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Der Kanzler präsentiert Helmut Schmidt
FÜR DAS VOLK DER DICHTER UND LENKER
Diejenigen, die über die Ausbeutungsbedingungen daheim beschließen, mit ausländischen Kollegen die jeweiligen politischen und geschäftlichen Beziehungen aushandeln, sich auf vermehrte Rüstungsanstrengungen einigen etc., also die politische Herrschaft mit allen dazugehörigen gewalttätigen Konsequenzen nach innen und außen ausüben, opfern gerade vor Wahlen gern ganze Stunden ihres 17-stündigen 'Arbeitestages, um sich ihrem Volk einmal ganz anders zu präsentieren: Als Mensch, Intellektueller, kurz als Persönlichkeit, die dem Volk dient und diese schwere Aufgabe mit einem Geist erledigt, der für dae harte Geschäft der Politik eigentlich zu schade ist und deshalb in der Politik um so mehr Vertrauen und Bewunderung verdient:
Jedem sein kongenialer Arschkriecher
Erst plauderte Golo Mann im Fernsehen mit dem Ex-Studienrat F.J. Strauß über Weltpolïtik und Geschichte - und die kritische bis liberale Öffentlichkeit bemängelte, daß der geschätzte Historiker dem Politiker gegenüber die Freiheit und Selbständigkeit des historischen Deuters nicht genügend zur Geltung brachte. Als ob nicht auch und gerade darin die wissenschaftliche Freiheit sich bewährt, die demonstrative Distanz zum praktischen politischen Geschäft einmal aufzugeben und mit seinem wissenschaftlichen Ansehen das eines unter Intellektuellen nicht sonderlich geschätzten Politikers aufzupolieren. Dann fand der silbermähnige Kanzler im graumelierten Nobelkommentator und politischen Welt- und Wertlagedeuter H. Heigert den passenden Arschkriecher, der ihm in einem lockeren Plauderstündchen mit Niveau von gleich zu gleich die Stichworte und Fragen zuspielte, an denen der Regierungschef den Geistesmenschen, philosophie- und geschichtsinteressierten Kulturkenner und Zeitdenker heraushängen lassen konnte. Frei von der bekanntlich so drückenden Last tagespolitischer Entscheidungen und der dazugehörigen Verantwortung, durch deren gekonnte Zurschaustellung sich Schmidt normalerweise profiliert, andererseits aber mit der Aura des Machers und Trägers der höchsten politischen Verantwortung ausgestattet, dem man zutraut, in allen höheren Rängen des bürgerlichen Lebens seinen Mann zu stehen, erwies sich der Kanzler dieses Urteils würdig und repräsentierte die Charaktermaske des Menschen Schmidt, die hinter der Charaktermaske Kanzler erwartet wird und sie mit Fleisch und Blut füllt.
Ein verhinderter Städteplaner
Er ist schon ein besonderer Mensch, unser Kanzler, wie er rauchend und schnupfend Oberstudienratskalauer zum Besten gibt und bedächtig und selbstkritisch aus seinem angeblichen Leben plaudert. Er wollte schon immer was Besonderes werden, ehe er beschloß unser fähigster Politiker zu werden, nämlich Städteplaner. Wenn er sein Leben nicht selbstlos der deutschen Demokratie verschrieben hätte, wäre das auch heute noch "eine Aufgabe, die mich reizen würde".
