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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1980 erschienen.

Von der Freiheit eines Christenmenschen
DIE MACHT DES GLAUBENS

Von Heilslehren und Ersatzreligionen wollen moderne Bürger - ob Politiker, Publizist, Wissenschaftler, Student oder sonstwas -nichts wissen. Da sind sie stolz und aufgeklärt; und anläßlich eines Flugblattes, das ihnen am Betriebstor oder auf öffentlichen Plätzen angeboten wird, faßt sich mancher ein Herz. Statt vorbeizugehen, wird er einen kräftigen Kommentar los und verwünscht die Saubande, die ihm eine andere Meinung als seine eigene andrehen will.

Dieselben Leute aus allen Ständen finden den Papst "nett", seine Lehren beherzigenswert bis mutig und seine religiösen Auftritte eindrucksvoll. Staatsmänner und Sportreporter, Professoren und Disk-Jockeys halten es für angebracht, sich in Schale zu werfen und den Predigten lebhaft Beifall zu spenden, die der Heilige Vater vorgelesen hat. Sie fanden es auch überhaupt nicht peinlich, erwachsene Menschen dabei zu beobachten, wie sie sich durch die Menge kämpften, um dem Papst am Ärmel zu zupfen.

Die Aufgeklärtheit der modernen Bürger erteilt höchstoffiziell jedem Ersatz der Religion abschlägig Bescheid, aber von einem Rückgang des göttlichen Geschäfts selbst will sie nichts wissen. Dabei haben nicht einmal die dümmsten Ableger des Marxismus je gesegnet, das ewige Leben in Aussicht gestellt oder ihre Anhänger beten lassen. Der Dogmatismus-Vorwurf ist ihnen ganz ohne die Verkündung eines Unfehlbarkeitsdogmas in den Schoß gefallen, während dem Papst noch bei freundschaftlichen Begegnungen mit gewöhnlich als Schlächtern behandelten Diktatoren die allerbesten Absichten zugebilligt werden.

Der akademische Büchermarkt ist voll von Abrechnungen mit der "marxistischen Weltanschauung", aber eine dezidiert anti-christliche, atheistische Habilitationsschrift sucht man vergebens. Dafür viele säkularisierte, im Jargon der Sozio-, Psycho- und Politologie verdolmetschte "christliche Grundideen", deren "Sinn" und "Wert" gerade mit Hilfe der modernen Wissenschaft erschlossen wird. Während die Marx'sche "Wertlehre", eine Theorie, die Ware und Geld, also bloß den begrenzten Bereich des Kommerz betrifft, mit dem vernichtenden Verdikt der "Metaphysik" belegt wird, ergehen sich ganze universitäre Disziplinen in der Orientierung an Werten, nach denen sich dauerhaft leben läßt, weil sie "dem Menschen" so grundsätzlich zusagen, daß sie ihm mit Gewalt beigebracht werden müssen.

Das alles kann unmöglich am Marxismus liegen, mag er eine noch so abgefeimte Scharlatanerie sein. Daß er mit der Religion verglichen wird, daß man ihn für ihren Ersatz hält, ihn wiegt und dann für entschieden zu leicht befindet, hat nach übereinstimmender Auskunft seiner Kritiker eben nur den einen Grund: r leistet nicht dasselbe wie der Glaube. Das macht aber unserer bescheidenen Meinung nach überhaupt nichts. Denn der Glaube ist umgekehrt ein feiner Ersatz für den Marxismus, er macht ihn also völlig überflüssig. Daran ist nicht zu rütteln, weshalb auch ein philologisch durchgeführter Vergleich - mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, versteht sich - unterbleiben soll. Das Ergebnis wäre für alle kompetenten Betrachter dasselbe wie bei allen bisherigen Vergleichen, und die Blamage des Marxismus ebenso unvermeidlich. Marx mit seinen kühnen Behauptungen der Art

"Wie die Produktion von Mehrwert der bestimmende Zweck der kapitalistischen Produktion, so mißt nicht die absolute Größe des Produkts, sondern die relative Größe des Mehrprodukts den Höhegrad des Reichtums."

sieht nämlich ziemlich alt aus gegenüber Jesus, der auf die Anfrage des ungläubigen Thomas

"Herr, wir wissen nicht, wo du hin gehst; und wie können wir den Weg wissen?"

die erschöpfende Auskunft gibt:

"Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich." (Joh., 14,5/6)

Den methodisch reflektierten und allen wissenschaftstheoretischen Ansprüchen genügenden Kategorien des selbstbewußten Buben von Nazareth stünden die empirisch keineswegs abgesicherten Hypothesen eines Jung-Hegelianers gegenüber, der noch nicht einmal über das begriffliche Handwerkszeug verfügt, seinen Ansatz zu explizieren! Der Sache des Marxismus wäre damit überhaupt nicht gedient, würde man mit Marx- und Engelszungen eine Alternative zum Glauben herbeireden. Die gibt es nämlich gar nicht!

