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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

Systematik

Lome II
WIE DAS ÜBERLEBEN GESICHERT WIRD

"Die neue Lome-Konvention ist, wie bereits ihre Vorgängerin, das bisher einzige Modell in der Welt, das in der Nord-Süd-Auseinandersetzung einen Schritt weiter geht. Sie stellt die Beziehungen zwischen 'Armen und Reichen' erstmalig auf eine Rechtsgrundlage, mit Rechten und Pflichten und mit einem Anspruch auf Leistung."

Auszug aus dem Warenkatalog der AKP-Staaten:

  • Holz, vierseitig oder zweiseitig grob zugerichtet, aber nicht weiter verarbeitet
  • Ziegen- und Zickelleder
  • Wolle, weder gekrempelt noch gekämmt
  • feine Angoraziegenhaare
  • Gummi Arabicum
  • Pyrethrum (Blüten, Blätter, Wurzeln, Stile) sowie Säfte und Auszüge vor Pyrethrum
  • aetherische, nicht terpenfrei gemachte Öle von Gewürznelken, Niaouli und Ylang-Ylang
  • Kaschunüsse und Kaschukerne... (Art. 25)

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Da geben sie her, die 58 AKP- (Afrika-Pazifik-Karibik-) Staaten, und setzen die EG-Staaten mächtig unter Druck. Während die Entwicklungsländer nämlich mit einem Bündel detaillierter Forderungen aufwarten können, weiß die EG gar nicht so recht, was sie von den AKPlern eigentlich verlangen soll:

"Von der Ausgangslage her war es unvermeidlich, daß die EG praktisch während der ganzen Verhandlungen in der Defensive blieb, da sie nur wenig eigene Einzelforderungen vorzubringen hatte und dort, wo dies der Fall war,... nur recht zögernd und halbherzig vorging. Die Hauptfrage in der Verbandlung war deshalb für die EG, welche Forderungen der AKP-Staaten in welcher Form und in welchem Umfang angesichts ihrer eigenen Grenzen und Möglichkeiten akzeptabel waren." (Seite 82. Alle Zitate aus: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungspolitik. Materialien Nr. 66, Bonn, Mai 1980) Das Resultat ist dann auch dementsprechend: Die AKP-Staaten kriegen so gut wie alles zugestanden, ohne dafür selbst Zugeständnisse machen zu müssen - bis auf eine (vielleicht noch wichtige?) Ausnahme:

"Die freie Einfuhr praktisch aller AKP-Waren in den Gemeinsamen Markt bleibt erhalten, die Zugeständnisse auf dem Agrarsektor wurden zum Teil verbessert. Nunmehr sind 99,3% der Ausfuhren der AKP-Staaten von allen Zöllen, Abgaben gleicher Wirkung und mengenmäßigen Beschränkung befreit. Die Anwendungsmöglichkeiten der Schutzklausel wurden weiter eingeengt, so daß sie nur noch in ganz außergewöhnlichen Fällen angewandt werden kann. Die Gemeinschaft verlangt von den AKP-Staaten keine Gegenpräferenzen, sondern lediglich die Meistbegünstigung im Verhältnis zu dritten Industriestaaten." (S. 83)

Wie aber verträgt es sich dann damit, daß die zu allen Zugeständnissen bereite EG die Verhandlungen fast platzen ließ, daß sie schließlich sehr diktatorisch das Verhandlungsende festlegte (woraufhin der - beleidigte "AKP-Vorsitzende, Michel Anchouey, es ablehnte an der anschließenden Pressekonferenz teilzunehmen" - welch ein Affront!), und zuguterletzt den Gastgeber in eine gemeine Klemme brachte:

Nur widerwillig akzeptierten sie (AKP) die schließlich in verwässerter Form vorliegenden Bestimmungen, nachdem der Präsident von Togo, General..., seine Kollegen ausdrücklich daran erinnert hatte, daß an die 40.000 Bürger von Lome angetreten waren, um das neue EG-AKP-Abkommen zu bejubeln, und daß es nicht in Frage kommen könnte, das Abkommen scheitern zu lassen." (S. 92)

