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Nachruf auf Jean Piaget
Ein Weichtierforscher wird Strukturalist und stirbt
Diese auch logisch korrekte Antwort der Geschichte auf die von Piaget zeitlebens aufgeworfene Frage
"Vermittels welcher Leistungen geht der menschliche Geist von einem Stand weniger befriedigender Erkenntnis zu einem Stand höherer Erkenntnis über?" (1,20)
wird von all denen, die diesen Genfer Metaphysiker als - gar empirisch fundierten Kinderpsychologen, Förderer emanzipatorischer Erziehung und Wissenschaftstheoretiker schätzen gelernt haben, wohl nicht ernstgenommen werden. Dabei dürfte doch mindestens klar sein, daß Piaget sich unter den von ihm verrätselten "Leistungen des menschlichen Geistes" nicht einfach das Denken vorgestellt haben kann; darüber ließ er auch keinen Zweifel:
"Es ist nicht Sache der Psychologen zu entscheiden, ob ein bestimmter Stand der Erkenntnis hoher als ein anderer ist oder nicht." (a. a.0.)
Und wenn für einen Psychologen der Erkenntnisfortschritt schon eine Sache ist, die es getrennt von seinen Inhalten noch einmal gibt, dann sollten gerade Anhänger dieser Auffassung die Überschrift nicht für ironisch halten. Nach der Logik von Piaget stimmen die darin behaupteten Übergänge allemal und daß sie nach der gewöhnlichen Logik aus seinen Fehlern folgen, wird sich zeigen.
Autobiographische Einführung
Piaget gilt bei Psychologen, Pädagogen u.a. die seine sehr übersichtlichen Stadien der Kindesentwicklung für ziemlich gesichertes Wissen halten - in einem unverständlichen Gegensatz dazu als theoretisch extrem komplizierter Denker. Piaget war da um einiges ehrlicher, was die Primitivität seiner "komplexen" Theoriegebäude angeht, Rückblickend charakterisierte er das so:
"Ich wurde im Jahre 1896 geboren. Meine Universitätsausbildung konzentrierte sich auf die Gebiete der Biologie und der Philosophie" (eine explosive Mischung!) "und zwischen 1911 und 1925 veröffentlichte ich ungefähr 25 Studien über auf dein Land oder im Wasser lebende Mollusken. Dieses Training (!) war für meine späteren psychologischen (!) Untersuchungen außerordentlich nützlich und formte in mir die Gewohnheit (!), gleichzeitig unter dem Gesichtspunkt der Anpassung an die Umwelt und unter dem Gesichtspunkt einer intern regulierten Entwicklung auf seiten des Subjekts (?) zu denken?" (1,91)
Offene Worte! Der Mann studierte als Biologe das Treiben von Weichtieren, war aber Philosoph genug, diese naturwissenschaftliche Arbeit gleich als Einübung in die Psychologie zu betrachten. Nun ist es freilich recht eigenwillig, sich ausgerechnet Mollusken, die schon wegen ihres relativ undifferenzierten Organismus (der hauptsächlich aus Verdauungsorganen besteht) kaum so etwas wie ein tierisches Selbstgefühl zustandebringen dagegen sind ja sogar die beliebten Laboratoriumsratten wahre Individualitätsbündel -, unter dem "Gesichtspunkt" von Subjekten vorzustellen. Und die feine Unterscheidung zwischen Anpassung nach außen und interner Regulation dürfte den Weichtieren, die schon mit ersterem genug zu tun haben, auch eher fernliegen. Aber Piaget macht ja gar keinen Hehl daraus, daß das einzige hier beteiligte Subjekt nur seine Einbildungskraft ist, weshalb er es einfach als ihm nun einmal zur "Gewohnheit" gewordene Manier bezeichnet, sich Mollusken zumindest ähnlich wie Subjekte und umgekehrt die wirklichen Subjekte (für die Psychologie war es schließlich nützlich!) zumindest ähnlich wie das blöde Schwabbelvieh zu denken. Für solche gewohnheitsmäßigen Ideenassoziationen, die dann theoretische Notwendigkeit für sich in Anspruch nehmen, fand bereits Hegel das passende Wort:
"Tiefer kann man im Denken nicht herunterkommen," (WW 20,279)
