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Wahl,
Höhepunkt im Leben des freien und mündigen demokratischen Staatsbürgers. Nie im Leben wird er gefragt, alles entscheiden andere - hier aber ist seine Stimme gefragt. In der Wahl entscheiden nicht die oberen Zehntausend, sondern die Millionen des Volkes. Von ihnen hängt es ab, wer über sie regiert. Auf die Wahlfreiheit kommt es an mit dem Resultat, daß die Machthaber die legitime Freiheit haben, ihre Macht auszuüben. Höhepunkt der Selbstbestimmung des Volkes. Ganz frei, gleich und geheim gibt es mit einem einfachen Kreuz seine Gewalt an die Staatsmacht ab, von der sie dann allein ausgeht. Indiz für die Reife des Volkes, da es zahlreich wählen geht und Extremisten eine Abfuhr erteilt. Sternstunde des freien Bürgers, der mit der Regierung nicht zufrieden ist. Er wählt die Opposition und hat es soweit sich noch genug andere Bürger derselben Meinung finden - der ersten gegeben. Spannender Augenblick im Alltag des Bürgers. Schon vorher befragt oder eingeschätzt, welcher Trend in ihm hause, kann er am Wahltag um 19 Uhr feststellen, was er bewegt hat: Die neue/alte Regierung - wenn die Parteien zu ihrer Koalitionsaussage stehen - heißt...
Wahl,
von den Politikern vielgepriesene, aber doch für sie irgendwo unangenehme Bedingung demokratischer Herrschaft. Während das Volk noch aus jeder Wahl siegreich hervorgeht, können Politiker eine Wahl verlieren. Für sie heißt die leidige Alternative Regierung oder Opposition. Eine Last: Kaum sind sie gewählt, müssen sie schon wieder und die ganzen vier Jahre hindurch an die nächste Wahl denken, worunter die so geordnete Macht über das Volk aber keineswegs leidet. Die einen behaupten, daß die Bürger draußen im Lande der miesen Politik des politischen Konkurrenten die Quittung verabreichen werden; die anderen behaupten, daß die Menschen in den Dörfern und Städten dieselbe Politik zu würdigen wissen. Die Wahl macht den Wahlkampf notwendig. In ihm wird um Volkes Stimme gekämpft. Entsprechend gestaltet sich diese Werbung: Alles, was Stimmen einbringt, ist erlaubt, schließlich ist die demokratische Wahl der Höhepunkt des mündigen Staatsbürgers und ein Signum "unserer" Freiheit.
Wahl 1980
ein Volksentscheid, der sich einiger überflüssiger demokratischer Zutaten entledigt hat: Keine sog. "Sachfragen", keine sog. "Wahlgeschenke" mehr, Wahlprogramme unwichtig - versprechen will niemand keinem etwas. Zur Entscheidung stehen zwei "Sicherheitsrisiken", zwei des Friedens willige, aber für die Friedenssicherung "unfähige" Figuren. Die Alternative ist, zwischen diesen beiden Typen deren Wählerstimmen gewinnende Frage "Wollt ihr möglichst Frieden?" mit "Ja!" zu beantworten. Höhepunkt demokratischer Souveränität des Staates. Über 80% Volk wählen den Frieden, und die Regierung sieht dann zu, was sie im Namen des Volkes für die nationale Interesse tun will.
