Info
Erich Fromm: Haben oder Sein
DER FROMME ERICH ODER: SEIN MUSS DER MENSCH HABEN
Da Erich Fromm pünktlich zum Redaktionsschluß der letzten MSZ von uns gegangen ist, hätten wir uns eine posthume Schmähung seines Angedenkens vielleicht sparen und stattdessen einmal den wahrhaft christlichen Grundsatz anwenden können: De mortuis nil nisi bene. Wie die Dinge aber liegen, steht der Taschenbuch-Auflage des kindischen Katechismus "HABEN ODER SEIN. DIE SEELISCHEN GRUNDLAGEN EfNER NEUEN GESELLSCHAFT" bald das 200. Tausend ins Haus - und das weckt in uns die Befürchtung, der fromme Erich könnte zumindest die seelische Verfassung der gegenwärtigen Gesellschaft mitten ins Herz getroffen haben. Daß der Inhalt der erwähnten Erbauungsschrift wirklich unter dem Niveau aller Kritik liegt, enthebt uns also nicht der leidigen Pflicht, dieses Werk modischer Spekulation angemessen vorstellig zu machen. Nicht zum ersten und auf absehbare Zeit vermutlich auch nicht zum letzten Mal bestätigt sich dabei das Diktum eines alten Materialisten: "Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe."
I. Die Stilblümchen der Gesellschaftskritik
FROMM führt uns zunächst in das Mysterium ein, zu dessen Enthüllung er angetreten ist:
"Wir sind eine Gesellschaft notorisch unglücklicher Menschen: einsam, von Ängsten gequält, deprimiert, destruktiv, abhängig - jene Menschen, die froh sind, wenn es ihnen gelingt, jene Zeit 'totzuschlaeen', die sie ständig einzusparen versuchen." (17)
Kein Zweifel, wer hier wen totschlägt. Es ist FROMM, der den Kapitalismus mittels des Personalpronomens "Wir" um seine Existenz bringt und in eine Angelegenheit seiner Opfer verwandelt. Folgerichtig erkennt man diese kaum wieder: Statt in den Fabriken einer ziemlich zeitraubenden und wenig einträglichen Beschäftigung nachzugehen, lungern sie den lieben langen Tag vor dem Fernsehschirm herum und sind recht deprimiert, weil sie bis vier Uhr nachmittags nur das Testbild zu Gesicht bekommen. Ist so die soziale Wirklichkeit schon zur Genüge vergeheimnist, bietet ihre anschließende Enträtselung gleich ein noch wunderlicheres Bild:
"Wir führen gegenwärtig das größte je unternommene gesellschaftliche Experiment" - man merkt schon, in welchen Winkel des Erdballs es den guten Erich verschlagen hat - "zur Beantwortung der Frage durch, ob Vergnügen... eine befriedigende Lösung des menschlichen Existenzproblems sein kann. Zum erstenmal in der Geschichte ist die Befriedigung des Luststrebens nicht bloß das Privileg einer Minorität, sondern mindestens (!) für die Hälfte der Bevölkerung der Industrieländer real (!) möglich. Das Experiment hat die Frage bereits mit nein beantwortet." (ebd.)
Das muß auch gar nicht überraschen, denn der Dr. Seltsam mit dem aufdringlichen Decknamen "Wir" hat seine Versuchsanordnung im Weltmaßstab schon so geschickt arrangiert, daß er sich sein "Experiment" gleich hätte sparen können: Falls die Menschheit tatsächlich ein Problem mit ihrer Existenz hat, ist der Einfall, zur Lösung desselben nach Las Vegas zu jetten (wo es noch nicht einmal einen Papst gibt!), ja wirklich abwegig. Gar nicht abwegig ist dagegen FROMMs gute Idee, das seinem philosophischen Hirn entsprungene Paradox von "Existenz" und "Luststreben" der Realität als ihr Problem anzudichten - prompt kann sie es nicht lösen und darf sich von Erich wieder aus der Patsche ziehen lassen, in die er sie hineinmanövriert hat. Eine "sich am Horizont abzeichnende Katastrophe" (22) im Rücken, wirft der Herr Philosoph sich in die Brust und bietet bescheiden seine Lösung des grausen Dilemmas an. Zu diesem Behuf wendet er sich den Blümchen zu, wo wir ihn eine Weile beobachten wollen:
"Um den Unterschied zwischen der Existenzweise des Habens und der Existenzweise des Seins zu verdeutlichen, möchte ich als Beispiel zwei Gedichte ähnlichen Inhalts zitieren... Das eine ist ein Haiku von dem japanischen Dichter Basho (1644-1694), das andere stammt von einem englischen Dichter des 19. Jahrhunderts, von Tennyson. Beide beschreiben das gleiche Erlebnis: ihre Reaktion auf eine Blume, die sie auf einem Spaziergang sehen. Tennysons Gedicht lautet:...
