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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1980 erschienen.

Systematik

Südkorea
EIN "TODESURTEIL GEGEN DIE DEMOKRATIE?"

Die Presse berichtet wirklich sehr differenziert über die "dramatischen Ereignisse" in Südkorea. Erst Greuelbilder und gebührendes Entsetzen über das in Kwangiu geflossene Blut; dann das Attest für den "starken Mann", "daß er noch härter durchgreifen kann als sein Vorgänger Park"; dann einhellige Empörung, daß er den "demokratischen Oppositionsführer" Kim Dae Jung vor ein Militärgericht und zum Tode verurteilen ließ. Schlagartig saß das südkoreanische "Regime" selbst "auf der Anklagebank". Sein Verbrechen: ein "Todesurteil über die Demokratie", die man im Hals des Herrn Kim entdeckt hat.

Die Fernostkorrespondenten

kabeln eilig von ihrem ganz privaten Lunch mit dem prominenten Opfer, das sich als offen, ehrlich, zutiefst gläubig - kurz westlich orientiert erweist:

"Freiheitsdrang und Elend der Massen machten aus ihm noch keinen Chomeini. Er selber verglich sich lieber mit Ghandi, und in seinem Programm fand sich nicht nur das Bekenntnis zur 'freien Marktwirtschaft', sondern auch 'Gottes Gebot', seinen Feinden zu verzeihen."

Am Modell-Ghandi fällt hiesigen Politikverehrern nicht nur die Führungsqualitat auf:

"In einer normalen Demokratie würde er sich von anderen Politikern kaum abheben - ein ehrgeiziger Bewerber um die Macht."

Irgendwie muß sein "Charisma" sogar auf die CIA gewirkt haben, die amerikanische wenigstens, weiß man zu berichten:

"1973, im japanischen Exil, wurde Kim am hellichten Tage von fünf Agenten der koreanischen CIA aus einem Hotel in Tokio entführt; als die Kidnapper des mit Betonklötzen an Armen uad Beinen beschwerten Körper ins haifischverseuchte Meer werfen wollten, tauchte unvermittelt ein Hubschrauber auf (vermutlich nach amerikanischer oder japanischer Intervention). - Kim wurde an Land gebracht und lag schließlich mit verbundenen Augen neben seiner Wohnung in Seoul."

Daß Chun nun, Entschlossenheit demonstriert, seinen Gegner hochoffiziell und vor den Augen der Weltöffentlichkeit wegzuräumen, macht das Maß voll, denn das ist ein Affront gegen "uns". Und wirklich: "Nur sechs Minuten dauerte die Verlesung des Urteils"! Die weltweite mangelnde Beachtung der deutschen Strafprozeßordnung ist bekanntlich ein Hauptproblem, das hiesige Fans ordentlicher Prozesse nicht schlafen l"ßt. So fallen wieder einmal die mit Staats- und Engelszungen gepredigten Ideale der Demokratie einem fernöstlichen Kommunikationsmodell zum Opfer, an dem der Westen mit zehntausenden Ami-Soldaten und mehr beteiligt ist:

"An Chuns gewaltätiger Sprache... prallen selbst deutsche Kanzler und Bischofsworte ab."

So geht's zu in der Pressewelt: Die Weltmächte Nr. 1 und 3 - 6 kapitulieren ohnmächtig vor der falsch benutzten Souveränität ihres Verbündeten.

Der neue Staatschef Südkoreas

sieht das natürlich anders:

"Some foreigners tend to tell others to do this, do that. But the Republic of Korea today need not accept unjust intervention in internal affairs."

