Info
Soziologie
MAX WEBER, WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
Max Weber ist ein Gründungsvater und toter Hund der Soziologie. Mit Auszügen aus seinen "Soziologischen Grundbegriffen" und seiner Herrschaftstypologie, Sprüchen zum Werturteilsstreit oder zur Methode "idealtypischer" Konstruktionen kommt er zwar noch gelegentlich im Studium vor, wird ansonsten - Ironie des Schicksals! - aber als recht einseitiger "Ansatz" lässig weggesteckt. Die Begründung der soziologischen Sichtweise, daß die Gesellschaft ein System ist, aus einer Interpretation der Handlungen des bürgerlichen Individuums mag sich ein moderner Soziologe nämlich nicht mehr bieten lassen, weil er das für "individualistisch" hält. Wo die Gesellschaft doch ein System ist! Desgleichen ist sich die Soziologie der Gegenwart ziemlich sicher, die Sozialwissenschaft überhaupt zu sein; weshalb ihr die zweite Gründerleistung Max Webers, sein an den Gegenständen anderer Wissenschaften (Wirtschaft, Recht, Staat) geführter Nachweis, daß diese sich auch soziologisch interpretieren lassen, schon gleich für unsoziologisch gilt. Und mit Recht: Denn die Kenntnisnahme der Realität, die für Weber zur Ab- und Durchsetzung der Besonderheit seiner Betrachtungsweise noch notwendig war, ist mit dem eigentlichen Anliegen dieser Disziplin wirklich nicht zu verwechseln. Im Gegensatz zu ihrem Mitbegründer spinnt sie daher heutzutage nur noch auf ihrer eigenen Basis herum und wehrt sich gegen die Beschränkung, bei der Erweiterung ihrer Weltanschauung darauf Rücksicht nehmen zu sollen, daß sie auch eine Weltanschauung bleibt.
Ebendeshalb hat eine Beschäftigung mit Webers Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft" gegenüber der Lektüre neuerer Idiotenkompendien den Vorzug, daß dort die Übergänge, mittels derer sich diese Wissenschaft die ihr eigenen Betrachtungen erarbeitet, immerhin ausgesprochen werden, während man sie hier nurmehr unterstellt. Das Buch ist also wenigstens lesbar. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Degeneration der Theorie zu solch haarsträubender Dummheit, daß ihre Vertreter mittlerweile bereits zur Konstruktion von Sätzen fähig sind, bei denen sich mühelos (und ohne daß sich der Sinn verändern würde) Subjekt, Prädikat und Objekt austauschen lassen, ihren Ausgangspunkt durchaus bei Weber genommen hat. Obwohl wirkliche Sachverhalte aufgegriffen werden, um sie erst in "soziologische Tatbestände" zu verwandeln, schlägt sich doch die Gleichgültigkeit der behandelten Inhalte für die Wissenschaft so nieder, daß alle Wesentliche in den Definitionsleistungen der "Grundbegriffe" schon gesagt wird und der weitaus umfänglichere materiale Teil zu einer Sammlung von Anwendungsbeispielen für das verkommt, was auch unabhängig von ihm längst zur Sache festgestellt wurde. Dieses Ungleichgewicht wird im folgenden erklärt und berücksichtigt.
I. Soziologische Definitionenlehre
Ein Grundmerkmal der Soziologie Max Webers ist damit schon angesprochen: Vom ersten Satz an trägt sie sich als eine Wissenschaft vor, die nicht die Eigenschaften eines vorgefundenen Gegenstands analysiert, um daraus auf seinen Begriff zu schließen, sondern stets nur definiert, was man unter dem zu verstehen hat, von dem gerade die Rede ist. Und das ist einigermaßen seltsam, erweckt es doch geradezu den Eindruck, dem Leser müßte Unbekanntes erst bekanntgemacht werden - darin erschöpft sich für gewöhnlich der Nutzen von Definitionen, die einen Gegenstand ja weder erklären können noch wollen. Gerade darauf scheint Weber es aber auch abgesehen zu haben, wenn er sich das "soziale Handeln" vornimmt, das nach den verschiedensten Gründen und Zwecken sowohl der vorwissenschaftlichen Anschauung nicht unvertraut, als auch bereits anderwärtig Objekt wissenschaftlicher Bemühungen geworden ist. Offensichtlich bezweifelt er die dabei gegebenen Bestimmungen - will sie aber nicht widerlegen, sondern nimmt seine Zweifel zum Anlaß, jenseits aller konkreten Inhalte eine grundlegend andere Betrachtungsweise derselben zu proklamieren:
"Paragr. 1. Soziologie... soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch (!) in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will." (WG I,3)
Wie man sich eine Kausalerklärung auf dem Deutungswege vorstellen darf - die Ursache einer Wirkung ist doch keine Frage des Verständnisses? -, bleibe vorläufig das Geheimnis des Theoretikers. Wir halten nur fest, daß hier die Definitionsbedürftigkeit zum für die Soziologie konstitutiven Merkmal ihres mit anderen Wissenschaften gemeinsamen Gegenstands definiert, der Zweifel in den Rang einer Begriffsbestimmung erhoben und das "soziale Handeln" ohne jeden Grund als sich selbst unbekanntes Dunkel ausgegeben wird, in das erst die soziologische Deutung Licht bringen kann. Die berechtigte Frage, woher diese Beleuchtung dann eigentlich ihre Energie bezieht, wird von Weber mit dem geraden Gegenteil seiner Unterstellung beantwortet. Obwohl das soziale Handeln ein einziges Verständnisproblem darstellen soll, kennt e r sogar die diversesten Unterscheidungen und trägt sie - wieder definitorisch - vor:
"'Handeln' soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbnden. 'Soziales' Handeln aber soll en solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist." (ebd.)
Die Struktur dieses Arguments ist zu interessant, als daß wir uns nicht - vor aller Kenntnisnahme der "methodischen Grundlagen", die es (man denke!) volle 12 Seiten lang auch noch hat - eine Weile dabei aufhalten sollten.