Es ist an der Zeit, einmal vorurteilsfrei die Leistung des christlichen Glaubens darzustellen, ohne Blasphemie, also ganz ohne Rücksicht auf konkurrierende Weltanschauungen, die ihm ohnehin nicht das Wasser reichen können. Wenn es gelingt, die großartigen Ideen der Heiligen Schrift und das edle Gemüt der Gläubigen verständlich zu machen, so steht der Nutzen eines solchen Unterfangens zumindest für die Christen außer Frage. Sie wissen dann endlich, was sie an ihrem Glauben haben!

I. Das Bekenntnis

1. Gott Vater

Wer mit einem Christen darüber Streit führt, ob es Gott auch wirklich gibt; wer gar nach Beweisen seiner Existenz verlangt und sich dann über die angeführten Argumente empört, dem ist nicht zu helfen. Er verwechselt nämlich Glauben mit Wissen, legt ausgerechnet an ein Bekenntnis die Maßstäbe der Erkenntnis an und feiert den höchst billigen Triumph, in jedem Hinweis auf Gott, den der Christ geltend macht, die Erneuerung des "bloßen" Bekenntnisses zu entdecken. Statt sich Klarheit darüber zu verschaffen, worin der Glaube besteht, gibt er sich mit der ziemlich einfältigen Auskunft zufrieden, daß die Anerkennung eines höchsten Wesens mit Wissen nichts zu tun hat. Es ist zu bezweifeln, daß ein aufgeklärter Geist von diesem Schlag je die moderne Wissenschaft den Maßstäben der Rationalität unterwirft und sie daraufhin befragt, ob es denn die von ihr behaupteten Größen wie Grenznutzen, Gleichgewicht, Rolle, Über-Ich, Wohlfahrtsstaat, System, Tiefenstruktur etc. überhaupt gebe!

Wenn ein Christ umgekehrt Gründe für die Existenz des Höchsten sucht, so findet er sie noch allemal durch die Indienstnahme seines Verstandes für seine Glaubensgewißheit. Einmal kann (= will) er sich die "natürliche Ordnung" nicht ohne ein sie erschaffendes und erhaltendes Subjekt vorstellen; ein anderes Mal benötigt er dasselbe Subjekt für eine plausible Vorstellung vom Anfang der Geschichte, vielleicht entdeckt er auch in seinem und seiner Nächsten Treiben keinen Sinn und Zweck, und weil es einen geben muß, kommt ihm Gott gerade recht. Ein Christ vermag solches sogar seiner eigenen Person zu entnehmen und von seinem Glauben an Gott direkt auf dessen Existenz zu schließen. Und moderne Christen bringen diesen "Schluß" auch schon ganz funktionell zuwege: dann führen sie die Leistung ihres Glaubens - Trost, Hilfe, Orientierung, Schutz vor Verzweiflung etc. - als Argument ins Feld, melden also ganz schlicht ihr Bedürfnis nach Gott an, weil dieser es erfüllt. Damit kommen sie der Sache schon ziemlich nahe, obgleich sie sich dem Verdacht aussetzen, einen "reinen" Glauben nicht zu haben und stattdessen recht konjunkturgebunden auf die schützende Hand des Höchsten zu spekulieren.

Was Leute mit einem echten, das ganze Leben lang gepflegten Glauben mit den "schlechten Christen", denen ihr Herrgott nur gelegentlich einfällt, gemeinsam zustandebringen, ist die Mobilisierung ihrer Einbildungskraft einzig und allein zu dem Zweck, in der Vorstellung eines höchsten Schöpfers und Richters zu einem äußerst schlechten Urteil über sich selbst zu gelangen. Während Gott allmächtig und allwissend ist, ewig und allgegenwärtig den Lauf der Welt bestimmt, beschließt der Christ mit der Entscheidung, an diesen Gott zu glauben und im Verhältnis der freiwilligen Knechtschaft zu ihm zu stehen, einiges über sich. Er legt sich seine Sterblichkeit zur Last, hält sich für ebenso ohnmächtig wie unwissend und bezichtigt sich allen Ernstes, nur ein Mensch zu sein. Dieses "nur" stellt keinen tatsächlichen Defekt, auch keine Wissenslücke und schon gar nicht die wirkliche Ohnmacht eines Individuums vor den sehr handgreiflichen Mächten dieser Welt fest, sondern eine sehr ahsolute Verdammung der eigenen Menschennatur wird da vollzogen, die ganz allein aus dem Verhältnis zu Gott stammt. Wer bemerkt, daß er etwas nicht weiß oder kann, wird in rationeller Weise selbstkritisch und sucht die Mängel zu beheben, die ihn stören. Wer seine Mißerfolge seiner Unfähigkeit zuschreibt und sich ihrer schämt, läuft mit einem schlechten Gewissen, einem Minderwertigkeitskomplex oder Schlimmerem herum. Wer aber seine Menschennatur verdammt und deren Streben für vergeblich hält, weil er ohnehin nur als Geschöpf und Werkzeug Gottes eine Daseinsberechtigung besitzt, dem ist die Selbstbezichtigung als Sünder als ein Weg eingefallen, mit seinem schlechten Gewissen zu leben. Alles, was er tut und läßt, alles was mit ihm und um ihn herum angestellt wird, löst sich entweder in eitel Menschenwerk auf - und des Menschen Dichten und Trachten ist nach Mose I.8,21 böse von Jugend auf - oder hat seinen Sinn in Gottes unergründlichem Ratschluß. Gewöhnlich beides.