Blume in der geborstenen Mauer,
Ich pflücke dich aus den Mauerritzen,
Mitsamt den Wurzeln halte ich dich in der Hand,
leine Blume - doch wenn ich verstehen könnte,
Was du mitsamt den Wurzeln und alles in allem bist,
Wüßte ich, was Gott und Mensch ist." (28)
Soweit Herr Tennyson mit seiner bereits unübertrefflichen Fragestellung nach dem Sinngehalt kleiner Blumen - was mögen diese Dinger "mitsamt den Wurzeln" und namentlich "alles in allem" nur sein? Letztlich eine Art "Gott und Mensch" - klarer Fall! Aber nun kommt der fernöstliche Herr Basho zu Wort, ebenso knapp wie bestimmt.
"Bashos Haiku lautet so:...
Wenn ich aufmerksam schaue,
Seh' ich die Nazuna
An der Hecke blühen!" (ebd.)
Die Pünktchen markieren den japanischen Originaltext. Bashos Haiku lautet wirklich so. Der guckt, und dann sieht er die Nazuna. 18karätige Poesie!
Die beiden Poeten sind allerdings wahre Pflaumen gegen Hobbygärtner FROMM, der ihnen mal vorführt, was sich aus der Blümchenfrage alles machen läßt:
"Der Unterschied fällt ins Auge." (Gut gesagt.) "Tennyson reagiert auf die Blume mit dem Wunsch, sie zu haben." (Ins Auge fällt das!) "Er pflückt sie 'mitsamt den Wurzeln'. Sein Interesse an ihr führt dazu, daß er sie tötet, während er mit der intellektuellen Spekulation schließt, daß ihm die Blume eventuell dazu dienen könnte, die Natur Gottes und des Menschen zu begreifen." (Also ein Blumenmord aus rein spekulativen Beweggründen - haben wir es schon so weit gebracht? Aber ja!) "Tennyson kann in diesem Gedicht mit dem westlichen Wissenschaftler verglichen werden, der die Wahrheit sucht, indem er das Leben zerstückelt." (Wie praktisch für unseren frommen Asketen, daß er sich weder mit der Wahrheit noch mit der Realitat abgibt: Wenigstens zerstückelt er nichts dabei außer der Logik.) "Bashos Reaktion auf die Blume ist vollkommen anders. Er will sie nicht pflücken. Er 'schaut aufmerksam', um sie zu 'sehen'." (Ein origineller Zweck, der sogar für FROMM noch weiterer Interpretation bedarf:) "Tennyson muß die Blume besitzen, um den Menschen und die Natur zu verstehen, und dadurch, daß er sie hat, zerstört er die Blume. Basho möchte sehen, er möchte die Blume nicht nur (!) anschauen, er möchte mit ihr eins sein, sich mit ihr vereinen - und sie leben lassen." (28 f.)
Soviel zur japanischen Liebeskunst. Jedenfalls sieht man an der Tragikomödie des gemeuchelten Blümchens, das man doch auch innig lieben könnte, daß die Gesellschaftskritik des frommen Erich ernst macht mit der absurden Entgegensetzung "Haben oder Sein". Dieser Mann will wirklich nichts erklären - dann hätte er ja was -, er möchte nur von einer alles umfassenden Harmonie säuseln, sein persönliches Ergriffensein verströmen - und dabei ist er unglücklicherweise dazu gezwungen, immer ein paar Häppchen Erinnerung an irgendwelche Realität einzuflechten und den Leser immerzu einem Wechselbad von feierlicher Atmosphäre und peinlichen Dissonanzen auszusetzen. Gerade dies muß den FROMM allerdings auch so attraktiv gemacht haben: Wissenschaftsartige Argumente als Gründe des Irrationalismus - das scheint der heutige Verstand zu schätzen.
