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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

Preußenboom
EIN TOTER ADLER AUF DEN FLÜGELN DES ZEITGEISTS

Die Bestseller in den schwarz-weißen Farben sind zwar schon wieder aus der Spiegelhitparade verschwunden, doch hat sich die Öffentlichkeit mit Preußen eines historischen Gegenstandes bemächtigt, der andrs als so exotisch unterhaltsame Geschichten wie die der Hunnen oder Azteken ein echter Evergreen zu werden verspricht (1981 winkt eine große Preußenausstellung in Berlin).

Mit Befriedigung können die Beobachter aller Couleur konstatieren, daß damit die Etappe deutscher Staatswerdung wieder gebührende Aufmerksamkeit findet, die angeblich "jahrzehntelang vernachlässigt, ja verdrängt und 'herabgewürdigt' worden sei" (Ausstellungspromoter Bodo M. Baumunk). Zwar hat sich die Professoralhistorie seit je mit diesem Thema befaßt, doch galt Preußen - am 25.2.1947 vom alliierten Kontrollrat als "seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion" aufgelöst - in der Nachkriegszeit außer bei einigen notorischen Fans tatsächlich als nicht recht gesellschaftsfähig; wo man nicht geradlinige Entwicklungsstränge vom Soldatenkönig zum "GröFaZ " Hitler entdeckte (als wären die 'langen Kerls' des einen verantwortlich für die nordische Waffen-SS des anderen), da bemerkte man doch allemal Elemente eines preußischen Ungeistes wie Untertanengeist oder eben Militarismus, die man für die "deutsche Katastrophe" (Friedrich Meinecke) haftbar machen konnte.

Natürlich haben deutsche Geschichtswissenschaftler nicht in der Vergangenheit gegraben, um die Ehre der Nation zu beschmutzen, Bei aller Buddelei nach Spuren Adolfs waren schon immer auch edle Steine zutage gefördert worden. Schließlich diente die Reinigung der deutschen Nation, indem man den einen Wahnsinnigen unter dem Dreck begrub, auch der Fortführung einer Wissenschaft, die nach Hitlers Niederlage den historischen Fundus einer Generalinspektion unterziehen mußte - eine Gemeinheit des Führers, die ihm von der Holocaustdebatte postum und festum hingerieben worden ist. Nach der Klärung, daß Zweifel am guten alten Geschichtsbild nicht angebracht sind, macht sich die Geschichtswissenschaft auf die Suche nach Tugenden, die ein ordentlicher Staat braucht und stößt dabei auf einen deutschen Staat, an dem man nicht dauernd den Mißerfolg thematisieren muß:

"Die Spur Preußens bleibt tief eingegraben in den Weg der Geschichte, der zu unserem Staat hinführt. In den letzten Jahren wird auf dcr Suche nach uns selbst" (zu tief vergraben?) "und in dem Bemühen um eine historische Klärung unseres (!) Staatsbewußtseins vornehmlich auch die Frage nach Preußen gestellt." (Karl Dietrich Erdmann)

Man tut dabei ganz genau so, als hätte man nicht immer Flagge gezeigt, als könne man sich erst nach der Abrechnung mit den "Schatten der Vergangenheit" ganz "unvoreingenommen" den bisher "verdrängten", lichten Seiten zuwenden. 'Man', das sind freilich die Historiker und ein paar Intellektuelle, deren Profession sie in der aufgehäuften Vergangenheit das gewisserinaßen verborgene, eigentliche Ich nationaler Identität sehen lassen will, zu dem nur sie den reehten Sclilüssel besitzen. Was Wunder, wenn sich auch diese Facette der einverständigen Unterordnung unter das Hochziel Nation, die im gelegentlichen ehrfurchtsvollen Erschauern vor Größe und Leid vergangener Generationen ("Mahnung, Beispiel, Warnung!") ihren Ausdruck findet, im wieder zu Macht und Ehren gekommenen Modell Deutschland verstärkten öffentlichen Interesses erfreuen darf, zumal sich dabei mancherlei Interessantes als "Beitrag zur modernen Gesellschaftsentwicklung und Staatsordnung" (Helmut Böhme) entdecken läßt. "Entwicklung und Ordnung" stehen zwar auch ohne Historiker zufriedenstellend da, doch kann geschichtliche Legitimation der Sache durchaus noch etwas Glanz verleihen.