Geht es einem Sünder gut, so betet er zu Gott und dankt ihm für die unverdiente Gnade, für den göttlichen Lohn; geht es ihm dreckig, so weiß er dies als gerechte Strafe für seine menschliche Nichtsnutzigkeit zu würdigen und darum zu bitten, daß trotz allem auch ihm ein kleines Stückchen vom riesigen Kuchen der göttlichen Liebe zuteil werde. In jedem Wechselfalle des Lebens deutet er das, was er mitmacht, sehr selbstsicher aus dem Verhältnis zu Gott, das er sich eingerichtet hat. Und diese Selbstsicherheit, jene Wirkung, die Christen dem Glauben so standhaft zuschreiben - Trost, Mut und Kraft statt Verzweiflung und Zorn über die irdischen Brüder, die ihm manches einbrocken - ist auch schon der Schlüssel zur Selbstgerechtigkeit, deren Gläubige fähig sind. Im Unterschied zum selbstkritischen Individuum, das nach Gründen seines Scheiterns bei sich ebenso sucht wie um sich herum; im Unterschied auch zum psychologisch mit sich verfahrenden Typen, der sich für eine Flasche hält, verfährt ein Christ sehr gründlich. Seine Selbstbezichtigung will er als allen übrigen Leuten ebenso anstehende Gesinnung verstanden wissen, und für diese Haltung geht er missionarisch hausieren. Und sooft er auf taube Ohren trifft, kann er sich der Genugtuung freuen, die Sündernatur, die allen zueigen ist, zumindest exklusiv zu bekennen. Durch seine Selbsterniedrigung weiß er sich auszuzeichnen, und aus altem wie neuem Testamente sind ihm die Geschichten vertraut, in denen die Gottlosen das eine oder andere Ungemach härter und viel gerechter trifft als die Kinder Gottes.

Christen, amtierende wie Amateure, verfügen also als Anhänger des rechten Glaubens über das gesamte Repertoire jener niedlichen Gehässigkeiten, die vom blanken Neid bis zur Schadenfreude reichen: sie müssen sich lediglich die Mühe machen, ihrem gläubigen Gottes- und Menschenbild entsprechende Übersetzungen anzufertigen - und schon hat Gottes Gerechtigkeit mit gutem Grund zugeschlagen.

Christen, amtierende wie Amateure, verfügen aus demselben Grunde über jenes sagenhafte Verständnis und Mitleid für alle geschundenen Kreaturen daheim und in der Ferne, also über die Gefühle, die ihnen die lästige Frage nach dem Grund von Not, Elend und Gewalt ersparen. Sie leiden selbst dann noch mit, wenn ihnen gerade einmal größere Schicksalsschläge nicht beschieden sind.

Nie würden sie sich anmaßen, "aus eigener Kraft" die sehr weltlichen, ökonomischen wie politischen Ursachen klarzustellen, wenn ihnen etwas nicht paßt. Der Glaube an ihren Herrn, der keines Beweises bedarf und auch keine Widerlegung zuläßt, ersetzt ihnen das Wissen wie den Willen, die vonnöten sind, den Machern dieser Welt auf die Finger zu hauen. Daß sie als sündige Menschen nur Ausschuß zustandebringen, als gläubige Sünder aber auf keinen Fall etwas verkehrt machen können, solange sie sich nicht die Frechheit herausnehmen, höchstpersönlich und wegen ihrer menschlichen Anliegen etwas am Weltenlauf ändern zu wollen, ist Christen eine Selbstverständlichkeit. Eher bereichern sie die anderen aufgeherrschten Opfer um ihr eigenes, als daß sie ihren grenzenlosen Opportunismus gegenüber der weltlichen Macht aufgeben, über die sie in Röm. 13,1 die passende Lektion empfangen: "Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet." Und wenn demokratisch erzogene Christen in den Zentren des Imperialismus ihr Gewissen damit beruhigen, daß sie die "Theologie der Befreiung" aus fernen Ländern per edition suhrkamp bewundern, so ändert das gar nichts.

Mit dem Entschluß, an Gott zu glauben, hat ein Christ seinen Verstand jedoch keineswegs aufgegeben; vielmehr beschäftigt er ihn damit, seiner gläubigen Weltsicht zu dienen. Und deswegen sind all die alten und neuen aufklärerischen Versuche vergeblich, einem Christen die Widersprüche im Glauben vorzurechnen, um die Absurdität seines Gottes- und Menschenbildes herauszustellen. Der Verstand der Gotteskinder läßt sich nicht für die Widerlegung des Herrn Zebaoth bemühen, weil er von Anfang an damit beschäftigt ist, gerade das "Unglaubliche" faßbar zu machen. Wer also daherkommt und meint, Gott hätte sich in Myriaden von Sündern nicht gerade ein feines Ebenbild auf die Erde gesetzt; die Menschen seien nie so, wie er sie haben will, so daß der Höchste nie zufrieden mit ihnen ist, sie strafen und zurechtbiegen muß; die Menschen würden die gottgegebene Vernunft immer wieder für sich einsetzen statt für ein gottgefälliges Leben, ihren Geist also als Mittel der Sünde mißbrauchen etc. etc. - der rennt beim gläubigen Menschen offene Türen ein. Mit den Zweifeln dieses Kalibers ist nämlich der Glaube von Anfang an befaßt, und die gläubige Phantasie hat in der Heiligen Schrift die Antwort auf solche Fragen längst zur Hand. Schon im ersten Buch Moses wird die Sache mit dem "Baum der Erkenntnis", von dem der Mensch nicht essen soll, klargestellt. In Mose I.6,6 "reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen."

