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Dieser Artikel ist in der MSZ 5-1980 erschienen.

Systematik

Frankreich
ESPRIT FRANCAIS

Am 3. Oktober explodierte vor einer Pariser Synagoge kurz vor dem Ende des Sabbatdienstes eine Bombe, die vier Passanten tötete, deren Ende in der französischen Presse als besonders "sinnlos" beklagt wurde, weil der Sprengsatz zweifellos den jüdischen Kirchgängern galt. Die "Verantwortung" übernahm tags darauf die verbotene faschistische Organisation "Fane".

Die Toten waren noch kaum geborgen und die Verletzten versorgt, schon geriet der Mordanschlag zum Requisit der üblichen Querelen französischer Innenpolitik:

  • Premierminister Raimond Barre appellierte an den Patriotismus der Franzosen, mit dem er seit Jahren sein Wirtschaftsprogramm durchsetzt und verlieh seinem "Entsetzen" über die Tat mit einer "unglücklichen Formulierung" Ausdruck, die ins Kreuzfeuer einer Öffentlichkeit geriet, die zwar genauso oder so ähnlich gedacht, es aber nicht so gesagt hatte. Er verurteilte den Anschlag als einen, "der gegen Juden gerichtet war und unschuldige Franzosen getroffen hat." (Spiegel)
  • Staatspräsident Giscard d'Estaing distanzierte sich im Fernsehen vom "Antisemitismus", vermied aber jedes Abweichen von der französischen Außenpolitik und unterließ so ein warmes Wort für Israel, was die
  • Jüdische Gemeinde als einen Affront auffaßte, die ihrerseits mit den Leichen "unschuldiger Franzosen" für eine anti-arabische Politik warb und indirekt der Öleinkaufspolitik des Staates Schuld am Massaker zuschob.

- KPF, PS und die beiden großen Gewerkschaften CGT und CFDT nutzten die Gelegenheit im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen, den traditionellen Antifaschismus ihrer Gefolgschaft und diese zu einer Großdemonstration gegen die Regierung zu mobilisieren, die in ihrer Polizei Rechtsradikale duldet.

Der Appell an die Staatsgewalt, nach dem Rechten zu sehen, war so allgemein, daß die Regierung überlegt, ob sie nicht ihren Innenminister opfern soll, und die antifaschistischen Gegner der Mehrheitsparteien im Bündnis mit jüdischen Vereinigungen Erklärungen abgaben, in denen gefordert wird, den Faschisten, die sich gegen die Tradition der Grande Nation vergehen etwas faschistischen Zunder zu geben, so die Gruppe "Jüdische Erneuerung":

"Wir können nicht hinnehmen, daß einzelne Geisteskranke, Hitlerfans und Kriminelle frei rumlaufen können." (Le Monde vom 30.9.80)

Die allgemeine Kritik der Bürger am Staat, er versage oder kollaboriere sogar mit den Faschisten, und darüber hinaus sogar die Drohung, ihm ein Stück Arbeit abzunehmen

- jüdische Gruppen planen eigene Schutzstaffeln aufzustellen und eine hat auch schon mit einem Gegenattentat zugeschlagen - haben die Regierung bewogen, den Verdacht gegen sie demonstrativ - zu entkräften: Staatsbegräbnis für die Opfer, das staatliche Fernsehen brachte am 4. Oktober ausschließlich Sendungen über Antisemitismus, die Resistance u.a. Ferner wurden 30 Polizeibeamte vom Dienst suspendiert und der Innenminister konnte nachweisen, daß nur "0,02%" der Ordnungsdiener Faschisten seien. Die Opposition bezweifelt diese Zahlen mit dem bezeichnenden Argument, es sei "schwer nachzuweisen", wer Mitglied einer Nazitruppe in seiner Freizeit sei, womit sie richtig liegt, denn eine aufrechte faschistische Gesinnung ist für den schweren Beruf eines zuschlagenden Organs der Staatsgewalt gut und nicht schlecht.

