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DIE GEISTIGEN ETAPPENHENGSTE
Die ausgebildeten, aber noch in der Ausbildung befindlichen Hirnköpfe, die nicht professionell an dem Geschwätz beteiligt sind, welches das Rühren der Trommel mit feinem Gespür für den Zeitgeist auf den Regierungs- und Oppositionsbänken begleitet - die Masse der Intellektuellen juckt das alles nicht.
Die gepriesene verantwortliche Freiheit ihres Geistes bemühen sie in der Mehrzahl dazu, sich die Welt selbstgenügsam zurechtzudenken. Abseits von ihrem Getriebe lassen sie der besserwisserischen Dummheit des immer mit Höherem Befaßten und der dazugehörigen Blindheit gegen den wirklichen Stand des politischen Geschäfts mit seinen handfesten Gegensätzen und Erfordemissen freien Lauf. Die selbstverständliche und selbstgefällige Distanz zu so 'geistlosen' Dingen wie Mlilitär und Drill, Aufmärschen und Generälen garantiert zumeist eine herzliche Gleichgültigkeit gegen die Niederungen des demokratischen Alltags, eine Gleichgültigkeit, die sich aufs Harmonischste mit einer eingebildeten eigenen Verantwortung gegenüber der Unvernunft der Mehrheit und mit verständnissinniger Einsicht in die leidigen Notwendigkeiten der hohen Staatskunst verbindet. Die Politiker und Generäle mögen das Kriegs- und Friedensinstrument noch so sehr vor aller Welt präsentieren und ihre betreffenden Ansprüche und Absichten in die Welt setzen, die wesentlichen Realitäten eines echten Freigeistes spielen sich auch bzw. gerade bei so gewalttätigen Gegenständen wie Krieg und Frieden woanders ab - im Reich der polit-philosophischen Spekulation und verantwortungsbewußten Deutung. Militarist ist der Intellektuelle selbstverständlich nicht; den vermutet er eher in den niederen Schichten der Bevölkerung und in den Reihen der Generäle, die mit dem Militär ein öffentliches Spektakel veranstalten, statt in den Kasernen und auf der Hardthöhe ihre Pflicht zu tun. Die bedürfen der sorgfältigen Kontrolle durch verantwortliche Politiker, deren Stärken, Schwächen und Gefährdungen er als einziger voll durchschaut. Denn von den Spontis bis zur Jungen Union gilt die saloppe Parole: "Alle -Ismen sind Beschißmen." Er ist also kein Schmalspurdogmatiker wie naive Charaktere und Kommunisten, sondern 'hinterfragt' alles, sogar sich selbst. Als notorischer Individualist - pardon: mündige Persönlichkeit - glänzt er deshalb auch mit lauter abgedroschenen Weltanschauungen, deren Bart so lang ist wie die Schlüssigkeit kurz: Den Politikern wie ihren Völkern (man denkt gern unter Absehung von so nebensächlichen Unterschieden wie Herrschaft und Untertanen am liebsten gleich in 'Welt'- und 'Menschheitsdimensionen'!) fehlt es an Verständnis für die jeweilige Mentalität und an Verständsmöglichkeiten - so als ob die Politik der diversen Staaten ein einziges peinliches Mißverständnis und die Verantwortlichen nur der Ausdruck eines noch nicht auf das inter-nationale Niveau des Intellektuellen gehobenen Volkes seien. Den Respekt vor den Politikern kündigt er deshalb nicht auf, weil sie (insbesondere unsere) ja andererseits die um Frieden und Verständigung bemühten Opfer einer Weltlage sind, die nicht sie, sondern immer das unglückliche Zusammenwirken oder gleich die Russen - und unberechenbaren Amerikaner - gemacht haben. Ausgerechnet jetzt, wo es auf Besonnenheit und gelassene Verantwortung ankäme, macht sich die Unzuverlässigkeit der Menschennatur (außer ihrer eigenen natürlich) so verhängnisvoll bemerkbar. Im Militär schlägt sich ihre unbewältigte