(Bekanntlich haben die EG-Außenminister hinterher ein heißes Dankesschreiben an die Bürger von Lome gerichtet!) Da merkt ja jeder - spätestens an diesen "Formalia" -, wer da von wem in Abhängigkeit sich befindet, daß die AKP-Staaten noch so viel fordern können, die EG-Staaten noch so sehr in der "Defensive" sich befinden und noch so viel "Zugeständnisse" machen können - das Zepter in dieser Angelegenheit schwingen die "entwickelten" Staaten:"

"...wird den AKP-Ländern ihre Rolle als Empfänger verhaßt sein... Die AKP-Staaten wissen, daß sie auf den Zugang zu den EG-Märkten, auf den Transfer von Technologie und Know-how, auf Investitionsmittel und finanziell und technische Hilfe angewiesen sind. Sie akzeptieren, wenn auch widerwillig, ihre relative Unterlegenheit im Verhältnisse zw EG, Aber sie möchten, daß die Neun umumwunden anerkennen, daß das Verhältnis auf Geben und Nehmen beruht." (S. 94)

Das kriegen sie noch jedesmal anerkannt, denn um ein Verhältnis von Geben und Nehmen dreht es sich auf jeden Fall. Die Frage ist bloß, wer gibt und wer nimmt? Gib jemandem, der verzweifelt auf den Verkauf seiner Waren bei dir angewiesen ist (Gummi arabicum, feine Angoraziegenhaare!!), bessere Möglichkeiten des Verkaufs - und du kannst dir sicher sein, daß er in Zukunft noch verzweifelter sein Zeug dir andienem muß! Anders: hat man es schon jemals in einem normalen Handelsvertrag erlebt, daß der eine Partner nur Geschenke macht (wie noch zu erläutern, "schenken" die EG-Staaten doch glatt über 14 Mrd. DM her, zusätzlich zu den schon erwähnten Zollbefreiungen), während der andere nur Vorteile erringt? So ein Handelsvertrag wird deswegen nicht geschlossen, weil der, der so eindeutige Vorteile herausschlägt, normalerweise die Bedingungen diktieren kann, also auch keinen Handelsvertrag braucht. Hier aber ist der Mächtige der Spendable - was nur heißen kann, daß der Unterlegene schon alles gegeben hat, daß es also darauf ankommt, ihn als Gebenden zu erhalten: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft!

Wer ist hier von wem abhängig?

Der gem gegebene Hinweis auf den Vorteil, den die EG aus diesen Ländern zöge, lautet: "Die AKP-Staaten bieten der EG dynamische Märkte für ihre Exporte..." (S. 94) "Denn wer exportieren will und muß wie die EG, muß importieren, um den Partnern zu ermöglichen, die nötigen Devisen für steigende Bezüge zu verdienen... Auf kurze wie auf lange Sicht gesehen, liegen hier also wichtige Märkte, und ihre Pflege ist im gegenseitigen Interesse." (S. 83)

Mal abgesehen davon, daß das schöne Gleichgewicht von Exportieren und Importieren so doch wohl nicht hinhauen kann - wozu denn der Umweg, erst möglichst viel zu exportieren, um dann denselben Betrag zu importieren und umgekehrt?, da kann man doch gleich daheim bleiben! -, ist diese Beteuerung von der Wichtigkeit der AKP-Märkte wohl mehr komisch: Was soll man diesen Kafferstaaten denn schon groß verkaufen können? Die leben doch im wesentlichen von dem, was sie exportieren, jede exportierte Tonne Erdnüsse ist doch Abzug am Konsum der Massen dort; und wenn sie dann dafür eine Maschine kaufen, werden sie wohl kaum satt werden davon. Diese Staaten sind so arm, daß sie ganz dringend auf die Finanzzuweisungen der EG angewiesen sind -

"Gemessen an dem Finanzbedarf der AKP-Länder ist der Europäische Entwicklungsfonds sicherlich unzureichend, allerdings nimmt er in vielen Ländern unter den tatsächlich mobilisierbaren Finanzmitteln einen wichtigen Platz ein." (S. 9) -,

und ihre Forderungen an die EG sind also der dringende Hilferuf nach einem Strohhalm - mit dem man sie, ihn gewährend, noch jedesmal im Sack hat. Die Kaufkraft dieser Länder (58 an der Zahl) besteht also zu einem Gutteil aus den 14 Mrd., die man ihnen zukommen läßt.

