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Spiegel-Affäre '80
SICHERHEITSRISIKO STRAUSS
Pünktlich zum Wahlkampf hat der Spiegel wieder einmal einen Skandal parat, allerdings einen, der mit dem bekannten von damals nicht zu vergleichen ist: den Spiegel-Presseleuten stehen deswegen keinerlei Schauprozesse größeren Ausmaßes ins Haus, sondern nur ein paar matte Strafanzeigen der üblichen Sorte, geschweige denn, daß jemand wie weiland Augstein verhaftet wird; kein angepinkelter Politiker hat einen Verlust an demokratischer "Glaubwürdigkeit" zu befürchten, niemand muß die Konsequenzen seines aufgedeckten "Versagens" ziehen und seinen Hut nehmen, um durch seinen ehrenhaften Rückzug ins Privatleben seiner Partei den Glorienschein korrekter Ämterführung zu verleihen; noch nicht einmal die Kollegen von der Presse schenken dem "Fall" Strauß Beachtung, von dem Mann auf der Straße ganz zu schweigen.
Der Skandal: Zum x-ten Male wird da "enthüllt", daß Strauß, bekanntlich ein rechter BRD-Politiker, im Ausland seiner Linie treu bleibt, dort Rechte, Faschisten u.ä. tat- und finanzkräftig unterstützt, weshalb er nicht nur des öfteren im Ausland entsprechenden Verhandlungen beiwohnt, sondern auch von Zeit zu Zeit dabei beobachtet wird. Nur dienen diesmal die "Enthüllungen" über die Kontakte von Strauß zu italienischen und spanischen Faschisten, venezolanischen Christdemokraten, französischen Geheimdienstlern, zum Chef der "Grauen Wölfe" nicht dem Beweis, Strauß sei eigentlich ein halber, Dreiviertel- oder Ganz-Faschist, der die nackte Gewalt liebe und deshalb unserer hehren, gewaltfeindlichen demokratischen Form der Herrschaft gefährlich sei. Es wird also auch gar nicht erst die Illusion geschürt, ein SPD-Kanzler als der eigentliche Demokrat würde möglicherweise nicht derlei Beziehungen pflegen, wo immer sie im nationalen Interesse liegen. Es wird nur auf den Unterschied gepocht zwischen den offiziellen und damit wegen ihres Erfolgs genüßlich zu kommentierenden Staatsbesuchen des Kanzlers auf der einen Seite - wie unser Kanzler südamerikanische Generäle und Frau Thatcher abkanzelt, nötigt auch dem Spiegel Bewunderung ab - und den zwielichtigen Küngeleien des Möchtegern-Kanzlers mit faschistischen Grüppchen, die dann noch nicht einmal gewählt werden, auf der anderen Seite. Auch wenn es dem Spiegel nicht unlieb ist, wenn solche Vorstellungen zur Wahl von Schmidt führen - sein Angriff auf Strauß lautet anders:
"Es war wohl auch diese stets auf vorgebene Umstände reagierende, vorsichtige Anpasserhaltung, die Strauß durch die Nazizeit und das Militär im Zweiten Weltkrieg geleitet hat. Er versuchte es seinem Hitler-feindlichen Vater recht zu machen, ohne seinem eigenen Ehrgeiz allzusehr zu schaden. Ihn als exponierten Nazi zu beschreiben, ist sicherlich ebenso verfehlt wie als heimlichen Widerständler (gut, daß man das weiß!)."
Wo anläßlich der anstehenden Wahlen die versammelte Linke mühsam eine weltbewegende Alternative aufbaut und sich eigens für Strauß den fürchterlichen Vorwurf ausdenkt, daß seine faschistische Natur eine Bedrohung der Linken, der kritischen Öffentlichkeit und damit des ganzen Staatswesens darstellt, winkt der Spiegel mit dem Hinweis auf diese verquere Psyche a b. "Verfehlt" wäre es, Strauß, einen Mann also, der zu Schmidt keine Alternative darstellt, weil es zu Schmidt keine Alternative gibt, überhaupt als Politiker anzugreifen -
"...es gibt keine Strauß-Politik, die sich erfolgreich bekämpfen ließe",
weil die Politik, die auch er für Deutschland machen würde, schon von Schmidt gemacht wird.