Definitionslehre 1. Teil: Der Sinn des sozialen Handelns
Die Frage ist jetzt nämlich, wovon diese Handlungsdefinition überhaupt handelt. Vom Handeln doch wohl nicht so recht. Denn dieses mag sich vom Denken als Realisierung des bewußten Willens unterscheiden; und soweit man einen über jeweils besondere Handlungen, die sich aus jeweils besonderen Willensinhalten ergeben, hinausgehenden allgemeinen Handlungsbegriff fassen will, mag man dies mit der allgemeinen Bestimmung des Handlungsinhalts durch das willentliche Bewußtsein des Handelnden auch tun. Damit hätte man für die Erklärung der Realität zwar nicht allzuviel gewonnen, aber immerhin eine richtige Abstraktion erschlossen. Die soziologische Abstraktion, von der "das Handeln" dann wieder unterschieden wird, ist jedoch grundfalsch: "Ein menschliches Verhalten", für das alle wirklichen Unterschiede (Absicht und Tun, Ausführung oder Unterlassen der Handlung) einerlei sind, gibt es ja gar nicht. Und das weiß selbst ein Max Weber, der die Unterscheidungen, die er gerade um ihre Existenz gebracht hat, im selben Atemzug per definitionem als Leistungen des Handelns wieder ins Leben zurückruft. Nur sind sie nach seinem gedanklichen Höhenflug nicht mehr ganz dasselbe wie vorher; nachdem er nämlich mit den konkreten Zwecken und Willensinhalten gleich noch von der willentlichen Bestimmung des Handelns überhaupt abstrahiert hat, eröffnet sich ihm sehr logisch ein Orientierungsproblem des "Verhaltens", das er - weniger logisch - dann durch die subjektive Sinngebung des "Handelns" wieder schließen läßt. Jetzt liegt der Grund dafür, daß der oder die Handelnden etwas tun, unterlassen oder dulden auf einmal nicht mehr darin, was sie wollen, sondern in der Meinung, die sie damit "verbinden" - und woraus soll dieser erstaunliche Schluß folgen? Nun hat Weber natürlich methodisch höchst absichtsvoll vorgebaut und kann deshalb antworten: Ich habe ja auch nichts erschließen, sondern nur definieren wollen. Wodurch die Sache freilich nicht besser, sondern nur schlimmer wird; denn die wissenschaftliche Sünde, das Charakteristikum des Handelns, auf dem alle weiteren Definitionen bis hin zu einer soziologischen Staatsableitung aufbauen, ausgerechnet aus einem Idealismus zu deduzieren dem des grund- und zwecklosen "Sichverhaltens" -, mag gerade noch als läßlich hingehen; diesen Idealismus aber dann auch noch selbstbewußt mit der bloßen Willkür zu begründen, ist wenigstens in der Wissenschaft eine ziemliche Todsünde. Ein Geheimnis ist der Standpunkt, der sich hier die Form einer Theorie gibt, dann aber auch nicht mehr - in den allergewöhnlichsten Vorstellungen, die sich ein bürgerliches Subjekt über die Triebfedern seines Handelns macht, liegt er schon fertig vor und braucht von dem Entschluß des Soziologen, sich hinkünftig alles aus ihnen zu erklären, ja nur abgeholt zu werden! Das glauben wir gern, daß "die Handelnden" - wenn sie mit ihren Absichten entweder keinen rechten Erfolg haben oder sich gelegentlich für gewisse Zumutungen, die sie anderen bereiten wollen, eine Legitimation suchen - immer auf dem Sprung stehen, den Zwecken ihrer Handlungen irgendeinen "subjektiven Sinn" beizulegen, damit sie dann einen gehabt hat. Aber ob daraus hinreichend folgt, daß man auch in der Wissenschaft die subjektiv-moralische Interpretation einer Handlung für das eigentlich Bestimmende (oder methodisch: Verständliche) an ihr zu halten hat, wagen wir doch zu bezweifeln.
Weshalb uns leider auch der Fortgang der Definition, die Abgrenzung des "sozialen Handelns" vom "Handeln" überhaupt, nicht ganz einleuchtet: Die Aufklärungsleistung der Soziologie, die - nach der Ausgangsdefinition - dem sozialen Handeln das abhanden gekommene Bewußtsein seiner selbst ersetzen wollte, trägt hier auf erweiterter Stufenleiter zur Verdunklung der wirklichen Verhältnisse bei. Wenn es nämlich von einer gehörigen Affinität zum Alltagsverstand zeugt, sich das "Sinnhafte" einer Handlung als ihren letzten (methodisch orientierte Leser dürfen immer ergänzen: verständlichen) Beweggrund vorzustellen, so zeugt es umgekehrt von einer gelinden Übertreibung dieser Affinität, den "Sinn" sozialen Handelns gleich in die "Orientierung am Verhalten anderer" zu verlegen. Weber hätte es ja auch beim Bezug auf die anderen be lassen können; warum die Verlängerung der Definition bis hin zur Orientierung an den anderen? Diese tugendhafte Logik ist doch vollends eine logische Untugend - zwischen dem Handeln und seiner sozialen Ausformung steht immerhin die methodische Schamgrenze der bloßen Möglichkeit (der subjektiv gemeinte Sinn muß sich nicht auf die anderen beziehen), während die Definitionskunst sich beim sozialen Handeln zum Sittenrichter mausert, der seine Prädikate nur unter gewissen Auflagen erteilt (um "sozial" zu sein oder genannt zu werden, muß ein Handeln sich nicht nur auf andere beziehen, sondern sich auch an ihnen orientieren).
Kaum wird es also "sozial", geht dem Theoretiker die eigene Begeisterung für sein Thema durch; er vergißt ganz, daß er den "Sinn" doch an der "Meinung" festmachen wollte, die jemand mit seiner Handlung verbindet, und erfindet sich einen Zweck, den so sicherlich niemand "meint". Gerade der praktische Standpunkt der "Sinngebung" bildet sich ja etwas auf sich ein und würde sich dagegen verwahren, irgendetwas nur wegen der anderen zu tun. Mit der Kategorie des "Sozialen" registriert Weber also zwar, daß der Subjektivismus seines Handlungsbegriffs sich an der Realität einigermaßen blamiert, weil die Orientierung am Verhalten anderer immerhin die Objektivität der gesellschaftlichen Verhältnisse, ihre Unabhängigkeit von dei Interpretationen einzelner ausspricht; er versucht dies aber dennoch wieder aus - spezifischen - gemeinten Sinn auszudrücken und widerspricht damit beiden Seiten!
