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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

Arbeitslose
MOTIVATION DURCH ZUMUTUNG

Das Problem ist jedermann von den Sportseiten der Zeitungen geläufig: Soll ein länger nicht mehr im Einsatz gewesener Kicker wieder einmal antreten und klappt das nicht so recht, so beweisen sich die analytischen Qualitäten des Trainers nicht selten in dem Urteil, daß es dem Burschen an der richtigen Einstellung fehle, er müsse neu "motiviert" werden.

Nach eigenem Bekunden mit dem gleichen Problem immer wieder konfrontiert, konnte das Trainerkollektiv der deutschen Arbeiterklasse unter Leitung von Bundestrainer Schmidt, assistiert vom Bundesarbeitsgericht (BAG) und der Bundesanstalt für Arbeit, mit einer starken Erfelgsmeldung über die Lage auf der Ersatzbank ihrer eisenharten Profitruppe aufwarten:

"Im September 1979... konnte die Arbeitsverwaltung 36 längerfristig Arbeitslose in einem eigenen Förderkurs für die Arbeitsaufnahme motivieren, im April dieses Jahres waren es bereits über 2.000." (Süddeutsche Zeitung, 27.5.80)

Um den Vergleich füirdie Fußballtrainer nicht allzu ungerecht ausfallen zu lassen, muß natürlich daran erinnert werden, daß die "Arbeitsverwaltung" einen unschätzbaren Vorteil besitzt: Sie kann, wenn es am Willen der Arbeitslosen fehlt, sich unter allen Umständen für einen neuen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, die Regeln für das Scheißspiel einfach ein wenig so umschreiben, daß dies der "Mobilisierung der eigenen Initiative und Mitwirkung" des Arbeitslosen entscheidend zugute kommt. So geschehen mit dem 5. Änderungsgesetz zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Die Mehrzahl der "längerfristig Arbeitslosen" rekrutiert sich aus "körperlich, geistig oder seelisch Behinderten", "Frauen" und "älteren Erwerbstätigen" (Paragr. 2 AFG). Der Grund dafür, daß diese "längerfristig" keinen Job finden, liegt nun nicht einfach darin, daß solche Leute, gemessen am Zweck der Ausbeutung durch das Kapital, mit Mängeln behaftet, also nur bedingt nutzbar sind. Vielmehr hatte

"die Arbeitsverwaltung... vor der Novellierung des AFG festgestellt, daß langfristig Arbeitslosen das notwendige Selbstbewußtsein bei Vorstellungen fehlt." (Süddeutsche Zeitung)

Dem gutwilligen Betrachter ist es unmittelbar einleuchtend, daß die Unterrichtung von Arbeitslosen

"über Fragen der Wahl von Arbeitsplätzen und die Möglichkeiten der beruflichen Bildung"

oder Beiträge

"zur Erhaltung oder Verbesserung der Fähigkeit, Arbeit aufzunehmen..." (so der neue Paragr. 41a AFG),

jedem Krüppel, jeder rüstigen Hausfrau und jedem 50jährigen Maschinensetzer schnellstens einen Arbeitsplatz verschaffen, so daß die übrigen Neuerungen in der einschlägigen Rechtsprechung und Gesetzgebung sicher nur als flankierende Maßnahmen gemeint sind: Angesichts der

"großen Bedeutung, die die Leistung von Arbeit für die Persönlichkeitsentwicklung hat," (BSG-Richter Gagel in der Einleitung zum Text des AFG)

ist es naheliegend, daß sich unter den längere Zeit der Arbeit Entwöhnten so manche defizitäre Persönlichkeit befindet, weshalb es nötig ist,

"die Mißbrauchsmöglichkeiten bei Bezug von Leistungen nach dem AFG (Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) abzubauen." (Bundesregierung in der Begründung zur Gesetzesvorlage)

Dies geht, unter anderem, ganz einfach so,

- daß durch die Novellierung

"die Berechnung des Einkommens (Paragr. 138/II AFG) jetzt - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - für den Arbeitslosen ungünstiger gestaltet"

wurde, indem man die bisherige Möglichkeit, Kosten für die Erhaltung von Eigenheim und Eheweib als Freibeträge bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe geltend zu machen, ganz oder teilweise für unzulässig erklärt. Befriedigt kann der Gagel feststellen, daß dies

"vielfach dazu führen wird, daß dem Arbeitslosen letztlich Einkommen zugerechnet wird, das er tatsächlich nicht hat."