"Es gibt nur einen Strauß, der Politik macht."
Strauß hat "kein politisches Programm" und "auch keine politischen Prinzipien" -, weil er nichts anderes als ein ganz durchschnittlicher Neurotiker ist, wie der Spiegel weiß:
Frühzeitig durch den Besuch einer Eliteschule dem Elternhaus entfremdet und in die "gesellschaftliche Außenseiterrolle" gezwungen, versuchte der aus "sozial bedrängten Verhältnissen" stammende junge Strauß, die ihm vom Vater vorenthaltene "Liebe und Achtung" durch "Leistung" und weil das nicht half, durch "Anpassung" zu erwerben: er wurde Karrierist und Opportunist und trägt seit dem an der Bürde einer entzweiten Persönlichkeit, die ständig mit sich in Streit liegt:
"Eine selbstdestruktive, selbstbestrafende Haltung ist ihm zeitlebens eigen gewesen."
Linke Einwände gegen diese Begutachtung von Strauß, daß man damit seiner gefährlichen Faschistennatur nicht gerecht würde, treffen den Kern dieser "Analyse" nicht. Die linke Tour des Spiegel besteht ja gerade darin, auf Basis der demonstrierten Gleichgültigkeit gegen den Inhalt der Straußschen Politik, auf die es nicht ankommen soll, mit den gängigen psychologischen Alltagsweisheiten, die heute jeder Dorfdepp beherrscht, Strauß als unfähigen Politiker fertigzumachen, nach dem Motto:
"Seine politischen Taten und Thesen sind nur Reflexe seiner inneren Spannungen, er degeneriert die Welt zum Projektionsfeld seines persönlichen Widerstreits."
Seine außenpolitischen Aktivitäten, die sich der Spiegel, ganz Wahlkampforgan, aufs Korn nimmt, erklären sich mithin ganz einfach dadurch, daß Strauß
"verfolgt (ist) von übersteigerter Angst vor roter Gefahr... Permanent in Panik, wird er nicht müde, vor der Kriegsgefahr zu warnen."
Der Vorwurf des unmenschlichen Russenhasses, mit dem man früher Strauß als gefährlichen Faschisten anzugreifen pflegte, ist also zeitgemäß ersetzt durch das Belächeln irrationaler, weil irrealistischer Angst vor dem Feind, die einem Staatsmann mit Blick auf das auch mit Kommunisten Machbare schlecht ansteht. An die Stelle des "gestörten Verhältnisses zur Demokratie" tritt das "gestörte Verhältnis zu sich selbst". Daß Strauß schlaflose Nächte verbringt, aus Angst davor, daß "die Russen kommen", glaubt wohl auch der Spiegel nicht, der dennoch nicht darauf verzichten will, mit dieser Vorstellung zu kokettieren. Die öffentlich klargestellte Einigkeit wird so gar nicht erst erwähnt, die in der sowjetischen Außenpolitik zwischen Schmidt und Strauß besteht: den Osthandel und den Osten weiterhin auszunützen, solange wie er sich im Rahmen des Bündnisses mit den USA ausnützen läßt. Dafür aber wird ein Gegensatz auf ideologischer Ebene konstruiert, wobei der einen Ideologie schon deshalb der Vorzug gebührt, weil das, was sie verbrämt, seit längerer Zeit erfolgreich für Deutschland publiziert wird.
"Er hat sich nicht gewandelt seit den Hoch-Zeiten des Kalten Krieges. Die letzte Dekade der Entspannung und des Ausgleichs auch mit den Nachbarn im Osten hat ihn nicht umdenken lassen, auch wenn er beteuert, er werde nach einem Wahlsieg die Ostverträge einhalten."
Wie sollte er auch, hat sich doch der Spiegel dazu entschlossen, Strauß nicht Politiker sein zu lassen, sondern die Russen im Kopf von Strauß Konsequenz eines kleinen inwendigen Vater-überichs oder so.