Definitionslehre 2. Teil: Der Sinn von Beispielen und Methoden
Daß die drei bisher behandelten Sätze des insgesamt 1100 Seiten umfassenden Werks den eigentlichen Kern und die theoretische Crux des Ganzen ausmachen, war Weber wohl bewußt; und weil sie in Form von Definitionen - obwohl sie das nicht bezweckten - ziemlich massive Aussagen über die Gesellschaft wie die Wissenschaft von ihr enthielten, ist der Soziologe auf einen an und für sich unpassenden (wenngleich der Definition seiner Theorie entsprechenden) Einfall gekommen, nämlich auf die Begründung seiner Definitionen. Unpassend ist dies, weil es einerseits den Anspruch der Definitorik in Frage stellt: Max Weber scheint ja immer noch daran zu zweifeln, ob ihm seine Enthüllungen über das "soziale Handeln" nun gelungen sind und wenigstens der Wissenschaft das fehlende Bewußtsein der Gesellschaft verpaßt wurde. Für Definitionen ist es andererseits schon gleich unpassend: Denn man kann doch nicht zuerst jeden Erklärungsanspruch peinlichst vermeiden und immer nur "soll heißen, soll heißen" sagen - und dann im nächsten Zug alles mögliche erklären, um damit zu beweisen, daß man nur definieren kann!
a) Zum Zwecke dieser Begründung greift Weber einesteils auf Beispiele zurück, um daran klarzumachen, was er eigentlich meint und was nicht. Diese Beispiele sind (wie bei den irrealen Definitionen nicht anders zu erwarten) wahre Perlen. Noch relativ unschuldig, da einfach der Definition, die sie veranschaulichen sollen, widersprechend, sind die Bemerkungen über die Realitäten "des Handelns":
"Die Grenze sinnhaften Handelns gegen ein bloß (wie wir hier sagen wollen) reaktives, mit einem subjektiven Sinn nicht verbundenes, Sichverhalten ist durchaus flüssig." (WG I,4)
Sollten nicht wenigstens die Handelnden wissen, ob sie mit ihrem Tun einen Sinn verbinden oder nicht ? Wenn hier etwas flüssig ist, dann bestenfalls das Kriterium "Sinn", von dem der Soziologe - der es doch einfach empirisch aufnehmen wollte - sich inzwischen offenbar wieder vorbehält, wann er seine Existenz gelten lassen will. Ein paar Seiten weiter schraubt er diesen Vorbehalt zu einem ausgesprochenen Dialektinger hoch:
"Das reale Handeln verläuft in der großen Masse seiner Fälle in dumpfer Halb(?)bewußtheit oder (!) Unbewußtheit seines 'gemeinten Sinns'. ... Aber das darf nicht hindern, daß die Soziologie ihre Begriffe durch Klassifikation des möglichen 'gemeinten Sinns' bildet, also so, als ob das Handeln tatsächlich bewußt sinnorientiert verliefe." (WG I,15)
Lassen wir das Als und Ob der Soziologie, die von ihr stets behauptete Haßliebe zwischen Begriff und Realität, zunächst beiseite. Dann bleibt aber immer noch das Mysterium stehen, daß die Soziologie sich auch dann - und offenbar gerade dann - an der subjektiven Auffassung einer Handlung orientiert, wenn es diese Auffassung als subjektive, d.h. im Bewußtsein der Betroffenen, gar nicht gibt. Was um Gottes Willen ist dann das "Gemeinte" an diesem "Sinn"? Kommt hier im Grunde nicht heraus, daß die Sinngebung, a n der sich die Wissenschaft angeblich bemessen soll, ihr eigenes Werk ist? Es kommt heraus; und noch schöner bei den beispielhaften Abgrenzungsversuchen des "sozialen Handelns", wo die Pedanterie ins Köstliche umschlägt:
"Ein Zusammenprall zweier Radfahrer z.B. ist ein bloßes Ereignis (?) wie ein Naturgeschehen (?). Wohl aber wären ihr Versuch, dem anderen auszuweichen, und die auf den Zusammenprall folgende Schimpferei, Prügelei oder friedliche Erörterung 'soziales Handeln'." (WG I,16)
Da mußte doch schon längst einmal unterschieden werden, sonst wüßten die Radfahrer bis heute nicht, ob sie einfach "bloß" zusammenrumpeln oder ob dieses hochinteressante Ereignis auch eine "soziale" Komponente hat! Abgesehen von diesem nicht unerheblichen Hinweis auf den tiefgehenden Blick (und den entsprechenden Ertrag) soziologischer Deutungsleistungen muß freilich der Auffassung widersprochen werden, das Beispiel passe zur Definition. Immerhin "orientiert" sich ein Radfahrer beim Zank mit seinem naturhaft mit ihm zusammenprallenden Kollegen erst einmal in keiner Weise anders an ihm, als er sich an Handwerkszeug und Daumen "orientiert", wenn er sich auf letzteren mit dem Hammer schlägt. Er schimpft halt oder auch nicht. Daß er gegenüber anderen in spezieller Weise reagiert, die Schuldfrage aufwirft oder dergl., mag zwar sein, hat aber mit dem "Verhältnis zu anderen" an und für sich nichts zu tun, sondern erklärt sich aus der bestimmten Moralität, die bürgerliche Subjekte im Umgang miteinander pflegen. Davon ist wiederum in der Definition nicht die Rede.
Zu guter Letzt die Krone der Beispiele und ihres Erkenntnisbeitrags:
"Wenn auf der Straße eine Menge Menschen beim Beginn eines Regens gleichzeitig den Regenschirm aufspannen, so ist (normalerweise)" - das Verhalten von Soziologen, die das Aufspannen ihrer Schirme miteinander vereinbaren, um ihre Theorien zu belegen, wird ausdrücklich ausgespart! - "das Handeln des einen nicht an dem des anderen orientiert, sondern das Handeln aller gleichartig an dem Bedürfnis nach Schutz gegen die Nässe." (ebd.)
Man kann Weber - so befremdlich die feinsinnige Unterscheidung der Soziologie von einer Regenschirmwissenschaft auch wirken mag - hier immerhin zugute halten: Im Gegensatz zur Soziologie unserer Tage scheint ihm das angeführte Phänomen einer weiteren theoretischen Erörterung nicht bedürftig; insoweit bleibt seine subjektiv-idealistische Kritik falschen Bewußtseins wenigstens in gewissen Grenzen realitätsorientiert.
b) Wenn also die Beispiele ebensowenig wie die ihnen zugrundegelegten Definitionen so recht zur Hervorhebung der Notwendigkeit soziologischer Bemühungen taugen, steht der Beweis an, daß diese neue Wissenschaft - ist schon ihr Zweck und Wissensfortschritt positiv schwer festzumachen - sich zumindest negativ aus gewissen Grenzen der Erkenntnis legitimiert, die ihrerseits nach soziologischer Überwindung streben. Die methodische Betrachtungsweise der Soziologie verdoppelt sich jetzt bei Weber: Hatte er zunächst seinen Gegenstand methodisch bestimmt (nämlich was a n ihm er wie betrachten wolle), so liefert er jetzt dafür sogar noch "methodische Grundlagen". Deren Zirkularität steht freilich von vorneherein fest; denn das Kunststück, die eigene definitorische Willkür durch Reflexionen teils auf die außerhalb dieser Definitionen stehende Realität, teils auf die sich aus dieser herleitenden Kriterien der Theoriebildung objektiv zu machen, dürfte schon rein logisch eine ziemliche Unmöglichkeit sein. Es fängt daher gleich gut an: Wurde per definitionem der "subjektiv gemeinte Sinn" als das der Theorie am sozialen Handeln Verständliche behauptet, so wird nun umgekehrt durch die der Soziologie möglichen Verstehensleistungen festgelegt, was denn wohl als solcher "Sinn" zu verstehen sei.
