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Montan-Mitbestimmung bei Mannesmann
ZEHN AUFSICHTSRATSPOSTEN SICHERN DIE DEMOKRATIE
Seit dem 4. Juni 1980 gibt es in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit einen Streit um die Montan-Mitbestimmung bei der Mannesmann AG, den die Gewerkschaft als "Kampf um den Erhalt der Montan-Mitbestimmung" führt, die Unternehmer als "unbegründet" qualifizieren und den die "Parteien vor der Wahl" als Kampf um Wählerstimmen für sich in Beschlag nahmen.
Ein eminent politisches Thema
Anlaß war eine Pressemitteilung der Mannesmann AG, sie beabsichtige zur wirtschaftlichen Sicherung des Unternehmens die eigenen Hüttenwerke an die Mannesmannröhren-Werke AG zu verpachten. Die anvisierte betriebswirtschaftliche Lösung, durch Entlassung von ca. 3000 Arbeitern und Angestellten an die 50 Millionen Mark einzusparen - womit also deren Problem klargestellt wäre -, war aber keineswegs Grund für den Streit. Daß durch diese Rationalisierungsmaßnahmen auch ein paar gewerkschaftliche Aufsichtsratsposten verschwinden würden, weil nicht mehr das Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951, sondern das Mitbestimmungsgesetz von 1976 Anwendung finden sollte, sorgte für große Aufregung auf seiten der Gewerkschaft. Empört war die IG-Metall zuerst über die "Form der Information" durch das Unternehmen, dann so aufgebracht über den möglichen Wegfall der Montan-Mitbestimmung - dieser "demokratischen Errungenschaft" -, daß sie sofort öffentlich ihre Entschlossenheit bekundete,
"die betroffenen Arbeitnehmer seien nicht bereit, diesen Angriff auf den mitbestimmungspolitischen Besitzstand... hinzunehmen" (Metall Presse Dienst, 17.6.80)
Und um die Ernsthaftigkeit ihrer Absicht und die eminent politische Bedeutung dieses Themas zu unterstreichen, ließ die Gewerkschaft flugs einige tausend Arbeiter streiken mit Protestresolutionen wie "Wehret den Anfängen" und Transparenten wie "Montan-Mitbestimmung sichert Demokratie". Anschließend bedankte man sich bei den Streikenden, daß sie so "solidarisch und kämpferisch" für die Gewerkschaft gestreikt hätten. Solcher Unruhe in der politischen Landschaft schenkten die gerade um Wählerstimmen buhlenden Volksvertreter natürlich ihre gebührende Beachtung. Herbert Wehner und die SPD versicherte den Gewerkschaften, daß die "Mitbestimmung ein Eckpfeiler unserer sozialen Wirtschaftsordnung" sei, der nicht "ausgehöhlt" werden dürfe, und damit dieser Versuch, "Hand an den Nerv unseres Staates" zu legen, verhindert würde, präsentierte er eilfertigst einen "Gesetzentwurf zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung", der zwar nichts sicherer machte, aber zur Zufriedenheit der Gewerkschaften viel versprach. Die CDU/CSU, ganz um den Sieg ihres Kandidaten bemüht, setzte alles daran, diese "Wahltaktik" des politischen Gegners, sich "als Retter der Montan-Mitbestimmung aufzuspielen", für sich nutzbringend einzusetzen, indem sie an die Verdienste Konrad Adenauers (der so eine Ausdehnung von Streiks ohne Blutvergießen verhinderte) um die Mitbestimmung erinnerte und F. J. Strauß sogar einen klassenkampfverdächtigen Spruch losließ: Er habe "keinen Grund, den Großunternehmern die Kohlen aus dem Feuer zu holen". Angesichts der Tatsache, daß dies alles im Streit darüber, wer am besten die gewerkschaftlichen Grundwerte sichern könne, mal deutlich gesagt werden mußte, kamen der Presse sanfte Bedenken. Sie rief zur Mäßigung auf, zieh Vorstandschef Overbeck "taktischer Unklugheit", warnte die Gewerkschaft vor "eigenmächtigen Vorgehen", forderte eine "Entlastung des Wahlkampfes" von diesem Thema, weil diese "Grundfrage vor das Parlament" gehöre. Wo der Streit die gemeinsame Absicht, den Staat als den besten Problemlöser in Anspruch zu nehmen, deutlich machte, da war es angesichts der noch ungeklärten Parlamentsverhältnisse eine von allen Parteien als weise empfundene Entscheidung des Mannesmann-Aufsichtsrats, die Entscheidung über das Vorgehen des Konzerns auf den November zu verschieben.
