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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1980 erschienen.


HAMBURG RUFT JENS

Der Beschluß der Hamburger Universität, Vermächtnis und Renommee einer "Bürger-Uni" durch eine neu einzurichtende "G.E. Lessing-Professur für öffentliche Wissenschaft" zu pflegen, geriet unversehens zum öffentlichen Spektakel. Anlaß dazu war weniger die Absicht von politischem Senat und Universität, mit der "Widmungsprofessur" die "Kluft zwischen akademischen" und den vom lukrativen Geschäft mit dem höheren Blödsinn ausgeschlossenen Bürgern "verkleinern" zu wollen, als vielmehr die "leidenschaftliche Persönlichkeit" W. Jens, dem diese Unternehmung angetragen werden soll, und der darüber einmal ohne unmittelbares Zutun ins "Kreuzfeuer" kam.

Die Verfolger

dieses "Hochgebildeten, dieses Asketen (?), dieses Schwärmers": CDU, sympathisierende Professoren und Springer-Journaille, die in dem "Extremisten im öffentlichen Dienst", wie Jens sich publikumsruirksam in der Ausschmückung der eigenen billigen Radikalität gefällt, in zweckgemäßer Interpretation des Sachverhalts den Antritt eines "Rhetorik (eben!)-Professors in Sachen Eurokommunismus" mutmaßten, in der Bürgerschaft groß anfragen ließen und wieder einmal die geistige Unterwanderung der Demokratie zugange sehen:

"Das Lehrprogramm von W. JENS läßt sich also voraussehen: Mit Kommunisten soll man zusammenarbeiten, den Antikommunismus bekämpfen, Feinde unserer politischen Ordnung zu Lehrern ernennen, diese Ordnung als einen Hohn auf die Verfassung bezeichnen, das Bundesverfassungsgericht mißachten, die Bundeswehr als Feinde der Freiheit ansehen - und das alles angesichts der Ereignisse in Afghanistan (!) und der Verfolgung der Kämpfer für Menschenrechte in Osteuropa." (WELT, 5.5.80)

Und das zu Zeiten, wo deutsche Schriftsteller sich in Briefen an den Kanzler um die rechte Verteidigung der Nation bekümmern! Als ob Professor Jens mit seinen öffentlichen Selbstanklagen "Wir Extremisten", mit denen er sich schon damals beim Bundespräsidenten für dessen Verständnis für den kritischen Geist aufs freundlichste bedankte, und mit den radikalen Eitelkeiten des Geistes -

"Jawohl, wir sind radikal, radikal im Denken und radikal in der Absage (1) an die Gewalt"

- je etwas anderes beabsichtigt hätte als das zurschaugestellte Entzücken am Geist der eigenen Kritik. Der "Fall Jens" war mithin perfekt.

Die Verteidiger

des "streitbaren Unabhängigen" ließen es sich nicht nehmen, den Verdacht, mit dem CDU und journalistische Hilfstruppen den Rhetorik-Schauspieler aus Tübingen belegt hatten, auf allen Ebenen zu entkräften. Zugunsten des freien Geistes galt die öffentliche Sympathie ganz dem mit den Insignien ausgestatten W. Jans, mit denen die Intelligenz der Nation zu Rang und Würden kommt:

"Sein Ruf als Philologe, Autor, Übersetzer, mehrfaches Akademiemitglied und vielfacher Preisträger ist unantastbar" (das Menschenecht des Geistes!). "Man brauchte Seiten, wollte man alle seine Verdienste aufzählen."