Als 1. verrichtet die Tautologie der "Evidenz" ihren Beitrag. Evident ist nämlich das, was man versteht, also Resultat des Verstehens; Weber kennt sie aber zugleich als Grund und Unterscheidungsmerkmal des Verstehens und entdeckt sie als Eigenschaft, die gewissen Handlungen a priori mehr oder weniger zukommt. Da gibt es Eindeutiges und weniger Eindeutiges:
"Wir verstehen ganz eindeutig, was es sinnhaft bedeutet" (nämlich?) "wenn jemand den Satz 2 x 2 = 4... denkend oder argumentierend verwertet... Ebenso, wenn er aus uns als 'bekannt' geltenden (?) 'Erfahrungstatsachen' und aus gegebenen Zwecken die für die Art der anzuwendenden 'Mittel' sich (nach unseren Erfahrungen) eindeutig ergebenden Konsequenzen zieht." (WG I,4)
Sehr scharfsinnig! Immer, wenn es nichts zu verstehen gibt, verstehen wir ganz eindeutig, was gemeint ist; die kleine Schummelei, Multiplikationen und das, "was es sinnhaft bedeutet", wenn einer sie "denkend oder argumentierend verwertet", zu trennen, um das Rechnen und seine Handlungsqualität dann doch wieder für (wenn auch nur im Verständnis) identisch zu erklären, sei hier verziehen. Bei anderen Handlungen wird aus diesem Schummeln allerdings der Grund für weiteres, was uns weniger verzeihlich erscheint:
"Hingegen manche letzten (?) 'Zwecke' und 'Werte', an denen das Handeln eines Menschen erfahrungsgemäß orientiert sein kann, vermögen wir sehr oft nicht voll evident zu verstehen... Je nach Lage des Falles müssen wir dann uns begnügen, sie nur intellektuell zu deuten, oder unter Umständen, wenn auch das mißlingt, geradezu: als Gegebenheit einfach hinzunehmen, und aus ihren soweit als möglich intellektuell gedeuteten oder soweit als möglich einfühlend annäherungsweise nacherlebten Richtpunkten den Ablauf des durch sie motivierten Handelns uns verständlich machen. Dahin gebören z.B.... extrem rationalistische Fanatismen ('Menschenrechte') für den, der diese Richtpunkte seinerseits radikal perhorresziert." (WG I,4/5)
In diesen Fällen geht dem Soziologen die "Eindeutigkeit" verloren - wieso das denn? Von den vorher genannten Beispielen unterscheiden sie sich sicher dadurch, daß sie sich nicht einfach von selbst verstehen; aber wo soll da der Grund für die (vorläufige) theoretische Kapitulation liegen? Die hier angesprochenen Zwecke liegen vielleicht nicht so offen auf der Hand wie beim Rechnen oder Nägeleinschlagen, aber deswegen sind sie doch noch lange kein Geheimnis. Eine unbefangene Analyse von Glaubensgrundsätzen oder moralischen oder staatsbürgerlichen Idealismen wird noch stets sowohl den Zweck zutage fördern, der hier verfolgt wird, wie den Grund, aus dem heraus - sowohl von der Seite des subjektiven Motivs, wie von der seiner objektiven Grundlage - solche Zwecke zum Willensinhalt der Subjekte werden. Wenn Weber ausgerechnet in dem Bereich, wo sich die verfolgten Zwecke widerstreiten, ein besonderes Erkenntnisproblem sieht, dann liegt das nur an ihm. Er wiederholt also methodisch seinen Standpunkt der Definitionsbedürftigkeit des "Sozialen", widerspricht ganz nebenbei seiner Definition - Gegensätze zwischen den Subjekten, gleich welcher Art, sind immerhin ein ganz neues Gegenstandsmerkmal -, und zieht daraus einen erstaunlichen Schluß: Wo es etwas zu erklären gibt, weil mir die Erfahrung (oder genauer: Das, was ich dafür halte - siehe die entsprechenden Anführungszeichen) dafür nicht ausreicht, da steht keineswegs eine Erklärung an, sondern eine Form der Theoriebildung, die genau entgegengesetzt zu dem vorgeht, was ihr Anlaß ist: Diese Methode nennt sich 2. "idealtypische Konstruktion" und besteht darin, die "mangelnde Eindeutigkeit" oder Evidenz gewisser sozialer Ereignisse - und zufällig, anders als bei den Regenschirmen, sind es diesmal welche, die tatsächlich eine Rolle spielen - durch theoretische Eindeutigkeit zu ersetzen. Dies ist nicht nur ein erneuter Zirkelschluß, weil zuerst die Gegenstände der Erkenntnis auf dessen angebliche "Erfordernisse" hin abgeklopft werden, um diese Erfordernisse dann wieder umgekehrt aus den Gegenständen abzuleiten, das sich hinterher einstellende Ergebnis also schon in der Frage nach der Evidenz vorausgesetzt worden ist. Es ist vor allem ein Offenbarungseid der soziologischen Theorie: Diese Wissenschaft erlaubt sich, noch den Widerspruch der Realität zu ihren Begriffsbildungen in einen Bestandteil ihrer Kategorien zu übersetzen!
"Für die typenbildende wissenschaftliche Betrachtung werden nun alle irrationalen, affektuell bedingten" (merke: Das ist alles, was der Soziologe nicht verstehen will!) "Sinnzusammenhänge des Sichverhaltens, die das Handeln beeinflussen" (der kriterienlose Oberbegriff des Handelns, das Sichverhalten, wirkt jetzt auf einmal in jenes hinein) "am übersehbarsten (!) als 'Ablenkungen' von einem konstruierten rein zweckrationalen Verlauf desselben erforscht und dargestellt. ... Die Konstruktion eines streng zweckrationalen Handelns also dient in allen diesen Fällen der Soziologie, seiner evidenten Verständlichkeit und seiner... Eindeutigkeit wegen, als Typus ('Idealtypus'), um das reale, durch Irrationalitäten aller Art... beeinflußte Handeln als 'Abweichung' von dem bei rein rationalem Verhalten zu gewärtigenden Verlaufe zu verstehen." (WG I,5)
Man muß dies einmal im Zusammenhang rekapitulieren: Die Soziologie beschäftigt sich mit dem gemeinten Sinn des Handelns - jetzt läßt sich aber ein Großteil des Handelns aus diesem gar nicht ableiten, weil sein Ablauf diesem angenommenen Grund nicht entspricht - damit geht dem Handeln (für die Soziologie) Ordnung und Eindeutigkeit verloren - deshalb müssen wir i n der Theorie diese Ordnung und Eindeutigkeit schaffen, die der Realität abgeht - das erklärt zwar nichts mehr, gestattet aber eine Klassifikation der Realität nach unseren methodischen Maßstäben der Eindeutigkeit, Zweckmäßigkeit und Harmonie! Weber ist ehrlich genug, die Differenz solcher Theorie zu einer wissenschaftlichen Untersuchung der Realität eins ums andere Mal zu betonen:
"...darüber, inwieweit in der Realität rationale Zweckerwägungen das tatsächliche Handeln bestimmen und inwieweit nicht, soll es ja nicht das Mindeste aussagen." (WG I,5) "Das reale Handeln verläuft nur in seltenen Fällen (Börse)" (ausgerechnet!) "und auch dann nur annäherungsweise so, wie im Idealtypus konstruiert." (WG I,7) usw.