Immerhin kann Piagets originellen Denkgewohnheiten - ohne daß man schon etwas über seine weiteren Ausführungen weiß schon einiges über die Sorte Psychologie entnommen werden, die aus jenen entwachsen sein soll.- Wer, bloß weil er ein paar niedere Viecher studiert hat, gleich meint, da> menschliches Denken und Handeln sei wesentlich ein Verhältnis von externer Anpassung und interner Entwicklung, der streitet natürlich die Freiheit in den Leistungen der Leute ab und denkt sie sich stattdessen als Bedingung des Zustandekommens gewisser natürlicher Notwendigkeiten. Als ob die "Anpassung", die es gibt, irgendetwas mit der menschlichen Biologie zu tun hätte; und als ob die dieser Anpassung entsprechende "Entwicklung" (es wird sich doch nicht um die Ausgestaltung des Verdauungstraktes handeln) in irgendeiner Hinsicht von der Biologie hervorgebracht würde! Schließlich legt Piaget selbst Wert darauf, seine verrückte Denkweise nicht als Resultat seines molluskenhaften Organismus, sondern als absolut freie Willensentscheidung hinzustellen (was allerdings auch nicht gerade ein wissenschaftliches Gütesiegel ist):
" Ich wollte mich der Biologie verschreiben, hatte aber ein ebenso großes Interesse an den Problemen objektiver Erkenntnis" (nun gib bloß nicht so an.) "und der Erkenntnistheorie." (Ach, das ist dasselbe?) _Meine Entscheidung, die Entwicklung der kognitiven Funktionen beim Kinde zu untersuchen" (ist zwar schon wieder etwas anderes, aber darum geht es nicht:) "hing mit meinem Wunsch (!) zusammen, die beiden Interessen in einer Tätigkeit zu befriedigen." (1,91)
Typisch "objektive Erkenntnis' nichts herauskriegen wollen, stattdessen über Erkenntnis Theorien basteln, diese zur Abwechslung einmal biologisch ausstaffieren (um ein letztes Mal die Weichtiere des Neuenburger Sees zu erwähnen: diese reiben sich nämlich in der Entwicklung ihrer "kognitiven Funktionen" auf und haben M. Piaget einen entsprechenden Tip gegeben) und sich schließlich ganz kühl auf den "Wunsch" berufen, der hier der Vater des Gedankens ist. Piaget sieht da keine Schwierigkeiten-, als Welschschweizer fühlt er sich offenbar dem französischen "esprit" verpflichtet, demzufolge auch die bizarrste Gedankenverbindung als Wissenschaft gilt, wenn sie nur irgendein intellektuelles Interesse befriedigt oder vielmehr die freie Willkür zum Prinzip des Intellekts erklärt. Von daher ist es durchaus plausibel, daß dem Mann Lobgesänge der folgenden Art zuhauf nachgerufen wurden:
"In Piagets Denken überschneiden (!) sich verschiedenste (!) Disziplinen: Mathematik, Logik, Physik, Biologie, Kybernetik, Psychologie, Philosophie und Soziologie." (FAZ)
Je "verschiedenst" das Fach, desto brillanter die "Überschneidung", muß sich der Rezensent wohl gedacht haben. Andererseits: Wo mag sich dieses disparate Zeug nur überschneiden? Allenfalls darin, daß der Geschlechtsverkehr (Biologie), ein Schluß (Logik) und ein Integral (Mathematik) genau dann dasselbe sind, wenn man großzügig aber auch alle Differenzen wegläßt und sich eine Gemeinsamkeit zusammenspinnt, die keinem der behandelten Gegenstände zukommt und sich nur noch Piagets bekanntem "Wunsch" verdankt. Unter diesem "Gesichtspunkt" verwandelt sich die ganze Welt in -"Strukturen".
I. Abteilung: Strukturalismus
Was ist denn nun eine Struktur?
"Eine Struktur" (ist gar nichts, sie besitzt etwas) -besitzt erstens Totalitätsgesetze, die andere sind als die ihrer Elemente, und die es sogar ermöslichichen von derartigen Elementen ganz abzusehen.," (111,9)
Scheint ja ein verteufeltes Ding zu sein. Man weiß zwar nicht recht, wovon überhaupt die Rede ist; aber in all ihrer Abstraktheit weist "eine Struktur" bereits beachtliche Merkmale auf. 1. ist sie eine Totalität von Elementen, die als solche andere Gesetze besitzt, die ihrer Elemente - und dies ist selbst in dem luftleeren Raum, in den uns Piaget versetzt, erstaunlich. Er mag ja dabei denken an was er will (die Beispiele eilen von thematischen Strukturen über den Organismus bis zur Gesellschaft), aber daß irgendwo ein Ganzes außerhalb von Teilen, woraus es besteht, noch einmal für sich existiert und in dieser phantasmagorischen Gestalt besondere "Totalitätsgesetze" hat ist wirklich ein starkes Stück.