Schon etwas näher an die Wahrheit als dieses so scheinbar materialistische Argument vom Eigeninteresse, das in Wirklichkeit doch nur die konkrete Form der Abhängigkeit vernebelt, ist folgende Aussage:

"Die AKP-Staaten sind für Europa eine entscheidend wichtige Quelle für Nahrungsmittel und Rohstoffe." (S. 94)

Die entscheidende Lüge in diesem Zitat ist das "entscheidend", wird doch damit nochmal der Versuch gemacht, eine auch umgekehrte Abhängigkeit zu konstruieren (wie heißt der gewöhnliche ideologische Ausdruck? "Weltweite Interdependenz"!).

Doch seit wann sind wir hierzulande von Kaschunüssen und Pyrethrum abhängig, für manche der ausführenden Länder wiederum ihre einzige Erwerbsquelle? In der Liste der AKP-Staaten ist eine ganze Reihe von sogenannten "besonders armen Ländem" aufgeführt, die von der EG schlicht und einfach ausgehalten werden; sie haben nur Schrott anzubieten und nicht einmal eigenes Geld kann man in irgendeiner gewinnbringenden Produktion bei ihnen anlegen:

"Da die AKP-Staaten zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, sind Bankmittel in ihnen nur schwer oder gar nicht unterzubringen." (S. 83)

Daran wird deutlich, daß der entscheidende Zweck dieses Vertrags darin liegt, diese Länder überhaupt n die G anzubinden, was ziemlich leicht ist, da sie eben nur darin ihre Existenz fristen können. Dann kommt hinzu, daß auch einige durchaus interessante Rohstoffe bei ihnen anzutreffen sind, deren man sich gerne versichert, wie z.B. Öl und Bergbauprodukte.

Daß die EG von der Zufuhr solcher Rohstoffe abgeschnitten würde, weil die jeweiligen Lieferländer sich weigern könnten, entpuppt sich sehr schnell als irrige Vorstellung. Man betrachte nur, wie selbstverständlich mit Katastrophen in diesen Ländern gerechnet wird, die sofort ihre Existenz in Frage stellen - wie sollen sie da etwas verweigern?:

"Für die meisten AKP-Staaten ist die Ausfuhr tropischer Agrarprodukte lebenswichtig. Ausfälle bei diesen Erlösen als Folge schlechter Ernten oder ungünstiger Marktentwicklungen treffen ihren Lebensnerv." (S. 84) -,

wie diese Länder untereinander konkurrieren (müssen) -

"Sie mußten sich sehr anstrengen, um auch nur ein Mindestmaß an Solidarität zu wahren.... Mißtrauen zwischen anglophonen und frankophonen afrikanischen Ländern... K+P-Länder fürchteten rein zahlenmäßige Überlegenheit der Afrikaner... Die afrikanischen Staaten waren zudem noch nach regionalen Gesichtspunkten gespalten." (S. 90) -;

wie unglaublich billig schließlich der EG die ganze Veranstaltung kommt:

"Dieser Gesamtbetrag von 5,6 Mrd. ERE (Europäische Rechnungseinheit = 14 Mrd. DM) ist eine erhebliche und ehrliche Anstrengung der Mitgliedstaaten. Andererseits wenden die EG und ihre Mitgliedstaaten insgesamt nicht mehr als 0,45% ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungsleistungen auf, womit sie weit hinter den Bedürfnissen und dem bereits vor Jahren angestrebten Zielsatz von 0,7% zurückbleiben." (S. 83)

Ein schönes Dilemma

Die Festlegung des schon längst bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses, die politische und ökonomische Eingliederung der AKP-Staaten in den Machtbereich der EG, ist also der eigentliche Zweck eines solchen Vertragswerkes. Die wirklichen Konflikte sind denn auch nicht die zwischen EG-Staaten und AKP-Ländern, sondern ergeben sich (bzw. liegen zugrunde) aus der derart neu gestalteten Position der EG auf dem Weltmarkt, d.h. ihrer Stellung zu den USA und Japan, und aus der Konkurrenz der EG-Staaten untereinander. Die AKP-Staaten sind also nur ein Mittel, um sich - ihre Zugehörigkeit zur EG gesichert - gegen die USA und Japan in der Konkurrenz um möglichst billigen Rohstoffbezug und Sicherung politischen Einflusses durchzusetzen -

"Die Gemeinschaft verlangt von den AKP-Staaten keine Gegenpräferenzen, sondern lediglich die Meistbegünstigung im Verhältnis zu dritten Industriestaaten."