Montan-Mitbestimmung - ein gewerkschaftlicher Symbolwert
Den politischen Streit um die Mitbestimmung inszeniert die Gewerkschaft, weil es ihr um die Wahrung eines "sozialen Besitzstands" geht, der ihr gesetzlich zugestanden wurde. Im Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951 ist festgelegt, daß im Aufsichtsrat eines Montan-Unternehmens die Gewerkschaft ebensoviele Posten besetzen kann wie die Kapitalseite ("Paritätische Mitbestimmung"). Entsprechende Bestellungsmodalitäten sorgen dafür, daß nur gewerkschaftstreue Leute diese Posten einnehmen können. Auch das "neutrale Mitglied", bei Kampfabstimmungen mit entscheidender Stimme, ist nur mit Zustimmung der Gewerkschaft im Amt. Der Arbeitsdirektor, zuständig für das betriebliche Personalwesen, ist ebenfalls von der gewerkschaftlichen Zustimmung abhängigig. Dieser Einfluß auf die Politik des Betriebes wäre nun mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 nicht mehr gegeben. Die Gewerkschaft könnte nur noch ein knappes Drittel der Aufsichtsratsposten mit eigenen Leuten besetzen. Die restlichen Vertreter werden von den Arbeitern, den Angestellten und den leitenden Angestellten des Betriebes selber bestimmt. Auch der Arbeitsdirektor unterliegt nicht mehr der Zustimmung seitens der Arbeitnehmervertreter. Der Unterschied zwischen beiden Mitbestimmungsformen liegt nun darin, daß die Gewerkschaft nach dem Gesetz von 1951 alle betriebsnotwendigen Entscheidungen mittragen mußte, während es in dem Gesetz von 1976 auf gewerkschaftliche Zustimmung nicht mehr ankommt. Aber gerade drrauf, daß ihre Zustimmung zur Abwicklung des Geschäftes eingeholt werden muß, kommt es der Gewerkschaft an. Dazu braucht sie die entsprechende Zahl an Aufsichtsratsposten, nicht aber wegen der sicherlich nicht mickrigen Vergütungen. Die paritätische Besetzung von Aufsichtsratsposten ist für die Gewerkschaft der Beweis, daß nur so gewerkschaftliche Macht die Sicherung der Demokratie gewährleisten kann. So verrückt es auch sein mag, eine Rationalisierungsmaßnahme inklusive Sozialplan als eine demokratische Leistung zu bewerten und nicht als eine profitabler Kapitalverwertung dienende Maßnahme, so ernsthaft verfolgen diese modernen Arbeitnehmervertreter diese ihre mitbestimmungspolitischen Ideale. So lästig demnach manchen Kapitalisten die gewerkschaftlichen Aufsichtsräte sein mögen, weil deren Hauptproblem immer darin liegt, ob ihre Zustimmungs- und Informationskompetenzen auch gebührend respektiert worden sind, so einig wissen sie sich mit ihnen in der Durchsetzung ihrer profitablen Zwecke. Die Untersuchungsergebnisse verschiedener Kommissionen sprechen da eine eindeutige Sprache:
- In "keinesfalls seltenen, aber auch nicht zu häufigen Fällen" habe die paritätische Mitbestimmung zwar "zu Verzögerungen des Entscheidungsprozesses bei Kapazitätseinschränkungen oder Stillegungen nicht aber zur endgültigen Ablehnung der Vorschläge und Ziele der Unternehmensleitung geführt". (Ergebnisse der "Biedenkopf"-Kommission )
- "Die unternehmenspolitischen Konzeptionen, die von der Unternehmensleitung für richtig befunden wurden, haben sich ungeachtet der Mitbestimmung der Arbeitnehmer auch im Montanbereich im Ergebnis stets verwirklichen lassen." (Erfahrungsbericht für die Bundesregierung, 1970)
Daß solche Untersuchungen von dem Mißtrauen getragen werden, die Mitbestimmung könne die Maßnahmen des Kapitals behindern, stößt bei Gewerkschaftern auf entrüsteten Widerspruch:
"Niemand kann behaupten, wir hätten uns jemals gesperrt, wenn es darum ging, Rationalisierungsmaßnahmen in den Unternehmen durchzuführen oder Kosten einzusparen." (R. Judith, IG-Metall Vorstand)
Daß solche Leute sich trauen, mit ihrer Leistung, die Entlassung tausender Arbeiter im Stahlbereich in den letzten Jahren mitbestimmt zu haben, zu prahlen, ist zwar eine Frechheit, aber eben diesen Leuten kein Problem.