Und überhaupt gehört der gläubige Umgang mit den Zweifeln zum Glauben vom ersten Tage an, da ein verständiger Mensch eben seinen Entschluß, mit Nicht- Wissen seine Lage zu deuten, rechtfertigen muß.

2. Gott Sohn: Die Offenbarung

Der Verstand eines gläubigen Menschen hat mehr zu leisten als der eines Heiden. Einerseits wird er genauso für die Abwicklung der irdischen Geschäfte benötigt wie der jedes anderen, der arbeiten muß und sich einteilen, heiraten und wählen, bisweilen auch Krieg führen darf; andererseits hat er die zusätzliche Aufgabe zu bewältigen, all die mittelprächtigen Erfahrungen des irdischen Daseins als Werk und Willen Gottes zu deuten. Und so sehr die Mühen seiner irdischen Wanderung bei einem Christen das Verlangen nach dem absoluten Geist wachhalten, bei dem er trotz allem gut aufgehoben ist, so heftig beuteln sie ihn auch mit Zweifeln an der Sicherheit seines Glaubens. Da vergeht mancher Tag, an dem einem Sünderlein statt eines Bekenntnisses die Frage einfällt, ob ihn Gott nicht vergessen habe; oder schlimmer noch: er gerät angesichts der Ungerechtigkeiten, die gerade rechtschaffenen Menschen wie ihm angetan werden, in Versuchung, zu lästern.

Da trifft es sich gut, daß schon die Vorfahren der modernen Christen dasselbe Problem hatten und seine Lösung dazu: Gott antwortet auf die quälenden Fragen der zweifelnden Geschöpfe mit der Einlösung des Versprechens, daß er sich offenbaren werde, wenn es an der Zeit sei. Der Glaube erfährt eine nicht zu unterschätzende Unterstützung vom zweifelnden Verstand, der die Logik von Gott dem Herrn und Mensch, dem Knecht fortspinnt, der mit der neutestamentlich mehrfach verbürgten geschichtlichen Offenbarung alle Bedenken bezüglich der Existenz und des Wirkens Gottes zerstreut. Also hat Gott uns seinen eingeborenen Sohn gesandt...

Leben und Lehre Jesu

sind zwar für die Stabilisierung der Glaubensgewißheit eine prächtige Sache, weisen aber einen nicht zu übersehenden Mangel auf: Man muß an sie glauben, an die Werke des Gottessohnes, der in Menschengestalt die christliche Entsagung und ihr Gelingen vorführt! So angenehm es für ein christliches Gemüt auch sein mag, den "abstrakten Gott" - den er sich nicht vorstellen kann und von dem er sich keine Gipsabdrücke machen darf - um eine Figur ergänzen zu können, die seiner Anschauung zugänglich ist und eine detaillierte Biographie aufweist, so unleugbar sind doch die zusätzlichen Anstrengungen, die dem Gläubigen aus der Geburt, den Teach-ins, den Wundern und der Passion Christi erwachsen. Die Evangelien sind nämlich via et ratione ausgetüftelt und bieten deswegen dem Verstand der Gläubigen auch manchen Stolperstein:

  • als Erlöser der Menschen, der ihnen zeigt, wie sich die schlechte Menschennatur besiegen läßt durch die freiwillige Annahme der Knechtsgestalt, ist Gottes Sohn ein Mensch. Nur als solcher vermag er die Leiden auf sich zu nehmen, die als Vorbild der Selbstverleugnüng dienen können, die sonst so schnell niemand zuwege bringt;
  • dies hat als erstes Konsequenzen für die Vorstellung, die sich die Gläubigen von der Geburt Christi zu machen haben: Das irdische Dasein von Jesus fängt gleich mit einem Wunder an, das die Theologen zu ihren schönsten Geheimnissen zählen;
  • die nächste Konsequenz prüft den Verstand als Mittel des Glaubens nicht minderhart; daß Jesus kein gewöhnlicher Mensch ist, sondern mit der Allmacht Gottes ausgestattet, will auch bezeugt sein. Schließlich steht er seinen Mann für das anbrechende Reich Gottes, für die Bezwingung der Sünde und für die Erlösung von ihr. Also tut Jesus gelegentlich ein Wunder zum Beweis der Allmacht Gottes;
  • und wird prompt vom Zweifler im Gläubigen mißverstanden. Der nämlich hält die Wunder gern für einen guten Grund, zu glauben - und so sind sie überhaupt nicht gemeint. Wunder setzen Naturgesetze außer Kraft, sind also Kritik des Menschengeistes, der sich einbildet, sich ein bißchen auszukennen in der Welt und davon profitieren zu können. Da ist es schon eine Ungeheuerlichkeit, wenn Menschen auf Wunder scharf sind zum Beweis dafür, daß Jesus glaubwürdig ist, also überzeugt sein wollen. Das mußte der Herr klarstellen: "Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht" (Joh. 4,48) weist er die nur bedingt Gläubigen, die Rationalisten unter den Gotteskindern zurecht;
  • in seiner Passion führt er, ganz Mensch, den anderen Menschen den rechten Umgang mit ihrer Endlichkeit vor: die Selbstverleugnung ist der Weg zur Erlösung; so geht die überwindung des Fleisches durch den Geist! Freilich versetzt Gottes Sohn den Gläubigen als verständigen Leuten damit den nächsten Schock: statt einen Sieg über die Endlichkeit bemerken sie zunächst einmal eine Niederlage, Gottes Sohn ist tot - und das darf nicht sein. Also geht's in die Verlängerung, in der auferstanden wird: "Tod wo ist dein Stachel, Hölle wo ist dein Sieg!"
  • Der Glaube an die Auferstehung gehört also auch noch dazu, will man der göttlichen Liebe teilhaftig werden, was bei den berechnenden Kreaturen, für die Jesus das alles durchsteht, zu allerlei irrigen Vorstellungen über das Leben nach dem Tode führt. Immer wieder vergessen sie, daß - Auferstehung des Fleisches hin und her - der gläubige Geist auf seine Kosten kommt und der Himmel kein Erholungscenter mit freiem Eintritt ist. Immer wieder lassen sich Christen, ungeübt in der Logik der Heilsgeschichte, von ihrer materialistischen Phantasie leiten und malen sich das ewige Leben als Ansammlung sämtlicher irdischen Genüsse abzüglich des hienieden dazugehörigen Ärgers aus...

Die Evangelien als Zeugnisse der Offenbarung tun auf jeden Fall gut daran, nicht nur das zu berichten, was zu glauben ist an Taten und Leiden Christi; sie stellen in kundiger Weise, stets der Widerspenstigkeit des menschlichen Verstandes eingedenk, auch die Fehler klar, die man im Kampf zwischen Glauben und Zweifel so machen kann. Da gilt es mancher Versuchung standzuhalten, mit der kleingläubigen Beweissücht fertigzuwerden usw., kurz: die Passion Christi hat als vorgemachte Selbstaufgabe ohne die Spur jeder Berechnung geglaubt zu werden, und nur das gläubige Schaf Gottes ist in der Lage, eine korrekte Interpretation des Weltgeschehens und seiner Stellung in ihm vorzunehmen, also ein christliches Leben zu führen. Dieses spielt sich zuallererst im

3. Geist der Gemeinde

ab. Den Gläubigen, und nur ihnen, erscheint der Geist des Herrn. "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen...", da ist auch der Herr präsent. Das ist ausnahmsweise kein Wunder, sondern sehr (tauto-)logisch. Diejenigen, die sich unter Berufung auf die Offenbarung der Bewahrung des Glaubens annehmen, stehen für die Präsenz und, die Lehre Gottes, des Vaters und des Sohnes gerade, sind also vom Heiligen Geist erfüllt. Dessen Niederkunft, das Zeichen der Vollzugsmeldung, ist zwar auch wieder an die Voraussetzung des Glaubens geknüpft, aber wen stört das schon? Die Existenz der gläubigen Zeugen beweist den Glauben und tradiert den Beweis Gottes in der Welt und für sie. Das war von Anfang an klar, daß sich der Glaube selbst beweist und seine Anhänger feierlich erklären, daß der Menschengeist das Ganze ohnehin nicht faßt.

Und auf diesem Widerspruch sollte man auch nicht übermäßig herumhacken, denn Menschen sind es schon, die unter Aufbietung ihres Geistes ihren Gottesdienst abwickeln. Sicher, argumentiert und überzeugt durch richtige Gedanken über die Welt wird nicht in der Kirche, sondern die gläubige Einstellung wird gefeiert und besungen, weil jeder froh ist, daß er seinen Glauben hat. Aber selbst zum gemeinschaftlichen Genuß des Glaubens an die Dreifaltigkeit, zur selbstgerechten Demonstration, daß man im richtigen Verein ist, bedarf es einiger Verrenkungen geistiger Art. Christen müssen ja bei der Feier der Einsicht, daß ihre Menschennatur nicht viel wert ist, sogar aufpassen, daß ihr Bekenntnis nicht allzusehr mit dem kontrastiert, was sie außerhalb des Gottesdienstes tun und vor allem die Sünderhaltung ohne den offensichtlichen Wunsch, sich in aller Demut auszuzeichnen, vorführen (schon Jesus hat dazu kundig Stellung genommen!). Wenn sie daran denken, dann dürfen sie sich aber auch kräftig im Gebet erniedrigen, in der Predigt beschimpfen und trösten lassen sowie am Gesang erbauen. In der Exekution der Sakramente laufen sie dann zu ihrer höchsten Form auf. Sie werden der Gnade Gottes teilhaftig - und müssen schon wieder höllisch aufpassen, daß sie sich nicht einbilden, sie könnten sich qua Teilnahme an dem Hokuspokus irgendetwas verschaffen. Wo sie sich einbilden, daß sie sich das nicht einbilden, da hebt ein fröhlich Taufen von Babies an, aber nicht von unschuldigen Kindern, denn die "Erbschaft", die sie übernommen haben, können sie nicht ausschlagen. Da wird aus dem Verhältnis der Geschlechter ein Gottesdienst, und nur so steht ein Christ voll zu dieser peinlichen Sache des Fleisches. In der Beichte erreichen Christen die Spitze ihrer Heuchelei, indem sie durch Reue und Buße ihre bösen Taten auf innerliche Weise ungeschehen machen, was freilich nur die Leistung Christi ist. Sonst wäre man ja auch nicht im Abendmahl der unio mystica fähig, durch die man den Geist des Herrn auf sehr natürliche Weise Einzug bei sich halten läßt.