- oder so, daß das BAG beschließt, den Kreis der Zumutungen großzügig zu erweitern, die sich ein Arbeitsloser für die "Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß" gefallen lassen muß, anstatt der "Solidargemeinschaft der Beitragszahler durch ungerechtfertigte Inanspruchnahme " von AFG-Leistungen, die er selbst mitbezahlt hat, auf der Tasche zu liegen. Wer eine Anreise zur Arbeitsstätte von täglich drei Stunden für unzumutbar hält, liegt laut BAG falsch. Nimmt er ein solches "Arbeitsangebot" aus diesem Grund nicht an, so ist dies kein "wichtiger Grund" im Sinn des Paragr 119 AFG, so daß seine Weigerung genau genommen nach Ansicht der höchsten Arbeitsrichter sogar grundlos ist.

Solche Fälle führen - und dieser nicht zu unterschätzende Vorzug unserer Demokratie verdient hier erwähnt zu werden - nicht etwa zu einer persönlichen Verstimmung zwischen Herrn Stingl und dem jeweiligen Arbeitslosen. Trotz gegenteiliger Empfehlungen weiter Teile der durchaus gesund, aber anachronistisch empfindenden arbeitenden Bevölkerung, die sich täglich manches zumuten läßt und nicht dieses, sondern den Versuch, sich dem zu entziehen, für eine üble Sauerei hält, kommen solche Leute nicht einmal in Arbeitslager. Sie dürfen vielmehr unbehelligt weiterhin ein anspruchsvolles Leben führen. Das "Erlöschen" eines Anspruchs (auf Arbeitslosengeld oder -hilfe) fällt nämlich gar nicht weiter ins Gewicht; schließlich muß der Arbeitslose ja für die Ablehnung einer angebotenen Arbeit einen Grund, sprich: ausreichende Einkünfte zur Verfügung gehabt haben.

Davor, die Kürzung von Leistungen für Arbeitslose und die Erhöhung des Drucks auf Leute, die die von ihnen bezahlten Versicherungsleistungen gebrauchen (= mißbrauchen) wollen, hierzubewerten, muß gewarnt werden. Eine solche Betrachtungsweise verkennt nämlich, daß

"sich hier ein großer Umdenkungsprozeß abzeichnet, der die Systeme der sozialen Sicherung immer stärker prägt." (Gagel)

Bisher war

"die Aufgabe der Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit im AFG nicht ausdrücklich erwähnt, was deutlich machte, daß ganz m Vordergrund der Aufgaben (der Arbeitsverwaltung) die Unterbringung auf dem Arbeitsmarkt und die Erhaltung von Arbeitsplätzen steht (so auch deutlich Paragr. 5 AFG)."

Das "Umdenken" ist demnach nur die Besinnung auf die eigentliche Bestimmung des Paragr. 5 des AFG (Wiederbeschäftigung geht vor Unterstützung!), die angeblich durch mißverstandene sozialstaatliche Vorstellungen wie "Existenzsicherung", "finanzielle Hilfe" usw. fahrlässig verschüttet worden war. Man drängt solches Anspruchsdenken also entschieden "an die zweite Stelle zurück" (Gagel) und stellt den Vordergrund in den Vordergrund. Angesichts der Tatsache, daß der Sozialstaat sich auf einen höheren Satz von Dauerarbeitslosen mittlerweile eingerichtet hat, werden eben Arbeitslose nicht mehr als Krisenerscheinung, sondern als 'menschlicher' Alltag behandelt:

  • Man macht sich staatlicherseits die Volksweisheit zu eigen, daß, wer Arbeit suche, auch welche finde, bzw. wer keine habe, auch gar keine suche;
  • man streicht das Kriterium der Zumutbarkeit und andere "Annehmlichkeiten", um den Arbeitslosen zur Annahme jeder Arbeit "anzuregen"
  • und richtet für den Bodensatz von "schwer Vermittelbaren" Anstands- und Benimmkurse ein, um ihnen klarzumachen, daß sie - bei so schweren Mängeln schon im Vorstellungsgespräch - auch Bodensatz zu bleiben haben.

(Abb. siehe GIF-Datei in diesem Brett. Anm. MG_ARCHIV)

DIE WESTLICHEN INDUSTRIELÄNDER müssen augenblicklich mit einer schwierigen Situation fertig werden; starke Preisanstiege bei glichzeitig hohem Arbeitslosenniveau. Zum einen können Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit den Preisauftrieb beschleunigen, zum anderen darf der Versuch, die Preisstabilität wieder herzustellen, nicht dazu führen, daß die wirtschaftliche Entwicklung zu stark abgebremst wird und dadurch die Zahl der Arbeitslosen weiter zunimmt. (SZ)