Als Jungparlamentarier, da war er noch nicht der Staatsmann, der er heute ist: ins Parlament trieb ihn "ich gebe es zu, ein gewisser" Ehrgeiz und Neugier: "Ich wollte mal sehen, wie das dort zugeht." Aber inzwischen hat er "Verantwortung und Pflichterfüllung" gelernt. Deswegen darf auch nur er von heute aus über seine politische Karriere so selbstkritisch-salopp urteilen. Der Zuschauer wird es ihm schon als Vorzug anrechnen, sich vom Beweis seiner persönlichen Fähigkeiten zum Einsatz dieser Fähigkeiten für das Ganze emporgearbeitet zu haben. Auch ist er nicht bloßer Tagespolitiker, sondern macht Politik im Bewußtsein historischer Tradition. Bismarck ist sein Vorbild, natürlich nicht mit seiner "schrecklichen Innenpolitik", wohl aber was seine vermittelnde Außenpolitik angeht. Überbaupt hat er was gegen Großmachtträume, denn die Geschichte lehrt, daß das nie gutgehen konnte: Preußen ist daran gescheitert und auch Österreich, wie er Heigert zu korrigieren weiß, der Österreich doch glatt vergessen hatte. Weil nun einmal über die doppelte Fiktion verhandelt werden sollte, daß Politik sich nach den erfundenen Lehren aus erfundenen geschichtlichen Traditionen richtet, und daß unser Helmut als Norddeutscher sich insbesondere der preußischen Tradition verpflichtet fühlt, nutzte er die Gelegenheit, die er sich von Heigert mit seinen bohrenden Fragen nach seinem Urteil über "Was hat uns das Preußentum gegeben" bestellt hatte, und zeigte, was er mit Hilfe seiner Referenten und des Brockhaus an philosophischer Überhöhung seines Machertums zu bieten hat. Weder Friedrich der Große noch der Alte Fritz, nicht Sanssouci und soldatischer Gehorsam, sondern Kants Idee vom ewigen Frieden ("wohlgemerkt, der Friede muß 'gestiftet' werden, sagt Kant") und vom kategorischen Imperativ, das hat unserem Helmut viel gegeben, der ja gegenwärtig verstärkt das Sittengesetz in sich verspürt, sich als Stifter zu bewähren. Deswegen hat er sich "als Hamburger im Rheinland" auch nicht schwer getan. Denn dort - wohl auf dem Weg vom Kanzlerbungalow zum Kabinett - ist er "überall auf die römische Vergangenheit" gestoßen, und dem kulturellen Erbe einer solchen "historischen Landschaft" hat sich sein in und neben der Politik betätigter schöngeistiger Sinn nicht entziehen können. Deswegen war auch seine von Heigert tiefsinnig konstatierte Wandlung vom Amerikophilen zum Frankophilen keineswegs ZufalI oder gar nur politische Berechnung, die zum politischen Charakterzug desjenigen erklärt wird, der sie anstellt.
Ein Kulturmensch mit Problembewußtsein
Schon seine erste Urlaubsreise nach dem Krieg führte ihn nach Lasceaux, - "in die wunderbaren Höhlen, in der Dordogne, die damals noch geöffnet waren". (Man sieht, der persönliche Referent hat gut recherchiert, und der gebildete Kanzler sich mit dem ebenso gebildeten Journalisten auf den Absprung zu den geistigen Zeitproblemen geeinigt.) Nach einer kleinen Prise ein kleiner Talk über seine literarischen Vorlieben, aber gleich als problembewußter Gegenwartsbeobachter: Moderne Literatur, "allerdings nicht nur die", hält er für positiv und mit Siegfried Lenz und anderen hat er auf Empfängen bei sich schon "stundenlang philosophiert". Deswegen ist er auch kompetent genug, den "modischen Überdruß vieler Intellektueller", den Heigert ihm als sein journalistisches Lieblingsthema in den Mund legt, gelassen zu beurteilen: Die Freiheit zum Aussteigen haben die doch nur, weil sie auch wieder ohne Probleme einsteigen, und überall "ins nächste Kreiskrankenhaus zum Gebären" gehen können. Helmuts Sozialstaat garantiert also die Freiheit zum Andersdenken und Helmut hat daher keine Veranlassung zur Kulturkritik, die in den Augen der Öffentlichkeit einen Schatten auf den Glanz seines Modells werfen könnte und nur von der Opposition gepflegt wird. Das war Heigert allerdings "doch etwas zu einfach gesehen", weil er schließlich davon lebt, mit Warnungen vor der Staatsverdrossenheit die Verantwortlichkeit des Geistes herauszustreichen. Außerdem mußte doch wenigstens an einer Stelle einmal ein Einwand gebracht werden, der zu so einem intellektuellen Disput einfach dazugehört. Wie alle Menschen, wenn sie so was Schwieriges gefragt werden, wünschte sich der Kanzler abschließend für das Jahr 2000 einen Zustand mit 'F', sieben Buchstaben und 'en' am Ende. Bloß bedeutet es bei ihm natürlich viel, viel mehr. Er weiß nämlich wie 'schwer' das ist, im Unterschied zum einfachen Volk, bei dem er offensichtlich gerade damit ankommt, daß er seine Distanz zu ihm herausstreicht und sich mit der gehobenen Öffentlichkeit ins Einvernehmen setzt, ganz ihr Mann zu sein.