So sind gläubige Christen das lange schöne Kirchenjahr über mit dem Repetitorium von Leben und Lehre Christi beschäftigt und reden sich an dessen Vorbild die Verachtung des Materiellen, weltlichen und Natürlichen ein, daß einem schlecht davon werden kann. Selbstverständlich werden auch Christen die Welt, und was sie in ihr tun, nicht los. Aber dazu reicht ihr Geist schon aus, daß sie von ihrem stinknormalen Leben abstrahieren, es als bloße Durchgangsstufe und Bewährung im Glauben auffassen und alles ein bißchen anders betrachten.

II. Die Versöhnung der Christen mit der Welt

Wenn nicht gerade der Papst zugegen ist oder ein Kirchentag abgewickelt wird, fallen Christen kaum auf. Auch bei ihnen bestimmt ihre Weltanschauungs nicht das, was sie tun wie man zu arbeiten hat, an Geld kommt und seinen Haushalt führt, ist nämlich von geringeren und sehr weltlichen Instanzen entschieden worden, und denen unterwirft sich ein Christ praktisch genauso, wie er sich theoretisch dem Höchsten verpflichtet weiß. Der Bauer, der abends betet, muß anderntags ebenso auf das Vieh merken und etwas für die Fruchtbarkeit seines Bodens tun wie der, welcher Karten spielt; die Schülerin, die in die Jugendstunde beim Herrn Vikar wässert, kommt ums Vokabellernen auch nicht herum; und um die Wirkung der "Betenden Hände", die über dem Kochzeug hängen und von der Hausfrau bei Tische gefaltet werden, auf den Schweinebraten sollte man nicht streiten. Christen unterscheiden sich von ihren Zeitgenossen eigentlich nur darin, daß sie sich über ihren Alltag eine aparte, aus ihrem gläubigen Verhältnis zu Gott entlehnte Meinung zurechtlegen. Sooft ihre jeweilige Tätigkeit - im Bett, im Wirtshaus oder an der Maschine - nicht ihre ganze Aufmerksamkeit erheischt, fällt ihnen eben ein, daß sie nur Menschen sind und daher in einem nicht zu vergessenden Schuld- und Pflichtverhältnis stehen. Die Notwendigkeit eines anständigen Benehmens auf der Welt, von der auch die übrigen Bürger überzeugt sind, haben sie sich halt mit Hilfe ihres Glaubens zurechtgelegt. Und wenn's hoch kommt, pflegen sie ihre besondere Variante, mit einem guten Gewissen durch die Welt zu rennen, bei einem sonntäglichen Kirchgang und regelmäßigem Gebet.

Und dennoch nehmen die Christen eine Sonderstellung ein in der freien Konkurrenz, die ein freiheitlicher Staat in Sachen Gewissen bzw. Weltanschauung gewährt. Sie vertreten ihre Moral nämlich organisiert und ihr vereinsmäßiges Auftreten geht nicht so vonstatten wie bei anderen gleichgesinnten Individuen, die ihrer Vorliebe für Briefmarken oder -tauben eine gesellige Verlaufsform geben. Die Geschichte hat in ihrer gnadenlosen Gerechtigkeit die Verdienste der Christenmenschen ums Abendland gewürdigt und ihnen einen Platz im Staate eingeräumt, so daß sich die Dreieinigkeit der Protektion durch die weltliche Gewalt erfreut. Diese behandelt alle Bürger wie selbstverständlich als Mitglieder einer der großen Konfessionen, aus der auszutreten wenig üblich ist, so daß sich der Eintritt neuer Erdenbürger per Geburt von Kindern Nicht-Ausgetretener regelt. Das Komische an der bevorzugten Stellung des christlichen Glaubens liegt darin, daß die Kirche ihre Mitglieder mit staatlicher Hilfe zu Spenden animiert, die korrekt auf jedem Lohnstreifen verbucht werden. Auffällig auch, daß die Klagen über Karteileichen sich in Grenzen halten. Irgendwie scheinen die geistlichen Herren gemerkt zu haben, daß die leeren Gotteshäuser weiter keinen Schaden anrichten für die Sache Jesu. Dennoch: noch viel auffälliger ist die Tatsache, daß sich Millionen "nicht praktizierender" Christen nicht die Freiheit herausnehmen, die Kirche auch höchstoffiziell zu verlassen, und ihre Kinder in den Religionsunterricht lassen, ohne zwei Wochenstunden Marxismus zu fordern! Der Grund dafür ist allerdings nicht schwer auszumachen.