Sie sind damit weiterhin ein Mittel, das nun allen EG-Staaten gleichermaßen zur Verfügung steht, also auch bisherige Konkurrenzpositionen zwischen ihnen neu gestalten hilft. Letzteres ist bedeutsam für das Verhältnis zwischen den drei EG-Hauptmächten BRD, Frankreich und Großbritannien: Die ehemaligen Kolonialmächte sehen sich gezwungen, um des gemeinsamen EG-Vorteils willen ihre bisherigen privilegierten Zugriffsmöglichkeiten auf einige (insbesondere schwarzafrikanische) Staaten der Gemeinschaft als ganzer zur Verfügung zu stellen, wohinter natürlich ein gelinder politischer und ökonomischer Druck der BRD steht, und was ein Land wie Frankreich in ein schönes Dilemma stürzt:

"Insbesondere Frankreich drängte seine Partner, die Lasten für die Entwicklung seiner Kolonialgebiete solidarisch mitzutragen... In Frankreich fragt man sich zuweilen, ob nicht die Lome-Kooperation seiner privilegierten Zusammenarbeit mit den französischsprachigen Staaten hinderlich sei.. Insofern ist es weniger erstauntich, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, daß die BRD heute das ungetrübteste Verhältnis zu der Lome-Politik hat... Da hier die Bilanz sehr positiv ist, die Marktöffnungspolitik der EG-AKP-Zusammenarbeit in ihr (der BRD) globales wirtschaftliches Konzept paßt, die Verknüpfung handelspolitischer und entwicklungspolitischer Maßnahmen begrüßenswert ist und diese Form vertraglicher Zusammenarbeit den Wünschen der Entwicklungsländer entgegenkommt, geriet sie bisweilen fast in die Position, ihren EG-Partnern den Wert der Lome-Politik verdeutlichen zu müssen." (S. 10)

Ex und hopp

Da dieser modellhafte "Handelsvertrag" nichts mit einem schwunghaften Handel zu tun hat, beschäftigt sich der Großteil seiner Paragraphen mit der Frage, wie man die Anbindung der AKP-Staaten an die EG und die dafür nötigen "Transfers" möglichst effizient gestalten kann. Neben der laufenden "Hilfe", die die kapitalistischen Staaten den Entwicklungsländern in Form der Entwicklungshilfe zukommen lassen - deutlicher Ausdruck dessen, daß jene Länder ganz unabhängig vom Handel schlicht und einfach ausgehalten werden müssen, soll ihre weitere Auspowerung möglich sein -, bietet das Lome-Abkommen einige zusätzliche Möglichkeiten der Alimentierung und direkten Subventionierung, greift schließlich - z.B. in Form der "Beratung in landwirtschaftlichen Fragen" - direkt in das dortige Wirtschaftsleben ein.

Stabex: Subventionen für sinkende Preise

"Damit ist auch für die Laufzeit der neuen Konvention ein Minimum an Sicherheit für die Länder der Dritten Welt geschaffen, die ja in einer großen Unsicherheit leben. Das Stabex-System wirkt wie eine Art Sozialversicherung und verhindert brüske Ausfälle im Volkseinkommen. Die für den Stabex-Fonds zur Verfügung stehenden Mittel wurden auf 1375 Mill. DM erhöht." (S. 84 f.)

Der schöne Hinweis, daß hier eine ganze Ländergruppe eine "Sozialversicherung" für regelmäßig eintretende Notfälle braucht und daß die hierfür notwendige Summe etwa der Investition entspricht, die ein Automobilunternehmen bei der Eröffnung eines Zweigwerks aufbringen muß, macht kein Geheimnis daraus, daß so das Elend ganzer Landstriche funktional erhalten werden soll. Auch über den Grund des Elends kann es keinen Irrtum geben: Wenn man den AKP-Staaten eine Stabilisierung ihrer Exporterlöse "zugesteht", dann heißt das nichts anderes als daß diese Exporterlöse dauernd sinken - was die AKPler noch jedesmal an den Rand des völligen Ruins bringt. Die seltsamen Waren, die sie auf den Weltmarkt werfen, haben die gar nicht seltsame Eigenschaft, ständig im Preis zu sinken:

  • Der Erlös ist völlig abhängig von der Nachfrage der EG-Staaten danach; und das bedeutet, daß die Industrie- (hier EG-) Staaten eine Käufermacht ausüben und den Import der meisten Güter beliebig einstellen bzw. ein zu teures Gut irgendwo anders billiger kaufen oder einfach durch ein anderes substituieren können.
  • Die Antwort der AKP-Staaten auf diese Gefährdung ihrer Exporterlöse besteht in vermehrter Produktion, was nur wieder die Preise senkt.
  • Und schließlich steht der eigene farbige Bruder schon immer bereit, um durch ein niedrigeres Angebot den Markt immer weiter "zu verderben".

