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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1980 erschienen.

Mindestumtausch
GESAMTDEUTSCHER HANDEL "ZUM WOHLE DER MENSCHEN IN BEIDEN DEUTSCHEN STAATEN"

"Einseitig" und "willkürlich" hat die DDR die Tarife für ein innerdeutsches Geschäft heraufgesetzt: gehandelt werden "menschliche Erleichterungen" oder auch Besuchsverkehr gegen Devisen bislang 6,50 oder 13,-- DM, nunmehr 25,-- DM. Zahlen müssen die Besucher, "brüskiert" ist die Bundesregierung.

Schließlich ist dieser Handelsartikel eine besondere bundesdeutsche Erfindung: gemäß dem Usus demokratischer Politiker, sich selbst Aufträge zu erteilen, an denen gemessen sie ihren Bürgern dann eine Leistung nach der anderen vorweisen können, seit Einrichtung der Republik ist dies vorzüglich der besondere heilige Zweck der Verteidigung der Freiheit als Bollwerk, widmen sich die Bonner Politiker hingebungsvoll der Wiedervereinigung bzw. der diplomatischen Bestreitung des sogenannten Staatswesens hinter der Elbe. Für "menschliche Erleichterungen" zu sorgen, heißt also nicht, den abgespannten Bürgern z.B. ausgiebige Erholungsreisen zu finanzieren, sondern heißt, dem anderen deutschen Staat Zug um Zug Reiseerlaubnisse abzufeilschen, damit per Familientreffen der Zusammenhalt der deutschen Nation und die Teilung Deutschlands noch 35 Jahre danach bekräftigt werden. überdies veranschaulicht ja nichts so sehr den Segen einer Staatsgewalt wie weinerliche Omas, die ihre Enkel in die Arme schließen oder über die Grenzen hinweg ermöglichte Eheschließungen.

Moderate Formen der Bestreitung der DDR-Souveränität

Die sogenannten, trotz jahrelanger Anführungszeichen immer noch ziemlich existente DDR hat mit dieser bedingten Öffnung der Grenzen die Unannehmlichkeit in Kauf genommen, daß die "ideologische Diversion" nicht nur in Gestalt gut antikommunistisch gebildeter Bundesbürger, sondern weitaus überzeugender mit deren Mitbringseln über die Grenze reist, die den Systemvergleich per Warensortiment entscheiden. Sie hat entdeckt, daß sich mit diesem BRD-Staatsfimmel ein Geschäft machen läßt: Erstens als Devisenquelle; zweitens als laufender Verhandlungsgegenstand, mit dem sich der BRD immer vorführen läßt, daß drüben ein eigener Staat und nicht die andere Hälfte Deutschlands das Kommando hat; drittens lassen sich auf diese Weise weitere handels- oder verkehrspolitische Zugeständnisse herausholen. Über das "Kräfteverhältnis" ist damit allerdings auch schon einiges gesagt: schließlich gestattet die DDR mit diesem Verhandlungsobjekt der BRD das symbolträchtige Aufrechterhalten von 'menschlichen Beziehungen' als Anspruch auf die Einheit der Nation, also eine moderate Form der Bestreitung der DDR-Souveränität. Gleichzeitig gestattet sie die Durchlöcherung eines ihrer Regierungsprinzipien: die Handhabung der öffentlichen Meinung, die, statt falsche Meinungen zu widerlegen, die offizielle ge- und die Verbreitung aller anderen verbietet, toleriert mit den Besuchern das Eindringen konkurrierender Meinungen, die das revisionistisch sortierte Weltbild ohne große Mühe immer wieder schlecht aussehen lassen, Diese "ideologische Diversion" hat man allerdings aus Geschäftsgründen längst in Kauf genommen und die hiesige Interpretation, die Erhöhung der Umtauschsätze sei eine Methode zur absichtlichen Verringerung des Besucherstroms, verdreht absichtsvoll den Sachverhalt. Man will nämlich die moralische Verurteilung der Zerstörung zwischenmenschlicher Beziehungen auskosten bzw. hämisch die Bedeutung des angeblich staatszersetzenden Meinungstransports herausstreichen.

Von "Zwangsumtausch" ist also hier völlig zu Recht die Rede: Daß ein in die wahre Republik Einreisender, bringt er nicht genügend Geld mit, zurückgewiesen werden kann, berechtigt hingegen nicht dazu, von "Zwang" , zu sprechen, weil Geld muß der Mensch schon haben und ausgeben.