Er ist allerdings auch Soziologe genug, sich gerade darauf mächtig was einzubilden:
"Wie bei jeder generalisierenden Wissenschaft" - reine Angabe! -"bedingt die Eigenart (!) ihrer Abstraktionen es, daß ihre Begriffe gegenüber der konkreten Realität des Historischen relativ inhaltsleer sein müssen. Was sie dafür zu bieten hat, ist gesteigerte Eindeutigkeit der Begriffe..:. Nur vom reinen ('Ideal'-) Typus her ist soziologische Kasuistik möglich." (WG I,14)
Hier kommt es aber sehr auf die "Eigenart" an, denn Abstraktionen sind einfach deshalb, weil sie allgemeiner als die konkreten Phänomene sind, ja nicht inhaltsleer, sondern haben eben einen allgemeinen Inhalt, der als solcher dann auch jedem konkret darunter befaßten Gegenstand zukommt; eindeutig sind die Dinge auch von sich aus - nur die Eigenart der soziologischen Abstraktionen macht sie mehrdeutig, weil sie ihnen einen nach eigenen Kriterien bestimmten Sinn, über den man sich (da jenseits des Gegenstands "konstruiert") dann trefflich streiten kann, anhängt; nur "Kasuistik" ist in dem Ganzen das richtige Wort. Es erinnert nämlich daran, daß der gelernte Jurist Weber seine Methodenlehre aus der Jurisprudenz in die Soziologie übertragen hat: Genau wie dort ohne Rücksicht auf die jeweiligen Gründe und Handlungen Tatbestände festgelegt werden, unter die konkrete Handlungen subsumiert und die Grade ihrer "Abweichungen" vom festgesetzten Normalfall festgestellt werden, verfährt der Soziologe hier; mit dem kleinen Unterschied, daß der "Sinn" dort per Gesetz objektiv-dogmatisch, hier per definitionem subjektiv-moralisch ist. Letzterer Punkt rundet 3. die methodische Grundlegung ab. Es ist nämlich noch das zu Anfang bemerkte Verhältnis von Sinnhaftigkeit und Kausalität zu bestimmen. Hier geht es außerordentlich bunt zu, weil Weber einfach nicht konsequent genug Soziologe ist, um (wie die Modernen) sich prinzipiell von jedem Erklärungsanspruch zu emanzipieren; er möchte stets seinen subjektivisitischen Blickwinkel, der jeden Grund in das Bewußtsein der Handelnden von ihm verlegt, mit der Objektivität versöhnen. Deshalb ergänzt er erst bei passender Gelegenheit seine Definition des Handelns durch den "Sinn" durch die tautologisch umgekehrte Auffindung des Sinns durch das Handeln:
"Das Verständliche daran (ergänze: an sinnfremden Vorgängen und Gegenständen) ist also die Bezogenheit menschlichen Handelns darauf, entweder als 'Mittel' oder als 'Zweck', der dem oder den Handelnden vorschwebte, und woran ihr Handeln orientiert wurde." (WG I,5)
Sehr gut, aus Zwecken kann man mancherlei erklären; nur sollte man sich dann hüten, den willentlichen Bezug der Subjekte auf die Gegenstände ihrer Handlung seinerseits daraus zu erklären, daß mit ihm ein "subjektiver Sinn verbunden" wird. Sonst kommt wieder so etwas heraus:
"Wir verstehen das Holzhacken oder Gewehranlegen... motivationsmäßig, wenn wir wissen, daß der Holzhacker entweder gegen Lohn oder aber für seinen Eigenbedarf oder zu seiner Erholung (rational), oder etwa weil er sich eine Erregung abreagierte (irrational), oder wenn der Schießende auf Befehl zum Zweck der Hinrichtung oder der Bekämpfung von Feinden (rational)" (gelungene Klammer) "oder aus Rache (affektuell, also in diesem Sinn: irrational) diese Handlung vollzieht." (WG I,6/7)
Denn auf diese Weise "verstehen" wir überhaupt nichts, sondern hauen nur unsere klassifikatorischen Kerben in die Realität hinein, die uns einerseits in der epochalen Gewißheit bestätigen, daß alles Handeln einen Sinn hat (sofern wir es nämlich eindeutig einordnen können), und die zweitens ihre wertende Natur nur schwer verbergen können: Auch zum theoretischen Zweck der Klassifikation sind Zweck-Mittel-Beziehungen nun einmal nicht per se "rational" und "irrationale" Handlungen auch bei noch so schöner Terminologie nun einmal nicht per se unzweckmäßig! Weshalb folgende Aufklärung über die "Wertneutralität" der Soziologie durchaus korrekt ist und den Standpunkt - den wir in pewohnt dogmatischer Manier bereits aus den Definitionen erschlossen hatten - endlich einmal ausspricht:
"'Sinnhaft adäquat' soll ein zusammenhängend ablaufendes Verhalten in dem Grade (!) heißen, als die Beziehung seiner Bestandteile von uns nach den durchschnittlichen Denk- und Gefühlsgewohnheiten als typischer... Sinnzusammenhang bejaht wird." (WG I,8)
Hier wird sowohl bekanntgeben, daß das "Sinnhafte" am Handeln keineswegs einfach eine Eigenschaft desselben ist, sondern ein Maßstab, der an dieses angelegt wird und dann auch zu gradueller Differenzierung befähigt; wie auch der Ursprung des Inhalts, der diesem Maßstab zugesprochen wird, in unseren "durchschnittlichen Denk- und Gefühlsgewohnheiten", also der moralischen Weltanschauung des bürgerlichen Individuums, sehr treffend verortet wird.
