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Köppler-Nachrufe
POLITISCHER LEICHENSCHMAUS
"Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord. So schön, als man ihn nur verlangen tun kann. Wir haben schon lange so keinen gehabt." Georg Büchner, Woyzeck
Als Sepp Grumberger am 10.5.1980 - zehn Jahre vor dem Rentenalter - das Zeitliche segnete, hinterließ er nichts als Kosten: Sarg, Anzeige und Leichenschmaus fielen zu Lasten der Hinterbliebenen - ansonsten war er zu nichts mehr zu gebrauchen. Ganz anders drei Wochen vorher bei Heinrich Köppler - nur ein Jahr jünger als Sepp G.
Angesichts des Nutzens, den man aus dem Leichnam zu ziehen sich anschickte, verwundert es schier, daß wegen der damit verbundenen Motive sich in der ganzen Republik kein übereifriger Kriminalkommissar fand, der die Natürlichkeit dieses Politikertods in Zweifel zog. Ganz im Gegenteil: Allenthalben wurde über die Natürlichkeit des vorzeitigen Absterbens von Politikern lamentiert, wurden die Gefahren beschworen, die der Beruf, dem sie sich selbstlos hingegeben haben, für Leben und Gesundheit berge. Und bei Sätzen wie "Die Politik ist mörderisch" (K.-H. Flach - auch schon tot - der Politiker!) oder "Die Politik hat ihn kaputtgemacht", blieb kein Zweifel bezüglich des Objekts, daß nämlich ausgerechnet die Macher der Politik ihre Opfer sein sollten. Fleißig trug man Bilder von toten und kranken Politikern zusammen, um die Gefährlichkeit eines Berufes hervorzukehren, der wie kein anderer die Freiheit des ihn Ausübenden zur Geltung kommen läßt. Gerade deshalb konnte msn nicht genug kriegen von der Ausmalung des Zwangs, dem sie bei der Bewahrung unserer Freiheit ausgesetzt sind:
"Ihr Alltag ist übervoll mit Terminen bepackt" und "Am schlimmsten sind Politiker vom Sonntags-Mißbrauch betroffen - je höher sie stehen, desto härter werden sie beansprucht." (Münchner Abendzeitung)
Angesichts des utopischen Charskters der Sozialforderung der AZ -
"Wenigstens ein Wochenende im Monat sollte von Veranstaltungen freigehalten werden!" -
und der Unausweichlichkeit des Sterbens in diesem Beruf -
"Wer sich schonen will und nur acht Stunden arbeitet, riskiert den politischen Tod. Wer sich dem ständigen Erfolgszwang, dem Streß, der Hektik, den parteipolitischen Strategien und dem 17-Stunden-Tag beugt, endet oft im Krankenhaus." (Abendzeitung)
soll auf den Arbeitsämtern, trotz der nach wie vor gespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Nachfrage nach solchen Jobs drastisch zurückgegangen sein, so daß Josef Stingel in Vertrautenkreisen schon von einer Gefährdung für die weitere Aufrechterhaltung des Ladens gesprochen haben soll. Man stelle sich vor: "Bundesrepublik Deutschland wegen Personalmangels bis auf weiteres geschlossen"! Welcher Mann von der Straße will sich das auch schon antun: "Nur sieben Stunden Schlaf" und den Rest des Tages aufstehen, waschen, frühstücken, Zeitung lesen, telefonieren, arbeitsessen, in der Republik herumgondeln, Hände schütteln, unverbindliche Worte sagen, bei Gesetzentwürfen die Hand hochheben, wieder arbeitsessen fern der gemütlichen Familie in einem unpersönlichen Luxusrestaurant, fernsehen und ins Bett fallen! Wenn das kein Opfer ist für die lumpigen Diäten, die mit zusätzlich an Land gezogenen Beraterverträgen usw. die Spesen nur unzureichend decken, so daß man schon von der eigenen Substanz leben muß:
"Sein Dienst für unser Vaterland hat ihn verzehrt." (Klageweib Kohl)
Wenn man es so betrachtet, erscheint eine Karriere gegenüber der einfachen Arbeit als aufopferungsvoller Dienst, von dem - was Wunder: Ist doch die Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst Ausdruck allerhöchsten Verantwortungsbewußtseins - sich ein Politiker nicht einmal durch seine Frau abhalten läßt:
"Natürlich bin ich ständig in Sorge. Aber was soll man machen als Frau?" (Bärbel Genscher in BILD)
Tina Mischnik weiß da Rat: Sie hält ihrem Alten wenigstens die privaten Sorgen vom Hals. Der Kanzlerkanidatenmarianne ist das zu wenig, sie hält sich an Gott und geht mit ihrem Franzl, so oft es geht, gassi:
"Bei Politikern hilft nur beten.... Wem mein Mann einmal zu Hause ist, und es die Zeit erlaubt, gehe ich mit ihm viel spazieren."