"Das System der ganzen Zahlen ist ein Beispiel für eine Struktur, denn hier gibt es Gesetze, die für die Reihe als solche gelten" (1,30)
Das ist kein Beispiel, Monsieur. Sofern ich natürlich ein Ganzes nicht in Bezug auf seine Teile betrachte, versteht es sich von selbst, daß es dann keine eigenen Gesetze aufweist; für Piagets Auslassungen sind keineswegs seine Nieren verantwortlich zu machen. Aber ( handelt es sich auch nicht um "Totalitätsgesetze". Sofern ich umgekehrt ein Ganze Totalität von Elementen betrachte, ist Behauptung absurd; in dieser Hinsicht auch das System der ganzen Zahlen kein Gesetze haben, die für die ganzen Zahlen nicht gelten, - 2. ermöglichen die mysteriöser Gesetze der "Totalität" es dieser auch noch von ihren Elementen "ganz abzusehen". überlassen wir das Lachen den Hühnern. Selbst die Mathematiker-Crew Bourbaki, die es Piaget außerordentlich angetan hat, hat bisher noch keine algebraischen oder topologischen Strukturen entdeckt, die gleich ohne( das, was sie überhaupt zu Strukturen macht nämlich die Verknüpfung ihrer Elemente,( ausgekommen waren.
"Zweitens sind diese Eigenschaften der Gesamtheit Transformationsgesetze, die im Gegensatz stehen zu irgendwelchen Forrnalgesetzen." (II,9)
Strukturalismus als Menschenbild
Da es uns vorläufig noch auf die Logik der strukturalistische Abstraktionen selbst ankommt, wollen wir zu der Logik, die Piaget seine Übergänge diktiert, auch noch nichts sagen. Indes gibt die zweite Bestimung der "Struktur" schon ein gewisses Indiz darüber ab: 1. folgt sie wohl kaum aus der ersten, denn nur aus der Abtrennung einer Totalität" von ihren Elementen ergibt sich keinesfalls, daß ihre Gesetze deswegen "Transformationsgesetze" sind. - 2. Woher dann überhaupt Piagets Gegensatz von "Transformationsregeln" und "Formalgesetzen" oder "statistischen Eigenschaften"? Über, "die Struktur" selbst wissen wir nichts: aus den Beispielen folgt wieder nicht das, wofür sie Beispiele sein sollen.
"Im Falle der Addition ganzer Zahlen können wir (!) eine Zahl in eine andere transformieren, indem wir (!) ihr etwas hinzufügen." (I,31)
"Wir" in allen Ehren, aber sollte es nicht um Eigenschaften "einer Struktur" gehen? Addieren wird doch nicht eine Eigenschaft der Addition sein - da könnte man ja seine japanischen Taschenrechner wegwerfen und in Zukunft alle mathematischen Operationen gleich den Herren und Damen Zahlen überlassen, die das offenbar schon von sich aus bewerkstelligen. Welch bewunderwürdige Nebelreiche Piaget da eröffnet!
"Drittens beinhaltet jede Struktur eine Selbsregelung in zweifachem Sinn: Ihr Aufbau führt niemals über ihre Grenzen hinaus und benötigt niemals etwas von außerhalb dieser Grenzen..." (II,9)
Allmählich nähern wir uns wirklich dem Springpunkt des ganzen Geredes. Es kann doch unmöglich Zufall sein, daß es Piaget einfach nicht gelingt, bei seinen Bestimmungen der "Struktur", die es als etwas Objektives, als gemeinschaftliche Beschaffenheit wirklicher Gegenstände außerhalb des Denkens, geben soll, Eigenschaften und Tätigkeiten auseinanderzuhalten. 1. rächt sich immer mehr die Abstraktion von den Unterschieden dessen, was alles "Strukturen" sein sollen; die Addition mag ja innerhalb der Grenzen, die ihr das Pluszeichen setzt, verbleiben, aber wie darf man sich ihren Selbstregelungsmechanismus" vorstellen? Und ein Computer mag seinerseits manches "selbstregeln", aber daß er deshalb "niemals etwas von außerhalb" benötigt, mag uns nicht in den Kopf. 2, stimmt es uns sehr prinzipiell nachdenklich, daß Piaget mittels eines auf den ersten Blick so inhaltsleeren Begriffs wie "Struktur" die Objekte seiner Theorie immer mehr in Subjekte (oder was er sich darunter vorstellt) verwandelt. Nun sind wir doch schon bei Eigenschaften wie der Selbstregelung der dem Benötigen angelangt, die man allenfalls noch als Metaphern gelten lassen könnte - bloß nochmals - wofür?
Rekapitulieren wir also:
1. Der Unterschied von Totalität und Elementen ist prima facie überhaupt keine Qualität von Gegenständen, sondern eine Reflexionsbestimmung. die davon abhängt, was an ihnen ich mir zum Gegenstand mache. Die wirkliche Trennung des Ganzen vom Teil gibt es nur dort, wo sie einen besonderen Gegenstand wesentlich charakterisiert, wo die Eigenart einer Sache also gerade darin besteht, als "Totalität" etwas anderes zu sein als das Verhältnis ihrer "Elemente". Dies gilt nun einmal nur für den Menschen, der
sich Zwecke setzt, die aus seinen natürlichen Funktionen nicht unmittelbar folgen.