II. Der Einfallsreichtum der Gesellschaftskritik
In der Tat spart FROMM bei der Bebilderung des einen Gedankens, "Haben" und "Sein" seien keine Hilfsverben, sondern Existenzweisen "der Menschheit", an nichts. Zwar hat die Menschheit noch nie gewesen, noch war sie je gehabt; aber Erich ist nur dem Inhalt nach fromm und einfältig der Form nach ist er ein Ami und demzufolge der Ansicht, man müsse die Assoziationsmöglichkeiten von "Haben" ( Besitz, Eigentum, Profit, usw. usf.) und "Sein" (Wesen, Identität, Harmonie, usw. usf.) nur ordentlich ausschöpfen, dann werde das alles schon einleuchten. Er nimmt daher durch:
1. Etymologie
"Für jene, die glauben, daß 'haben' eine höchst natürliche Kategorie" (leider ist es überhaupt keine Kategorie) "innerhalb der menschlichen Existenz ist, mag es überraschend sein, wenn sie erfahren, daß es in vielen Sprachen kein Wort für 'haben' gibt. Im Hebräischen muß 'ich habe' z.B. durch die indirekte Form 'jesh li'(es ist mir) ausgedrückt werden." (34)
Vorausgesetzt, der dilettierende Sprachforscher "habe" hier nicht das Hilfsverb, sondern den Sachverhalt des über-etwas-Verfügens bzw. Von-etwas-betroffen-Seins im Auge, beweist er damit nur, daß derselbe Sachverhalt in anderen Sprachen mit anderen Worten ausgedrückt wird. Was folgt denn nun daraus? Doch sicher nicht, "daß sich das Wort 'haben' in Zusammenhang mit der Entstehung des Privateigentums entwickelt" (ebd.) - es sei denn, man denkt sich unter "Privateigentum" nichts weiter als eben "Haben", womit man immerhin eine tautologische Deduktion hätte. Da wir schon bei der Sprache sind, tut es auch
2. der alltägliche Sprachgebrauch
"Leute, die über ihre Gesundheit sprechen, tun es im Gefühl des Besitzens, sie sprechen von ihren Krankheiten, ihren Operationen, ihren Behandlungen, ihrer Diät, ihren Medikamenten. Es ist eindeutig, daß Gesundheit und Krankheit als Besitz empfunden werden..." (77)
Einen Vorschlag, wie man die Possessivpronomina durch weniger besitzgeile Wörtchen ersetzen könnte, fügt unser Schlaumeier natürlich nicht bei. Er selbst ist vermutlich nicht seinem Herzversagen erlegen, sondern "einem" oder wie. Übrigens kennt die Sprache nicht nur Verben und Pronomina, sondern auch noch
3. Namen
"Der Name eines Menschen - und wir alle haben Namen... - ruft die Illusion hervor, daß es sich um ein unsterbliches Wesen handle." (83)
Ja so! Und wie ist es denn dann mit den
4. Substantiven?
Natürlich genauso.
"Selbst Hauptwörter, die Dinge bezeichnen, wie 'Tisch' oder 'Lampe', sind irreführend. Sie zeigen an, daß wir von festen Substanzen sprechen, obwohl Dinge in Wirklichkeit (!!) Enerqieprozesse (!!!) sind, die in unserem physischen System bestimmte Empfindungen hervorrufen. ... Wir glauben naiverweise, daß Gegenstände wie Tisch und Lampe als solche existieren, und übersehen dabei, daß uns die Gesellschaft lehrt, körperliche Empfindungen in Wahrnehmungen umzuwandeln..." (84)
Selbst ein Physikbüchlein hat unser gelehrter Schwätzer in seinem Regal stehen, dem er entnommen hat, daß Dinge "in Wirklichkeit" Energieprozesse sind. Seitdem weiß er, daß es nur unendliche Besitzgier ist, die uns veranlaßt, die flüchtigen Dinge auch gedanklich festzuhalten und "naiverweise" zu "glauben", wir säßen an einem Tisch, wo wir doch nur an einem Masse-Energie -Atom-Flitze-Flatze-Dingsbums sitzen. Übrigens gilt wiederum Ähnliches für das