Einmal von der fixen und für einen demokratischen Staatsmann ganz und gar untypischen Idee besessen, Linke, wo immer sie dessen Geschäft störend im Weg stehen, müßten unschädlich gemacht werden, läßt Strauß seine "Weltfremdheit" auch an inländischen Linken aus. Um ihm ein weltfremdes "Linkensyndrom" anzudichten, scheut der Spiegel vor einer psychologischen Verunglimpfung der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit nicht zurück. Denn die Strauß angelastete Gleichung "Sozis gleich Nazis", die nicht nur jeder Rechte im Munde führt, also Strauß doppelt so oft und doppelt so schön - "roter Faschismus" -, und bei den passenden Gelegenheiten gegen die Mitglieder der anderen größen Partei ins Spiel bringt, geistert schließlich selbst in den kritischen Köpfen unseres universitären Geisteslebens als Totalitarismus- und Faschismusdebatte herum. Zudem ist der Vorwurf, daß Strauß allein derjenige sei, der die linke Gefahr an die Wand male und entsprechend ausmerzen wolle, einigermaßen absurd angesichts der Erfolge des SPD-Staats in der Bekämpfung von allem, was er als links ausmacht.
Strauß ist also laut Spiegel-Report ein Mensch, der, wenn er über die weltpolitische Lage oder über Innenpolitik redet und die Fronten klärt, seinen Seelenschwingungen Ausdruck verleiht, ohne es selbst zu merken, der ständig mit sich zugange ist und deswegen an der Welt verzweifelt -
"Er kann es einfach nicht verstehen, daß er immer wieder erklären muß, wie die Welt wirklich ist, Ratlosigkeit, Resignation, ja Verzweiflung schlagen durch." -
und ständig versucht, sich ausgerechnet in der Politik (die er sich natürlich nicht selbst zum Betätigungsfeld genommen hat, sondern "Welcher Teufel aber hat ihn geritten,... sich in die Politik zu wagen?" - er "fiel den Amerikanern in die Hände") das nie erworbene Selbstbewußtsein bestätigen zu lassen. Derselbe Gestus des Warners und politischen Kämpfers macht dagegen aus Schmidt einen weitsichtigen Staatsmann. Entsprechend werden die Versuche von Strauß, mit Vertretern der PLO zusammenzutreffen, um sich durch Mitmischen im Nahen Osten als der bessere Außenpolitiker zu beweisen, kommentiert.
"Allen Ernstes hatte Strauß kurz nach der enttäuschenden Niederlage der Unionsparteien bei den Bundestagswahlen 1976 geglaubt, er könne im Nahen Osten den Vermittler spielen. Was noch niemandem gelungen war, das wollte er schaffen. Und alle Welt sollte endlich sehen, was in ihm steckt."
Einen Komplex in der Brust?
Die Profilierungsbemühungen von Strauß, der sich als Kanzlerkandidat in der mißlichen Lage sieht, beweisen zu müssen, daß er für all das, wozu das Amt des Kanzlers befähigt, geeignet und besser geeignet ist als der Kanzler, konstatiert der Spiegel, um Strauß einen Minderwertigkeitskomplex anzuhängen. Die landläufige Ideologie, daß Politiker ganz besondere Menschen sein müßten, weil nicht jeder der ach so schwierigen Aufgabe der Gewaltausübung gerecht werden könne - als ob nicht jeder von diesen Typen, wenn man ihn nur läßt, qua Amt regieren könnte -, baut er zu der absurden Lüge aus, ausgerechnet Strauß, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, daß man beim Regieren Willen und Interessen der Regierten nichts geben darf - im Gegenteil!, der mithin genau das Rüstzeug besitzt, das man als Politiker braucht, ausgerechnet dieser Mann sei untauglich zum Politker, weil er sich selbst ständig dem Vergleich unterziehe, in dem er objektiv steht - der Konkurrenz um die Regierungsgewalt. Solchermaßen nach dem Willen des Spiegel mit seiner eigenen "Minderwertigkeit" beschäftigt, merkt Strauß sozusagen selbst, daß er eben zum Kanzler nicht geboren ist.