Der Unterschied von "Transforrnations-" und "Formalgesetzen" geht als solcher eben sowenig irgendeinen Gegenstand an. Natürlich läßt sich alles auf der Welt sowohl unter dem Gesichtspunkt der Veränderung wie der Identität betrachten, aber deshalb liegt das Wesen der Dinge nicht ausgerechnet darin, daß sie sich verändern, oder gar darin, daß wir sie verändern können, was Piaget stets durcheinanderzuwerfen beliebt, Soweit "Transformation" nicht rein zeitliches Geschehen, sondern als "Entwicklung" eine Qualität sein soll, kommt sie wieder nur dem Menschen zu, der nicht nur wie jeder Affe größer wird, dabei aber stets derselbe Affe bleibt wie zuvor, sondern der sich seine Veränderung zum Zweck setzt und daher wie Piaget vom Biologen zum philosophischpsychologischen Affen erst werden muß.
schließlich ist "Selbstregelung" als über die ersten beiden "Struktureigenschaften" hinausgehende Bestimmung auch nicht so recht einzusehen. Sie mag zwar den Inhalt eher natürlicher Transfonnationsprozesse bilden, aber doch nicht zugleich davon unterschiedene Eigenschaft. Als solche gibt sie wiederum nur einen Sinn, wenn sie als Zweckbegriff vorgestellt wird; und da wird sich auch der gern zum Beispiel genommene Computer hart tun!
Summa summarum: Man täuscht sich also sehr, wenn man den ganzen strukturalistischen Nonsens für einen im Grunde unnötigen Umweg zu Piagets Psychologie hält, auf die er doch von Anfang an hinauswollte. Das Gegenteil ist der Fall - der Strukturalismus ist die Vorstellung des psychologischen Menschenbilds bei Piaget. Die "Kunst" dieses Verfahrens (und in seiner Anwendung zeigt sich auch sehr schnell, wieviel Freunde sich Piaget darüber eingehandelt hat) besteht schlicht darin, daß der Meister aus Genf den
Beweis- und Regründungszwang, dem sich Freud und Skinner mit ihren aus Spekulation über psychische Apparate und aus Laborversuchen mit Ratten u.dgl. entwickelten Hypothesen über das Seelenleben ausgeliefert haben, lässig umgeht, indem er seine Annahmen über die menschliche Natur erst einmal gar nicht als solche vorträgt. Er übersetzt sie in Definitionen einer "Struktur" die es überall geben soll, um diese Definitionen anschließend auf seinen eigentlichen Gegenstand nur anzuwenden. Dabei kommt zwar gar nichts anderes heraus als sein anfänglicher "Wunsch" und die Vorstellung, daß die selbstbewußte - Zwecksetzung des Menschen ein Naturgesetz jeder "Totalität" sei, seine Tätigkeit gewissen "Transformationsregeln" , folge, mit denen er durch die Transformation der Objekte "sich selbst regelt", aber dies hat nicht die Form einer Hypothese, sondern die einer - sich scheinbar an allen möglichen Gegenständen betätigenden - definitorischen Gesetzmäßigkeit.
Erkennen als Strukturvergleich
Die "Erklärung" des menschlichen Erkennens kommt also sehr leger daher, ohne daß PIAGET großartige Vermutungen über das Bewußtsein aufstellen oder zu schwarzen Schachteln greifen müßte. Alles ist rein begrifflich und lädt deshalb dazu ein, jedes Phänomen der Realität als möglichen Beleg für die Stimmigkeit der Behauptungen herzunehmen.
"Nach meiner Ansicht bedeutet ein Objekt Zu erkennen nicht, es abzubilden" (Stimmt. Wir sind nicht beim Fotografen) "sondern, auf es einzuwirken." (1, 23)
Das stimmt nun allerdings nicht. Man mag bei manchen Erkenntnissen nicht ohne praktische Eingriffe in die Realität auskommen, aber selbst in diesem Fall ist das Einwirken noch lange kein Erkennen. Gut, wozu hat PIAGET beliebig handhabbare Begriffsinstrumente? Er interpretiert sich also um:
"Es" (das Erkennen durch Einwirken) ..bedeutet. Transformationssysteme zu konstruieren, die sich an oder mit dienern Objekt ausführen lassen."
Das Erkennen definiert sich auf diese Weise näher als eine Art erkennendes Einwirken, das dann zum Erkennen führt. Sind wir damit weiter? Durch bloße Gedankenkonstruktionen, selbst wenn sie sich "am Objekt aus führen lassen", hat man doch nichts erkannt. Das nicht, aber PIAGET hat das Problem jetzt in seine strukturalistische Terrninologie transformiert, so daß er sich nun das Erkennen als Strukturvergleich umformulieren kann:
"Oder: Realität erkennen heißt, Transformationssysteme zu konstruieren. die der Realität - mehr oder weniger adäquat - entsprechen,' (da fehlt doch 'was - ah, schon kommt's:) "die Transformationen der Realität mehr oder weniger isomorph sind" (a.a.0.)