5. Recht.
Namentlich das Erbrecht:
"Durch den 'Letzten Willen' lege ich gesetzlich für die kommenden Generationen fest, was mit meinem Eigentum zu geschehen hat und wie es genutzt werden soll. Durch den Mechanismus der Erbschaftsgesetze bin ich - sofern ich Kapitaleigner bin -" (das war gerade Ökonom FROMM) "unsterblich geworden." (65)
Aber weiten wir unseren Horizont ruhig noch etwas aus. Abgesehen von 6. den Frauen (74), 7. dem analen Charakter (ein alter Hut, 85); 8. der Manipulationsthese ("Wie breche ich den Willen eines Menschen, ohne daß dieser es merkt?" 81), 9. dem Terrorismus etc. pp. (80 ff.), läßt sich zum Nachweis der Existenzweise des Habens noch anführen (u.a.)
10. das Automobil.
"Unsere ganze Wirtschaft (?) ist auf die Produktion von Automobilen ausgerichtet, und unser Leben ist weitgehend durch deren (?) Konsum bestimmt.... Dennoch (!?) ist die Zuneigung zum eigenen Wagen (!) nicht tief und dauerhaft (!!), sie ist von kurzer Dauer... Das Auto ist kein konkretes Objekt (?), an dem ich hänge, sondern ein Symbol meines Status, meines Ichs, eine Ausdehnung meiner Macht (!!!). ... vervielfacht sich der mit dem Erwerb (!) verbundene Lustgewinn (!), wenn ich nicht alle sechs, sondern alle zwei Jahre den Wagen wechsle; der Akt (!) des Besitzergreifens ist eine Art Defloration..." (75 f.)
Man entdeckt bei dieser Gelegenheit, daß FROMM von Haus aus Psychologe ist. Seine fulminante Kritik der "Automobilgesellschaft" bleibt freilich merkwürdig ambivalent. Zunächst hat es den Anschein, er wolle der "Produktion von Automobilen" eins reinsemmeln; dann entschließt er sich zu einer Art Wenn-schon-denn-schon-Denken, erwägt den Gedanken einer förmlichen Trauung mit dem Kfz, beklagt die hohe Scheidungsrate und wendet sich schließlich pikiert von der Vorstellung ab, alle zwei Jahre einen unschuldigen Chevrolet zu entjungfern. Es ist nicht nötig, den hier allen Ernstes vorgetragenen Irrsinn noch in den letzten Winkelzug zu verfolgen. Aus Pietätsgründen führen wir nur als letztes Beispiel frommer Vielfalt
11. Marx und den Klassenkampf
an. Wir wollen einfach klarstellen, daß FROMM sich zur Illustration der üblen Folgen des Habens eines Autors bedient, der offenbar ein Zeitgenosse des gleichnamigen Kommunisten, ansonsten aber ein FROMM'scher Gesinnungskumpel gewesen sein muß:
"Man kann die affektive Brisanz, die der Kampf zwischen Arbeit und Kapital für Marx hatte, nicht voll verstehen, wenn man sich nicht vor Augen hält, daß es für ihn der Kampf zwischen Lebendigsein und Totsein, Gegenwart und Vergangenheit, Menschen und Dingen, Sein und Haben war. Für Marx" - also diesen unbekannten Autor - "lautete die Frage: Wer soll über wen herrschen? Soll das Leben das Tote oder soll das Tote das Leben beherrschen?" (96)
Wir ersehen hieraus: Erstens kann man die affektive Brisanz, die der Kampf zwischen Haben und Sein für den seligen Erich hatte, nicht voll verstehen, wenn man sich nicht vor Augen hält, daß FROMM darunter sämtliche denkbaren und undenkbaren Konflikte der Weltgeschichte subsumieren wollte. Zweitens lautete die Frage für FROMM: Wem kann ich mein Ideelein denn noch unterjubeln? Den Psychos, den Ökos, den Marxos, den hominibus religiosis? Den Frauen, den Humanisten, den Erkenntnistheoretikern? Drittens stellt sich nun aber langsam die Frage: Was wollte uns der Dichter damit sagen?