Der Spiegel kommentiert also vom Standpunkt der Macht aus hämisch die angebliche "Erfolglosigkeit" des "hinter den Rücken (!) der Bonner Außenpolitiker" agierenden Kandidaten Strauß, die er nur behaupten kann, weil er ihn mit den Augen des Machthabers betrachtet - worin sonst wäre Strauß, bis jetzt, erfolglos, als darin, daß er nicht Kanzler ist. Unverzeihlich an Strauß findet der Spiegel eben nur das eine, daß er nicht Kanzler ist und es trotzdem werden will; und für Schmidt spricht, daß er Kanzler ist und das gebührend repräsentiert -, das einzige und schlagende Argument, das Strauß seitenweise und unermüdlich vorgehalten wird, ohne daß der Name des Kanzlers erwähnt werden müßte.
So weist der Spiegel als profimäßiger Bewunderer politischen Durchsetzungsvermögens konsequent das Ungenügen der Person Strauß an den Beziehungen zu ausgewählten politischen Ansprechpartnern nach, mit denen ein ordentlicher imperialistischer Staatsmann ganz selbstverständlich umgeht.
"Zu Jimmy Carter ist der Kontakt des Kandidaten eher verklemmt."
"Die behutsanien Formulierunpen im Kommunique des letzten deutsch-französischen Gipfeltreffens zur sowjetischen Invasion in Afglianistan sah Strauß an der 'Grenze des Törichten'. Dieses Urteil fällte er sechs Tage vor einem offiziellen Besuch in Paris, Kein Wunder, daß der französische Staatspräident Valery d'Estaing keine Lust mehr hatte, den Mann aus Bayern zu empfangen."
Aber auch die Straußschen ausländischen Gesinnungsgenossen sind einigermaßen überrascht über dessen seltsame und unmotivierte Art, Politik zu treiben:
"Der Empfänger hatte offenkundig nicht mit so viel Geld gerechnet; seine Freude zeigte es."
Logische Konsequenz unnützer Geldausgaben an erfolglose rechte Klüngel und beißende Spiegelkritik:
"Der ganze Aufwand war für die Katz."
Kein Wunder also, wenn Strauß selbst in der eigenen Mannschaft, bei seinen "gläubigen Gefolgsleuten", keinen rechten Erfolg mehr hat.
"Längst ist die Selbsthypnose der meisten Straußbeobachter stärker als die Suggestivkraft ihres Riesen."
Die Christenunion merkt "verblüfft", daß man Carter nicht so kritisieren kann, wie Strauß es tut. Und die Teilnehmer von "Strauß-Versammlungen, die er Kundgebungen nennt... dösen unter den fahrig monotonen Tiraden des Bayern" und "brechen" aus reiner Nettigkeit "ein paarmal in plötzlichen Jubel aus". Strauß als Demagoge ist also auch nicht mehr das, was er mal war.