Na eben, so geht das ! Das Erkennen ist eine Struktur, das Objekt ist eine Struktur, beide transformieren sich, also muß das Erkennen seine Struktur so transformieren, daß es dabei eine Struktur konstruiert, die möglichst genauso ausschaut ("isomorph") wie die Struktur des sich transformierenden Objekts, Nachdem er damit abgeleitet hat, daß das Erkennen 1. gesetzmäßig verläuft, 2. wobei es auf den Inhalt desselben nur mehr oder weniger ankommt, Hauptsache, es hält sich an seine Gesetze, geht ihm zum Schluß leider die Luft aus, so daß am Ende der Deduktionskette ein reichlich plattes Ergebnis steht:
"Erkenntnis ist also ein System von Transformationen, die allmählich immer adäquater werden."
So viele schöne neue Begriffe - und dann doch. nur die müde Behauptung, daß Erkenntnis ein endloses Geschäft ist, weil sie nie restlos adäquat wird, man also nichts genau wissen kann! Die Selbstwiderlegung jedes Erkenntnistheoretikers - daß er seine Behauptung immer sehr genau weiß --- mag man bei einem PIAGET, dessen einzige Gründe die Willkür seiner Definitionen sind, fast bleiben lassen. Und den Verweis auf die Idiotie einer Wissenschaft, die aus solchen Deduktionen erfreut die universelle Anwendbarkeit und die Betonung der "aktiven Rolle" des Erkennens bei PIAGET herausliest, ebenso.
II. Abteilung. Kinderpsychologie
Wir können uns jetzt bedeutend kürzer fassen, da inzwischen klar sein müßte, daß außer den schon abgehandelten "Strukturbestimmungen" in den ganzen 25 000 Seiten des PIAGETschen Druckwerks nicht mehr vorkommt als endlose Rückinterpretationen der einmal feststehenden Abstraktion in neue Formulierungen, die - weil sie schon der Maßstab der Abstraktion waren - genau den geläufigen Vorstellungen von Psychologen usw. entsprechen. und ihnen deshalb sehr konkret und über den theoretischen Apparat sehr abgeleitet erscheinen. Für den Übergang zur Kinderpsychologie hat sich PIAGET (je nach Zweck des entsprechenden Buches oder dem in diesem gerade anstehenden Problemkreis) übrigens die Gründe zurechtgelegt, wie sie gerade paßten. Der Form halber seien wenigstens drei unterschiedliche "Argumente" angeführt:
Das 1. war der schon in der Autobiographie geäußerte "Wunsch" der Vereinigung von Biologie und Erkenntnistheorie. Wie sich zeigte, braucht man dazu lediglich Phantasie, aber keine Kinder. Aber immerhin.
Das 2. gibt sich enorm ideologiekritisch und wälzt das interessante Problem, ob nicht beim Studium menschlicher Subjekte - wo man doch selbst eins ist! - Verzerrungen auftreten können. Deshalb:
"Sofern man den Verdacht haben kann. daß eine "Struktur" (knirsch!) ..die einem Erwachsenen zugeschrieben wird. eher dem Beobachter als dem Subjekt seiner Beobachtung zukommt," (beschäftigt man sich keineswegs mit diesem Verdacht bzw. vergewissert sich seiner Beobachtung, sondern:) .liefert die Untersuchung der verschiedenen Entwicklungstadien einen objektiven Bezugsrahmen, den man nur sehr schwer den Erfordernissen einer subjektiven Theorie anpassen kann" (II, 50)
Ausgemachter Blödsinn, denn wenn man schon auf eine subjektive Theorie aus ist, werden einen Einblicke in Kindheit und Jugend gerade daran hindern! Beweis:PIAGET. Das 3. bedient sich der ganz am Anfang zitierten Fragestellung der "genetischen Erkenntnistheorie", bedauert, daß sich die Entwicklung der menschlichen Geistestätigkeit nicht vom Neandertaler aus rekonstruieren läßt ("leider wissen wir über die Psychologie des Neandertalers ... nicht sehr viel" - so ein Quatsch, der hat doch sich selbst transformiert, indem er die Umwelt transformiert hat!), und verfällt daher von der "Biogenem" auf die "Ontogenese"
"Denn nichts könnte der Untersuchung leichter zugänglich sein ab die Ontogenese von Begriffen." (Glauben wir gern!) "überall sind Kinder um uns," (ach ja!) "und die Entwicklung der logischen Erkenntnis, der mathematischen Erkenntnis, der physikalischen Erkenntnis und so fort..( bis hin zu PIAGET) "könnten wir nirgendwo besser studieren als an Kindern." (11, 21)
Bekanntlich studiert sich die Entwicklung einer Erkenntnis nirgendwo besser als dort, wo sie noch gar nicht vorhanden ist.!