Der Mechanismus des Stabex-Systems ist im Prinzip sehr einfach - geht es doch nur darum, den Entwicklungsländern grad soviel Geld zukommen zu lassen, wie sie fürs Überleben brauchen, und die Exporterlöse zum Indikator dafür zu machen -, in der praktischen Durchführung aber ist er wundersam ausgestaltet. Sinkt für ein Land in einem bestimmten Zeitraum der Preis seines Exportprodukts um 6,5% ("Auslöseschwelle"), so kann es nach "Stabilisierung" verlangen. Dafür stehen von den erwähnten 1375 Mill. DM pro Jahr 1/5 zur Verfügung (die Laufzeit des Lome-Abkommens ist 5 Jahre); dieser Betrag wird nun aber nicht einfach so hergeschenkt, sondern sollte tatsächlich der - allerdings eher unwahrscheinliche - Fall eintreten, daß die Preise wieder anziehen, so hat das betroffene Land den erhaltenen "Stabilisierungs"-Betrag wieder zurückzuzahlen. Damit ist klipp und klar gesagt, daß dieses Geld nicht zur Bereicherung der AKP-Staaten gedacht ist, sondern den EG-Staaten mit gleichbleibend fallenden Preisen einigermaßen funktionstüchtige Zulieferer erhalten soll. Die Alimentierung erschöpft sich also nicht in simplen Almosen, sondern wacht auch sorgfältigst darüber, daß der ausgeschüttete Betrag ja nicht zu hoch wird. Bei den "besonders armen Ländern" ist solche Verschwendung nicht zu befürchten, weswegen ihre "Auslöseschwelle" auf 2% festgesetzt ist und sie die Zahlungen auch nicht zurückerstatten müssen, selbst wenn es ihnen einmal "besser" gehen sollte.

Damit auch noch die letzte Möglichkeit hinterlistiger Ausnutzung verbaut ist, behält sich die EG natürlich eine Schutzklausel vor: Schafft ein Land mit seinen Rohstoffverkäufen sich tatsächlich die Basis, ein auch in der EG konkurrenzfähiges Produkt herzustellen, dann gibt es dafür die sogenannten "empfindlichen Bereiche" in der EG, die kategorisch nach einem Importverbot verlangen. Nach ein paar "ernsthaften Beratungen" können sich die AKP-Staaten diesem Argument nicht länger verschließen:

"So gaben beispielsweise Großbritannien und Irland im Dezember 1979 die Absicht bekannt, die Einführung von Woll- und Acrylpullovern aus Mauritius zu beschränken - trotz der Tatsache, daß diese KleidungsstÜcke aus britischer Wolle hergestellt wurden."

Selbiger Importstop tritt selbstverständlich auch auf dem agrarischen Sektor ein, nämlich dann, wenn tropische Überschüsse tatsächlich mit einem EG-Agrarprodukt, das eh schon hochsubventioniert auf dem Markt herumlungert, in Konkurrenz treten sollten. Da haben die AKP-Staaten umgekehrt sehr viel Glück, daß die tropische Sonne bei ihnen deswegen fast nur den Anbau von so interessanten Bodenfrüchten wie Kokosnüssen, Kopra, Kakao etc. zuläßt.