Wo allerdings diese "Mitverantwortung für die Demokratisierung der Wirtschaft" durch Abzug einiger Au£sichtsratsposten eingeschränkt werden soll, unterstellt man dem Vorstandschef Overbeck,
"daß es ihm nicht um eine vernünftige Lösung betriebswirtschaftlicher Probleme, sondern um die Abschaffung der Montan-Mitbestimmung" (E. Loderer)
ginge. Man muß also nur Rationalisierungsmaßnahmen in einen Angriff auf die Mitbestimmung umdichten und sofort liegt deren Bösartigkeit nicht mehr darin, daß Arbeiter auf die Straße gesetzt werden, sondern daß die bessere "betriebswirtscha£tliche Vernunft" der Gewerkschaften nicht mehr zum Zuge kommt. Eine Vernunft, die sich praktisch in nichts anderem betätigt hat, als diesselben Maßnahmen gutzuheißen, die ein Overbeck eh und je zum Wohl des Unternehmens durchgesetzt hat: "Er hat seinen Konzern gut hingekriegt". (Loderer über Overbeck). Wo also die Gewerkschaft mit ihren Mitbestimmungssprüchen eines klarstellt, daß das Wohlergehen des Betriebes sich nicht der Mitbestimmung, sondern handfesten Kosten-Nutzenüberlegungen verdankt, die sie fleißig mitträgt, da liegt die Bedeutung der Mitbestimmung darin, wie weit sie als Beitrag zur "Sicherung der Demokratie" vom Staat anerkannt ist. Der Grad der Anerkennung bemißt sich dabei an der vom Gesetz eingeräumten Anzahl an gewerkschaftlichen Aufsichtsratsposten.
Ein Lohn für viel Leistung
Die paritätische Mitbestimmung ist demnach für die Gewerkschaft eine ordnungspolitische Leistung ersten Ranges. Worin diese Leistung bestehen soll, darauf verweist sie angesichts einer Gefährdung ihres "sozialen Besitzstandes" mit Nachdruck, indem sie der Öffentlichkeit ihr einzigartiges Beweismittel vorlegt: die deutschen Arbeiter. Da wirbt der "alte Mitbestimmuingsmann", Heinz Oskar Vetter, der die Mitbestimmung
"in der IG-Bergbau von der Pike auf gelernt" ("Süddeutsche Zeitung") hat, für die Berechtigung der Montan-Mitbestimmung, weil "die deutschen Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften einen historisch begründeten politischen - und moralischen - Anspruch auf eine gleichberechtigte Mitbestimmung im Montanbereich" (in: Die Quelle 9/80, S. 458)
hätten. Ein solch gewerkschaftlicher Heilsarmist argumentiert mit höheren Weihen des Arbeiterdaseins, weil ihm um die Legitimation seines selbstgestellten gewerkschaftlichen Auftrages keine Lüge zu schade ist. Und wo solche hehren Ansprüche auf Anerkennung drängen, da fehlt auch nicht der gewerkschaftliche Hinweis auf erbrachte Leistungen:
"Die Montan-Mitbestimmung ist die Gesetz gewordene Anerkennung für die Leistung, die von Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften beim Wiederaufbau von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg erbracht wurde." (H. O. Vetter, ebd., S. 457)
Daß die Arbeiter Fabriken aufgebaut haben, die ihnen nicht gehören und in die sie heute ihre Kinder schicken dürfen, solche Leistungen verdienen in den Augen der Gewerkschaft gesetzliche Anerkennung. Und selber, gar nicht faul, nehmen sie die Leistung "ihrer Arbeiter" her, um daraus ein Recht auf die paritätische Besetzung von Aufsichtsratsposten zu drechseln. Eine Gewerkschaft, die sich so mit Leistungen brüstet, die denen, die sie erbracht haben, viel Arbeit und wenig Lohn eingebracht haben, sorgt auch dafür, daß etwaige materielle Ansprüche ihrer Schutzbefohlenen immer schön hinter den politischen Ansprüchen zurückstehen. Dafür sitzt man ja schließlich als Gewerkschaftler im Aufsichtsrat von Mannesmann. Und neben das Lob der Leistung der Arbeiter stellt eine solche Gewerkschaft das Lob auf das Kapital, nennt das einen gelungenen "Interessensausgleich", weil sie sich beides, Leistung und Resultat, zugute hält:
"Die deutsche Stahlindustrie verfügt immerhin über die modernsten Produktionsstätten Europas." (H. O. Vetter)
Wer so dem deutschen Staat die "Leistungen der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaft" unter die Nase reibt, der versagt sich auch nicht die fiktive Drohung mit Klassenkämpfen, die dann eine "ohnmächtige" Gewerkschaft nicht verhindern könne. Daß die Arbeiter dazu Grund haben könnten, gibt die Gewerkschaft dabei auch noch zu, wenn sie ihr schwieriges Geschäft, den "Betroffenen" den Verlust ihres Arbeitsplatzes zugemutet zu haben, anführt. Eine Zumutung, die mit einer "Herr-im-Hause-Manier" natürlich kein Arbeiter akzeptiert hätte. Denn:
"Dann hätten sich die Arbeitnehmer einige Freiheiten herausgenommen, die nicht nur die Chefetagen an Rhein und Ruhr erschüttert hätten." (H. O. Vetter, ebd.)
Weil Vetter solcher Mißbrauch der Freiheit äußerst zuwider ist, sorgt er auch dafür, daß sich die Arbeiter an den rechten Gebrauch von ihrer Freiheit machen = fürs Kapital arbeiten und streiken für die Gewerkschaft.
Solcher Taten rühmt sich Eugen Loderer bei Mannesmann, wo er zur "Verbesserung der Kostensituation" (was sind Arbeiter anderes als Kosten!) fleißig beigetragen hat und dies ausgibt als
"Musterbeispiele dafür, wie Schwierigkerten, mit unserer Hilfe ohne größere soziale Konflikte überwunden werden konnten. In jedem anderen Land - in dem es keine Mitbestimmung gibt - hätte die Mehrzahl der genannten Fälle zu Arbeitsniederlegungen von größerem Ausmaß geführt. Die betriebswirtschaftlichen Folgen sind bekannt. ... Wir sind ebenso wie Sie (Kapitalseite) am Gewinn interessiert. Nur ein ertragstarkes Unternehmen sichert langfristig (!) die Arbeitsplätze." (E. Loderer vor dem Mannesmann Aufsichtsrat)
"Langfristig" - das soll die Hoffnung bei den Betroffenen bleiben, weil Loderer ja kurzfristig mithalf, die Leute auf die Straße zu setzen. So wenig die Gewerkschaft ausgebliebene Arbeitskämpfe als ihren Erfolg verbuchen kann - wo doch die Arbeiter keine Automaten sind! -, so sehr agitiert sie dafür, daß die Mitbestimmung das beste Mittel sei, den Klassenkampf nicht stattfinden zu lassen. Die Gewerkschaft macht denn auch die praktische Absicherung ihres Anspruches von diesem Staat abhängig, an dem ihr ja soviel liegt:
"Der Vorstand der IG-Metall hält daran fest, daß eine dauerhafte Sicherung der Montan-Mitbestimmung nur auf gesetzlichem Wege möglich ist."
Und welche Möglichkeiten realistisch sind, das werden die Parteien nach ausführlichen Debatten ganz im Interesse unseres Staates gesetzlich festlegen. Der Kompromiß mag ausfallen wie er will, der DGB wird sich in seinem Ideal von der Mitbestimmung bestätigt sehen. Und wann immer die Arbeiter als die "Betroffenen" dastehen, da redet ihnen die Gewerkschaft ein, daß sie, um dies zu verhindern, die paritätische Mitbestimmung notwendig bräuchten.
Nur noch eines: Von diesem Streit um die Sicherung der Montan-Mitbestimmung sind die Arbeiter ausnahmsweise mal nicht betroffen, weswegen sie sich daran nur dann beteiligen, wenn es ihnen die Gewerkschaft anempfiehlt. Mit dem nötigen Nachdruck, versteht sich.