Immerhin ist es so gelungen, die Opfer faschistischer Gewalt zum Anlaß für eine Diskussion über Aufgaben, Pflichten und die richtige personelle Besetzung der Staatsgewalt zu machen und die Frage, wieso mitten in einer blendend funktionierenden Demokratie, noch dazu im Entdeckerland von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Leute auf die Idee kommen, mit ihrer Freiheit Ernst zu machen, gegen die Ungleichheit im Namen der verschworenen Bruderschaft aller Franzosen Leute umzubringen, in das alte Intellektuellenproblem des Antisemitismus einmünden zu lassen. Antisemitismus aber, so zitiert der "Spiegel" den

"jüdischen Soziologen und Publizisten Raymond Aron, wuchert in Frankreich seit mindestens tausend Jahren."

Wer könnte da noch auf den Gedanken verfallen, daß die 160 faschistischen Anschläge in Frankreich zwischen 1977 und 1980 anderswo ihren Grund haben könnten, als in einer, wenn auch skandalösen Marotte des esprit francais?

Seminarfaschismus

Die französische "Nouvelle Droite" (Neue Rechte) hat den Pariser Bombenanschlag gleich im Namen der Lehre begrüßt, die aus ihm zu ziehen sei: Das französische Volk (!) hat sich (!) dort seiner (!) eigentlichen Stärke beraubt (!), weil (!) es schwächlich herumlungerte und einem "lebhaften Bourgeoismus" frönte, der

"das häßlichste und heimtückischste Gerücht des Totalitarismus (ist), nämlich jenes, welches allen Völkern der Welt ihre Seele nimmt..." ("Le Monde" 8.10.80)

Diese durch und durch gewöhnliche faschistische Kritik an den Mitgliedern einer entseelten

"Warengesellschaft" (die) "nurmehr den Komm derselben Fernsehserien made in USA, derselben Schlager, derselben industrialisierten Getränke gemeinsam (hat)..." "(und) jegliches Gefühl nationaler Zugehörigkeit entwurzelt.",

bezieht ihre bis an die Grenzen unverständlichen Blödsinns vorangetriebene intellektuelle Brillanz aus der großartigen theoretischen Unbefangenheit, mit der die Denker der Nouvelle Droite gegen den

"durch Assimilation an ein universelles Kulturmodell berbeigeführten kollektiven Tod"

ankämpfen. Durch ihren öden Verschnitt des Reaktionärsten, was sie dem "Marxisten Gramsci so gut wie Hegel, Ernst Bloch so gut wie Arnold Gehlen" ("Süddeutsche Zeitung") ablauschen konnten, glauben sie, "erfolgreich der weltweiten Standardisierung entkommen" ("Le Monde") zu sein. Doch wohl nicht ganz zu recht! In den Schriften des Kuratoriumsmitglieds ihres Vereins, Konrad Lorenz, hätten sie immerhin die Warnung finden können, daß vom Denken her, das alles frißt, eine "Verhausschweinung des Menschen" droht, die das "Wesen" unserer "Art" gefährdet.

Daß sie ihr "Leuchtkraft und Vitalität" der "nationalen Identität" beschwörendes Denken gleichwohl nicht in den selbstlosen Dienst einer politischen Bewegung zur Rettung der "Volksgemeinschaft" stellen, sondern sich als philosophierende Faschisten gefallen, die das Bombenwerfen auf Juden auch im Interesse von deren auf "geistige und physische Integrität" abgestellte "Gemeinschaft" verurteilen und damit ihren eigenen Rassismus tolerant heraushängen lassen, zeigt nicht nur, daß der existierende französische Staat den terroristischen Träumen seiner geistigen Elite (und seiner Bürger) genügt, sondern auch umgekehrt, daß e r mit ihnen im schönsten inneren Frieden lebt.

Auch das ist eine Lehre aus der "Saat der Gewalt", allerdings keine "Mahnung an die Lebenden", sondern ihre Kritik.