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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1980 erschienen.

Systematik

Werner Höfers "Internationaler Frühschoppen"
EIN JOURNALIST AUS EINEM LAND

Zum 1500. Mal hat der "Internationale Frühschoppen" mittlerweile stattgefunden. Aber nicht nur das. Außer Robert Lembkes "Was bin ich?" hat nur dieses allsonntägliche Politspektakel seit Bestehen des Fernsehens einen festen Platz im Programm der ARD. Während jedoch der Erfolg des "heiteren Beruferatens " über die Trostlosigkeit der geistigen Erholung und Unterhaltung von Leuten Auskunft gibt, die sich am Feierabend entspannen müssen, damit sie den Pflichten des Werktags ordentlich nachgehen können, sagt die Institution Höfer als Paradejournalist der Nation darüber etwas aus, wie es um den Geist derjenigen Individuen in unserer Gesellschaft bestellt ist, die ihren Lebensunterhalt durch den Einsatz des für den Geist zuständigen Körperteils bestreiten können.

6 Journalisten aus 5 Ländern...

sagen einander an einem eigens dafür konstruierten Nierentisch wechselseitig ihre verschiedenen Standpunkte vor. Für Spannung ist dadurch gesorgt, daß die anwesenden Figuren journalistische Vertreter ihres Landes sind, die Parteilichkeit ihres Urteils also eine ausgemachte Sache ist. Der Reiz der Sache freilich liegt in den Bemühungen eines jeden, seine nationalistische Stellungnahme als eine gänzlich überparteiliche Sicht der Dinge vorzuführen. Die Diskutantenrunde konkurriert darum, die jeweiligen interessierten Urteile mit dem Schein zu versehen, sie seien objektiv und frei von jeglicher nationaler Voreingenommenheit zustande gekommen. Es glänzt im Kreis der Diskutanten derjenige, der die Pose der Kennerschaft durch irgendwelche Ausweise belegt, die Macht belauscht zu haben und ihr besserwisserisch-besorgt Ratschläge geben zu können. In der Tat ist damit ein Stich zu machen, daß "man gerade vom Brahmsee kommt", "schon 10 Jahre Korrespondent in diesem Land" ist, "von einer großen New Yorker, Pariser etc. Zeitung" stammt, "erst letzte Woche am Schauplatz gewesen" ist. Wenn all diese Dinge den Journalisten die respektvolle Ankündigung "kompetente Gäste" eintragen, so verdienen sie diese Bezeichnung offenbar dafür, daß sie zeitungsschreibende Liebhaber der Macht sind, die die Taten des Imperialismus in erster Linie hochinteressant finden.

...mit Werner Höfer als Gastgeber

Der Garant dafür, daß diese intellektuelle Selbstbespiegelung im Weltgeschehen dem richtigen Standpunkt folgt und immer zum korrekten Ergebnis führt, ist jener deutsche Journalist, dem die Attitüde des überparteilichen Moderators schon bis in die Physiognomie und die Stimme hinein zur ersten Natur geworden ist. Seinen "Kollegen" gegenüber denen er in aller Bescheidenheit ihre Kompetenz bescheinigt, stellt er die Inkarnation unabhängigen und überparteilichen Urteilens dar. Indem er seinen nationalen Standpunkt, als deutscher Moderator keinen nationalen Standpunkt zu besitzen, ständig als den Maßstab für ein ernstzunehmendes Urteil über die politischen Zustände demonstriert, sorgt er dafür, daß die Vernunft letztendlich auch von denen repräsentiert wird, denen sie schließlich zusteht, den Westlern.

