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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

Systematik

Weltwirtschaftsgipfel in Venedig
EINHEIT IN DER KONKURRENZ GEGEN DEN HAUPTFEIND

"Wir sind nicht der Warschauer Pakt, der von Panzern eines Staates zusammengehalten wird. Wir sind verbunden durch gemeinsame Ideale, Ziele und gegenseitigen Respekt. Im Westen diktiert nicht einer dem anderen. Das macht Gipfelkonfereazen so lebendig, aber es macht sie zeitweise auch so schwierig." (Carter vor dem Abflug nach Europa).

Der Einfall war besonders originell, daß, weil im Osten nackte Gewalt, im Westen ausschließlich der freie, lebendige Gedankenaustausch von ebenbürtigen Souveränen gepflogen wird, die sich vernünftigerweise immer ganz freiwillig zu der Einheit zusammenraufen, die der normale Bürger so schätzt oder mißbilligt, Dieses Bild entspricht zwar nicht ganz der Wahrheit, war aber als Motto des Gipfels, als Hinweis auf den gemeinsamen Gegner und auf die eigene "Verbundenheit" mit "Schwierigkeiten" nicht unpassend. Die gemeinsame Gegnerschaft garantiert noch keine westliche Interessenharmonie, was den nationalen Repräsentanten die harte Arbeit solcher Treffen abverlangt, sich wechselseitig die Bedingungen zu präsentieren, unter denen nationale Eigenwilligkeiten füreinander nützlich sind, und so die der Weltlage angemessene Einigkeit im Bündnis herzustellen.

Der erzwungene Preis der Freiheit - die Einheit des Westens

Daß bei der Beurteilung des Ertrags die Kommentatoren "greifbare Resultate" vermißten und deshalb ihre Kundschaft mit dem etwas vagen Nutzen einer gründlichen Aussprache und Beseitigung eventueller Mißverständnisse vertrösteten, ist daher auch nur die halbe Wahrheit. Der Schacher der sieben Großen ging eben um diese Einigkeit selbst: zunächst die Bekräftigung, daß Afghanistan der erklärte Präzedenzfall gegenüber dem Osten ist und bleibt und die Abklärung, wie dieser Fall auszuwerten ist. Daß Giscard mit der an ihn adressierten Meldung eines russischen Truppenabzugs, "der direkt auf seine Warschauer Begegnung mit Breshnew zurückzuführen sei", und der deshalb "optimistischen" Beurteilung, "Ausdruck der sowjetischen Bereitschaft, eine politische Beilegung der Afghanistan-Krise in Erwägung zu ziehen", ganz unabhängig den französischen Standpunkt ausspielte, der amerikanische Außenminister Muskie, als Sprecher der Führungsnation, dagegen die Meldung als Versuch abtat, "die Alliierten in Verwirrung zu stürzen" -

"Dies" und "eine Spaltung der Führer der Verbündeten sei absolut fehlgeschlagen" -,

Carter schließlich vom blockfreien Boden Jugoslawiens aus die Bereitschaft der USA ankündigte, sich bei sofortigem totalem Truppenabzug an internationalen Garantien zu beteiligen (worin wiederum europäische Experten einen Lernerfolg des Gipfels, "Annäherung an europäische Positionen" sehen wollten), all dies ist weder Indiz für Zerstrittenheit = Schwäche im westlichen Lager noch für eine Knebelung nationaler europäischer Interessen durch die USA.

Schließlich erklärte "Carter es als legitim, daß die Europäer ihre besonderen Kanäle nach Moskau offenhielten. Es müsse nicht notwendigerweise allein von den USA über eine politische Lösung verhandelt werden."

Daß Giscard und Schmidt den Ost-West-Gegensatz ganz national betreiben und jeweils mit der Wucht französischer und bundesdeutscher Interessen dem Kreml zusetzen, liegt soweit auch im Interesse der USA - unter der Bedingung allerdings, daß die Verhandlungspositionen ihnen zusagen. Ohne US-Garantie wäre ein unabhängiges Afghanistan kein unabhängiges Afghanistan.