Ein unberechenbares Sicherheitsrisiko
Höhepunkte des uneingeschränkten Lobs der Macht ist die Spiegel-Analyse der Straußschen Eigenschaften, die ihn für die Herrschaft disqualifizieren: Getreu der Schmidtschen Wahlkampfbehauptung, Strauß sei ein "zögerlicher Mann, der sich ungern entscheidet", der deshalb, wenn er mit dem Rücken zur Wand stehe, "sich spontan ganz falsch entscheiden" könne, ist Strauß laut Spiegel ein "Zauderer" und
"keiner, der gern Verantwortung übernimmt... Auch für seine Kanzlerkandidatur hat er ja nicht mehr getan, als die Konkurrenten Kohl und AIbrecht aus dem Weg zu räumen",
statt gleich Schmidt um die Ecke zu bringen, sicherheitshalber. Mit anderen Worten: "Er drückt sich vor Bonn", was für einen Mann, der nach Bonn will, natürlich die denkbar schlechteste Voraussetzung ist. Außerdem war
"Franz Josef Strauß... nie souverän, dazu hat er stets zu abhängig von seinen Kontrahenten Anti-Politik gemacht",
weshalb er sich auch
"seit seiner Kandidatur in jede Situation verliert",
was der aufmerksame Beobachter der politischen Szene schon daran studieren kann, daß Strauß, Antipolitiker der er ist, in der Afghanistan-Krise vollkommen hilflos der SPD-Regierung seine Unterstützung angeboten hat, wohl wissend, daß dies eine Situation ist, die die "Gemeinsamkeit aller Demokraten" in der Absprache dessen herausfordert, was je nach den Umständen zu unternehmen ist. Selbst jener
"monolithische Block bayrischer Urwüchsigkeit,... als der er in Bildern von Tanks oder Bollwerken im Bewußtsein der Deutschen lebt",
ist er niemals gewesen und der Spiegel hat das auch nie behauptet, als die SPD noch nach Verantwortung strebte. Die ganze schöne "Machtbesessenheit", die vielbeschworene, entpuppt sich als die bloße Rechthaberei eines "kleinlichen Oberschullehrers". Problematisch auch sein "Oppottunismus", der ihn sein Fähnchen nach dem Winde hängen läßt, wie es ihm für seinen persönlichen Ehrgeiz und nicht für den Staat gut dünkt. Kurz und gut:
"Die Bürger der Bundesrepublik halten ihn - für eine starke Führernatur für energisch, durchsetzungsfähig, hart und kämpferisch",
eben für einen Kanzler, wie sie ihn lieben und wie der Spiegel einen im Amt weiß, aber er ist es nicht. Fazit der Psycho-Analyse. Strauß ist in seiner "Unberechenbarkeit" ein "Sicherheitsrisiko" für die BRD, weil er, einmal an die Macht gekommen, Europa zum "Krisenherd" werden läßt - eine Behauptung, die der Spiegel selbst nicht ernst nimmt, die er aber mit der gebührenden journalistischen Freiheit auflagen- und Schmidt-fördernd in die Welt setzt.
Ein Skandal wird inszeniert
Was sich der Spiegel also leistet, ist eine Hofberichterstattung erster Sorte. Er inszeniert einen Skandal, in dem alle Wahlkampfsprüche des ach so beschäftigten Kanzlers an den Mann gebracht werden, aber ganz frei und kritisch und mit der demonstrativen Überlegenheit, die der Spiegel überhaupt dem politischen Geschehen gegenüber an den Tag legt. Ganz auf der Höhe des politischen Zeitgeists und in der Sicherheit, daß sich jeder kundige Spiegel-Leser an die früheren Auseinandersetzungen zwischen Spiegel und Strauß erinnert, kokettiert der Spiegel mit den anerkennenden Vorurteilen über das politische Phänomen Strauß und seine Gefährlichkeit, mit denen er sich selbst jahrelang als kritisches Intellektuellenblatt profiliert hat; er flankiert den neuen Skandal durch Berichte über die Vorliebe deutscher Unternehmer für die SPD-Politik; heizt die Stimmung etwas auf durch das Abdrucken einiger Stellungnahmen von Faschisten, die sich hinter die Straußschen "Ratten- und Schmeißfliegen"-Sprüche stellen, was die erwünschten empörten Leserbriefe gegen Strauß nach sich zieht; und schiebt schließlich einen Extensiv-Bericht über Stauß nach, in dem er das entscheidende Manko des Kanzlerkandidaten an dessen Person genüßlich ausmalt, um seiner Leserschaft die notwendige intellektuelle Distanz zu dem Manne zu vermitteln, der nun mal allgemein anerkannter Politiker und Konkurrenz von Schmidt ist.
Deshalb studiert der Spiegel in Verhaltensforschermanier am Objekt die merkwürdigen psychologischen Ausformungen dieses interessanten Wesens, das Kanzler werden will:
"Instinkt, Witterung, Atmosphäre, Gespür - das ist das politische Rüstzeug dieses Politikers."
"Immer... sind seine eigenen Gefühle der Wut und der Angst echt. Sie drängeln sich bis in die Bereiche der Intellektualität hinein."
