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Dieser Artikel ist in der MSZ 4-1980 erschienen.

BAG-Aussperrungsurteil
ARBEITSKÄMPFE MIT RECHT BILLIG

Das Urteil von Kassel ist endlich bekannt. An diesem stinknormalen Bundesarbeitsgerichtsurteil lobt die Presse, daß es "voll auf der Linie des höchstrichterlichen Weltbildes" liegt, womit sich das soziale und menschliche Weltbild der Gewerkschaften als das erwiesen hat, was es schon immer war: illusionär. Denn "Bei Streik ist die Aussperrung zulässig" lautet die journalistische Erfolgsmeldung mit der der gewerkschaftliche Moralkodex "Wer aussperrt, gehört ein gesperrt!" der Blamage preisgegeben ist. Der anerkannte Tarifpartner hatte hingegen allen Grund, mit diesem Urteil zufrieden zu sein: "Mit diesem Urteil können die Gewerkschaften leben".

Entschieden hatte das BAG, daß im Falle des Metallerstreiks die Aussperrung rechtens gewesen war, während im Falle des Druckerstreiks die Unternehmer das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt hätten, also unrechtmäßigerweise ausgesperrt haben. Der Gewerkschaft, die mit einer Alles-oder-Nichts-Argumentation vor die Schranken des Gerichts gezogen war, wie den Unternehmern erteilten die Richter die rechtskräftige Auskunft, daß jeder Arbeitskampf gewisse Regeln zu befolgen habe, und forderten die auf die Tarifautonomie so stolzen Sozialpartner auf, gefälligst selber "das Paritätsprinzip und Übermaßverbot durch autonome Regelungen" zu konkretisieren.

Die betroffenen Parteien mußten so etwas ähnliches erwartet haben, denn niemand war sehr darüber überrascht, daß "im Grundsatz" die Unternehmer, "im Detail" die Gewerkschaften Recht bekommen haben. Wo die Gewerkschaften auf einen höchstrichterlichen Schiedspruch spekuliert hatten, ob die Unternehmer so "eiskalt", "willkürlich" und "menschenverachtend" mit einer grundge setztreuen Gewerkschaft umspringen dürften, mußten sie diesem Urteil das grundsätzliche Ja entnehmen. Wo die Gewerkschaften klagend auf ihre geleerten Kassen verwiesen, entschieden die Richter, daß man einer Gewerkschaft nicht einfach mehr Kosten aufbürden dürfe, als sie für den jeweiligen Stand des Arbeitskampfes für nötig und für ihre Finanzen für möglich erachte. Anders: Aussperren dürften die Unternehmer jeweils nur soviel Leute wie notwendig, um die Gewerkschaftskasse nicht über Maßen zu belasten. Denn, wie längst bekannt, habe im Arbeitskampf die Verhältnismäßigkeit oberstes Gebot zu sein. Weil bisher weder der Gesetzgeber noch die "sozialen Gegenspieler" dieses Gebot genauer geregelt haben, entschied sich das Gericht im vorliegenden Fall für ein Verhältnis: Streiken weniger als 25% der Arbeitnehmer eines Tarifbereiches, dann dürften die Unternehmer auch nicht mehr als 25% der Arbeitnehmer aussperren, denn nur so sei das "Verhandlungsgleichgewicht der sozialen Gegenspieler" gewährleistet. Und was hätte auch bei einem Streit über die Verhältnismäßigkeit der Arbeitskampfmittel, den die Gewerkschaft unbedingt gerichtlich klären lassen will, anderes rauskommen sollen, als daß dann das gerechteste Verhältnis das ist, welches das Gericht festlegt. Denn dabei verfolgt der Staat doch nur ein Interesse, nämlich seines, daß die Arbeitskampfkosten in solch ausgewogenem Verhältnis verteilt sein sollen, wie dem Zweck einer schnellen Einigung der "Sozialpartner" und somit dem Gedeihen der deutschen Wirtschaft dienlich.

Eine in diesem Sinne wechselseitige Rücksichtsnahme der Tarifpartner gerichtlich festlegen zu lassen, war auch das Ziel der Gewerkschaften. Vorgetragen wurde dies allerdings mit dem Elan eines selbsternannten Gralshüters der Demokratie, der in den aussperrenden Unternehmern tiefste Unmoral als Motiv entdeckte. Mit moralischen Kalibern aller Art, wobei selbst die Arbeiter im Namen einer gerechteren Demokratie für ein Verbot der Aussperrung demonstrieren mußten, zogen diese modernen Don Quichottes vor Gericht gegen die Unternehmer zu Felde, um die "Willkür und Rücksichtslosigkeit dieser radikalen Minderheit" zu entlarven, die daran schuld sein soll, daß die Gewerkschaft dem Auftrag des Grundgesetzes, Arbeitskämpfe so gerecht wie billig zu führen, mehr schlecht als recht nachkommen könne. Solch Imponiergehabe einer Gewerkschaft, die nichts lieber tut, als ihre uneigennützige Moral ins rechte Licht zu rücken, beeindruckte das Gericht wenig, zumal es nur über das rechtmäßige Verhältnis von Aussperrung und Streik zu befinden hatte. Daß Eugen der Loderer das Urteil als "halbherzig " kritisierte, weil das Gericht sich dem "Machtwillen der Unternehmer" gebeugt habe, versteht sich von selbst. Schützenhilfe bekam er dabei von der auf Arbeiterwahlstimmen scharfen SPD, deren Vorsitzender Willi sofort gerochen hatte, daß hier moralische Unterstützung vonnöten sei, weswegen er der Aussperrung kraft seines Amtes bescheinigte, "keine moralische Basis" zu haben. Das braucht die Aussperrung auch gar nicht, da sie auf einer rechtlich sehr fundierten Basis steht, von der finanziellen ganz zu schweigen. Aber gut getan hat es sicher der Moral der gewerkschaftlichen Truppe, die den "Kampf gegen die Aussperrung" unverdrossen fortsetzen will.

Wo sich die Gewerkschaft mit Arbeitskämpfen für eine Besserstellung der Proleten bei der Demokratie nicht unbeliebt machen will, hält sie es in Rücksicht auf die eigene Kasse für billiger, dadurch ihr Ansehen zu stärken, daß sie die Arbeitskämpfe vor dem Kadi austrägt. Und weil auf so etwas, sich die richterliche Erlaubnis zum Führen billiger Arbeitskämpfe zu erstreiten, kein Arbeiter kommt, hatte die Gewerkschaft dafür gesorgt, daß an die 35 000 Arbeiter auch ihre Klagen wirklich einreichten.

Unser Tip: Die billigsten Arbeitskämpfe sind die, die nicht geführt werden, wobei wir allerdings nicht die Schwierigkeit verkennen, daß auf diese Weise der gerechte Part der Gewerkschaften in der Tarifautonomie nur schwer zu demonstrieren ist.