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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1980 erschienen.

Systematik

Buchhandelspreis für Cardenal
DIE KULTUR FÜR ALLE - ALLE FÜR DIE KULTUR

I. Der Preis.

Den "Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels" bekommen in schöner Regelmäßigkeit Persönlichkeiten verliehen, die in sich das Ideal einer Verbindung von Politik und Kultur verkörpern. Nach Leopold Sedar Senghor, der Ende der 60er Jahre schon dafür ausgezeichnet wurde, daß er die bornierte Verwurzeltheit des Afrikaners in Stamm und Kral als Negritude feierte und die Negernatur als "jene Hefe" pries, "derer das weiße Mehl bedarf" (aus einem Senghor-Poem), damit der Negerseele eine Kultur verlieh und zugleich den Umgang der westlichen Welt mit den Schwarzen als geistige Symbiose sanktionierte, ist in diesem Jahr der "zwischen Metaphysik und Politik schwankende Autor" Ernesto Cardenal an der Reihe. Damit bestätigt sich der Börsenverein nicht nur, daß er mit seiner Lateinamerikaliteraturshow vom Herbst 78 goldrichtig lag (dem Absatz der ollen Suhrkamp-Kamellen von damals wird es auch nicht schaden), sondern setzt seine durchaus politisch gemeinte Anerkennung für Leute fort, die in ihren, hier als "unterentwickelt" bezeichneten, Ländern durch ihre Betätigung als Künstler die universelle Gültigkeit abendländischer Humanitätsideale zum Ausdruck bringen ("Friedenspreis" heißt es nicht umsonst). Nicht nur, daß auch unter den alles andere als kulturell verheißungsvollen Verhältnissen der "3. Welt" Kunst produziert wird, die Kunstproduzenten setzen sich selber für eine Politik ein, die sich ihren Menschheitsidealen verpflichtet weiß.

II. Der Autor.

Geehrt werden also nur solche Leute, die das hier vertretene Ideal von Politik, für dortige Verhältnisse hergerichtet, darstellen. Daß Ernesto Cardenal diesen Preis verdient hat, daran kann nun wirklich kein Zweifel bestehen: Er praktiziert in Nicaragua seine hier allenfalls als unverbindliche Vorstellung geduldete Auffassung, daß die Kunst einen politischen Auftrag habe, der danach schreit, in die Tat umgesetzt zu werden, und daß dort Zustände existieren, die danach schreien, in Dichtung gesetzt zu werden.

In Nicaragua sitzt die Kunst in der Regierung - wobei Cardenal nicht einmal die "Ausnahme in diesem Land ist: Eine ganze Armada, von Künstler-Politikern, unter ihnen Junta-Mitglied Sergio Ramirez, steuert seine Geschicke, was natürlich die Anteilnahme eines BRD-Intellektuellen an diesem Land nur erhöhen kann. Die Frankfurter Rundschau kann deshalb folgende Laudatio loswerden:

"Nicht nur, daß Guerilleros und Bürgertum ein bislang krisenfestes Bündnis eingegangen sind, um eine Demokratie des freiheitlichen Sozialismus nach fast einem halben Jahrhundert brutaler Familiendiktatur zu errichten. Nicht nur, daß die Revolution auch im Namen des leidenden Jesus Christus geführt worden ist und die lateinamerikanische Theologie der Befreiung damit einen maßstäblichen politischen Ausdruck gefunden hat. Die Geschicke der Revolution in Nicaragua bestimmen an wichtigen Positionen auch Dichter mit... Schriftsteller schreiben - welch utopisches Verhältnis - die Poesie des Anfangs einer Wirklichkeit mit, für die ein neuer Mensch gefordert ist." (Frankfurter Rundschau, 3.5.80)

Wer sich als idealistischer Künstler, nun im Amt des Kultusministers, für eine Veränderung der sozialen Verhältnisse in dem von Somoza und den USA ausgepowerten Land mit seinen künstlerischen Mitteln einsetzt, hat kein Problem damit, ob und wie es denn den Leuten wirklich besser gehen kann unter den Sandinistas. Er propagiert nach wie vor, nur jetzt ganz offen und ungehindert, bzw. mit staatlicher Rückendeckung, die Werte, auf die es ihm schon immer ankam, während er unter Somoza ständig damit rechnen mußte, daß seine Projekte einer "urchristlichen Gemeinschaft, in der Poesie und Mystik sich mit dem Leben und den einfachen Bedürfniasen indianischer Bauern und Fischer- aufs intensivste durchdrangen", zerschlagen wurden. Der "neue Mensch" in Nicaragua, der ein selbständiger und gebildeter sein soll, darf nun als erstes Lesen und Schreiben lernen, um dem Ideal gerecht zu werden, das der Dichter von ihm im Kopf hat.