Mehr Geld und mehr Respekt

Mit der Erhöhung des Mindestumtauschs will die DDR erstens den Ertrag des Besuchergeschäfts aufbessern; auch bei nachlassendem Besucherstrom bleibt noch ein Gewinn. Zweitens werden dem Schwarzmarkt Grenzen gesetzt, auf dem devisengeile Ostbürger DDR-Mark zu Spottpreisen anbieten und Westbürgern wohlfeile Einkäufe ermöglichen, was angesichts eines auch nicht gerade überreichlichen DDR-Warenangebotes lästig ist. Da will die DDR die DM lieber gleich an der Grenze kassieren und sich damit einen Teil ihrer Devisenbeschaffung erleichtern. Diese schöne Konsequenz der Entspannungspolitik, Unterabteilung Osthandel, bei der die eine Seite blendende Geschäfte macht und die andere zur Finanzierung ihrer Einkaufswünsche laufend um die Beschaffung des Zahlungsmittels kämpft und jeden Touristen dafür zur Kasse bittet, praktiziert zwar nicht nur die DDR. Die CSSR hat gerade neulich die Sätze auf 25,-- DM erhöht, die Polen liegen bei 30,--. Aber der DDR als Unrechtsstaat der anderen Hälfte unserer Nation steht eine solche Betätigung ihrer Souveränität nicht zu, worauf die Honecker-Mannschaft, als Staatsleute, die ebensogut auf sich und ihre volksdemokratische Staatsgewalt etwas halten, konsequent mit der Forderung nach mehr Respekt, Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und Einrichtung von Botschaften, reagiert haben. Mit der Bemerkung, daß auch gerade im Zuge der Polen-Affaire die westliche Öffentlichkeit sehr direkt und freudig über den Zusammenbruch des Ostblocks und insbesondere der DDR in ihrer etwas prekären Lage zwischen der BRD und Polen spekuliert, liegen sie ja nicht ganz unrichtig. Nur zeigen sie leider auch sehr deutlich, wo für sie der point d'honneur liegt: die eigenen Leute indirekt oder direkt durch westliches Kapital ausnützen lassen, ist eine gute Sitte im Rahmen der sog. Beziehungen zum wechselseitigen Vorteil; wird ihnen aber die Ehre, einer souveränen Staatsmacht unterworfen zu sein, abgesprochen, dann ist der Ofen aus.

Auf der anderen Seite der Grenze wiederum beschließen dieselben Politiker, die noch beim Tito-Begräbnis einen auf innige deutsch deutsche Kooperation gemacht hatten, weil sie auf die Nützlichkeit des DDR-Standpunkts gegenüber dem Entspannungsstören in Moskau spekulierten, den jetzigen Akt als "schweren Rückschlag für die Entspannung" zu betrachten, weshalb unbedingt eine Abkühlung der Beziehungen eintreten muß, die man brühwarm anheizt. Die gekränkte Unschuld - Preiserhöhungen bundesdeutscher Waren für DDR-Abnehmer sind nie einseitig und willkürlich, sondern logischerweise einfach notwendig, - bezieht ihre ganzr Schlagkraft aus der Beschaffenheit der tangierten Ware.

Politisches Kapital mit der Ware Menschlichkeit

Niemandem will dabei die Heuchelei auffallen, wenn jammernde Rentner, die im Bundestagswahlkampf noch Kleinaktionäre waren, im Fernseher interviewt werden, daß sie von ihren 600,-- DM Rente die 25,-- DM nicht mehr bestreiten können; niemanden will der streng klassenmäßige Umgang mit den Betroffenen auffallen, daß kein Bonner Politiker daran denkt, wegen Menschlichkeit den Rentnern und anderen die 25,-- DM in die Tasche zu stecken, während von einer Rücknahme des Swing - der zinslose Überziehungskredit mit dem dieselben Politiker ihren Lieblingsbürgern das DDR-Geschäft finanzieren - wegen "unserer mittelständischen Unternehmer" (Lambsdorff) nicht die Rede sein darf. Niemandem will schließlich auffallen, welches Kapital die Mannschaft in Bonn aus der getretenen Menschlichkeit schlägt, mit Vorhaben, die allesamt nicht im mindesten den Zweck verfolgen, daß auch nur ein Bürger leichter zu seinen Verwandter kommt.

wird mit dem Vorfall auf der KSZE Folgekonferenz der DDR Zunder gegeben. Den Ostblock moralisch als Vertragsverletze: ins Unrecht zu setzen, ist die nützliche Vorveranstaltung für Verhandlungen über europäische Abrüstung.

stehen einige andere Geschäfte im innerdeutschen Verkehr an, bei denen sich als Entgelt für die jetzige Maßnahme Gegenleistungen veranschlagen lassen. Dafür läßt sich auch die theoretische Infragestellung des Swing als Drohmittel einsetzen. Wie die Verhandlungspositionen aussehen und wer da wen erpreßt, schildert die Süddeutsche Zeitung in ihrer ganz objektiven Weise:

"Den von der DDR vorgetragenen Wunsch, die Bundesregierung möge sich an der Elektrifizierung ihres Eisenbahnnetzes beteiligen, hat Bonn bisher noch nicht positiv beantwortet. An diesem langfristigen und sehr teuren Projekt hat die DDR starkes Interesse."

Das der BRD, die ja auch nicht einfach Geschenke verteilt, sondern sehr praktisch daran interessiert ist, ihren Brückenkopf und Symbol der deutschen Einheit, die Frontstadt Westberlin u.a. auch über geeignete Transportwege auszuhalten, braucht hier nicht genannt zu werden.

"Wenn sich die Bundesregierung jetzt weigert, darüber zu verhandeln, könnte Ostberlin die Infrastruktur ihres veralteten Schienennetzes auf längere Sicht nicht verbessern. Die Folgen wären anhaltende Transport- und Versorgungsschwierigkeiten in der DDR." (ebd.)

So kann man in aller Menschlichkeit den Menschen drüben die zu erwartende Bredouille an den Hals wünschen, beweist das alles doch nur, wie unmenschlich ihre Staatsgewalt und wie sympathisch die unsrige doch ist - mit der richtigen parteilichen Sichtweise, versteht sich.