III. Zweck und Programm der Gesellschaftskritik
Dieser letzte Punkt ist in einer Hinsicht der langweiligste an dem ganzen Traktätchen, da einem das Resultat der theoretischen Bravourleistung - man soll halt ein bißchen mehr Konsumverzicht üben und nicht immer so neidisch auf die Mitmenschen sein - als praktischer Standpunkt auch schon vorher geläufig war. FROMM tut dabei ganz unschuldig, als wenn es ihm um die 132. Illustration der "Existenzweise des Habens" zu tun sei:
"Um die Existenzweise des Habens besser verstehen zu können, von der hier die Rede ist" - immerhin schon 87 Seiten lang! - "erscheint eine weitere Abgrenzung nötig, nämlich gegenüber dem funktionalen Haben. Um überleben zu können, ist es erforderlich, daß wir bestimmte Dinge haben, behalten, pflegen und gebrauchen. Dies gilt für unseren Körper, für Nahrung, Wohnung, Kleidung und für die Werkzeuge, die zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse vonnöten sind. ... Es ist ein rational (!) gelenkter Impuls, der dem Überleben dient - im Gegensatz zum charakterbedingten Haben, mit dem wir uns bisher befaßt haben. ... Existenzielles (funktionales) Haben gerät nicht in Konflikt mit dem Sein..." (87)
Also wenigstens überleben ist philosophisch erlaubt; das sollte nicht unterschlagen werden. Danke schön, Erich! Interessant in diesem Zusammenhang die FROMMschen Kriegserinnerungen. Erstens ist es ja wohl klar, wie Kriege entstehen - auf dieselbe Tour wie alles übrige Häßliche auf dieser Welt:
"Solange die Völker aus Menschen bestehen, deren hauptsächliche Motivation das Haben und die Gier ist, werden sie notwendigerweise Krieg führen. Es ist unvermeidlich, daß sie einem anderen Volk neiden, was dieses hat, und versuchen, das, was sie begehren, durch Krieg, ökonomischen Druck und Drohungen zu bekommen." (111 f.)
Schon die Beliebigkeit des Gegenstands die Ableitung des Klassenkampfs, sexueller Konflikte usw. usf. schaut auch nicht anders aus: solange es ums Haben geht, will jeder alles haben, ja ist hab-gierig (statt seinslüstern) - macht hier jeden Verweis auf die leicht andersgeartete Realität überflüssig, in der nicht Menschen, sondern Staaten Kriege führen, freilich unter Einsatz ihres Menschenmaterials.
Zweitens weiß FROMM den Krieg durchaus auch positiv zu würdigen - er zwingt sozusagen zum "Sein":
"Die Annahme, daß die Menschen nicht zu Opfem bereit seien, ist offenkundig falsch. Als Churchill zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von den Engländern 'Blut, Schweiß und Tränen' forderte, hat er sie damit nicht abgeschreckt, sondern im Gegenteil an ihr tiefverwurzeltes Verlangen appelliert, Opfer zu bringen und der (!) Gemeinschaft etwas zu geben. ... Es ist jedoch ein trauriger Kommentar zu unserer Zivilisation, daß Krieg und Leiden eher imstande sind, die menschliche Opferbereitschaft zu mobilisieren, als ein friedliches Leben..." (101)
Die Selbstverständlichkeit, daß man etwas nur opfert, wenn die Not es gebietet, auf einen Schlag zur eigentlichen Tugend und den Nationalismus der Briten, die sich die Not ihres Staats zur eigenen Herzensangelegenheit machten, zu einem menschlichen Grundbedürfnis zu erklären, ist selbst bei einem intellektuellen Narren noch ein Kunststück eigener Art. Er verlängert es in die Zukunft, indem er sich endlich explizit als frommer und heiliger Erich zu erkennen gibt:
"...wir sind, wofür wir uns hingeben, und an was wir uns hingeben, das motiviert unser Verhalten." (131)
Eines hat der fromme FROMM den Kirchenvätem und patriotischen Feiertagspredigern allerdings voraus. Er weiß, daß ohne seine Sparren die menschliche Natur gar nicht funktionieren könnte. So wie "der Mensch" heutzutage eben das "Haben" braucht, um sein "Existenzproblem" wenigstens illusorisch anzupacken, so braucht er das "Sein" = die Religion aus demselben Grunde um so mehr:
"Das religiöse Bedürfnis wurzelt in den Existenzbedingungen der Spezies Mensch. Der Mensch ist ebenso eine eigene Spezies wie der Schimpanse, das Pferd oder die Schwalbe." (131)
Schwalben haben keine Religion, der Mensch hingegen - also braucht er auch eine. Dasselbe noch theoretischer:
"Angerichts dieser Fakten kann die Spezies Mensch als jener Primat definiert werden, welcher an dem Punkt der Evolution auftrat" (mit einem kräftigen "Grüß Gott!") "als die instinktive Determinierung ein Minimum und die Entwicklung des Gehirns ein Maximum erreicht hatte." (132)
Und weil Psychobiosozialphilosophologe FROMM selbige Entwicklung nun einmal nicht begrüßt (endlich braucht man nicht mehr dauernd nur Bananen fressen), sondern für das Problem überhaupt hält (nach der Ausgangsfrage: ja, was mach mer denn heut?), folgt für ihn glasklar, daß die Menschheit, kaum den Bäumen entwachsen,
"einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe (brauchte), um überleben zu können." (132 f.)
