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NDR-Streit
SENDER IM ARSCH?
"...der NDR bringt Tanzmusik und AFN ist weit." (Truckstop)
Wenn in unserer bundesweit ruhigen Republik schon einmal ein Streit entsteht, dann kann der sich auch sehen lassen: Mit sicherem Instinkt erhitzen sich die öffentlichen Gemüter dort, wo sie mit ihrer Empörung garantiert keinen Schaden anrichten können, und s o, daß niemand außer ihnen selbst und der Republik, der sie sich verschrieben und versprochen haben, einen Nutzen daraus ziehen kann.
Denn eines war nicht nur den Beteiligten am Rundfunkstreit im hohen Norden von Anfang an klar: Bei der Initiative der CDU-Ministerpräsidenten ging es um nicht mehr und nicht weniger als um eine Umverteilung der Propaganda gemäß dem Wählerwillenproporz der letzten Landtagswahlen. Nach dem Ausscheiden der F.D.P. konnten die schwarzen Nordlichter gemütlich und ohne die Liberalen am Bein die Früchte ihrer öffentlichen Arbeit ernten und für künftige Öffentlichkeitsarbeit auch gleich einmachen:
"Die Programmausgewogenheit und die Förderung des inneren und äußeren Friedens erfordern, die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit nicht überwiegend unter Konfliktsgesichtspunkten darzustellen." (Stoltenberg)
Staatsfürsorgliche Ausgewogenheit
Klar wie Klose, daß dem die Auflösung des NDR aus dem gleichen Grund nicht paßte wie dem Stoltenberg sein Fortbestehen; er meinte, Ausgewogenheit sei nur durch "gemeinsame Wahrung der Fürsorgepflicht für das gemeinsame Kind" zu erreichen, "deshalb" (!) sei "sein Verhandlungsziel denn auch der Bestand des NDR im vollen Umfang".
Obwohl die Politiker mit ihren Willens- bzw. Unwillensbekundungen den Streit praktisch schon entschieden haben, geht er öffentlich erst richtig los: Die Waffen der Politiker im Kampf um Indoktrinationspfründe werden von den Gralshütern bundesdeutschen Staatsbewußtseins umgeschmiedet zum Instrument der Erhaltung von Geistesfreiheit und Republik, welche ohne "Ausgewogenheit" nicht mehr lebensfähig seien. So zeihen sie denn die CDU, mit dem "Zerfall" des NDR "Systemveränderung" (Ratten allüberall?!) zu betreiben und
"Rundfunk und Fernsehen in weiten Teilen Norddeutschlands zu einer 'neuen Stimme' Albrecht, zur CDU-Stimme..."
zu machen. Und das weiß ja jeder! In Bayern ("Schwarzer Sender"!) rund um die Uhr auf allen Programmen: jodel-dodel-düüü, Gelobt sei Jesus Christus! In Hamburg ("Roter Sender"!) von morgens bis abends: Nährboden, Nährboden... Rotfront! Ganz so, als sei mit der Kündigung des ausgewogenen 3-Länder-Vertrags die Verpflichtung zur Ausgewogenheit plötzlich nicht mehr enthalten und mit dem 2-Länder-Vertrag grünes Licht dafür gegeben, nur noch die Parteitrommel zu rühren, als ob hierzulande ein Riesenunterschied bestünde zwischen Staatstrommlern unterschiedlicher Couleur. Und obwohl so ein Oberjournalist das auch weiß -
"Keine einzige Bestimmung, die nicht mit geringfügigen Änderungen ebensogut auf eine Drei- wie auf eine Zwei-Länder-Anstalt anwendbar wäre!" -,
tut Martin Neuffer so, als breche die Gedankenfreiheitswelt zusammen; und malt einen Zustand an die Wand, in dem den Trägern der Öffentlichkeit der sinnige Quark, den sie jetzt "noch" verantwortungs- und pflichtbewußt aus freien Stücken verbreiten, in der Nach-NDR-Zeit von den Politikern vorgeschrieben werde:
"Die Aushöhlung der Selbstgestaltungsrechte wird hier exemplarisch deutlich." Der Entwurf hat die "Tendenz, daß nicht ein unabhängiger, kritischer Journalismus Leitziel der aktuellen Programmgestaltung ist, sondern eine Staat und Verfassung bestätigende und stützende Funktion der Programme vorgegeben wird."
Gerade weil diese Vorschrift ja nun wirklich überflüssig ist, ist sie so infam. Wo gibt es schließlich außer in unserer demokratischen Medienlandschaft ein Journalistenpack, das den Herren Politikern so zutraulich in den Arsch kriecht wie bei uns, so daß diese - verwöhnt wie sie sind - gleich Umsturz und Terror wittern, wenn sie von ein paar Holländern mal ganz unbefangen befragt werden! Kein Wunder auch, daß solch anstellige Kerlchen empört aufschreien, wenn sie sich einbilden, man wolle ihnen auf dem Weg durch die Darmwindungen ein bißchen nachhelfen! Wo doch jedem anständigen Journalisten die Erfüllung seiner "Staat und Verfassung bestätigenden und stützenden Funktion" als "selbstverständlicher interner Korrekturmechanismus" Ehrensache ist. Gegen solche "Aushöhlung" des mit Artikel 5 GG gegebenen "Freiheits-Pflichtraums" muß der heilige Martin "verfassungsrechtliche Bedenken" erheben. Und obwohl da "immerhin ständische Kontrolle" vorgesehen ist - 23 Gruppen wie Kirchen, Handwerks- und Bauernbünde, Flüchtlinge und sonstige -, verleiht unser heiliger Pressemann sehr berechnend seiner Befürchtung Ausdruck, die Schwarzen könnten nicht den
"Staatsauftrag wahrnehmen, sondern (!) nur (!) Parteieninteresse"
verfolgen, wenn ihnen nicht auch noch Ökologen und Gastarbeiter auf die Pfoten schauen. Vermutlich hat er deshalb seinen Mantel verschenkt und sich zurückgezogen, um in "notwendiger Staatsferne" verantwortungsbewußter und ganz freier Literat zu sein.