Die großzügigen Veränderungen des Lome II im Verhältnis zu Lome I - Senkung der "Auslöseschwelle", der Preisverfall muß nur noch drei, statt vier Jahre angehalten haben etc. -, worin sich nur anzeigt, wie rapide die Lebensgrundlagen dieser Länder an Wert verlieren, erstrecken sich auch noch auf einen weiteren, interessanten Punkt: nämlich die "Abhängigkeitsschwelle". Auch sie wurde auf 6,5% gesenkt. Um in den Genuß des Stabex zu kommen, muß eine Ware jetzt nur noch diesen Prozentsatz am Gesamtexport eines Landes ausmachen. Dafür ist es sogar erlaubt, ähnliche Waren in einer Gruppe zusammenzufassen, um die Schwelle zu erreichen. Es kann sich bei solchen Waren nur um die jeweils "zweitrangigen" handeln (die Hauptausfuhrartikel erreichen natürlich immer einen Anteil von 80-95 %), die auf diese Weise auch ins globale Überlebensspiel eingebracht werden dürfen. Der erste Trick dabei ist, daß sämtliche anderen Waren, die nicht diese Schwelle erreichen, rasch von der Anbaufläche des jeweiligen Landes verschwinden - auch eine nette Maßnahme, durch Anreize Monokulturen zu erzwingen. Der zweite Trick besteht darin, den betroffenen Ländern auf diese Weise tatsächlich eine Manövriermasse einzuräumen, indem sie den Preisverfall ihres Hauptexportgutes durch Förderung einer anderen Warengruppe meinen aufhalten zu können. Notwendiges Resultat: Auch die neue, so verheißungsvoll ins Stabex eingebrachte Überlebenschance darf sich auf dem Weltmarkt tummeln und sich der allgemeinen Preisvergleicherei, also dem Preisfall aussetzen.

Minex: Vom Umgang mit "Fremdkörpern"

Unter den AKP-Staaten befinden sich einige, denen der Herrgott besonderes Pech angehängt hat: in ihrem Boden befinden sich so wertvolle Naturschätze wie Kupfer, Mangan, Erz, Bauxit etc. Angesichts dieses "natürlichen Reichtums", der für die Industrie der EG-Staaten tatsächlich von großem Interesse ist, hört sich die Freundlichkeit eines Stabex-Systems schlagartig auf, "stellen diese Erzeugnisse doch in gewisser Weise einen Fremdkörper in dem auf tropische Agrarerzeugnisse ausgerichteten System dar." Es grenzt schon an leichte Unverschämtheit der Entwicklungsländer, wenn sie wertvolles Zeug bei sich herumliegen haben, also können sie nicht hoffen, daß man sie dafür auch noch unterstützt; das einzige, wofür man Garantie tragen will, ist, daß diese Bodenschätze auch wirklich aus dem Boden und aus dem Staat herauskommen:

"Dieses System trägt einerseits der starken Abhängigkeit einiger AKP-Staaten vom Export mineralischer Rohstoffe und andererseits den Versorgungsinteressen der EG Rechnung." (S. 85)

"Das neue MINEX-System ist allerdings weniger großzügig gestaltet. Gemeinschaftsgelder werden nur dann ausgezahlt, wenn die Produktion tatsächlich gefährdet ist, wie beispielsweise im Fall der Kupferminen von Shaba (Zaire) im Jahre 1978, und nicht, wenn nur die Exporteinnahmen sinken. ... Die hierfür bereitgestellten Mittel sind begrenzt (nur 700 Mill. DM für 5 Jahre) und hätten bei den instabilen Marktverhältnissen der siebziger Jahre nicht einmal ausgereicht, die Kupferproduzenten für ihre Verluste zu entschädigen. ... Da der Abbau von M¡neralien in den AKP-Ländem größtenteils von europäischen Gesellschaften wahrgenommen wird, vermuten die AKP-Länder außerdem, daß diese letztlich die Hauptnutznießer dieses Systems sein werden." (S. 92)

Da vermuten sie gar nicht verkehrt, die AKP-Staaten, wenn sie die europäischen Gesellschaften als die "Hauptnutznießer" dieses Systems verdächtigen. Allerdings greift ihre Vermutung etwas kurz, können diese Kapitalisten ihr derart garantiertes Geschäft doch nur machen, weil die EG-Staaten dahinterstehen bzw. von ihren Kapitalisten die Zulieferung dieser Rohstoffe erwarten. Die betroffenen AKP-Staaten selbst sind zum Abbau und Abtransport dieser besonderen Waren nicht imstande; was sie aber leisten können, ist - Staaten sind sie ja immerhin -, um diese Vorgänge herum Ruhe und Ordnung zu halten. Dafür bekommen sie dann ihren Anteil am Rohstofferlös, womit die erste Lüge, es wären "ihre Exporteinnahmen", die "sinken", aus der Welt ist. Die bergbauenden Kapitalisten - europäische Multis - sehen sich aus Konkurrenzgründen verpflichtet, die Rohstoffe möglichst billig anzuliefern: Es gibt ja noch genügend Kapitalisten außerhalb der EG, die an anderer Stelle Kupfer, Mangan etc. schon sehr profitabel ausbeuten. Aus diesem Grund geben die EG-Kapitalisten sehr schnell die Produktion in einem AKP-Land auf, wenn sie in einem anderen AKP-Land oder auch sonst irgendwo auf dem Globus günstiger kommt. Dort jeweils hinzugehen macht ihnen bekanntlich keine großen Schwierigkeiten, weil sie sich zumeist - dies auch ein angenehmes Ergebnis eines "wirtschaftlichen Einflußbereiches" - schon dort befinden.

