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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1980 erschienen.

Deutscher Ökonomentag
KATHEDERKAPITALISTEN 1980

1872

Der "Verein für Socialpolitik" ist im Jahre 1872 gegründet worden. Den Namen Kathedersozialisten verdienten sich die Vereinsmitglieder durch die wissenschaftliche Begleitmusik zum Bismarckschen Staatsprogramm, mit dem Verbot der Arbeiterpartei und mit den ersten Akten sozialpolitischer Verwaltung proletarischer Armut politische und ökonomische Kämpfe der Arbeiterklasse zu verhindern.

1980

Diese seine Fertigkeit, Partei für den Klassenkampf von oben zu ergreifen, hat den "Verein" bis heute nicht verlassen, auch wenn sich die Beiträge in puncto "gesellschaftliche Versöhnung und Harmonie" modernisiert haben:

- daß Sozialpolitik den Bürger vor die "Wahl" stellt, Sparsamkeit an den Tag zu legen, weil er Sozialabgaben zu leisten sowie eine Familie zu erhalten hat, nimmt ein Dinkel aus München auf dem Ökonomentag zum Anlaß, einen "Vorschlag zum Rentenwesen" zu machen:

"Den Beitrag nach der Zahl der Kinder zu differenzieren, wobei der Arbeitgeberanteil mit neun Prozent konstant bliebe, während die Arbeitnehmer derzeit zwischen etwa zwölf und fünf Prozent (bei mindestens fünf Kindern) liegen würden" (Frankfurter Rundschau, 22. September 1980)

- Wenn man auf der Grundlage solch "konstruktiver Vorschläge" sagen will, daß sich wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen ganz einfach gehören, was man auch "Renaissance der Ordnungspolitik" nennt, verleiht man diesem seinem Votum folgende wissenschaftliche Wendung: Die Moral der Marktwirtschaft bestehe darin, daß sie

"die geringste Übereinstimmung der Beteiligten hinsichtlich politischer (!), religiöser (!!) und moralischer (!!?) Ziele fordert." (Knut Borchardt aus München)

  • Weil man sehr angetan ist von staatlicher Macht, die der "Moral" ein bißchen nachhilft, schimpft man in gut demokratischer Manier über die "kurzfristigen Entscheidungen und die Hilflosigkeit der Politiker" (Ein Hesse aus Göttingen) - bekanntlich fehlt es dem Zwang allenthalben am Schöpferischen.
  • Und wenn dann die Macht in Gestalt eines Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium persönlich vorbeischaut und so tut, als sei das Ideal des Ökonomen die Grundlage der Wirtschaftspolitik, dann kann dieser Kotau gar nicht lächerlich genug ausfallen, daß die versammelte Zunft nicht in Begeisterung ausbricht:

"Die Politik müsse auf dem Fundament von Euckens Imperativ ein vernünftiges und je nach Lage auch wechselndes Policy mix von Schumpeters Pionierdynamik, Friedmans Geldmenpenlehre und Keynesscher Botschaft darstellen." (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 22.9.1980)

Man sieht: auch der Ökonom des Jahres 80 verdient den Namen: Kathedersozialist.