Hörerstreik für öffentlich-rechtlichen Funk?
So kampflos will die Gewerkschaft den Rundfunk nicht der Reaktion überlassen. Gerade im Kampf für die Meinungsfreiheit kann der DGB auf Erfahrungen und eine lange Tradition zurückgreifen. Wo Profit nicht nur mit Proleten, sondern mit demokratischen Werten gemacht werden soll, geht die Gewerkschaft auf die Barrikaden, verkündet "Solidarität im Kampf um unser (!) Rundfunksystem" und warnt vor der "besonderen Gefahr", die dem "bewährten öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem in der BRD" durch die "Absicht des niedersächsischen Ministerpräsidenten, profitorientierte Sender zuzulassen", droht. Zufrieden damit, daß das Maß der Verstaatlichung der bundesdeutschen Öffentlichkeit wohl kaum zu überbieten ist, lehnt der DGB eine Privatisierung, die so niemand vorhat, entschieden ab und propagiert einen "Streik für Hörer und Zuschauer":
"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört den Hörern und Zuschauern. Eine Privatisierung des Rundfunks bedeutet Enteignung!"
Unvorstellbar, wenn der Rundfunk nicht mehr in den Händen der Hörer ist, wo sie sich selbst ihre Meinung sagen können, sondern hilflose Opfer profitgieriger Meinungsmacher werden, weil ihnen angeblich die Meinung nicht mehr gesagt wird:
"Die Profitsender werden es den Hörern mit allen Mitteln der Unterhaltung und Zerstreuung bequem machen."
Neben der Sorge um seinen staatstragenden Einfluß verrät eine solche Befürchtung, daß der Hörer - weil zu blöd, für Höheres ein eigenes Streben zu besitzen - durch eine sinnvolle öffentlich-rechtliche Programmgestaltung zur Beschäftigung mit der Politik angehalten werden muß. Da die Zulassung privater Sender ja noch Zukunftsmusik ist, hat der DGB in seiner Erregung wohl etwas übersehen: Für den norddeutschen Raum wird schließlich die politische Agitation durch die Neuregelung verdoppelt - daß das etwas zugunsten der CDU geht, sollte ihn bei seiner Offenheit nicht stören -, und bei den Unterhaltungssendungen werden die Anstalten sicher gut zusammenarbeiten, um ein Überangebot gar nicht erst einreißen zu lassen: "Zur Sendung 'Tanz dich krank!' begrüßen wir auch die Hörer des feindlichen Rundfunks!"
Fortschritte der Öffentlichkeitspflege
Ein Sieg der rundfunkpolitischen Vernunft auf der ganzen Linie! Zu den Verdiensten, die sich die führenden Nordlichter durch die Bereicherung der Medienlandschaft erworben haben, zählt zweifellos auch die luzide Erhellung und mutige Klarstellung der Aufgabe der öffentlichen Anstalten, in denen jahrzehntelang dumpfe Ahnungslosigkeit geherrscht haben muß. Heute wird über den NDR diskutiert - ein unverkennbarer Fortschritt! In begeisterter Wahrnehmung ihrer Funktion, neben so "@vorgegebenen" Sachen wie Afghanistan die Themen der Öffentlichkeit zu machen, haben Deutschlands Intellektuelle den Zirkus um den Führungswechsel im NDR hergenommen und eine medienpolitische Botschaft daraus gebastelt, die zugleich ein einziges Dementi des eigenes Geschwätzes ist, daß Kritisches in der Republik nunmehr der Vergangenheit angehöre. Im Gegenteil: Die von Politikern Rundfunk- und Fernsehfritzen, Gewerkschaft und restlicher Elitemannschaft am Anlaß NDR entfachte Debatte über Öffentlichkeit - wie sie zu gehen hätte: bürgernah, nicht zu sehr, nicht zu wenig staatsfern etc. - will in trauter Einigkeit ein Interesse am eigenen Ideal von Öffentlichkeit unter den Adressaten wecken.
Old Werner Höfer: "Hier wäre eine Bürgerinitiative angebracht!" 160 Redakteure des NDR-Funkhauses Hannover:
"Darum bitten wir Sie: Schalten Sie sich in die Diskussion um den NDR ein... Tragen Sie dazu bei, daß das Parlament und die Regierung in Niedersachsen erfahren, was die Bürger über den NDR wirklich denken."
Genau! Der Albrecht soll rund um die Uhr am Funkhaus-Telefon sitzen! Und statt sein "Tanzorchester ohne Namen" spielen zu lassen, soll Franz Ton eine Diskussion mit Senioren über: 'Dient Kabelfernsehen wirklich der Rundfunkfreiheit?' führen.
Man sieht: Deutschlands kritische Öffentlichkeit ist hellwach und auf den Barrikaden!