Das Wandern des Kapitals hat für die verlassenen Staaten unmittelbar ruinöse Wirkung, woraus sie witzigerweise ein Argument machen können, das letztlich aber doch nur das von den Stabex-Ländern her bekannte ist: Wenn bei uns, kein Bergbau mehr stattfindet, dann rührt sich überhaupt nichts mehr und wir verschwinden als Staat vom Erdball. Das zieht! - und die EG-Staaten überlegen sich, wie ein solch ständig vor der Tür stehender Zusammenbruch dieser vom Herrgott zu reich gesegneten Staaten für das dort ansässige Kapital abzuwenden ist:

"Die Hilfe ist projektgebunden. Ziel ist die Aufrechterhaltung einer an sich rentablen Bergbaukapazität in den betreffenden AKP-Staaten, wenn diese infolge von Katastrophen, schwerwiegenden politischen Ereignissen oder Erlösverfall gefährdet ist. Die Hilfe ist rückzahIbar."

Ohne alle Umwege wird hier also die Herrschaft im jeweiligen Naturgebiet als Anhängsel der paar Produktionsbetriebe betrachtet. Kein Wunder, daß die Herrschaft dort besonders gefährdet ist - "schwerwiegende politische Ereignisse" sind fast unausweichlich. Mit der "Rückzahlbarkeit" ist es dann auch so ernst nicht gemeint: Entweder decken sich solche Staaten mit genügend Waffen ein, um eine "an sich rentable Bergbaukapazität" aufrechtzuerhalten, bis mal wieder einer vorbeikommt und die Rente aus den Minentoren hinausträgt, oder sie zahlen die Gelder gleich an die sie erpressenden Kapitalisten, alimentieren also deren Profit, damit überhaupt noch ein bißchen Produktion in ihren Urwäldern stattfindet.

Sollten die betreffenden Länder allerdings interessante neue Vorkommen ausfindig gemacht haben, die besonders günstigen Abbau versprechen, ist die EG selbstredend bereit, "technische Hilfe" zu gewähren: Erstens wäre es ja zu schade, wenn verheißungsvolle Vorkommen wegen der Unfähigkeit dortiger Regierungen ungehoben blieben, und zweitens hat man gleich an entscheidender Stelle die Finger mit drin. Sollte der gesegnete AKP-Staat unbedingt darauf bestehen, diese Vorkommen selbständig ausbeuten zu wollen, bekommt er natürlich auch einen Kredit von der "Europäischen Investitionsbank" - aber ohne die sonst bei Entwicklungshilfen üblichen günstigen Konditionen und mit absoluter Rückzahlungspflicht. Soll er doch mal zeigen, wie er sich bei fallenden Weltmarktpreisen als freier Kapitalist bewährt, der aus seinem Profit beständig die Kredite zurückzahlen muß.

Abschließend eine Bemerkung über die Freiheit

Nach so viel mehr oder minder gütlicher Einigung zwischen den beiden Parteien sollen zwei ganz harte, nicht gelöste Gegensätze zum Schluß nicht verschwiegen werden:

  • Die EG-Staaten forderten von den AKPlern eine Zusicherung, daß sie bei sich daheim endlich die Menschenrechte achten würden.
  • Die AKP-Staaten forderten von der EG, sie solle ihre "Industrialisierung" unterstützen, gar vorwärtstreiben.

Antwort auf erstes Verlangen war eine empörte Zurückweisung von Seiten der Farbigen: Diese Einmischung in ihre Souveränität ließen sie sich schon gleich gar nicht gefallen; wie sie ihr Volk daheim bei Laune hielten, solle man doch gefälligst ihnen überlassen. Aber trosteshalber sei darauf verwiesen, daß sie doch alle die UN-Charta unterschrieben hätten.