Die "kausale Erklärung", die daraus folgt, meint denn auch nicht mehr und weniger, als daß es Handlungen gibt, die sich in typischer Weise moralisch beurteilen lassen, und daß man das Eintreten dieser Handlungen "demzufolge" als Wirkung der von uns "als typisch bejahten Sinnzusammenhänge" betrachten kann:
"...selbst die evidenteste Sinnadäquanz (bedeutet) nur in dem Maß eine richtige kausale Aussage" (unser graduelles Bejahen eine kausale Aussage!) "als der Beweis für das Bestehen einer... Chance erbracht wird, daß das Handeln den sinnadäquat erscheinenden Verlauf tatsächlich mit angebbarer Häufigkeit oder Annäherung... zu nehmen pflegt." (WG I,9)
Diese kausale Deutung ist also eine "sinnige" Deutung der Kausalität - da sich ein nur hypothetischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang wohl immer angeben läßt, kann der Soziologe auch jedes Geschehen als "Chance seines tatsächlichen Eintritts" zum begründeten erklären, ohne sich mit irgendeinem anderen Grund als der "Adäquanz" des Ereignisses zu seinen Vorstellungen über "Sinn" beschäftigen zu müssen. Das ist Wissenschaft!
II. Soziologische Kategorienlehre
Das Grundsätzliche ist geleistet; Max Weber hat mit dem ersten Paragraphen und seinen methodischen Anmerkungen dazu die Programmatik (und damit eigentlich auch schon alle Erkenntnisse) der Soziologie zur Darstellung gebracht. Wir können diese noch zusammenfassen: Der Zweck dieser Wissenschaft ist die zusammenstimmende Einordnung der gesellschaftlichen Realität in nach den typischen Einbildungen der Bürger über die Gründe ihres Handelns eindeutig konstruierte Begriffsschachteln, worin sie sich als sehr mit sich harmonisches Weltbild und positives Bewußtsein der allen Handeliden mehr oder weniger unklaren Zusammenhänge ihr Selbstbewußtsein erarbeitet. Dabei ist sie sehr undogmatisch, weil sie über das "objektiv Gültige" nichts aussagen will und sich nur mit dem "subjektiv Gemeinten" befaßt, das seinerseits freilich wieder einige Geltung beansprucht.
Weber ist nun allerdings nicht fertig; es drängt ihn vielmehr zur Anwendung seines Programms. Und diese gerät ihm zu einer moralischen Demonstration, die ihn von den modernen Soziologen wiederum charakteristisch unterscheidet - statt sich mit seinem Standpunkt zu begnügen, ihn als den Zweck der Gesellschaft auszugeben und dann mit der einfachen Übersetzung psychologisch-moralischer Urteile in soziologische Begriffe (System, Norm, Sanktion, Rolle...) sich alles mögliche auszudenken, was es dazu braucht, den Standpunkt (des Sinns oder dergl.) also auf die Theorie anzuwenden, wendet er ihn tatsächlich auf die Realität an! Er deduziert also "soziologische Grundbegriffe", die die Welt seither nicht mehr gesehen hat, bis er wahrhaftig beim soziologischen Grundbegriff des "Staats" landet. Subjektivistisches Erklärungsprinzip und Aufnahme objektiver Zwangsverhältnisse geraten sich deshalb von Paragraph zu Paragraph stärker in die Haare.
Zunächst leugnet er zwar nochmals die Objektivität seines Gegenstands und erklärt "soziale Beziehungen" zu einer bloßen Möglichkeit:
"Paragr. 3. Soziale 'Beziehung' soll ein seinem Sinnpehalt nach aufeinander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht (!) also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, daß in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird, einerlei zunächst: worauf diese Chance beruht." (WG I,19)
Damit führt er - verrückt genug -, nachdem er vorher das "soziale Handeln" schon definiert hatte, nun dessen Wirklichkeit ein, die - noch verrückter - nur eine "Chance" ist. Man darf ja gespannt sein, was passieren würde, wäre diese Chance einmal nicht gegeben! Einen Hinweis erhalten wir:
"Ein 'Staat' hört z.B. soziologisch (!) zu 'existieren' dann auf, sobald die Chance, daß bestimmte Arten von sinnhaft orientiertem sozialen Handeln ablaufen, geschwunden ist." (ebd.)
Sofern man natürlich die Tautologie begehen will, den Staat aus der Möglichkeit, sich a n ihm zu orientieren, zu erklären, sofern ist die Tautologie der Beendigung seiner "soziologischen Existenz" durch das Schwinden obiger Möglichkeit natürlich ebenso statthaft.
Die Logik der Möglichkeit schraubt sich indes zu einer weiteren Chance fort, die im Zurücknehmen einiger Chancen besteht:
"Paragr. 5. Handeln, insbesondre soziales Handeln und wiederum insbesondre eine soziale Beziehung" (letztlich wahrscheinlich keins von allen "können von seiten der Beteiligten an der Vorstellung vom Bestehen einer legitimen Ordnung orientiert werden. Die Chance, daß dies tatsächlich geschieht, soll 'Geltung' der betreffenden Ordnung heißen." (WG I,22)
Eine interessante "Vorstellung" die sich die "Beteiligten" da zulegen "können", namentlich wenn sie auch noch "gilt"! Daß eine Ordnung, die jeder für die seine hält (legitim), einfach durch die Vorstellung, es gäbe sie, herbeigebetet wird, mag nun auch Max Weber nicht ganz glauben, obwohl er es so definiert hat. Deshalb fällt ihm sofort die Garantie der "Legitimität einer Ordnung" ein (seit wann brauchen bloße Vorstellungen denn auch noch eine Garantie?), für die es u.a. folgende Möglichkeit gibt:
"Paragr 6. ... Eine Ordnung soll heißen... b) Recht, wenn sie äußerlich garantiert ist durch die Chance physischen oder psychischen Zwanges durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder Ahndung der Verletzung gerichtetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von Menschen." (WG I,24)
Na sowas! Da haben die Menschen zu nichts einen Grund, können handeln, sozial handeln oder sich gar aufeinander beziehen - und mitten in dieses Reich der Chancen, das sogar den "Staat" zum Verschwinden bringen kann (s.o.), platzt auf einmal die Chance, ihnen durch mit einem ganz eigenen "Sinn" ausgerüstete und stabsmäßig organisierte Gesellen eins aufs Haupt zu geben. Woher dieses? Sollte die "sinnhafte Orientierung" irgendwelcher Leute der "Vorstellung" anderer ins Gehege kommen, so daß wiederum Dritte beiden mit ihnen gerade gelegen kommenden Zwangsmitteln nahebringen können, was sich gehört? Wo bleibt da der "subjektiv gemeinte Sinn"?! Nun, er macht noch einen gewissen Schnaufer, da Paragr. 7 nach der Garantie der Ordnung nochmals auf die Gründe der Zuschreibung ihrer Legitimität zu sprechen kommt.