So wie sich die praktischen Konsequenzen des Glaubens an Gott und Jesus für das gewöhnliche Leben darin erschöpfen, daß der Christ brav, tüchtig, bescheiden und freundlich bleiben will - und das an dem Platz, an den es ihn nun einmal verschlagen hat -, so läßt sich umgekehrt auch ganz ohne die biblische Geschichte die Einstellung erwerben, daß man sich nichts zuschulden kommen lassen darf. Ob sich die Selbstbeherrschung eines Menschen als Grundsatz seines Glaubens vorführt oder ob einer seine Mäßigung und Ohnmacht anders und genauso verkehrt legitimiert, läuft durchaus auf dasselbe hinaus. Die Besonderheit derer, die mit Gott operieren, wenn sie ihren bescheidenen Willen zum Zurechtkommen mit 'Gründen' versehen, hat einzig den Vorzug, daß das Arrangement mit den Mächten dieser Welt, die einem zu schaffen machen, als innerstes von keinerlei wirklichen Zwängen getrübtes Anliegen vertreten werden kann. Gläubige Menschen gehorchen den Geboten der irdischen Gewalt in der Einbildung, dabei voll und ganz auf die Stimme ihres Herzens zu hören. Und Leute, denen die Bewältigung des Kirchenjahres ziemlich egal ist, wissen daran herzlich wenig auszusetzen: Solange sie sich selbst als rechtschaffene Bürger in Szene setzen wollen, ist ihnen das, was mit dem Christentum "gemeint" ist, allemal vertraut und genehm.

So wie viele Christen mit den Stories vom See Genezareth nichts anzufangen wissen, mit deren "Sinn" aber schion - die Predigt in der Kirche macht ihnen den ebenso klar wie das Wort zum Sonntag -, erfassen auch Leute, die vom Konfirmandenunterricht und von der Messe nichts halten und ihre Zeit anders nutzen, die Prinizipien des Opfers, das sich gehört und lohnt! Nur deswegen sind nicht nur "aktive" Gläubige in der Kirche organisiert, weil die "passiven" an der Haltnng, welche die Pfaffen empfehlen, nichts Schädliches entdecken. Allerdings verhelfen sie dadurch den Profis der göttlichen Liebe zu einer Sonderstellung, von der die Amateure nur träumen neben ihrem sehr gewöhnlichen Werktagsleben. Die Verkündung und Verwaltung des Glaubens ist ein Beruf, und die Könner der studierten Heuchelei bringen es bis zum politisch-taktischen Umgang mit ihrer Gemeinde. Von keinem Politiker werden sie einfach hinausgeworfen, weil ihr Wort etwas gilt beim Wählervolk; weil es in ihrer Macht liegt, aus dem Glauben heraus zu "begründen", welcher Politik ein Christ sein Vertrauen zu schenken hat. Daß die Kirche von der Herrschaft lebt, heißt eben nicht, daß sie der jeweiligen Regierung vorbehaltlos ihren Segen gibt: Schließlich verfügt sie in der Unterwerfungsbereitschaft der Massen, sobald diese sich religiös verklärt, über ein Mittel, ihren Nutzen zu maximieren.

Christ und Welt

werden sich deshalb immerzu handelseinig, weil die schlechte Meinung, die Christen vom Weltlichen und Materiellen haben, ausdrücklich dazu erfunden wurde, daß man sich in der Welt mit ihren "sinnvollen" wie "sinnlosen" Einrichtungen zurechtfindet. Und weil gerade in der modemen Demokratie die Herrschaften, die "Verantwortung tragen", Leute über alles schätzen, die nach Sinn suchen, um mitmachen zu können.

Kirche und Staat

verstehen sich blendend. Die Organisatoren der göttlichen Liebe berufen sich auf das Bedürfnis nach Religion und erhalten den staatlichen Auftrag, diesem Bedürfnis durch religiöse Erziehung und Propaganda der christlichen Weltanschauung nachzukommen. Daß ein Papst oder eine Bischofskonferenz die Politik am Glauben mißt, führt zwar bisweilen zur Verurteilung von staatlichen Maßnahmen (Abtreibung, Ehescheidung, Staatsschulden etc.), relativiert sich aber auch wieder sehr schnell an der Tatsache, daß das gläubige Gewissen nur eine Art ist, die Probleme zu sehen. So wird der Kirche bedeutet, sie solle sich um ihre Schafe kümmern, ansonsten aber nicht die weltliche Herrschaft stören - was sie dann auch einsieht. Für ihre Gläubigen mit Tatendrang hat sie caritative Berufe eingerichtet, die sie "der Gesellschaft" zur Verfügung stellt, was allerseits geschätzt wird. Manche Leute glauben sogar, die Caritas sei der eigentliche Zweck der Kirche, was ebenso wenig stimmt wie die Auffassung, Entsagung und Opfermut von gläubigen Idealisten seien dasselbe wie Hilfe. Seltsam, wie Christen sich auf die vernarrten Einzelgänger in ihren Reihen berufen und sich ein gutes Gewissen per Mutter Teresa verschaffen!