Aggressivität nieder und in der Atombombe ihr faustischer Drang, der die Geister der Technik nicht mehr los wird, die er rief. Diese Krone der Rüstung ist also je nach Gusto mal das sicherste Friedenssicherungsmittel oder der drohende Beginn der Weltuntergangskatastrophe durch eine selbstzerstörerische Menschheit. Kurz, der Intellektuelle erfindet lauter neue tiefsinnige Subjekte, die für den Stand der Dinge verantwortlich sind - die Weltlage, das Wettrüsten, die Verselbständigung der Technik, die Menschennatur usw. -, und macht damit aus den Verantwortlichen einerseits lauter aufrechte Kämpfer um die Lösung dieser eingebildeten Probleme, konstatiert aber andererseits laufend ihr angebliches Scheitern in diesem eingebildeten Bemühen. Dieses verständnisvolle Urteil der Mangelhaftigkeit vom Standpunkt einer höheren Vernunft, das er sich neben seinem praktischen Beitrag zum Fortgang unserer werten Demokratie leistet, das ist seine Sorte Parteinahme für die staatlichen Notwendigkeiten auch härtesten Kalibers, bei deren Durchführung er so lange darüber, das heißt daneben steht, bis er praktisch gefragt ist. Weil er dieselben Ideologien nicht nur von den Politikern in Feierstunden und von Politologen, Psychologen, Soziologen und Philosophen berufsmäßig zu hören kriegt, sondern ganz zu seinen eigenen gemacht, hat, schafft er - wenn er sich zum Beispiel mit engstirnigen Dogmatikern auseinanderzusetzen hat - auch lässig den Abstieg zu den paar gängigen Argumenten für die Notwendigkeit der Bundeswehr, damit man ihn danii mit solchen Fragen in Ruhe läßt.
Was zeichnet ihn also gegenüber dem einfachen Volk aus?
Männlich und einberufen geht er zum Bund und leistet seinen Dienst. Trefferquote: Durchschnitt oder Offizier. Mancher praktiziert sein besseres Gewissen beim Ersatzdienst und hält das womöglich für Widerstand.
Er leistet sich eine Meinung zur Weltlage, die er vornehmlich seinen Zeitungen entnimmt, sowie Theorien, die den gefügigen Spruch 'Ja, so gebt's halt'mit Niveau verseben und die er ebenfalls aus seinen Zeitungen oder Büchern und von Professoren lernt.
Den Krieg findet er schmutzig, was er mit Picasso belegen mag; aber von der Verteidigung der Freiheit hält er viel.
Vor Apel sind alle Menschen gleich, es sei denn, sie bekleiden höhere Ränge und haben besondere Aufgaben. Aber selbst für die kriegerische Betätigung der Macht, bei der ausnahmsweise nicht sein Geist gefragt ist, liefern ihm auch kritische Profis geistreiche Idiotien, die wohl alle politischen und militärischen Fortschritte unerschüttert überleben werden:
"Der Krieg bewirkt bis zu einem gewissen Grad eine Umwertung aller Werte. Er bewirkt, daß tiefeingewurzelte menschliche Impulse wie Altruismus und Solidaritätsgefühl zum Ausdruck kommen Impulse, die durch den Egoismus und den Konkurrenzkampf des modernen Menschen in Friedenszeiten unterdrückt werden. Klassenunterschiede verschwinden ganz oder doch in beträchtlichem Maße. Im Krieg ist der Mensch wieder Mensch, und er hat die Chance, sich auszuzeichnen, ohne daß ihm sein sozialer Status als Bürger Vorrechte einräumt. Akzentuierter ausgedrückt: Der Krieg ist eine indirekte Rebellion gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Langeweile, wie sie das gesellschaftliche Leben in Friedenszeiten beherrschen... Wenn das bürgerliche Leben für Abenteuer, Solidarität, Gleichheit und Idealismus Raum hätte, wie sie im Krieg zu finden sind, könnte man die Menschen vermutlich nur sehr schwer dazu bewegen, in den Krieg zu gehen." (Erich Fromm)