Aber 1. wird diese Legitimität nun schon aufgrund ihrer Geltung (des immer Gewesenen, des Vorbildlichen, des als absolut gültig Erschlossenen - wie kommen Menschen nur darauf, sich so etwas auszudenken? Freiwillig?) "zugeschrieben", was die Zuschreibung ja nicht gerade sehr subjektiv aussehen läßt. Und 2. lesen wir gar unter dem Titel "Glauben (!) an die Legalität":
"Paragr. 7... Diese Legalität kann als legitim gelten
a) kraft Vereinbarung der Interessenten fur diese;
b) kraft Oktroyierung auf Grund einer als legitim geltenden Herrschaft von Menschen über Menschen und Fügsamkeit." (WG I,26)
Daß sub a) irgendwelche "Interessenten" auf die sonderbare Idee kommen, sich Gesetze zu erfinden, damit sie dann an deren Geltung glauben können, mögen wir gar nicht glauben. Der Glauben sub b) jedoch besitzt außer seiner tautologischen Struktur - man glaubt an die Legitimität von Gesetzen, weil man glaubt, daß die Herrschaft, die sie einem diktiert, legitim ist? - noch die beachtliche Eigenschaft, daß er wirklich überflüssig ist, beruht er doch auf einer von ihm unabhängigen Okroyierung und Fügsamkeit!
Paragr. 8 nimmt - das paßt nun in der Tat zu den (natürlich als reine Möglichkeiten definierten!) allmählich immer aufdringlicher werdenden Gewaltverhältnissen - davon Kenntnis, daß zur gewaltsamen Regelung sozialer "Beziehungen" als Unterstellung wohl auch irgendwelche gesellschäftlichen Gegensätze gehören, die nicht einfach im Willen der Beteiligten ihren Grund haben, und behandelt so Sachen wie "Kampf", "Konkurrenz", "geregelte Konkurrenz" und "Auslese". Unsinnigerweise (oder besser deshalb, damit Weber sich S. 28 oben kurz noch die "Konkurrenz erotischer Bewerber um die Gunst einer Frau" als mögliche Ausfüllung seines Begriffs vorstellen kann) kommt das, worum eigentlich gekämpft bzw. konkurriert wird, erst sub Paragr. 10 unter dem Namen "appropriierte Chancen", dann auf deutsch mit dem Kriterium der Erblichkeit: Eigentum, dann mit dem zusätzlichen der Veräußerlichkeit: freies Eigentum vor.
Hier hat der gute Max dann endlich festen Boden unter den Füßen, vergißt sein soziologisches Anliegen (fast) ganz und schreibt nur noch - in teilweise eigenwilliger Terminologie (dem Reststück der Soziologie) - einen empirisch aufgenommenen Rechtsbegriff nach dem andern hin, z.B.:
"Paragr. 13.... Ordnungen eines Verbandes können außer den Genossen auch Ungenossen oktroyiert werden, bei denen bestimmte Tatbestände vorliegen. Insbesondere kann (!) ein solcher Tatbestand in einer Gebietsbeziehung (Anwesenheit, Gebürtigkeit, Vornahme gewisser Handlungen innerhalb eines Gebiets) bestehen." (WG I,36)
"Kann" er das, vor allem unter der Voraussetzung, daß der "Staat" doch erst Paragr. 17 eingeführt wird? Es "kann" - wird der Soziologe sich da gedacht haben - aber doch auch Kegelvereine geben, bei denen man durch Geburt Mitglied wird! Oder nicht?
"Paragr. 15. ... Anstalt soll ein Verband heißen, dessen gesatzte Ordnungen innerhalb eines angebbaren Wirkungsbereichs jedem nach bestimmten Merkmalen angebbaren Handeln (relativ) erfolgreich oktroyiert werden." (WG I,38)
Vom Staat spezifisch dadurch unterschieden, daß die definitorisch frühere "Anstalt" gar nicht über die Mittel für den Erfolg ihrer Oktroyierung verfügt. Hier ist also eine "Fügsamkeit" am Werk, die sich wohl aus Spaß fügt. Sehr hübsch die Ergänzung durch den nächsten Paragraphen, der die oben vermißten Mittel angibt, allerdings soziologisch:
"Paragr. 16. Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin..." (WG I,38)
Daran fällt folgendes auf: 1. ist die Unterscheidung wieder rein empirisch den Gebieten der Wirtschaft, der Politik und des Militärs entnommen, da sich logisch hier gar nichts unterscheidet. Oder was soll eine "Macht" sein, die sich ohne Befehle gegenüber angebbaren Personen über deren Willen hinwegsetzt? 2. werden hier "Chancen" angegeben, denen sowohl die Mittel ihrer Durchsetzung als der Zweck, dem sie dienen, vorenthalten werden. Es soll also wieder alles in die Einstellung der Beteiligten fallen, so unvorstellbar dies bei der angeführten Sorte "Beziehung" auch ist. Deshalb ist 3. die ganze Definition nichts wert, weil sie Handlungen heraufbeschwört, über deren Gründe man vollkommen im unklaren bleibt. Macht ist, wenn sie sich durchsetzt. Du liebe Zeit, was für ein "eindeutiger Begriff"!
"Paragr. 17. ... Staat soll ein politischer A nstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen i n Anspruch nimmt." (WG I,39)
Die soziologische Kategorienlehre ist am Ende. Nach einer ganzen Palette von Möglichkeiten, welche Gestalt "das soziale Handeln" nicht alles annehmen können soll, hat dasselbe sich zu der Möglichkeit einer Möglichkeit durchgerungen, die endgültig alle Möglichkeiten außer den zu ihr gehörigen per Gewaltmonopol außer Kraft setzt. Das Ganze hat nur einen Haken, nämlich den grundsätzlichen, der uns die Deduktion hindurch stets begleitet hat: Es fehlt schon wieder der Zweck! Und dies kann - nachdem Weber sich diesmal um die Mittel nicht drückt - nur einen Grund haben: Wenn jemand die in seinen Beschreibungen offenkundigsten Gewaltverhältnisse - deren Inhalt, die gewaltsame Regelung einer ökonomischen Konkurrenz um die Aneignung oder den Ausschluß von Eigentum, ihm zwischendurch auch noch aufgefallen ist - partout von einer Kritik des Kapitalismus trennen will, dann ist er mit all seinem methodischen Aufwand zur Verwandlung der Realität in eine "Hypothese" für die Existenz der von ihm definierten Gesellschaft, deren Notwendigkeit er theoretisch in Frage stellt, weil er sie als reine Möglichkeit fassen möchte. Insofern löst die Logik der Kategorienlehre die Programmatik der Definitionslehre voll ein, auch und gerade in Kenntnisnahme der widerspenstigen Realitäten: Von allem, was behandelt wird, werden justament solche Kategorien gebildet, daß der Soziologe sich wissenschaftlich reinen Gewissens vom "wertgebundenen" Parteienstreit emanzipieren kann, weil alle Begriffe nur das eine Prinzip haben - sie lassen eine Auseinandersetzung mit ihnen nur unter ihrer Voraussetzung zu, jeden praktischen Standpunkt daher nur unter Voraussetzung seines Gegenteils. Wenn das nicht ein für die Zukunft ertragreicher Gedanke war! Umgekehrt kann man natürlich fragen: Wie ist der Mann denn auf den gekommen? Naja - sie wurde bisher nicht erwähnt, aber offenbar, sah er sich einer Theorie gegenüber, die Staat und Gesellschaft aus einem bestimmten Zweck erklärte und ihre Existenz schlechterdings für nicht notwendig halten wollte. Und mit der Wirtschaft mußte sie wohl auch etwas zu tun haben, deren "gesellschaftliche" Aspekte in ihr Weber nicht recht gewürdigt sah; daber "Wirtschaft und Gesellschaft". Da Weber aber im Bisherigen selbst nicht deutlicher wurde, sei diese Theorie dem folgenden letzten Abschnitt vorbehalten. Dieser ist aus Gründen kurz.