DIE 10 GEBOTE DER FRIEDENSWAHL
I
Du sollst den Frieden lieben und beherzigen, daß Frieden und Freiheit die höchsten Güter sind, neben denen Du und Dein irdisches Wohlergehen null und nichtig zu sein haben. Bedenke also, was Dir deine Wahlkandidaten, weil sie gewählt werden wollen, offen und ehrlich sagen, daß Du nämlich keinen unmöglichen, überheblichen und über die Grenzen der Staatsfinanzen hinausgehenden Göttern anhangen sollst:
"Wir sind den Bürgern gegenüber ehrlich und sagen:
Daß nicht alles Wünschenswerte möglich ist
daß nicht alles anscheinend Mögliche in der Gegenwart bis zur letzten Grenze ausgeschöpft werden darf
daß es auf Erden keine Vollkommenheit gibt, weder der Gleichheit noch der Gerechtigkeit, noch des Glücks; schon jetzt wird aus gutem Grund der Zweifel immer lauter, ob alles das, was zum Teil mit Vorgriff auf die Zukunft und unter immer stärkeren Belastungen kommender Generationen erreicht worden ist, überhaupt von Bestand sein kann - daß nicht in einer Generation verwirklicht werden kann, wofür man früher ein Jahrhundert brauchte, daß nicht in wenigen Jahren erreicht werden kann, wofür man früher Jahrzehnte oder eine Generation brauchte..." (Wahlprogramm der Union)
"Aber niemand kann vorhersagen, wie sich die Lage in der Welt und die Weltwirtschaft im nächsten Jahrzehnt verändern werden. Deshalb ist selbstverständlich, daß alle unsere politischen Vorhaben in die jeweilige ökonomische Gesamtlage besonders in die Lage der Staatsfinanzen - eingepaßt werden müssen." (Wahlprogramm der SPD)
"Jenseits von Frieden gibt es keine sinnvolle menschliche Existenz." (ibid)
II
Du sollst mit den höchsten menschlichen Gütern, die da sind Frieden und Freiheit, nicht falsch umgehen. Du sollst das Anliegen der Politiker, die darauf spekulieren, daß noch jedem in Anbetracht der Alternative Krieg der Frieden lieb ist, nicht ins Gegenteil verkehren. Du darfst die Begriffe Frieden und Freiheit nicht falsch gegeneinander ausspielen und sagen: Hauptsache, es wird nicht wieder gebombt und geschossen, was juckt mich da die Freiheit? Halt Dich wieder an die Politiker, die die Formel 'lieber rot als tot' ablehnen und die von Dir falsch benutzten Begriffe richtig gegeneinander ausspielen: Frieden ja, aber nicht um den Preis der Freiheit. Sieh ein, wie recht sie haben. Stell Dir doch nur vor, Du würdest zwar weiter leben, aber von deinem demokratischen Grundrecht, Deine Politiker zu wählen, nicht mehr Gebrauch machen können. Das wär doch kein Leben. Du sollst demnach den so ungemein einleuchtend klingenden Spruch der Sozialdemokraten auch so lesen: "Jenseits von Freiheit gibt es keine sinnvolle menschliche Existenz." Wenn Du so klug bist, zu bemerken, daß es folglich jenseits von Frieden doch eine sinnvolle menschliche Existenz gibt, hast Du die Sache richtig verstanden. Aber damit brauchst Du Dich erst eingehend zu beschäftigen, wenn es soweit ist.
III
Du sollst Dir die Wahlwerbung mit der Garantie der "Friedenssicherung" nicht so zu Herzen nehmen, daß Du die Alternative Krieg und Frieden ernsthaft und mit allen ungesunden Konsequenzen reflektierst. Auch echte "Kriegsangst" sollst Du nicht in Dir aufkommen lassen. Verlangt wird von Dir, daß Du ganz normal Deiner Beschäftigung nachgehst und im Oktober den wählst, der Dir in dem, was er zur Friedenssicherung sagt, am meisten zusagt. Bedenke, daß die Politiker Dein Vertrauen verdienen. Sie sind die einzigen, die über Dein Schicksal entscheiden können und dürfen, indem sie ihre Macht gebrauchen, die Du ihnen überläßt. Also überlaß ihnen gefälligst auch alles vertrauensvoll. Vergiß nicht die schwere Bürde, die sie damit verantwortungsvoll zu tragen haben, und danke es ihnen, indem Du im Oktober zahlreich zur Wahl gehst und Deine heilige Pflicht als mündiger Staatsbürger erfüllst. So machst Du ihnen die Entscheidung über Krieg und Frieden leichter.
IV
Frage nicht selbstsüchtig, was Dir die zur Wahl stehenden Kandidaten zu bieten haben. Beurteile sie nach ihrem Charakter, aber nicht nach Deinen Alltagsvorstellungen von einem anständigen Menschen. Politiker, die auf die Macht scharf sind und dafür auf Stimmenfang gehen, müssen so sein. Wer in der Wahl der an sich unlauteren, bei Politikern aber erlaubten Mittel am skrupellosesten und erfolgreichsten ist, den darfst Du sympathisch finden und sollst Du wählen. Wenn Dir die blitzende Zahnreihe unter der Lotsenmütze des Kanzlers mehr zusagt als der formschöne Unionskopf von Strauß oder das liberal geprägte Gesicht zwischen zwei Ohren des Genschers, darfst Du diese Geschmackskriterium getrost anwenden. Es ist Dir auch erlaubt, die Wahlkampffiguren vom Standpunkt der Frau aus - Wärme, Männlichkeit und so - zu betrachten. Wenn derartige Kriterien zu Stimmen führen, schadet das der Staatsmacht keineswegs, im Gegenteil.