"Damit die Kultur in Nicaragua wirklich Wurzeln schlagen kann, findet jetzt die Alphabetisierungskampagne statt." (Interview mit Cardenal in der Süddeutschen Zeitung, 10./11.5.80)

Denn genaugenommen handelt es sich in Nicaragua um eine Kulturrevolution:

"Im ganzen Land gab es eine kulturelle Wiedergeburt in der Folklore, in der Musik, dem Tanz, dem Lied der Poesie, dem Theater, der Bildhauerei. Und zum erstenmal gibt es jetzt auch nicaraguanische Filme. Überall ist so etwas wie ein enormer kultureller Durst entstanden. Vorher hat unser Volk das Wort Kultur nie ausgesprochen und wußte auch oft nicht, was es bedeutet. Seit dem Sieg der Revolution gibt es überall Kulturhäuser, Kulturkomitees, Delegierte für Kultur, Veranstaltungen, jeden Tag und überall im ganzen Land."

Das wird den Massen den neuen, revolutionären Alltag so richtig schmackhaft machen. Die Gefahr, daß die Kulturrevolutionäre wie die Neue Zürcher Zeitung meint "Hoffnungen und Erwartungen wecken, die kurzfristig kaum zu erfüllen sein werden" (NZZ, 7.5.80), ist dabei aus zwei Gründen nicht gegeben: Erstens haben die Sandinisten für die unter "wachsendem Druck von der Basis und steigender Unkontrollierbarkeit der eigenen Bewegung" vorgekommenen "Übergriffe" bereits den Ausdruck der "inmadurez" (Unreife) geprägt - gegen "revolutionäre Ungeduld" wird also unter Fortsetzung der Kulturpolitik mit anderen Mitteln entschieden vorgegangen. Zweitens ist "die ganze Revolution" ja eh nur "Kultur" (Cardenal) - weil ohne Kunst kein Leben, vor allem kein menschenwürdiges.

"Für uns ist alles, was die Revolution hervorgebracht hat, Kultur. Und Kultur heißt für uns Revolution... Dies ist die Etappe des kulturellen Aufstandes. Für uns kommt jetzt alles auf eine nationale Kultur an, hinzu kommt das Universelle."

Das Volk in Nicaragua darf sich also nicht nur an (originär nicaraguensischer) Lyrik ergötzen und die von Cardenal überall eingerichteten "Dichterschulen" besuchen, direkt proportional zum Weiterbestehen des Massenelends verstärkt sich die Propaganda für ein Nationalbewußtsein. Cardenal hat bereits 1972 mit seinem "Nationallied für Nicaragua" vorgesorgt:

"Auf einer Kaffeepflanzung die kakaobraune Bäuerin

gab ihm köstliches Wasser in einem ausgehöhlten Kürbis

und er sah auf dem Kürbis

Wappen, Vögel, Palmetten, Mäander, Buchstaben..."

Daß unter der neuen Ordnung so ziemlich alles beim alten bleibt, wenn nur der angeblich neue Indio-Mensch seine kümmerliche Existenz jetzt genießen darf, indem er sich einbilden soll, er sei ein Teil der "nationalen Identität" - fürwahr eine Kunst, die hier einen Preis verdient hat!

III. Das Publikum.

Der schriftstellernde Jesuitenpater Cardenal schreibt seinem Volk (un)verblümt vor, wie es sich in Zukunft mit wenig Brot und Wasser, aber viel Kultur im Kopf selbstzuverwirklichen hat. Mit dieser Repräsentation einer Kulturvolksrepublik setzt der Minister seinen schon in der vorrevolutionären Zeit als Künstler gepflegten Idealismus nun offiziell fort. Wobei man sich sicher sein kann, daß seine lyrischen Ergüsse ebenfalls den Nerv des hiesigen Publikums treffen:

"Sie sagten mir, daß du mit einem anderen gehst,

da ging ich in mein Zimmer

und schrieb den Artikel gegen die Regierung,

für den ich jetzt im Gefängnis bin."

Daß solche Gedichte, die Cardenal in der Absicht schreibt, der "suggestiven Melodik und dem schwelgenden Erlesenheitskult seines Landsmannes Dario zu entgehen", von unseren Intellektuellen begierig aufgegriffen werden, ist klar: Erstens handelt es sich ja schließlich um äußerst "konzise Texte, in denen fernöstliche Bildpoesie mit Catullscher Epigrammatik eine fruchtbare und sehr moderne Verbindung eingegangen ist" (Süddeutsche Zeitung). Die Botschaft ist tatsächlich sehr knapp und sehr modern: Es handelt sich um die gar nicht exotische, gleichwohl suggestiv vorgetragene Bestätigung des gängigen Vorurteils, warum einer zum Gesellschaftsgegner wird. Zweitens ist es nur lobenswert, wenn Dichter ihre Ideen - die man sehr schätzt als Ideen - einmal in staatlichem Auftrag an den Mann bringen dürfen und damit der Kunst ihre Realität und dem Staat seine lauteren Absichten bestätigt werden. Drittens erkennen fortschrittliche europäische Menschen in einem Mann wie Cardenal ihren alten Traum des Zusammenfallens von Politik und Kultur wieder (das wird den Lateinamerikasolidaritätsfeten enormen Aufschwung geben!). Viertens zollt ihm die breitere Öffentlichkeit Anerkennung zu einem Zeitpunkt, zu dem Cardenal in allseits, selbst von den USA respektiertem staatlichen Auftrag agiert: Sein Eintreten gegen die Herrschaft in Nicaragua ist jetzt passe und - gerade als Minister - ist er jetzt wieder das, was er schon immer war - der "Priester-Poet" Ernesto Cardenal, SJ, jetzt durch und durch preiswert.