Antwort auf zweite Frage war ein gar nicht empörtes Schulterzucken der EG. Was soll man zu solch einem Ansinnen auch groß sagen? Aber daß "Industrialisierung" ganz nett wäre für die da drunten, wenn's ginge, kann man ihnen ruhig bestätigen - wenn's ihnen so sehr darauf ankommt:

"Die AKP-Staaten hatten einen gesonderten Industrialisierungsfonds gefordert, aus dem ihr ehrgeizipes (!) Industrialisierungs-Progrmm finanziert werden sollte. Diesem Wunsch konnte" (leider, leider!) "die Gemeinschaft nicht nachkommen. Die Bestimmungen sind deshalb in Bezug auf Zielsetzungen und Realisierungschancen ungleichgewichtig. Viele sehr ins Detail gehende Formulierungen dienen deshalb vor allem der Unterstreichung der politischen Bedeutung, welche die AKP-Länder ihrer Industrialisierung beimessen." (S. 8)

Die gelassene Unverschämtheit, mit der hier ausgebreitet wird, daß man einem idiotischen Wunschtraum der AKPler ein paar schöne Formulierungen opferte, und wie man sich gleichzeitig von ihnen die Menschenrechtsfrage abringen ließ, demonstriert ein letztes Mal, wer die Ziele setzt und wer sie realisiert.

Die unterentwickelten Länder haben sich zum Mittel des ökonomischen Foitschritts der kapitalistischen Staaten zu machen nur so - haben sie ihre Existenzberechtigung. Und je mehr sie diese Berechtigung nachweisen (müssen), desto unterentwickelter werden sie. Insofern sie nur Mittel der kapitalistischen Staaten sind, dürfen sie daheim mit welchen Mitteln auch immer - dafür sorgen, daß sie es bleiben. Dies ist ihre Souveränität, und Menschenrechte braucht es dafür wirklich nicht! Insofern sie nur Mittel sind, entscheidet sich ihr Schicksal auch nicht auf eigenem Boden, auch nicht im zwischenstaatlichen Verkehr EG-AKP, sondern in der Konkurrenz der kapitalistischen Staaten untereinander. Womit auch noch das letzte Rätsel gelöst ist, nämlich das von der "Meistbegünstigung im Verhältnis zu dritten Industriestaaten", die die AKP-Staaten als einzige Gegenleistung einräumen mußten. Die EG hat sich also einen nicht unbeträchtlichen Teil der Welt unter den Nagel gerissen; dies ist eine Maßnahme gegen andere "Industriestaaten" - USA und Japan kommen da als einzige in Frage - und zielt darauf ab, einerseits schon bestehende vorteilhafte Beziehungen der AKP-Staaten zu letzteren auch für sich dienstbar zu machen, andererseits ein ausschließliches Verfügungsrecht über die 58 für sich zu gewinnen. Die Konkurrenz der kapitalistischen Staaten um die Rohstoffquellen und um politischen Einfluß verschafft den Gebeutelten die Illusion, sie könnten da mitmischen, eine Illusion, für die der Imperialismus nur dankbar sein kann.

Allen unverbesserlichen Idealisten noch ein Merkspruch ins Poesiealbum:

"Insbesondere bei der technischen und finanziellen Zusmmenarbeit wird doch auch in Zukunft das der Lome-Konvention zugrunde liegende Prinzip der Partnerschaft zu bewähren haben. Diese Idee wurde im neuen Abkommen noch verstärkt." (S. 84)

Und für die Realisten unter unseren Lesern, die mal ganz konkret wissenwollen, wie man so eine "Idee" am besten durchsetzt:

"Die AKP-Länder haben die im zweiten Lome-Abkommen gewährten Konzessionen bezüglich Rindfleisch, Mohrrüben, Tomaten, Spargel und anderen Gemüsen begrüßt, aber die Tatsache, daß für diese Erzeugnisse protektionistische Regelungen beibehalten wurden," (man erinnert sich: "empfindliche Bereiche"!) "erhöhte die gereizte Stimmung innerhalb der AKP-Gruppe. ... Die im zweiten Lome-Abkommen vereinbarten Protokolle über Bananen und Rum wurden dagegen als entschiedene Verbesserungen gegenüber den früheren Bestimmungen empfunden." (S. 91)