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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1980 erschienen.

Systematik

Das faschistische Attentat
EIN FALL POLITISCHER BILDUNG

Eine Woche lang füllte das Attentat von München die vordersten Seiten der Boulevard-Presse. Allerdings geben Titel wie "Das Kind an meiner Hand, mein Gott, der Kopf war weg", "Blut, zerfetzte Körper, tote Kinder", "Zerrissen und fast nackt" samt den entsprechenden Bildern und Erfahrungsberichten wohl kaum Anlaß zu der geschmäcklerischen Kritik am "Geschäft mit dem Grauen", wie sie seitens der seriösen Presse geübt wird.

Erstens nämlich erzeugt die Sensationspresse keineswegs das vulgäre Interesse an der Begutachtung von Brutalitäten, sondern macht ihr Geschäft, weil sie darauf rechnet, daß der Bürger sich das "Grauenvolle" speziell von gesetzeswidrigen Taten und das "Böse" im Mensrhen auch mal an politischen Verbrechen und politischen Leichen vorführen läßt. Zweitens macht die seriöse Presse ihr Geschäft mit der Bildung ihrer Leser zum mündigen Bürger bezeichnenderweise dadurch, daß sie auf genau dieselbe weitverbreitete Ideologie spekuliert, von der auch die Boulevardpresse lebt:

"Mit 21 Jahren hat Gundolf Köhler auf eine schauerliche Weise durchgegriffen. Vielleicht wird man nie erfahren, warum." (Frankfurter Rundschau vom 30.9.80)

Nur ist es eben gleich etwas ganz anderes, wenn man, statt die "Untaten" eines "unbegreiflich schlechten Menschen" zu illustrieren, sich nach den "Motiven" fragt, die jemanden zu einer so "irrationalen" Tat veranlaßt haben mögen. Die Aufbereitung des Attentats zum Zweck der Bildung einer staatsbürgerlichen Meinung fußt auf dem demokratischen Glaubenssatz, daß die Ausübung ungesetzlicher Gewalt grundlos sei. Das Urteil über den Täter ist also für alle Demokraten dasselbe: Es handelt sich um die "Tat eines Walinsinnigen".

Die aufgeklärte Presse hält sich viel darauf zugute, dieses Urteil, das sich etwa in der Bildzeitung vergleichsweise "banal" ausnimmt, um das erforderliche tiefschürfende "psychosoziale Hintergrundwissen" anzureichern. Das Fazit: Der mutmaßliche Täter ist selbstverständlich "verklemmt" und deshalb der "Faszination des Neofaschismus erlegen".

Ist so die Grundfrage geklärt, daß die Parteinahme für ein Mehr an staatlicher Gewalt, wenn sie sich gegen den demokratischen Staat richtet, "nicht normal" ist, wird eine angestrengte Suche danach veranstaltet, was denn eigentlich den verrückten Faschisten, diesen "verklemmten Waffennarr" von dem Normalen unterscheidet. Dabei läßt sich erstens der Faschismus so charakterisieren, daß sich jeder anständige Deutsche getroffen fühlen muß:

"Die Ideen des Axel Heinzmann... - ein Gemisch aus kaum kaschiertem Rassismus und dumpfem Antikommunismus... Heinzmanns Männerbund kämpft gegen 'Homos' und 'Flintenweiber', gegen 'Polit-Miezen'und 'politsexualisierte Frauen'" (Spiegel, Nr. 41/80),

wenn er nur das "kämpft" gegen durch ein "ist" gegen ersetzt. Und zweitens stößt man auf das Faktum, daß ein Faschist keineswegs das personifizierte Böse ist, sondern sich nicht von dem braven Bürger unterscheidet, der weiß, daß Ordnung sein muß - und darüber kann man sich dann sehr wundern:

"Auch Volker Hesse, sein früherer Geschichtslehrer, stellt unmißverständlich fest: Köhler war wie viele andere Schüler völlig unauffällig. Er war in meinem Fach ganz ordentlich, und überhaupt ganz und gar nicht unsympathisch."

"Irgendwann wurden seine Verbindungen zur Wehrsportgruppe aktenkundig. Sonst aber lag nichts vor gegen den jungen Mann, der nach Auskunft seines Freundes Winter daheim gelegentlich Geige spielte, als Schüler mit dem Moped zum Fossiliensammeln gefahren war und sich überhaupt für Naturgeschichte und Heimatkunde interessierte." (Frankfurter Rundschau, 30.9.80)

Des weiteren eröffnet sich das weite Feld der Spekulation darüber, was der von inneren Nöten getriebene "introvertierte Knabe" wohl bezweckt haben mag. In der aufgeklärten Presse, die dem Kanzlerkandidaten Strauß den Faschismusverdacht auch gerne mal andersrum reinwürgt - Franz-Josef gehört die ungeteilte Sympathie der Neonazis - hat sich "der Gedanke" durchgesetzt,

"rechtsradikale Verschwörer hätten mit einem spektakulären Anschlag, der von der Bevölkerung linken Terroristen zugedacht würde, Strauß an die Macht bomben wollen... Möglich scheint, daß Gundolf Köhler das Denkmuster solcher Psychokrieger kopiert und ins Unfaßbare vergrößert hat, als er sich entschloß, nach München zu reisen." (Spiegel)

"Verrückt" lautet das Urteil der Presse über dieses angebliche Kalkül, das die politische Gegnerschaft des Faschisten zur Demokratie leugnet.