a) Kinderpsychologie der Logik und Mathematik
PIAGET sagt denn auch, sobald er sich "konkret" den Kindern zuwendet, was er schon immer gesagt hat, Der Anschaulichkeit halber führt er dazu die Kategorie des "Bedürfnisses" ein, die sich aber von selbst wieder herauskürzt:
" Ein Bedürfnis (ist) allemal die Äußerung eines Ungleichgewichts, Ein Bedürfnis entsteht, wenn irgendetwas außerhalb von uns oder in uns .. sich geändert hat und es darum geht. du Verhalten auf diesen Wechsel abzustimmen." (111, 166)
Dann stimmt es sich ab, und das Gleichgewicht ist wieder da. Das ist nämlich wie behn Erkennen (siehe oben) und überhaupt, Du Subjekt paßt immer dann zur Welt, wenn die Welt zu ihm paßt - und wenn sich in oder außerhalb von uns etwas verändert (tranformiert), dann müssen wir die "Umwelt" so transformieren, daß wir uns eg transformieren können, daß sich wieder ein Gleichgewicht herstellt. Das folgt ja logisch aus den Gesetzen " einer Struktur". Daß ein Bedürfnis - wenn davon schon die Rede nein soll einen bestimmten Grund und Zweck hat, weshalb ihm die Frage, wer oder was da jetzt verändert werden muß, keineswegs so gleichgültig ist wie PIAGET, der immer nur in dem Abstraktionspaar Veränderung/ Gleichgewicht herumpendelt und sich bei jedem von beiden nur dafür interessiert, daß das jeweils andere wieder eintritt, irritiert FIAGET keineswegs. Er hat sich in den "Gedanken" verbissen, daß das Verhältnis von Individuum und Umwelt eben ein Verhältnis ist und sonst nichts. Daß schon Kleinkinder (obzwar kindisch) ziemlich einseitig sind und damit immerhin kundtun, daß sie Subjekte sein wollen, kommt ihm nicht in den Kopf. Daran erkennt man immerhin die Leistung seiner strukturalistischen Begriffsbildungen, sobald damit auf die Realität losgegangen wird: Das zunächst recht harmlos scheinende Bild eines strukturellen Regelkreises zwischen Subjekt und Objekt bewirkt nämlich nur eines - die Auslöschung der Differenz beider. In der Subsumtion der subjektiven Leistungen unter naturgesetzliche Funktionen fällt eben das Subjektive am Subjekt weg, das Zweckmäßige am Zweck usf. Mit einem Wort: Das Verhältnis der Individuen zur Welt besteht darin, daß sie sich letztere unterwerfen, aber nicht in einer wechselseitigen Anpassung!
Wenn PIAGET seinen Sparren nochmals umformuliert, die schon durchgekaute Transformation der Umwelt für das Subjekt nun "Assimilationdie die neuen Formeln nahelegen. Wie soll ein Strukturalist denn ein Theoretiker der Unterwerfung sein (so übersetzt sich ein PIAGET-Kritiker nämlich Sachen wie "Akkommodation" oder "Anpassung")? Der Mann ist doch viel verrückter! Diese Begriffe sind so beliebig assoziationsfähig, daß sich natürlich vorn Murmelspiel des Kleinkinds über die schulische Erziehung bis zur Revolution aber auch alles damit interpretieren läßt.
Seine "Erkenntnisse" über die logische, mathematische und physikalische Entwicklung des Kindes sind entsprechend. So beobachtet er die kindliche Entdeckung des Kommutativitätsgesetzes (die Summe ist unabhängig von der Anordnung der Elemente) in der Mathematik:
"Die Kieselsteine liegen es zu. de in verschiedenen Weinen anzuordnen... Aber die Ordnung war nicht in den Kieselsteinen begründet; sie wurde von ihm hergestellt, er, das Subjekt, legte die Kiesel in eine Zeile und dann in einen Kreis. Darüber hinaus steckte die Summe nicht in den Kieselsteinen selbst, er, das Subjekt, vereinigte sie." II (1,25)
In souveräner Mißachtung der Tatsache, daß Quantitäten zwar keine qualitativen Eigenschaften von Kieselsteinen sind (also auch nicht in ihnen "stecken"), aber immerhin zu ihnen gehören ( ein Kieselstein ist halt nicht zwei Kieselsteine), phantasiert PIAGET sich hier die quantitativen Gesetzmäßigkeiten der Dinge als Leistung des Subjekts zusammen.