V
Schenke den Politikern unbedingt Glauben, wenn sie versichern, sich für die Erhaltung des Friedens aufzureiben und verkünden: "Vom deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen." Sei stolz auf das Kunststück der deutschen Politiker, aus der BRD wieder eine Großmacht gemacht zu haben, ohne irgendwelche ökonomischen oder politischen Erpressungen gegen andere Staaten anzuwenden. Sieh ein, daß der junge deutsche Imperialismus nie einen Kriegsgrund geschaffen hat und die gegenwärtigen Aufrüstungsanstrengungen 'leider' notwendige Maßnahmen sind, weil die expansive Machtpolitik der Russen die friedliebende Sicherheitspolitik des Westens und Deine Freiheit bedroht. Nimm das Argument ernst, daß nur ausländische Staaten schuld sind, wenn sich die Krise zuspitzt, und bewahre deshalb den Glauben, daß die Bundeswehr nur für den Frieden da ist, also eigentlich gar kein Instrument zum Töten und Zerstören darstellt. Es sei denn, der Westen wird dazu gezwungen. Merke: Ob das Gebot "Du sollst nicht töten!" gilt, entscheidet der Staat.
VI
Sei fruchtbar und mehre Dich, damit die Deutschen nicht aussterben. Ein abgetriebenes Volk ist unfähig, seine nationalen Aufgaben zu erfüllen: Wer schafft den Reichtum und stellt, wenn's sein muß, die Soldaten? Sieh es nicht als Widerspruch an, wenn Verantwortliche in Staat und Kirche den Schutz ungeborenen Lebens fordern und gleichzeitig ein Lob auf die Bundeswehr aussprechen. Die Wehrpflicht von Frauen darfst Du heute noch ablehnen.
VII
Berücksichtige das Wort des Kanzlers: "Den Nutzen des Volkes mehren und Schaden von ihm abwenden..." Du sollst fleißig arbeiten, keine Ansprüche stellen, nur konstruktive Kritik führen, Dir alles gefallen lassen und den Kanzler wählen, damit der dann auf dieser Grundlage den Nutzen des Volkes mehren kann. Und Du sollst für den Frieden sein und seine Sicherung ganz in die Hände der Politiker legen, damit Helmut Schmidt entscheiden kann, wann das Volk anzutreten hat, um Schaden von ihm abzuwehren.
VIII
Erschrick nicht vor den Lügen und der Heuchelei der Politiker. Deine eigenen moralischen Maßstäbe darfst Du nicht anwenden auf die auserlesenen Figuren der Herrschaft. Für sie gilt die Volksweisheit "Lügen haben kurze Beine" nicht; denn es sind gerechte und erfolgreiche Mittel der Politiker, Karriere zu machen, gewählt zu werden, an die Macht zu kommen. Wähl den, der Dir auf diesem Gebiet der cleverste erscheint.
IX
Begehre nichts anderes, als durch Deine Stimmabgabe auf die Politik in Bonn Einfluß zu nehmen. Deine Volksvertreter werden sie als Deine unbedingte Zustimmung zu würdigen wissen. Alle anderen - insbesondere praktischen - Äußerungen Deines Interesses sind ihnen zuwider. Laß nie den sündigen Gedanken in Dir aufkommen, den Politikern durch die Nicht-Teilnahme an der Wahl bedeuten zu wollen, daß sie Dich am Arsch lecken können.
X
Tu Deine staatsbürgerliche Pflicht und überlaß den Politikern, was ihnen gehört: die freie und durch Dich unbehelligte Handhabung der Macht über Land und Leute. Laß sie Deine Zukunft sichern, sie wird sicher eintreffen. Wähl Schmidt oder Strauß, also den Frieden, und warte der Dinge, die sie beschließen, daß sie kommen sollen.