  • Beim Frühschoppen gibt es ein Besetzungsmuster: Es werden ein bis zwei Vertreter der zur Debatte stehenden Weltgegend geladen, ein Journalist, der auch aus dieser Ecke stammt, aber neutral ist (und deshalb dafür da ist, den störenden Nationalismus der Betroffenen als Auch-Araber, Auch-Afrikaner etc. in die Schranken zu weisen), und auf jeden Fall ein Ami und ein Deutscher. So sehr dieses Auswahlprinzip von dem Gedanken lebt, daß es sich für eine Diskussion gut macht, wenn Betroffene selbst ihre Einschätzung der Lage unter einem allgemeinen weltpolitischen Gesichtspunkt abliefern, so wenig verläßt sich Höfer darauf, daß sie ohne weiteres als Material taugen, die Überlegenheit einer supranationalen Sichtweise vom deutschen Standpunkt aus zur Schau stellen. Bei der Vorstellung der Typen wird daher auch gleich immer klargestellt, was man von ihren weiteren Auskünften zu halten hat: Da langt der Hinweis, daß die einen mehr Vertreter ihres Staates sind ("Sie sind Iraner etc. ...") und die anderen mehr journalistische Absichten haben, also eher richtig liegen ("Wenn man weiß, daß Sie von Reader's Digest kommen, diesem Elefanten unter den Magazinen, kann man sich die beträchtliche Erfahrung ausmalen, die Sie haben." ). Und überhaupt scheint die Betroffenheit der deutschen und amerikanischen Nation von prinzipiell allen Geschehnissen auf dem Erdball eine vollkommen selbstverständliche Angelegenheit zu sein, was ihnen den ganz linken und ganz rechten Stuhl am Tisch auf Dauer eingebracht hat. Es wäre ja auch zu blöd, einen Journalisten aus Surinam (sofern auffindbar) darüber sich den Kopf zerbrechen zu lassen, was gerade in den USA, der BRD oder Europa im Gange ist - da fehlt ja von Haus aus durch die Tatsache, daß sein Staat nichts anderes ist als Objekt des Umgangs seitens der Supermächte mit ihm, jede Grundlage für die erwünschte Kompetenz.
  • Die Bewunderung der "psychischen und geistigen Integrität" (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) des Herrn Höfer verdankt sich der Kunst, die verschiedenen Standpunkte der Diskussion so ins Spiel zu bringen, daß ihre Vereinnahmung für die eigene (supra-)nationale = vernünftige Sichtweise der Dinge klappt. Da sind zum einen die Fragestellungen, mit denen er die Journalisten aufruft und die schon klarstellen, was man von ihnen gern für Auskünfte erteilt bekommen möchte. Fragen und Aufforderungen an Russen ("Was will der russische Bär in Afghanistan?"), zu Olympia ("Jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit dem Bla-Bla vom Frieden!") und an 3.-Welt-Hänger (zu zwei Türken: "Ihr Land ist ein Faß ohne Boden. Sollen wir uns das auf die Dauer leisten?") stellen an die so Angesprochenen das Verlangen, entweder so zu antworten, daß sie aufhören für ihre Nation zu argumentieren, oder sich zu blamieren. Ein Iraner und ein Iraker, die sich über der Frage ineinander verbeißen, wer denn nun den Golfkrieg letztlich angefangen hätte, müssen sich von Höfer, nachdem sie eine Weile zur belustigenden Vorführung getaugt haben, Nachhilfeunterricht in Sachen Diskussionsfähigkeit erteilen lassen: "Sie können das hier nicht monopolisieren, dafür müssen Sie schon Verständnis haben." Und wenn sich ein Ausländer partout nicht an die Regel halten will, sich zum Beleg für die eigene Borniertheit und die vernünftige Weitsicht des Herrn Höfer zu machen, wird er auch mal - ganz im Sinne der "Fairneß", die im "Frühschoppen" herrscht - als noch nicht ganz trocken hinter den Ohren beschimpft: "Sie können mir nur leid tun, wenn Sie das nicht anders sehen können!"

Gegenüber diesen Unverschämtheiten, die denjenigen 'Kollegen' gelten, die man als journalistische Vertreter eines bloß nationalen Standpunkts der Unvemünft, Nichtinformiertheit, Kurzsichtigkeit und ähnlichen Tugenden bezichtigen will, nimmt sich Höfers Auftreten seinen westlichen Mitdiskutanten gegenüber sehr liebenswürdig aus. Undenkbar, daß sich ein Ami, Deutscher oder Franzose solche Ungehobeltheiten anhören müßte. Die Fragen an sie präsentiert der Moderator gleich im Stile desjenigen, der sich der prinzipiellen Übereinstimmung in den Ansichten gewiß sein kann, wenn es gegen den Ostblock, Entwicklungsländer u.a. geht. Einem als "Vertreter einer alten Kolonialmacht" vorgestellten Engländer wird sein "Bla-Bla über den Frieden" wohlwollend abgenommen. Die permanente Anrufung westlicher Figuren als Ober-Schiedsrichter von Auseinandersetzungen ("Sie wollten den ausgebrochenen Streit gerade schlichten?!") ist nicht das peinliche Eingeständnis, daß man außer einer festgefügten (Über-)Parteilichkeit nichts zu bieten hat, sondern ein Indiz für das schwierige Bemühen um Sachlichkeit. Die platte Kumpanei mit Amis und Deutschen gegen die übrigen - falls diese einen störenden Gesichtspunkt in die Debatte werfen sollten - ("Lassen Sie uns mit mitteleuropäischer und amerikanischer Gelassenheit mal sehen, was von dem, was die anderen Kollegen gerade gesagt haben, stimmt.") ist nicht als unverschämte und selbstgerechte Zensur aufzufassen, sondern als das souveräne Urteil über ihre Staaten vom Standpunkt der Meinung, die ihre Gelassenheit aus der realen Macht in der Welt bezieht, die sie als herrschende Meinung repräsentiert.

- So ein Frühschoppen wäre nicht komplett, wenn Höfer persönlich nicht regelmäßig in seinem Schlußwort zum Ausdruck bringen würde, für wie bewunderungswürdig er sich als spiritus rector seiner Sendung hält. Schließlich beweist sie von Woche zu Woche neu, wie schwer es sich sein Berufsstand macht, in der Pose des um den Gang der Weltenläufte besorgten, problembewußten Intellekts Verständnis für die politischen Untaten der eigenen Macher und Unverständnis für feindliche Fhhrer aufzubringen. Die Geschmacklosigkeit und der Zynismus, nach einer solchen "nüchternen" Begutachtung imperialistischer Politik und ihrer Hintergründe einschließlich der Opfer mit einem Gläschen Wein auf sich und die Politiker anzustoßen, zeigt nur, auf welch geistige Souveränität ein Journalist - und ein deutscher zumal - stolz zu sein in der Lage ist: "Ein Prosit auf die Vernunft!"