Kirche und Glaube

sind tatsächlich nicht dasselbe, was aber die "echten" Christen noch lange nicht dazu berechtigt, sich in einem Gegensatz zu ihren Oberhirten zu wähnen. Der Zynismus der Macht, den mancher Anhänger Jesu am offiziellen Verkehr zwischen Kirche und Staat bemerkt, ist schon die richtige Ausnützung der christlichen Fügsamkeit; und wenn kritische Christen vom "Verändern" reden, kommt eine Kritik von Herrschaft nie zustande, eher ein Betteln um Anerkennung der menschlichen Knechtsnatur.

Kirche und Wissenschaft

haben sich nichts vorzuwerfen, weil sie sich ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft wechselseitig mit Argumenten bestätigen, die auf der friedlichen Koexistenz von Glauben und Wissen beruhen, weil sie sich ergänzen. Die Wissenschaftler gestehen ganz freimütig, daß sie eine Wahrheit nicht haben, dafür viele Zweifel und etwas absolut Gültiges nie behaupten möchten; die Glaubensmenschen füllen diese Lücke lässig aus, eben mit der Glaubens-Wahrheit!

Die Arbeit

ist aus christlicher Sicht in Ordnung, weil dem Menschen angemessen; höchstens wenn sie einem Menschen verweigert wird, geht es ihm schlecht - und wenn die christliche Philosophie des "im Schweiße deines Angesichts" einmal eine Unmenschlichkeit entdeckt, so ist mit dieser Deutung der Ausbeutung ein Argument für Glaube und Sinn gefallen, nicht aber gegen

Das Kapital

das in der christlichen Soziallehre, ev. wie kath., schon seinen Platz hat: was ist mit Kapital nicht alles gut zu machen? Und was könnte erst an guten Taten vollbracht werden, wenn es sinnvoll und verantwortlich...?

Die Gewalt

erschreckt in ihren erlesenen Formen weit unten in Südamerika manchen gläubigen Menschen, weil sie gar nicht gut ist und doch glatt zu Gewalttätigkeit führt. Bei uns ist sie schon in Ordnung, hier kann man sich ihr getrost anvertrauen. Darauf, daß man ihr hier das Handwerk legt, kommt ein Philosoph der schlechten Menschennatur so schnell nicht, so daß in aller Welt ihre Opfer der christlichen Mildtätigkeit ein weites Feld und gutes Gewissen erschließen.

Der Krieg

und die für ihn nötigen Geräte erschrecken einen Christen nicht übermäßig. Denn das Subjekt größerer Schlächtereien ist für einen gläubigen Christen - der Mensch. Gebete um den Frieden sind die schärfste Waffe der Gemeinde, neben der Dankbarkeit für jeden Tag, an dem Gott uns den Krieg erspart. Wenn er dann doch nicht sein Veto einlegt, der Herr, so sind Not und Elend gute Gründe für den

Glauben und seinen unterwürfigen Opportunismus

der uns Sterblichen viel mehr gibt, als wir rechtens verlängen können. Außer zum Glauben bietet die Welt doch für nichts einen Grund, oder? Das walte Gott, der Dicke!

1888. christianus "christlich", "Christ". Rum. crestin, (it. cristiano, log. kristianu, engad. cristiaun, frz. chretien, prov., kat. crestia, sp. cristiano, pg. christao). Das Wort ist mehrfach für Homo eingetreten: sublac-. kristianu, obw. karstiaun, und hat dann verächtliche Bedeutung angenommen: tess. kristian, wallis. krete 1 (> frz. cretin, it. cretino) "Kretin"; afrz. gent crestienor, irp. kresteyanoria "Leute" Vidossich, Zs. 27, 758. - (Mayer-Lübke, Romanisches Etymologisches Wörterbuch, p. 179)

Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung

"Die Religion ist ein Ausdruck für die Möglichkeit des Menschen, sich selbst und die Welt sinnerfüllt zu erfahren. Ehrfurcht vor Gott bedeutet eine Haltung, in der der Mensch eine seinem Zugriff entzogene, letzte Instanz anerkennt. Die Bayerische Verfassung zählt diese Haltung ausdrücklich zu den obersten Bildungszielen, 'angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott geführt hat' (Präambel)."

"Für die schulische Erziehung folgt aus dem Gebot der Toleranz unter allen Umständen der Verzicht auf Indoktrination. Die Schule darf religiöse Überzeugungen nicht aufdrängen. Sie muß jedoch die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach Gott stellen, weil dem Schüler die Chance geboten werden soll, die Sinnerfüllung seines Lebens aus einer Glaubenshaltung heraus zu gewinnen."

"Der Junge Mensch soll

  • erkennen, daß der menschlichen Erkenntnis Grenzen gesetzt sind; - erkennen, daß der Mensch in der Religion Sinnerfüllung seines Lebens finden kann;
  • verstehen, daß die Frage nach Gott der Vernunft nicht widerspricht;
  • offen sein für religiöses Erleben;
  • verstehen, daß der Name Gottes nicht zur Durchsetzung eigener Zwecke mißbraucht werden darf;
  • begreifen, daß Ehrfurcht vor Gott vor Selbstüberhebung bewahrt;..." (aus: Oberste Bildungsziele in Bayern, Art. 131 der Bayer. Verfassung in aktueller pädagogischer Sicht)