Sebastian Haffner, Preußen ohne Legende

Den größten Erfolg unter den Pionieren der Wiederentdeckung Preußens erntete Sebastian Haffner, Liberaler, Antifaschist und als solcher unbedingter Staatsverteidiger, der zunächst radikal und sozusagen im Vorbeigehen mit der Preußen - Nazi - Erbschaftsthese aufräumte und so dem Gegenstand seiner Liebe die unvoreingenommene Achtung sicherte:

"Muß man noch ernsthaft auf diese These eingehen, Hitlers Reich sei eine Fortsetzung preußischer Traditionen gewesen?... Preußen, was immer es sonst war, war ein Rechtsstaat gewesen, einer der ersten in Europa. Der Rechtsstaat war das erste, was Hitler abschaffte (streng rechtsstaatlich!). In seiner Rassen- und Nationalitätenpolitik hatte Preußen immer eine noble Toleranz und Indifferenz walten lassen. Hitlers Rassen- und Nationalitätenpolitik war das extreme Gegenbild preußischer. Das extreme Gegenbild preußischer Nüchternheit war auch Hitlers politischer Stil, seine Demagogie und theatralische Massenberauschung, und wenn es für Hitlers Außenpolitik, seine gigantomanischen Eroberungsideen, in der Geschichte überhaupt einen Anknüpfungspunkt gibt, dann war es kein preußischer, sondern ein österreichischer, Schwarzenbergs Politik von 1850... Hitler war schließlich ein Österreicher."

Um dem einen ungeliebten Scheinzusammenhang, den er "Kausalkette" nennt, den Garaus zu machen, pickt sich der (Amateur-) Historiker Unterschiede heraus (Friedrichs II, Eroberungspolitik war bekanntlich von der sprichwörtlichen preußischen Bescheidenheit und Wilhelm zwo mit seinen Sprüchen eh' ein schwarzes Schaf) und konstruiert am besten eine neue, die gar nicht blöd genug sein kann: Schwarzenberg - Hitler, beide Österreicher, wenn das nicht besticht! Die Historikermanier, ein Ereignis mit einem anderen zu erklären, weil vorneweg, eine zeitliche als eine logische Folge auszugeben, also wild in der Geschichte herumzuassoziieren, verdankt sich der puren Sucht, das als gut herauszudestillieren, was man geehrt sehen möchte bzw. das moralisch abzuqualifizieren, was einem nicht paßt, wobei das stärkste Argument der historische Erfolg ist, Und Haffner wäre nicht Antifaschist, gelängen ihm bei seiner Rechtfertigungstour nicht kräftige Faschismen: Was bei den einen "gigantomanische Eroberungsideen", verrückt, weil Wunschtraum oder gescheitert, erklärt man im Falle Preußens zum "Lebensgesetz" (!) eines benachteiligten Staates,

"Die schiere Notwendigkeit, der Selbsterhaltungstrieb (!), der jedem Staatswesen eingeboren (!) ist wie jedem Menschen, und der im Fall eines so unorganisch, so zufällig zusammengewürfelten Gebildes zur Arrondierung und Gebietserweiterrng, also zur Eroberung einfach zwang (!)".

Ein Historiker braucht nur die Karte zu studieren, um aus dem Zufall eine Staatsnotwendigkeit zu konstruieren. Gerade weil das Gebiet mal da, mal dort erweitert worden ist, hat es schließlich geradezu danach verlangt, daß auch die "Zwischen"räume preußisch blau angemalt werden. Für dieses Verlangen eines Geschichtsdeuters wurden Gebiete erobert und Menschen geschlachtet. Für das staatliche "Lebensgesetz" der Nazis ("Volk ohne Raum") sind die Opfer umsonst gebracht worden. Es ist deshalb abzulehnen, während Haffners Preußen den "Zeitgeist" -