"Sein Mißtrauen wird spürbar. Es ist immer da: in schnellen einschätzenden Blicken, in einer auch im Gespräch spürbaren fast animalischen Lauerhaltung."
"Dynamische Ausbrüche, wilde, sprudelnde Wortkaskaden, gewiß, die gibt es noch. Aber sie kommen mit künstlichem Karacho. Eine seltsame Starre und Monotonie scheint Franz Josef einzuengen. Er schwitzt wie eh und je, aber unter dem Schweiß wirkt er ausgetrocknet, hölzern. Der bullige Schädel, früher oft rammbockartig, wie zum Stoß zwischen die Schultern genommen, scheint dort nun zum Schutz eingezogen, als erwarte er Schläge..."
Usw. usw. Die Überheblichkeit eines Reporters, der solche "Einschätzungen" zu Papier bringt; speist sich aus der Genugtuung darüber, die politische Figur, an der der Spiegel schon immer seinen kritischen Geist bewiesen hat, endlich in der Lage zu sehen, wo sie der Spiegel immer gern gehabt hätte: um das höchste Amt im Staate ausgerechnet dann konkurrieren zu müssen, wenn es von einem anderen erfolgreich ausgeübt wird. Verfehlt wäre es also, die diversen Beobachtungen, die der Spiegel glaubt, sich ausdenken und der Öffentlichkeit präsentieren zu müssen - selbst die Straußschen Eßgewohnheiten sind ihm der Beachtung wert:
"Er trinkt zuviel... daß sein Bewunderer Golo Mann öffentlich warnt: 'Er hat einen reichen Geist, nur zuviel trinken darf er nicht.'... Frau Strauß achtet auf Essen, Trinken und Umgang. Zu Hause hat sie, die er 'Mami' nennt, stets das Sagen gehabt, da war sie immer 'Regierungschef'." -,
als Schläge unter die Gürtellinie zu kritisieren, mit denen man die Gebote politischer Fairneß verletze. Handelt es sich doch um Beobachtungen aus der Kammerdienerperspektive, bei denen der Spiegel seine Schaden-Freude aus der eingebildeten Teilhabe an der Macht bezieht, der er, wie es sich für ein Intellektuellenblatt gehört, geistiges Niveau zuspricht, um auf diese Weise zugleich sich selbst zu beweihräuchern: Strauß ist hauptsächlich primitiv, "spießig geblieben" -
"Seine Sexualaffairen, seine Alkoholexzesse, alle genüßlich kolportiert, haben ihn nie zum Playboy gemacht - nur zum Biedermann auf Abwegen." -
und ein "Aufsteiger" - und noch nicht einmal das so richtig, muß er sich doch seine Bedeutung darüber erst verschaffen, daß ihm seine Freunde von früher (andere hat er ja nicht), die es zu was gebracht haben, wohlwollend auf die Schulter klopfen.
Das genüßliche Stochern in den Niederungen erfundener politischer Charaktere, der Gestus der rücksichtslosen Zerstörung falscher Ehrfurcht vor den Repräsentanten, die Pose überlegenen Kommentierens der Stärken und Schwächen dieser Typen - das ist die kritische Spiegeltour wie eh und je, einschließlich der darin enthaltenen Zustimmung zu den Kriterien erfolgreicher Politik. Deswegen ist die gar nicht mehr heimliche Bewunderung des Machers Schmidt die Quintessenz dieses kritischen Journalismus, der sich auf seine Distanz zur Macht etwas einbildet. Schmidt, der so erfolgreich deutsche Politik betreibt und in dessen Attitüde der Spiegel dieselbe Weltgewandtheit, Gelassenheit, Überheblichkeit und Cleverness entdeckt, die er sich selbst zugutehält, muß, wenn er schon nicht Chefredakteur des Spiegel ist, Kanzler bleiben. Das ist eine Stoppt- Strauß- Kampagn e ohne den Geruch des politischen Dilettantismus, bestätigt sie doch dem kritischen Beobachter der politischen Szene einmal mehr, was er eh schon weiß: daß in Schmidt Geist und Macht zusammenfallen.