Fiktives Elend

"Frage: Merkwürdig: Ihr Roman schildert viel Elend und Mißlingen von Widerstand. Er beschreibt Opfer, aber er ist für mich auch sehr komisch und grotesk. Er zeigt das immer Gleiche, keinen Fortschritt. Und jetzt hat die Wirklichkeit dieses Buch überholt.

Ramirez: So war eben die Realität in Nicaragua. In dem Buch findet sich tatsächlich etwas Groteskes, Ironisches - in der Figur des Diktators etwas Komisches. Aber die Diktaturen in Lateinamerika sind tatsächlich so; ihre Handlungen sind bis zu einem gewissen Grad irreal. Sogar die Gesetze, die sie erlassen, erscheinen oft eher wie eine Fiktion." (Aus einem Interview mit Sergio Ramirez, Junta-Mitglied in Nicaragua, in der Frankfurter Rundschau vom 3.5.80)

Kulturimperialismus kritisch

"Der moderne Rassismus anerkennt mit der nützlichen politischen Herrschaft, zu der mehr oder minder studierte Neger fähig sind, auch den Menschenschlag, dessen 'Natur' sich da äußert. Hatte die alte Lehre darauf bestanden, Untermenschen auch als Vieh zu behandeln. so ist mit überwundenem Kolonialismus das Zugeständnis fällig, daß die Barbarei in all ihren Ausgestaltungen der für sie zuständigen Rasse zu überlassen sei, weil die werden schon wissen, welche Lebensgewohnheiten für sie passen." (RESULTATE, Imperialismus 1)

Afrikanische Kinder als Spielzeug-Konstrukteure

"Wie einfallsreich und schöpferisch Kinder in Elendsvierteln der Dritten Welt, für die es keinen 'Spielzeug-Fachhandel' gibt, sein können, zeigt eine Wanderausstellung, die vom Übersee-Museum in Bremen und dem Lübecker Museum für Kunst und Kulturgeschichte gemeinsam gestaltet wurde und seit über einem Jahr auf 'Tournee' durch Deutschland und Frankreich Ist. Auf Einladung der Münchner Arbeitsgruppe von 'Terre des Hommes Deutschland' wird die Schau 'Afrikanische Kinder als Konstrukteure' während des Münchner Theaterfestivals vom 23. Mal bis zum 8. Juni auf der Spielstraße im Olympiapark Süd gezeigt.

Die in den Slums von Nairobi gesammelten Spielfahrzeuge aus Draht, leeren Konservendosen und sonstigem Wohlstandsmüll, deren kleine Erfinder zum Teil sogar komplizierte technische Probleme bewältigt haben, sollen die Münchner Kinder nicht nur zum Mitmachen und Mitspielen anregen, sondern ihnen auch die Augen für die eienden Lebensumstände afrikanischer Kinder öffnen.

Zu diesem Zweck hat 'Terre des Hommes' die in einem fahrbaren Großcontainer untergebrachte Ausstellung um Phototafeln und eine Ton-Dia-Schau bereichert, mit denen das Dasein in Entwicklungsländern wenigstens andeutungsweise und für Kinder nachvollziehbar skizziert wird." (Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 1980)

"ÜBERSEEMUSEUM, städtischer Glaskasten für - koloniale Beute und exotische Souvenirs Bremer Kaut- und Geldsäcke aus vergangenen Tagen. Heute von den Trophäen vom Negerschlachten weitgehend entrümpelt und als Versteckspielplatz für Bremer Stöpkes nahezu unbrauchbar geworden. Wird aber öffentlich gerechtfertigt durch den hohen Anspruch der Entrümpelung: 'Die erklärende Aufgabe der Völkerkunde wird in erster Linie im Abbau der üblichen ethnozentrischen Einstellung gesehen, das heißt der selbstverständiich scheinenden Meinung, die Ideen, Werte, Normen und Verhaltensweisen der eigenen Gesellschaft seien die natürlichen und besten.' Wirklich spektakulär an die Öffentlichkeit getreten mit dem fahrenden Container. Sein Inhalt, aus Müll und Abfall von Negerkindern aus Nairobis Armutsvierteln in höherem Auftrag zusammengeschustertes Edelspielzeug, wird durch Deutschland kutschiert, damit der mitreisende Pädagoge M. Michaelis seine Botschaft fürs einfache Volk ablassen kann: 'Die Sachen beweisen, daß die afrikanischen Kinder trotz (!) dunkler Hautfarbe sehr helle sind.' ("Bremer Hochschulzeitung" der MARXISTISCHEN GRUPPE vom 22. Januar 1980)