"Der Zeitgeist hat mitgewirkt, der Geist der Staatsvernunft, der Staatsraison." -

auf seiner Seite hat, da es die Fakten sprich Erfolg, für sich hat, weil es erst nach einem erfüllten Leben entschlafen und im heutigen Deutschland unsterblich geworden ist. Der Idee, die man sich als quasi-biologische Notwendigkeiten, Vernunftentwicklung etc. gestrickt hat, wird Leben eingehaucht, sie wird zum Subjekt erhoben, das trotz aller realen Anfeindungen - auf Dauer gesehen - keinen Schaden erleidet, sondern sich in dramatischer Hoch-tief-Bewegung durchsetzt:

"Sie (die preußische Geschichte) läuft langsam an, mit einem langen Werden, und sie hört langsam auf, mit einem langen Sterben. Dazwischen aber liegt ein großes Drama, wenn man will, eine große Tragödie, - die Tragödie der reinen Staatsvernunft."

..."Dies liest sich im Nachhinein wie vorgeplante (!) Stationen auf einer vorgebahnten Strecke... Aber Jahrhunderte gingen darüber hin, und zwischen jeder Station lebten und starben ganze Generationen ohne eine Ahnung (!), was die nächste Station sein, ob es überhaupt eine geben und wie alles weitergehen würde." (Wie die das ausgehalten haben, so ohne Haffner'sche geschichtliche Perspektive?)

So als gäbe es nicht nur ein einziges Kriterium für alle Historiker, einem Politiker "historische Größe" zu verleihen, fragt Haffner "War Friedrich der Große wirklich groß?", um seine "Größe" dahin zu bestimmen, daß er getan hat, was getan werden mußte: die Exekution von Haffners preußischer Geschichte:

"Friedrichs Lage war schlimm (vor dem siebenjährigen Krieg). Sein neuer Verbündeter England war weit. Er mußte (!) mit drei Gegnern, von denen jeder einzelne stärker war als er allein, fertig werden. Er entschloß sich zum Präventivkrieg (!). Aber - Fritzsche Verwegenheit (!) - zugleich (!) dazu, aus dem Präventivkrieg gleich auch noch einen neuen Eroberungskrieg (!) zu machen."

So hat Haffner diesem "von Legenden so überwachsenen Glanzstück" deutscher Geschichte eine neue hinzugesellt: "Preußen ohne Legende".

Bernt Engelmann, Preußen - Land der unbegrenzten Möglichkeiten

In Preußen sah auch der Sozialliterat Bernt Engelmann für sich ein "Land der unbegrenzten Möglichkeiten", um sein gehobenes Nationalbewußtsein schon im Titel zur Schau zu stellen. Mit zwei Sätzen spaltet er es in die Einheit von Wirklichkeit / Oben und Möglichkeit / Unten und schafft es, seine trostlosen Entlarvungsstorys aus Büchern mit solchen und ähnlichen Titeln auch in seinem Preußenschinken unterzubringen:

"...Nein, Preußen muß (!) vielmehr, wie seine Fahne, als ein NEBENEINANDER von Schwarz und Weiß begriffen werden. In ständigem Widerspruch mit sich und aus dieser Dialektik (!) heraus ist Preußen entstanden und allein zu begreifen." (Engelmann, Preußen, Land der unbegrenzten Möglichkeiten)

Teuflisch, Herr Engelmann, diese dialektische neue Farbenlehre!

Das folgt dem verlogenen Reiz-Reaktions-Schema, wo Druck, wächst Gegendruck.

Gerade weil einerseits die Reaktion so scharf, entwickeln sich andererseits in Preußen die schönsten Blütenträume eines demokratischen Sozialisten, ein 'wahrer' preußischer Geistes- und Traditionsbestand, der als zumindest latenter Zeitgeist in der Gegenwart fortwebt. Engelmanns Leistung: Latentes ans Licht zu zerren:

"Dieser sonntägliche Nachmittag des 19. März 1848, mitten in der königlich preußischen, jedoch mit den Farben der deutschen Demokratie festlich geschmückten und von der gesamten Garnison, selbst der Garde, geräumten Hauptstadt, war ein Wendepunkt in der preußischen, ja in der deutschen Geschichte. Er bedeutete die endgültige (!) Überwindung (!) des Feudalabsolutismus durch die Bürger von Berlin... Denn was dann auch an Enttäuschungen und schweren Rückschlägen die nahe Zukunft schon brachte, welche Macht auch das Haus Hohenzollern doch noch einmal errang und für weitere siebzig Jahre behalten sollte, die 'Märzerrungenschaften', zumal die wichtigsten: das neue Selbstbewußtsein (!) der Bürger und das Gefühl (!) der Kraft, das der bis dahin ohnmächtige kleine Mann zum erstenmal verspürt hatte, sie ließen sich nicht mehr, wie vieles andere, mit einem Federstrich wieder rückgängig machen."