Wenn sie ihn nur ja nicht zu sehr hetzt in der kurzen Zeit mit ihrem vielen Rumrennen! Es gab eigentlich im deutschen Blätterwald nur eine Stimme, die den Politikerfrauen die Angst zu nehmen versuchte und ernsthaft bestritt, daß Politiker besonders herztodanfällig seien:
"Die Todesursache Herzinfarkt ist unter Polltikern angeblich besonders häufig. Das ist ein Gerücht." (DIE ZEIT)
Dem "Zeit"-Autor war zwar nicht die Verwandlung von Karriere in Überarbeitung aufgefallen, aber eine nicht unerhebliche Gefahr der Mißdeutung, die sich aus der gängigen propagandistischen Nutzung der Leiche ergeben könnte: daß man nämlich Arbeit überhaupt mit Gesnndheitsgefährdung in Zusammenhang bringen könnte:
"Herzinfarkt, darüber schien Einigkeit zu herrschen, befalle nun einmal vorzugsweise hart arbeitende und hektisch agierende Menschen."
Die "Zeit" möchte solchen Vorwurf auf dem Lebenszweck nicht sitzen lassen und gibt ihn an die Lebensmittel weiter:
"...die Gifte, denen wir uns aussetzen, und die Völlerei... Mithin darf es nicht überraschen, daß die Epidemiologen bei ihrer Fahndung nach den Ursachen für den Herzinfarkt bislang nur das Zigarettenrauchen und die falsche Ernährung als umweltbedingte Faktoren dingfest machen konnten."
Zwar wollten die übrigen Nachrufer niemanden zum vorsichtigen Umgang mit der Gesundheit am Arbeitsplatz mahnen, sondern dem Respekt vor dem politischen Tun nicht zuletzt für den Wahlsonntag auf die Beine helfen, aber ein Appell zum Konsumverzicht konnte angesichts des drohenden Ausflugswetters ja auch nicht schaden. Daß die Union weder aus dem Wetter noch aus der Leiche ihres Landesvoraitzenden einen Nutzen gezogen hat, heißt nicht, daß sie darauf nicht heimtückisch spekuliert hätte. Schließlich hat sie auf diesem Gebiet seit 1958 (damals verhalf der tote Ex-Regierungschef Arnold der CDU zu einem klaren Sieg) einschlägege Erfahrungen und hoffte auch diesmal auf den "Solidarisierungseffekt" bei den Parteigenossen und auf den "Mitleidseffekt" bei den Wählern.
Vielleicht lag die Wahlniederlage daran, daß nicht auch Biedenkopf aus den Latschen kippte. 'Doppeltes Mitleid für NRW' hätte eventuell gezogen. So Biedenkopf aber lebt, mußte doch jeder drauf kommen, daß der zu wenig Verantwortung trägt, zumal er den Anzug des Spitzenkandidaten anzog, kaum daß der unter der Erde war. Andererseits sollte man ihm das nicht nachtragen, dem Biedenkopf. Eine Witwe sieht man scheel an, wenn sie sich zwei Tage nach der Beerdigung ins neue Ehebett stürzt. Ein Politiker darf das, schließlich geht es ja um das Wohl des Staates.