Dieselbe Klarstellung der Bedingungen westlicher Einheit gegenüber der BRD ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Mit der öffentlichen Bloßstellung des Kanzlers durch einen Brief "in rüdem Ton", der aufsässigen bundesdeutschen Replik, "schlechte Berater und Mißverständnisse im Weißen Haus", der Herstellung demonstrativer Einigkeit in Venedig und der nachträglichen Bekräftigung des "schlechten Beraters", Mißverständnisse habe es nie gegeben, stattdessen ein Verweis auf Prinzipien, die nicht zum Verhandeln freigegeben wären, sind die Differenzen nicht beseitigt, aber für alle, die es angeht, in Ost und West klargestellt, daß zwar Schmidt ganz souverän als Verhandlungsführer in Moskau auftritt, daß aber sowohl Verhandlungsmasse - die nationale Verteidigung der BRD, die ja zugleich zur exterritorialen amerikanischen Vorderfront gehört - als auch Verhandlungszweck, die Abrüstung des Ostens, jeweils noch der Zuständigkeit des in Moskau nicht anwesenden amerikanischen Verhandlungspartners unterstehen. Einzelheiten dieser Abklärung sind - aus Gründen des Erfolgs - selbstverständlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Daß all dieses für einen Weltwirtschaftsgipfel eigentümliche Themen waren, störte niemanden. Schließlich ist es eine Selbstverständlichkeit, daß

"wir, die wir sieben große Industrieländer der freien Welt vertreten",

auch die politische Zuständigkeit für das Weltgeschehen besitzen, weil diese Freiheit ohne gewaltmäßig abgesicherte Einflußsphären gegen die Opfer wie die Feinde dieser Freiheit nicht zu haben ist.

Polit-Ökonomie

"In diesem Sinne sind wir bereit, an die Lösung unserer eigenen Probleme heranzugehen und mit anderen zusammenzuarbeiten, um den Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts zu unserem eigenen Nutzen und zum Wohl der ganzen Welt zu begegnen."

Bekräftigt wurde diese Entschlossenheit durch das früh ausgearbeitete Kommunique, das den "eigenen Nutzen" und das "Wohl der ganzen Welt" einleuchtend darin zusammenschließt, daß ohne die "Stabilität der Weltwirtschaft, von der die Prosperität eines jeden einzelnen Landes abhängt", überhaupt nirgendwo Prosperität aufkommt.

Daher verpflichteten sich die Sieben darauf, 1. auf die Kehrseite, sowohl Resultat wie Bedingung ihrer Prosperität, "die Unterhöhlung der Wachstumserwartungen in den Entwicklungsländern" -

"Wir sind uns bewußt, daß äußerste Armut und chronische Unterernährung das Schicksal von Hunderten von Millionen von Menschen in Entwicklungsländem bestimmen" soweit zu achten, daß nicht deren gänzliche Unbrauchbarkeit einen Minuspunkt in der weltwirtschaftlichen Stabilitätsrechnung ergibt.

Die Kosten dafür sollen 2. gefälligst die tragen, die an der Prosperität zwar partizipieren, dies aber auch nur auf eine höchst untergeordnete und daher ungerechte Weise:

"Wir fordern die ölausführenden Länder dringend auf, ihre Direktkredite an Länder mit Finanzierungsproblemen zu erhöhen, auf diese Weise die Belastung anderer Rückschleusungsmechanismen zu mindern..."

schließlich haben sich die verdienten Träger der Prosperität gegeneinander gewisse Einigkeiten abgerungen wie das nicht neue, aber offensichtlich notwendige Bekenntnis dazu, "dem Drängen nach protektionistischen Maßnahmen zu widerstehen." Daß die Urheber dieser Maßnahmen sie verurteilen, ist keine einfache Heuchelei - vielmehr die nicht zufälligerweise gerade jetzt wieder einmal erforderliche Zusicherung, die seit einiger Zeit verschärfte Auseinandersetzung - Stahl, Chemiefasern, Agrarmarkt, Autos usw. - nicht ohne Rücksicht auf die wechselseitige Nützlichkeit füreinander zu betreiben; und das heißt jetzt unter dem Druck Amerikas: mit Berücksichtigung des verschärften Ost-West-Gegensatzes, dem sich die Konkurrenz der westlichen Partner unterzuordnen hat.

haben die Sieben mit ihrem Beschluß, "das Wirtschaftswachstum vom Ölverbrauch abzukoppeln", keine wundersame Ersatzenergie entdeckt. Zur Lösung der Energiefrage haben sie sich nämlich darauf verpflichtet, sich

"im weitestmöglichen Umfang auf den Preismechanismus zu verlassen und die Inlandspreise für Erdöl sollten repräsentative Weltpreise berücksichtigen."