Der Geist für die geistreiche Macht
In einem Land, - in dem der kritische Schriftsteller Grass im Namen des "besseren Deutschland" den Kanzler zum Frieden mahnet und für diesen Kanzler auf dichterische Wahltournee geht;
- in dem der kritische Schriftsteller und Rhetorikprofessor Jens auf DFB-Jubiläen und SPD-Parteitagen mit schöngeistigen Festreden das glänzende Aushängeschild für "die Herrschenden macht, deren Zittern vor seinem "radikaldemokratischen" "J' accuse" er bei anderen festlichen Gelegenheiten ausspinnt;
- in dem der Paradekorrespondent Scholl-Latour imperialistische Schlächtereien biographisch-dichterisch in den Rang eines tragischen Mißverständnisses kulturell-religiöser Jahrtausend-Gegensätze und sich in den eines tiefsinnigen Zeitgeschichtsdeuters erhebt; - in dem der ehemalige Atombombenbastler und jetzige Friedensforscher v. Weizsäcker das Treiben der Politiker zu einer Menschheitskrise verfabelt und im Namen der Menschheit bereit war, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren;
- in einem Land also, in dem die geistigen Repräsentanten laufend ihre gedachte Verantwortung für die Nation in durchgeistigter Form zur Schau stellen und mit dem Gestus der brennenden Sorge um die Welt, die Menschen, die Wertordnung etc. der staatlichen Gewalt philosphischen, historischen, dichterischen Glanz verleihen, in einem solchen Land wird auch von den politischen Repräsentanten mehr verlangt und geboten als die Ausschmückung ihres Geschäfts mit den Idealen des Erfolgs und des Geschäfts.
Die Qualitäten des Machers, der mit seiner Person für die ökonomische und politische Bewährung der BRD auf dem Globus einzustehen hat, sind mit silbergrauen Haaren, überheblich-sorgenvoller Miene und Prinz-Heinrich-Mütze oder mit Stiernacken, hochrotem Gesicht und agilem Schnaufen zwar repräsentiert, aber nicht hinreichend - und schon gar nicht mit Karriere, Geld und Familie und ein bißchen Erfolgstyps-Publicity wie bei den niveaulosen Amis. Wo sich Wissenschaftler, Journalisten und Dichter als die hesseren Verwalter ihrer Hirngespinste von verantwortlicher Politik aufführen, da müssen sich die Politiker als die entsprechenden Geistesgrößen aufführen, die sich diese Einbildungen zu eigen gemacht haben. Die Politikbeobachter, die selbst beim Stichwort 'Öffentlichkeitsarbeit' schon die Nase rümpfen, bilden für die Werbung unserer politischen Hauptfiguren gerne die Staffage, die solchen Veranstaltungen den Schein von Geistigkeit verleihen, den das gehobene Publikum schätzt. Und die Politiker unterziehen sich der Aufgabe, die Zustimmung zu ihrer Herrschaft bei denen einzuholen, die als einzige noch die Befriedigung ihres - in diesem Fall angenehm höheren - Interesses verlangen, mit derselben Begeisterung, mit der diese Öffentlichkeit ihre Zustimmung zu solchen Politikern erteilt.
Horaz und die Inflation
Daß der Drang, die Zufriedenheit mit den nationalen und internationalen Erfolgen der Politik und den dafür Verantwortlichen geistig auszumalen, grenzenlos ist und vor keiner Dummheit, keiner Selbstkritik an der vorgeblichen eigenen Distanz und keiner Modellierung des wirklichen Kanzlers gemäß dem eigenen Kanzlerwunschbild zurückschreckt, bezeugt ein Modellkommentar im Wirtschaftsteil der "Süddeutschen Zeitung" vom 22./23.12.1979:
Wer seinen Horaz kennt
"Zu dem methodischen Prinzip einer laufenden Überprüfung unseres Erkenntnisstandes hat sich Helmut Schmidt schon bekannt, als das außergewöhnliche Maß seiner Selbstgewißheit noch häufig an den Rand hochfahrender Besserwisserei heranreichte. In diesen Tagen nun hat der Kanzler auf eine sympathische Weise wieder einmal unterstrichen, welchen Wert er dem Lernen mittlerweile auch für sich und seine Amtsführung beimißt. Beim Abschiedsessen für den scheidenden Bundesbankpräsidenten Otmar Emminger sprach Schmidt von den arbeitsplatzgefährdenden Folgen der Inflation. Zum Beleg dafür, daß alles offenbar eine uralte Erkenntnis sei, zitierte er aus den Oden des Horaz den Satz: 'Dem wachsenden Geld folgt die Sorge.' Und er fügte als persönliche Bemerkung hinzu: 'aber wir haben uns diese Erkenntnis neu erarbeiten müssen.' Nur aus dem Wörtchen 'wir' sieht noch ein wenig von jener Überzeugung des Kanzlers hervor, seine Erkenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge sei zumindest in dem eingeschränkten Sinne unübertrefflich, als sie auf der Höhe des jeweiligen Wissensstandes seiner Umwelt angesiedelt sei. Nun: so ganz ist das nicht der Fall. Auch in den frühen siebziger Jahren - als Helmut Schmidt sich des Inflationsproblems hin und wieder in etwas flapsigen Bemerkungen anzunehmen pflegte - hat die vom damaligen Wirtschafts- und Finanzminister nicht so geschätzte Wirtschaftstheorie gewußt, daß mit Inflation auf Dauer keine Beschäftigung zu erkaufen ist.