Denn auch abgesehen von der gerade noch angepeilten anthropologischen Untermauerung der Religion steht doch zumindest folgende Tautologie felsenfest:
"Ohne ein strukturiertes und kohärentes Bild der Welt und des Platzes, den wir darin einnehmen, wäre der Mensch verwirrt und unfähig, zielgerichtet und konsequent zu handeln, denn er hätte keine Orientierungsniöglichkeit und fände keinen festen Punkt..." (133)
Mit einem Wort:
"Tiere haben keine derartigen Probleme." (ebd.)
Und derartige Bücher schreiben sie deshalb auch nicht.
IV. Zwei Anhänge
1. Des frommen Erich Ratschläge an die Politik
Nachdem der fromme Erich Zeugnis abgelegt hatte von den Verfehlungen der Welt, trat er vor sie hin und sprach: Siehe, das wird sein die Zukunft deiner Völker, so sie dem Götzen Haben abschwören und das Sein, den Herrn, preisen.
Einrichtung einer Expertenkommission zur Unterscheidung zwischen gesunden und pathogenen Bedürfnissen (169 f.);
Gesetze zur Einschränkung der Aktionärsrechte, notfalls durch Konsumstreik von 20% der Verbraucher zu erzwingen (171 f.);
"participatory democracy", damit "das Leben wieder interessant wird" (174);
Maximale Dezentralisierung von allem und jedem (176);
Ersatz des bürokratischen durch ein hunianistisches Management (177);
Verbot jeglicher Gehirnwäsche in der ökonomischen und politischen Werbung (179);
Nord-Süd-Dialog (180);
Garantie eines jährlichen Mindesteinkommens ("Der Mensch soll nicht mehr erhalten, als zum Leben nötig ist, aber auch nicht weniger!") (181);
Frauenbefreiung (182);
0. Ein Oberster Kulturrat als wirksames System zur Verbreitung von objektiven Informationen (185);
1. Trennung der Grundlagenforschung von ihrer industriellen und militärischen Anwendung (187);
2. Atomare Abrüstung (187).
Damit sie ihn nicht geißelten, sprach aber der Prophet also:
"Die neue Gesellschaft bedroht niemandes Eigentum... Die hohen Gehälter der Führungskräfte brauchten nicht gekürzt zu werden, aber falls das System funktioniert, werden sie nicht wünschen, Symbolfiguren der Vergangenheit zu sein. Schließlich sind die Ideale der neuen Gesellschaft nicht parteigebunden." (191)
2. Des frommen Erich stärkstes Seinserlebnis
"Für den schöpferischen Charakter hat das Geben eine völlig andere Bedeutung. Geben ist für ihn der höchste Ausdruck von Kraft. ... Ich erlebe mich als überströmend, lebendig und daher freudig. ... Das elementarste Beispiel finden wir in der Sphäre der Sexualität. Der Höhepunkt der männlichen Sexualfunktion liegt im Akt des Gebens; der Mann gibt sich, gibt sein Sexualorgan der Frau. Im Augenblick des Orgasmus gibt er ihr seinen Samen. ...Für die Frau ist dieser Vorgang keineswegs anders (?), sondern nur (?) etwas verwickelter. Auch sie gibt sich hin; sie öffnet die Tore zu dem Innersten (!) ihrer Weiblichkeit (!) - im Empfangen gibt sie." (Die Kunst des Liebens, 1979, S.42/43)