Wo Haffner Schlachtensiege als Ausdruck der Unwiderstehlichkeit seiner Geschichtsidee feiert, da feiert Engelmann eben seine Siege; schließlich hat ja auch er die Geschichte irgendwie auf seiner Seite - auf lange Sicht gesehen, oder? Preußens Geschichte stellt sich überhaupt als Geheimgeschichte dar: Der alte Fritz - ein Preuße? Weit gefehlt! Bei Königs gab es hberhaupt kaum wahres Preußentum. Ganz anders bei den kleinen Preußen und denen, die Engelmann zu ihren Produkten und Liebhabern erklärt: Hegel, Marx und Engels ohne Preußen nicht zu denken! Sie waren die wahren Träger der "preußischen Tugenden": Unbestechlichkeit, Opfermut, Toleranz, Pflichtbewußtsein - Tugenden, die - und das wiederum die schöne Dialektik des Nebeneinanders von Schwarz und Weiß - die Herrschenden allenfalls zu sinistren, eigensüchtigen Zwecken gefördert hätten, meistens aber gar nicht und gerade dadurch eben doch, weil Repression bekanntlich Helden hervorbringt, an denen sich der preußische Geist, manifestieren kann. Folgerichtig ist Engelmanns Buch vorwiegend ein Kompendium von Biographien echter oder vermeintlicher Widerstandskämpfer, Freiheitshelden und Geistesriesen mit hervorragenden Staatsbürgertugenden. Der letzte in der Ahnenreihe - der Preuße Engelmann.

Joachim Schoeps, Preußen - Geschichte eines Staates

Mögen die Siege auch vergangen sein, darin sind sich alle einig, die preußischen Tugenden, die bleiben bestehen. Es muß ja nicht gerade die frühe Vision aus dem Jahre 1960 eines emeritierten Schöps aus Erlangen, Hausfreund und Hofhistoriker der Hohenzollern, im Zuge des Preußenbooms auch wieder zu Auflagen und Ehren gelangt, in toto in Erfüllung gehen:

"Die preußische Idee hat nichts Rauschhaftes in sich, denn über dem Preußentum lacht nicht die Sonne des Südens, denn es ist stets in die rauhe Luft der Pflichterfüllung eingetaucht gewesen. Über den preußischen Menschen steht der dauernde Zwang zur Leistung als harte sittliche Bewährungsprobe. Staatsdienst in Preußen war immer auch ein Stück Selbstverleugnung, aber das gehörte zur 'Idee' und wurde als sittliche Leistung angesehen. Derlei ist heute vollkommen unzeitgemäß aber gefordert. Gerade die Unzeitgemäßheit ist paradoxerweise die größte Chance für Preußens Wiederkehr. Vielleicht wird man dies in Zukunft klarer erkennen können."

Ob wissenschaftlich differenziert, sozialdemokratisch oder liberal, an den Tugenden ist was dran, schließlich sind sie für die Zwecke eines jeden Staates brauchbar. Und so stattet die bundesdeutsche intellektuelle Diskussion ihr Nationalbewußtsein mit einem historischen Zeitgeist aus. Und auch die übrige Menschheit hat auf nichts so sehr gewartet wie auf den Preußenboom: Denn die Politiker sind - Hand aufs Herz - bis heute mit einem schlechten Gewissen durch die Gegend gelaufen und die Proleten bekommen hoffentlich 1981 Betriebsurlaub für einen Ausstellungsbesuch, damit sie erst zu echten Arbeiterpreußen werden: bescheiden, opfermütig, duldsam und pflichtbewußt, Unbestechlichkeit brauch's nicht.