Doch hier soll nicht nachgeklappt werden. Helmut Schmidt zählt heute als Ökonom In der ganzen Welt zu Recht als Ausnahmeerscheinung unter den Regierungschefs. Diesen Rang hat er sich erarbeitet. Zum Arbeiten gehört Lernen an allererster Stelle. Und irgendwo hat er ja doch ein wenig recht mit seiner Verallgemeinerung: Die Regeln des Wirtschaftens sind leicht faßlich, aber sie sind immrr wieder in Gefahr, bei uns allen verschüttet zu werden."
Von Horaz, der unserem Helmut auch die zweite uralte Erkenntnis vorliefern könnte
"Farblos ist das Silber, das man im Geiz in der Erde vergräbt, Sallustius Crispus, du Gegner des Ungemünzten, wenn es nicht Glanz erhält durch den Gebrauch im rechten Maß." (Carmina, II,2) -,
können wir uns durch viel Lernen allerdings auch die Weisheit erarbeiten:
"...zu den Göttern, den Lenkern der Welt, erhebt es manchen, wenn die Massen launischer Bürger sich darum reißen, mit dreifachen Ehren ihn zu erhöhen..." (Carmina, I,1)
Allerdings wollen wir nichts verallgemeinern und schon gar nicht in hochfahrende Besserwisserei verfallen. Dafür ist die Übereinstimmung zwischen Macht und Geist einfach zu unübertrefflich. Die wollen wir nicht durch flapsige Bemerkungen stören.
Zeitgemäße Betrachtungen
"Die weltpolitische Lage heute erinnere nicht, wie Schmidt meine, an 1914, sondern mehr an 1938. Die Äußerung des Kanzlers zeige, daß er von Geschichte nichts verstehe und in dieser Beziehung bildungslos sei, wie auf anderen Gebieten ebenfalls. Schmidt habe den Vergleich mit 1914 ausgewählt, um Angst zu erzeugen."
sagte Strauß am 18.5. auf einem CSU-Treffen in Ingolstadt.
Zwar hat er dem Bürger mit der Erinnerung - an 1938 die Angst genommen, zugleich aber die bange Frage provoziert, auf welchen Gebieten alles Schmidt denn nun die Voraussetzung fehlt, ohne die offensichtlich keine gute Regierung zu machen ist.
Uns erinnert der historische Streit sehr an 1979, als "Spiegel", "Süddeutsche Zeitung", "Zeit" u.a. Strauß nachwiesen, daß seine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Sozialismus nicht dem gängigen historischen Bildungsstand der Intelligenz entspräche und Schmidt vorausschauend die Lösung all solcher Querelen dekretierte:
Mancher wünsche, so der Kanzler auf dem deutschen Historikertag,
"daß sich 'wieder ein einigermaßen verbindliches Geschichtsbild' in Deutschland herstellen möge. Dazu meinte der Kanzler: Verbindlich sei allein das Grundgesetz. Die Normen des Grundgesetzes enthielten aber mit voller, aus historischer Erfahrung gewonnener Absicht auch das Grundrecht der Meinungsfreiheit, nicht der Meinungsverbindlichkeit." (Süddeutsche Zeitung, 5.10.79)
Damit angesichts des doch gar nicht so unverbindlichen Geschichtsbildes der politische Streit geklärt wird, hier die nach unserem Bildungsstand verbindliche Meinung:
Die weltpolitische Lage erinnert fatal an 1980, und Schmidt und Strauß zeigen, daß sie beide etwas davon verstehen, mit dem Streit um den unverbesserlichen Bildungskanon über die 'Entstehung von Kriegen' für die Herstellung der gegenwärtigen 'weltpolitischen Lage' zu agitieren. Das sollte einem Angst machen.