampffähigkeit schwächen, dürfen nur in dem Maße erfolgen, wie wir entstandene Lücken auffüllen können, also die Streitkräfte stärken, so daß sie in keinem Fall unter ein Niveau fallen, das wir als unumgänglich ansehen für die Verteidigung der territorialen Integrität unseres Landes. Und das sage ich, gerichtet an die Streitkräfte, daß die PASOK mit keinem Schritt und in keinem Fall eine Schwächung der Bereitschaft des Landes für die Verteidigung gegen einen fremden Angriff erlauben wird." (To Vima, Athen, 11.11.1980)

Wenn sie sich hier den Luxus leisten, angesichts des schon beschlossenen Wiedereintritts in die NATO über eine ganz eigenständige nationale Rüstung zu spekulieren, dann sprechen sie dabei allerdings die staatlichen Interessen aus, die Griechenland als festen Partner an die NATO binden.

Das delikate Verhältnis Griechenland : Türkei - 1:3, 1:5 oder 1:10?

Die griechische Demarche gegen die NATO einen Fehler zu nennen ("Griechenland hat erkannt, daß der NATO-Austritt ein Fehler war." - eine Erkenntnis der "Süddeutschen Zeitung" vom 10.10.80) ist also angesichts der Leistung dieser Aktion: der Erneuerung der Einheit der Nation in kritischer Zeit und der Wahrung ihrer Souveränität im Geltendmachen ihrer Interessen wirklich abwegig.

Daß sich in den Jahren seit 1974 die Position Griechenlands in der NATO gegenüber der Türkei verschlechterte, hat nur sehr bedingt mit dem "Austritt" zu tun. Solche Veränderungen sind das Betriebsrisiko von Staaten, deren Stärke in der Wichtigkeit besteht, die ihnen vom Imperialismus aus seiner Beurteilung der Weltlage heraus beigemessen wird und deren Streit daher die Entscheidungen ihrer Bündnispartner gar nicht bestimmt. So hatte die Türkei bei ihrem Versuch, den Austritt Griechenlands für sich auszunutzen, insbesondere mehr militärischen Spielraum und wirtschaftliche Nutzungsrechte in der Ägäis zu erhalten, das Glück, seit Persien und Afghanistan von der NATO für strategisch entschieden wichtiger - und gefährdeter - gehalten zu werden, während Griechenland sogar die Kürzung der NATO-Beihilfe zu seinem Rüstungshaushalt hinnehmen mußte. Wie sich unter diesen Gegebenheiten das griechisch-türkische Verhältnis und das griechische Interesse darin sehr klar und einfach - eben als Verhältnis - ausdrücken lassen, demonstrierte der griechische Außenminister Mitsotakis im Juli dieses Jahres bei einem Public-Relations-Vortrag für die deutsche Öffentlichkeit in München: Das Angebot der BRD einer Sonder-Militärhilfe an Griechenland im Verhältnis von 1:10 zur Türkei (60 Mio zu 600 Mio DM) sei für Griechenland untragbar und deshalb zurückgewiesen worden (!); dies Verhältnis habe vor der Türkeihilfe immer 1:2 bis 1:3 betragen, und dabei müsse es im Interesse des Gleichgewichts in der Region auch bleiben.

Nun ist Griechenland also wieder drin in der NATO, um den Preis einiger Konzessionen in der Ägäis, vor deren Kenntnis die Nation vorerst verschont wird. Den Griechen wurde nämlich aufgrund des verstärkten Interesses der NATO an ihrer Südflanke ihr seit 1975 unermüdlich vorgetragener Wunsch erfüllt, zu gerechten Bedingungen wieder in die NATO eintreten zu dürfen. Nach heftigem Feilschen, bis hin zur äußersten Drohung, die Militärbasen zu schließen, erhalten sie - mit einer nur noch geringfügigen Verschiebung des delikaten Verhältnisses - einen der NATO und auch ihnen gemäßen Preis:

In den nächsten vier Jahren werden sie NATO-Militärhilfe, im wesentlichen durch die USA und die BRD, im Verhältnis 1:4 bekommen, ca. 650 Mio DM.