"Sollten" - denn zwei der Sieben haben dank eigener Ölvorkommen und entsprechender Inlandspreise ihrer Industrie ziemliche Konkurrenzvorteile und ihren Ölgesellschaften windfall profits verschafft - die Bewegung des "Preismechanismus" nach oben hat manchmal sehr positive Seiten. Andererseits aber gibt man sich die Zusicherung, beim nationalen Konkurrenzkampf über die Ölpreise und um die Öllieferungen die Preisbewegung soweit unter Kontrolle zu halten, daß nicht einige aus dem Kreis der Sieben für den Zusammenschluß nichts mehr taugen. Dem dient auch die ausdrückliche Wamung an die ölausführenden Länder, - außerhalb der Sieben natürlich -, die die Drohung ausspricht, daß es kein Dritter versuchen sollte, sich die Austragung der internen Gegensätze der Sieben zum eigenen Mittel zu machen. Auch dagegen haben die Sieben unter anderem den Preismechanismus auf ihrer Seite, der andere Energiequellen soweit rentabel gemacht hat, daß nunmehr auch amerikanischer Kohleexport nach Europa als solidarischer Beitrag zur Energiefrage auch geschäftlich lohnend wird.

Fazit

Strauß und andere fachmännische Kritiker irren also, wenn sie diesem Gipfel ausgerechnet die mangelhafte Klärung und Lösung von Fragen vorwerfen, die immer anstehen; die Inflation und wie man das beste aus ihr für sich macht, ist doch ein Gegenstand der Konkurrenz von Anfang bis Ende jeden Geschäftsjahres. Ein Gegenstand, dessen sich Devisenhändler, Banken, Nationalbanken und Wirtschaftsminister auch ständig annehmen.

Auf diesem Gipfel wurde doch nicht um die geläufigen nationalen Pluspunkte des Geschäftslebens gestritten - hier ging es doch darum, wieweit Streit noch erlaubt ist. Die eingangs zitierte Erklärung des Erdnußmannes zeugt ja nicht gerade von Frohsinn über demokratische Verkehrsformen im westlichen Bündnis. Demokratisch geht es erstens zwischen Nationen nie zu und zweitens bedauert Carter im Moment jeden Gebrauch nationaler Souveränität, der sich nicht umstandslos die Konfrontation mit dem Osten zum Ziel setzt. Der gute Mann hat bemerkt, daß selbst in der Benutzung und Erpressung des Ostens, also in Sachen Grundlagen des westlichen Bündnisses, antiamerikanische Umtriebe auszumachen sind. Wenn es heißt, die politische Weltlage würde "Schatten" auf den süßen "Weltwirtschaftsgipfel werfen", so ist das richtig und nicht falsch. Der Paragraph 4 der bisher einzig korrekten Imperialismustheorie war ja schon immer die praktische Grundlage für Paragraph 3, 2 und 1. Wer treibt denn schon mit einem Staat Handel, den er einkassieren kann; und wie sollen denn Geschäfte zwischen Nationen aussehen, die ihre wirtschaftlichen Interessen nicht sicherheitspolitisch untermauern können; wie käme denn ein dauerhaftes Bündnis zwischen Konkurrenten, zwischen Frankreich, Großbritannien, der Bundesrepublik und mit den USA zustande, wenn nicht die USA mit ihrer ganzen Macht beständig darauf dringen würden, daß sich die Freiheit der westlichen Souveräne mit ihrem gemeinsamen Anliegen verträgt.

Carter wird also recht behalten, und das Staunen darüber, daß gegenwärtig das internationale Wirtschaftsleben der politisch-militärischen Konfrontation mit dem Osten untergeordnet wird, anderen überlassen. Daß die ganze Affäre im Ambiente der alten Handelsmetropole abgewickelt wurde, geht in Ordnung. Während aber früher der internationale Handel den Wettbewerb zwischen Bildhauern ermöglichte, sichern die heutigen Händel lediglich einer Schwadron Froschmännern den Arbeitsplatz. So geht Geschichte.