Und gerade, indem er an dieser absolut unpassenden Stelle "ihn, das Subjekt" dreimal beschwört, beweist er sein Desinteresse sowohl an der Mathematik als am Subjekt: Kinder, die aus der zufälligen Auffindung der Kommutativität den kuriosen Schluß ziehen, sie hätten sie "hergestellt", beweisen damit eben, daß sie von Mathematik ebensowenig verstehen wie PIAGET also zwar Subjekte sind, aber sich nicht als solche aufführen. Hier herrscht dann wirklich das berühmte "Gleichgewicht" - würden sich Brückenbauer nach der Logik von PIAGET verhalten, hätten sie ebensoviel Gewalt über ihre Konstruktionen wie umgekehrt, mit absehbarem Resultat.
Das Komplement der erfabelten "Adäquatheit" kindlicher Naturwissenschaft ist eine ebenso erfabelte Inadäquatheit, zu der PIAGET gleich - wie oben - mit beiträgt:
"'Warum rollt sie?' fragt beispielsweise ein 6jähriger die Penort, die sich mit ihm beschäftigt; dabei zeigt er auf eine Kugel, die sich auf einer leicht abuchüssigen Terrasse auf diese unten sitzende Person zubewegt. Man antwortet: 'Weil es hierher abwärts geht', was eine bloß kausale Antwort ist," (eine sinnige Einwendung) "aber das Kind, von dieser Erklärung nicht befriedigt',' (fragt nun nach den Gesetzen des Hangabtriebs, oder was?) ,.kommt mit einer zweiten Frage, 'Weiß sie, daß du hier herunten bist?' ... Die mechanische Erklärung (hat) das Kind nicht zufriedengestellt, weites sich die Bewegung notwendigerweise (?) zielgerichtet und infolgedessen (??) irgendwie beabsichtigt vorstellt.- was es wissen Wolke. waren also sowohl Zweck 1) als auch Ursache (?) der Bewegung."
Also nur weil PIAGET Metaphysiker ist und etwas gegen "bloß kausale" Antworten hat, braucht er 6jährige nicht gleich für genauso dumm verkaufen. Da das Kind offensichtlich von der Mechanik noch nichts versteht sich auch gar nicht dafür interessiert -, kann es kaum ein so verrückter " Physiker" sein wie PIAGET, der den Grund einer Abwärtsbewegung und den Zweck, den jemand möglicherweise mit dem Kugelstoßen verfolgt hat (darüber erfährt man schon gar nichts, vielleicht ist das Ding von selbst losgerollt), nicht auseinanderhalten kann. Was bekommt PIAGET mit solchen Fallbeispielen nun eigentlich über die Entwicklung logischer und mathematischer Fähigkeiten beim Kind heraus?
- abstrahiert er von der Erziehung, die stattfindet, und erklärt sich deren Resultate (wieso fragt wohl ein 6jähriger danach, ob eine Kugel etwas wefl3"?) als durchaus natürliche und berecKtigte "Entwicklungsstadien".
- gilt ihm jedes Beispiel, das die mangelnde Kenntnis der Kinder zeigt, als Beleg für das Gegenteil: ihren bemerkenswerten Erkenntnisfortschritt. '
- gelingt ihm dies, indem er sich für die Inhalte dieser "Erkenntnisse" nicht interessiert, sondern jede Veränderung gleich als solche, d.h. im Verhältnis zur vorigen "Erkenntnis" begrüßt. Dabei wendet er eigene Erfindungen über Logik und Mathematik an, weil er sonst ja auch wirklich nicht wüßte, wo sich da jetzt was verändert hat.
- resultiert somit das Ganze wieder im Ausgangspunkt: Nicht ob über seine Kenntnisse sich das Kind als Subjekt entwickelt, also das Zeug beherrschen kann, womit es umgeht, interessiert ihn; sondern die jeweiligen Subjekt-Objekt-Beziehungen werden als sich transformierende und neu sich wieder herstellende beurteilt.
- kann insofern von Kinderpsychologie nur sehr uneigentlich die Rede sein, denn darüber erfährt man wirklich nichts Neues (damit sich niemand täuscht: solche Sachen wie "Objektpermanenz" oder "lnvarianzstrukturen" sind mit den zwei vorgestellten Beispielen auch erledigt - beidemal hält PIAGET die kindische Art, sich Eigenschaften von Gegenständen als eigene Leistung zu erklären, für so bedeutsam, daß er sich jeden Beitrags zur Beseitigung solcher Fehler enthält -schon weil er es selbst nicht kann). PIAGETs Neuheit ist nur, daß er der Entwicklungspsychologie und deren Einbildungen über notwendige Erkenntnisvoraussetzungen in bestimmten Altern (auch dort taucht der Inhalt des Gelernten oder zu Lernenden nicht auf) mit seinen sich immer bestätigenden "Strukturgesetzen" Recht gibt, ohne überhaupt Entwicklungspsychologie zu betreiben. Statt Psychologe, ist PIAGET ein sie legitimierender Methodologe der Psychologie, der jedes ihrer Urteile bekräftigt, ohne auch nur eines zur Kenntnis zu nehmen.