III. Soziologische Kasuistik
Welcher Art von Betrachtungen nämlich die restlichen 1060 Seiten des Werks gewidmet sind, erhellt aus der Vorbemerkung zu den "soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens":
"Nachstehend soll keinerlei 'Wirtschaftstheorie' getrieben, sondern es sollen lediglich einige weiterhin oft gebrauchte Begriffe definiert und gewisse allereinfachste soziologische Beziehungen innerhalb der Wirtschaft festgestellt werden. Die Art der Begriffsbildung ist auch hier rein durch Zweckmäßigkeitsgründe bedingt." (Nämlich:) "Der viel umstrittene Begriff 'Wert' konnte terminologisch (!) ganz umgangen werden." (WG 1, 43)
Was ersehen wir hieraus? 1. Man kann die Wirtschaft auch soziologisch betrachten. 2. Dabei kommt zwar keine Wirtschaftstheorie heraus, sondern nur eine leicht modifizierte Terminologie. Diese vermeidet vor allem 3. den Wertbegriff, aber genau das ist bei dessen Umstrittenheit ja auch eine Leistung!
Es ist also gar kein Geheimnis, welcher Auseinaidersetzung "Wirtschaft und Gesellschaft" beispringt, um bei dieser Gelegenheit die soziologische Betrachtungsweise zu offerieren: dem Streit der bürgerlichen Nationalökonomie mit dem Marxismus. Und indem die Ökonomie zu einem bloßen Anwendungsfall der Soziologie heruntergebracht wird, dem sich ähnliche Betrachtungen der Religion, Sippengemeinschaft, etc. anschließen, ist es auch gar kein Geheimnis, gegen wen Weber damit antritt. Seine im Bisherigen erörterte Methode der Trennung sozialwissenschaftlicher Begriffe von den Zwecken, die sich in der kapitalistischen Gesellschaft auf die unter ihnen gefaßten Gegenstände beziehen, und ihrer Neukomposition als Glieder eines hypothetischen Problemzusammenhangs des "sozialen Handelns" taugt schließlich nur für eine methodische Unterstützung des nationalökonomischen Idealismus einer "Nutzenwirtschaft" - denn den Nutzen kann man wohl als möglichen "Sinn" eines Handelns betrachten. Aber wie sollte das mit Wert und Mehrwert vonstatten gehen? Die kann man sich ja - was man (siehe Teile I und II) soziologisch soll - schlechterdings nicht als individuelle Beweggründe des Handelns vorstellen!
Weber schließt sich auch in der Tat der Auflösung der Wirtschaftstheore in Psychologie an:
"Paragr. 1. 'Wirtschaftlich orientiert' soll ein Handeln insoweit heißen, als es seinem gemeinten Sinne nach an der Fürsorge für einen Begehr nach Nutzleistungen orientiert ist." (a.a.O.)
- aber weder um nun weiter Wirtschaftstheorie, noch um Motivationsforschung, noch um im eigentlichen Sinn Soziologie zu betreiben. Was nun nämlich folgt, ist wirklich Kasuistik reinsten Wassers, zu deutsch: ein manchmal kaum noch erträglicher Schematismus. Alle möglichen in der Ökonomie üblichen Tautologien werden nur in die einmal eingeführte Terminologie übertragen -
"Paragr. 6. Tauschmittel soll ein sachliches Tauschobjekt insoweit heißen, als dessen Annahme beim Tausch in typischer Art primär an der Chance für den Annehmenden orientiert ist, daß dauernd... die Chance bestehen werde, es gegen andere Güter in einem seinem Interesse entsprechenden Austauschverhältnis in Tausch zu geben..." (WG I,52) (= ein Tauschmittel ist, wenn es als solches fungiert, daher auch akzeptiert wird) -
um dann davon ausgehend in unserem Beispiel das Geld nach rein empirischen Gesichtspunkten, d.h. ohne irgendeinen ökonomischen Zweck anzugeben, in die heterogensten Erscheinungsformen zu differenzieren: Chartales Zahlungsmittel, Binnengeld, monetäres und notales Geld, Verkehrsgeld, Verwaltungsgeld, Umlaufsmittel, Zertifikat, Kurantgeld, Intervalutarisches Zahlungsmittel...
Die Sprüche über den Sozialismus, die ebenso regelmäßig folgen, entsprechen
"dem Landläufigen. Daß auch zwischen Verbänden jeder Art, insbesondere: sozialistischen oder kommunistischen Verbänden, Kredit möglich... ist, versteht sich von selbst. Ein Problem bedeutete dabei freilich im Fall völligen Fehlens des Geldgebrauchs die rationale Rechnungsbasis." (WG I,57)
Na klar! Die Verwendungszwecke des Geldes, die er oben so säuberlich unterschieden hat, lassen zwar alles andere als einen Schluß darauf zu, daß das Geld etwas mit einer "rationalen Rechnungsbasis" zu tun hat - aber hier soll ja keinerlei Wirtschaftstheorie getrieben, sondern nur "einige Begriffe" eindeutig festgelegt werden. Ebenso verfahren wird mit Lohnarbeit, Kapital etc. - weder hätte der alte Marx sich derartig diffizile Erscheinungsformen der Arbeit (Lohnwerk, Stör, Kolone...?) noch einen so "sinn"reichen Hintergrund der Ausbeutung einfallen lassen (Rationalität der Kapitalrechnung; sub speciem Paragr. 1: Die Wirtschaft ist eine Güterversorgung). Der Rest ist weiterer wissenschaftlicher Betrachtung nicht wert; es findet sich allerdings reichhaltiges historisches Material.