Er ist schließlich der anerkannte Souverän. Er hat die Massen nicht nur blutig daran erinnert, daß sie sich soldatenmäßig in der Bastion gegen den kommunistischen Erzfeind aufzuführen, Reis zu liefern, japanische Profite zu erwirtschaften und ansonsten nicht zu mucksen haben. Er hat auch bei der Stabilisierung der Verhältnisse mit "Umerziehungslagern" für zehntausende, mit Liquidationen und Blutbädern stets dazugesagt, daß das für die Freiheit nötig sei, für den "Aufbau eines demokratischen Wohlfahrtsstaates" etc. Und kaum am Ruder, hat er sich demonstrativ für sein Volk und den Westen sogar zum Staatschef wählen lassen, dafür eigens die Uniform ausgezogen und eine Verfassung erlassen, die nach hiesiger Auffassung alles "auf eine legale Grundlage" stellt, noch dazu unter "Stärkung der Gewaltenteilung nach amerikanischem Vorbild". Die Ausschaltung der lästigen Opposition durch die offizielle Beseitigung ihres Führers wäre also die Krönung seines Staatsaufbaus und die Erledigung eines lästigen Konkurrenten, der zehn Jahre lang vergeblich versuchte, durch Wahlen an die Macht der Diktatoren zu gelangen und dadurch nicht nur für viele Südkoreaner, sondern auch für den Westen als ernsthafte Alternative gilt. Ruhe und Ordnung kehren solange nicht ein, wie anerkannte Politiker Liberalisierung von einem Regime fordern können, das der Anerkennung des Westens nur solange gewiß ist, wie es die totale Befriedung seiner Gesellschaft garantieren kann und diese Aufgabe so erledigt, daß es jede Einmischung mit Bajonetten beantwortet.

Das "Opferlamm" Kim Dae Jung

weiß, daß ihn sein Ehrgeiz für eine bessere Herrschaft in Korea das Leben kosten kann. Und er ist von seiner politischen Mission überzeugt genug, den Prozeß für die öffentliche Vorführung seines Idealismus für seine Landsleute und den Westen zu benutzen:

"Was ich mir als letzten Willen wünsche, ist die baldige Herstellung der von der ganzen Bevölkerung ersehnten Demokratie in diesem Lande im Wege des Kompromisses und der Zusammenarbeit miteinander."

Wieweit dieser "Märtyrer", dem die "Zusammenarbeit" mit dem Strick droht, mit diesem Plädoyer auf die Nachwirkungen in seinem Land oder auf die Unterstützung des Westens spekuliert, sei dahingestellt. Jedenfalls präsentierte er sich damit dem Ausland als bleibende und brauchbare Alternative, die einigen Einsatz wert ist, um neuerliche Unruhen zu verhindern.

Die demokratischen Politiker

beschränken sich daher nicht auf das üblicherweise die Militärhilfe begleitende Menschenrechtsgesäusel, sondern zeigen ernste Besorgnis. Japans Außenminister Ito greift in das schwebende Verfahren ein und kündigt eine "Verschlechterung der Beziehungen" für den Ernstfall an. Genscher äußert brieflich seine "Besorgnis um die Sicherheit demokratischer Politiker". Beide werden nach dem Urteilsspruch erneut vorstellig und Friedenswilly telegraphiert "große Bestürzung".

Mindestens die BRD, Australien, Neuseeland, Norwegen, Frankreich "schließen schwerwiegende Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen nicht aus", Tokio droht mit Einschränkung der Wirtschaftshilfe und "in Washington wird Revision des Urteils erwartet".

Natürlich werden die 4.000 GIs nicht zur "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" benutzt, aber mit aller Achtung vor der Souveränität der Militärs teilt man ihnen diplomatisch drohend mit, daß man andere Vorstellungen von der Ordnung in Korea hat und daher seine Interessen verletzt sieht.

Wenn der Westen sich geschlossen als moralische Weltmacht auf dem internationalen Parkett aufführt, hat das zwar nichts mit Einsatz für demokratische Prinzipien zu tun, wohl ab er mit dem Prinzip, daß man die demonstrative Beseitigung einer demokratischen Alternative für eine ungebührliche Verletzung westlicher Stabilitätsinteressen hält. Also bedeutet man den Militärs, daß man von ihnen Rücksichtnahme verlangt. Das Regime soll Kim gefälligst auf weniger definitive Weise aus dem Verkehr ziehen. Einen dezidiert prowestlichen Politiker legt man nicht ausgerechnet in einem Land um, an dessen Tür Kommunisten stehen. Schließlich überzeugte Kim schon einmal 45% seiner Landsleute davon, daß man gegen die Herrschaft des Militärs und doch für die Amis sein kann, die sie stützen.