b) Kinderpsychologie der Moral
Hier ist die ganze Entwicklung (immerhin fast 500 Seiten über die in der Umgebung von Genf geltenden Spielregeln beim Schussern mit immer denselben Befragungen von Kindern!) ein so direkter Niederschlag des fixen Dreigestirns Akkommodation - Assimilation - Anpassung (Gleichgewicht), daß ein Überblick genügt, Zunächst verwandelt PIAGET gleich das Problem der moralischen Entwicklung - das doch irgendwie etwas damit zu tun hat, was man darf oder nicht darf - wieder in eine rein formelle Angelegenheit, also in eine Frage von Strukturen, in einen Fall von Regeln,
"Es ist in der Tat auffallend, wie rasch die besondere Tätigkeiten des Kindes schematisiert werden und sogar zum Ritus werden." (IV, 26)
Auffallend ist hier nur, daß PIAGET Moralische Regeln nicht von irgendwelchen anderen Regeln oder gar bloßen Regelmäßigkeiten unterscheiden kann. Konsequent entdeckt er in "motorischen Regeln" den Ursprung moralischer Regeln, wenn er sie auch nicht dazurechnet. Diese beginnen, wie die Erkenntnis, aber auch dort, wo es sie noch nicht gibt. Das L Stadium der "moralischen Entwicklung" soll nämlich ein "Egozentrisrnus" rein:
"Indern das Kind so das, was es beobachtet, nachmacht und ehrlich(?) der Meinung ist, wie alle anderen zu spielen. denkt es jedoch(!) zuerst nur(1) daran, seine neuen Kenntnisse für sich allein zu verwenden" (IV, 33)
Pfui! Aber die Moral ist hier bestenfalls auf seiten von PIAGET zu entdecken- Was hat das vom Kind noch mäßig in Angriff genommene Murmelspiel damit zu tun? Daß dieses Stadium überhaupt in die moralische "Entwicklung" fällt, verdankt sich nur der Tatsache, daß es eine neue konkrete Verkleidung der "Assimilation" darstellt, die nach den "Regeln" des Strukturalismus nun einmal der "Akkomodation" vorhergehen muß, damit diese dann als Reaktion nachfolgen kann. Macht sie auch und heißt jetzt 11. Stadium oder "moralischer Realismus":
"Wir werden als Moralischen Realismus die Neigung des Kindes bezeichnen, die Pflichten und die sich auf sie beziehenden Werte als für sich unabhänge vorn Bewußtsein existierend(?) und sich gleichsam obligatorisch aufzwingend. zu betrachten, welches auch immer die Umstände sein mögen." (IV, 121)
Das geht zwar nicht ohne elterlichen Zwang, dessen starke Hand auch dann noch droht, wenn der Vater gerade nicht da ist; PIAGET bestreitet das auch nicht, aber er möchte die Gesetzmäßigkeit der Sache betont haben, weshalb der blanke Gehorsam, zu dem Moral nicht unbedingt gehört, 1. ein wichtigen Durchgangsstadium ah Dämpfer das Egozentrismus, 2. natürlich seinerseits die Vorbereitung des Folgenden ist. Die "kategorische Verpflichtung" muß vom Kind nun wieder assimiliert werden (wie vorher der Egozentrismus akkomodiert wurde) - und daraus ergibt sich das III. Stadium nämlich das der "Zusammenarbeit" und "Gegenseitigkeit":
"Indern das Kind die Regeln verändert, d.h. Indem es selbst Gesetzgeber und höchste Aiguritift,ta dieser Demokratie wird" (der Demokratie des Murmelspiels!) "die auf die vorangegangene Gerontokratie folgt, wird sich das Kind der Daseinsberechtigung der Gesetze bewußt. Die Regel wird Ihm zur notwendigen Bedingung der Verständigung." (IV, 73 f)
Wiederum, ohne sich über den Inhalt moralischer "Regeln" zu verbreiten" hat PIAGET sein Ziel erreicht: Aus der reinen Logik "einer Struktur" ersteht nun der moralische Gleichgewichtszustand - die Staatsverfassung.
Respektabel, wozu ein bereits 1925 entstandener "Wunsch" noch intellektueller Befriedigung im Laufe der Zeit alles taugt!
Nachweis der Zitate:
I) Einführung in die genetische Erkenntnistheorie
II) Erkenntnistheorie der Wissenschaften vom Menschen
III) Theorie und Methoden der modernen Erziehung
IV) Das moralische Urteil beim Kinde.