Beste Voraussetzung also, sich auch dem kritischen Geist dieses "großen Sohnes" Hamburgs verpflichtet zu zeigen. Eine Aufgabe, die für die Freie und dem "Geist der Toleranz" aufgeschlossene Hansestadt erwartungsgemäß Bürgermeister Klose übernahm, der die Pose des Aufgeklärtseins gegenüber seiner studierten Wählerschaft bei den entsprechenden Gelegenheiten aufmerksam zu pflegen weiß. In seiner Rede vor der Hamburger Bürgerschaft breitete er gekonnt die bei intellektuellen Begutachtern des politischen Geschehens stets verfangende Heuchelei der dem Geist gegenüber respektierlich auftretenden Politik aus:

"Wer so verfährt, wie die CDU in diesem Hause, oder wer, bezogen auf Intellektuelle, von Ratten und Schmeißfliegen spricht, der betreibt eine Strategie der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, der drängt kritische Intellektuelle in eine extreme Ecke und empört sich dann, wenn die so (!) Angegriffenen aus dieser Ecke heraus heftig reagieren. ... Vielleicht tragen die Anfrage der CDU und die Debatte darüber dazu bei, daß wir lernen, uns um der Freiheit willen zu schämen."

Der Verfolgte

W. Jens weiß sich nicht nur durch das genierliche Gehabe eines Politikers in seiner moralischen Integrität geschmeichelt. Gerade die Attacken von CDU und Springer ("Ich möchte von der Springer-Presse nicht gelobt werden; also können ihre Beleidigungen mich nicht beleidigen.") haben es ihm angetan. Die Repräsentanten deutscher Kulturgröße wissen die häßlichen Töne durchaus zu schätzen und kosten in ihnen die selbstbewußt verfertigte "Hommage an die Macht des Geistes" aus, wie nunmehr Jens sich zum eigenen "Fall" nachhaltig vernehmen läßt. Ihm kommt die angezettelte Debatte Geist versus eine "konservative Politik", die der wohlgepflegten Illusion eigener Bedeutsamkeit für das Geschehen in der Republik schon seit je ohne große Sympathie gegenüberstand (mit den "Pinschern" haben die holden Mißstimmigkeiten angefangen!), recht gelegen. Er genießt in ihr, mit gefälligen Anmerkungen aus der "Weltstadt" Tübingen versehen -

"Welche Angst vor dem freien Wort" -,

die Verfolgung seiner als "Aufklärung" mißverstandenen Phrasen durch die Macht, die er sich schon beizeiten ganz öffentlich gewünscht hat.

"Wir dürfen, zum ersten, nicht wehleidig sein. Selbst der infamste Angriff ehrt uns mehr als der Applaus, den man denjenigen zollt, die nichts als Hofnarren sind." (Historische Anmerkung: JENS verzerrt hier das Bild des Hofnarren. Diese waren seit je kritisch!) "Das zweite: Wir Schriftsteller, die wir uns als bürgerliche Demokraten verstehen, sollten die Behauptung unserer Gegner, daß wir radikal seien, nicht als Beschimpfung sondern als Ehrenerklärung verstehen."

Endlich ist es auch für W. Jens persönlich und politisch so weit! Die Koketterie mit der trutzigen Selbstlosigkeit für die edle Sache "unbequemer (!) Kritik" an Zuständen, die den freien Geist bewegen, gibt den raffinierten Genuß ab, mit dem ein Walter Jens sich im gelungenen Szenarium dieser "Hamburgischen Dramaturgie" wohlfühlt: "Hamburg will etwas von mir!" Jens hat sich überlegt, wie das geht. Mittlerweile ist es beschlossene Sache, daß der Lehrstuhl für ihn eingerichtet wird - pro forma mit dem vorgeschriebenen Ausschreibungsverfahren.

"In Kennlnis dieser Sachlage will Walter JENS sich nicht bewerben. Das ist eine Frage der Optik und wohl auch des persönlichen Stolzes." (ZEIT)

Wie immer trifft die intellektuelle Besorgnis um den "liberalen Geist" die Wirklichkeit nicht. Denn Jens will die Demonstration der Anerkennnng des kritischen Geistes, auf die er aus ist, als Abbitte genossen wissen, die die Macht der ad personam Jens verfolgten Kritik erweisen soll. Ein freier Geist wie Jens will schon wirklich berufen sein, andernfalls bringt er es lässig, weiterhin "lieber in der Weltstadt Tibingen" den eitlen "Traum vom herrschaftslosen Reich der wahrhaft Freien und Gleichen" aufzuführen.

Wie wir erfahren haben, ziert sich derzeit auch Franz Beckenbauer!