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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1980 erschienen.

Systematik


COSI FAN TUTTI

Anfang März wurden 49 Direktoren der staatlichen Sparkassen Italiens (Italcasse) wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel verhaftet. An die 2 Mrd. DM flossen über mehr oder weniger bankrotte Firmen in die Taschen von Politikern und auf die Konten einzelner Correnti der DC, ganz zu schweigen von den Milliarden, die statt in die Produktion in die Schweiz wanderten, so daß seit Bekanntwerden des Skandals der Terminus corto correnti kein rein banktechnischer mehr ist.

Nun ist diese spezielle Variante, wie sich der Kreislauf des Geldkapitals vollziehen läßt, in Italien ein offenes Geheimnis. Spektakulär am aktuellen Skandal ist lediglich zweierlei:

  • Es war ein christdemokratischer Minister, der Andreottianer Franco Evangelisti, der mit einem Interview in der Repubblica den Stein ins Rollen brachte und somit die bekannte Affäre zum Skandal machte. Und
  • der Richter, der so hart zuschlagen ließ, ist der bekannte Sympathisant des faschistischen MSI, Antonio Alibrandi.

Damit sind die Voraussetzungen gegeben, diesen eindeutigen Fall politischer Korruption als Affäre korrupter Politik zu besprechen, was die italienische Öffentlichkeit seitdem mit großer Leidenschaft betreibt. Handelt es sich bei Evangelistis Enthüllungen um die Rache Andreottis für seine Niederlage auf dem DC-Parteitag? Wollte er seiner Partei den Weg der Neuwahlen versperren und sie doch noch zu einem Arrangement mit dem PCI zwingen? Ist Alibrandis Vorgehen ein faschistischer Anschlag zur Diskreditierung des demokratischen Staates? Darf ein Richter ganz Italien verhaften? usw. Die Saubermänner der Repubblica diskutieren nur noch die Frage, welche Stellen der Administration von den Machenschaften der Italcasse und seit wann gewußt haben. Die DC verwendet die illegalen Geschenke der Brüder Caltagirone an Exponenten bestimmter Correnti als Argument für ihren Gesetzesentwurf einer Verdoppelung der öffentlichen Finanzierung der Parteien und der PCI veröffentlicht in der Unita täglich die Namen seiner kleinen Spender unter dem Titel: "Das sind unsere Caltagironi!"

Schon die Argumente, die in dieser öffentlichen Diskussion des Skandals fallen, zeigen, daß diese Art wechselseitiger Finanzierung von Kapital und Politik zum politischen System Italiens gehört und daß die Caltagironi nur eine andere Erscheinungsform eines in der Regel ganz offiziellen und legalen Geschäfts sind. Als Bauunternehmer, die nie ein Haus bauen ließen, lediglich Billigstwohnblöcke am Stadtrand Roms teuerst an den Staat verkauften, erhielten sie Riesenkredite von Italcasse aufgrund ihrer Beziehungen zu DC-Politikern, und diese Beziehungen erhielten sie sich ihrerseits durch regelmäßige Geldzuweisungen für die Kassen der Correnti und der Privatschatullen ihrer Kontaktmänner.

Während in der BRD Spenden der Industrie an demokratische Parteien nicht nur legal, sondern in Grenzen sogar von der Steuer abgesetzt werden können, ist dies in Italien verboten, weswegen in Italien die Förderungsfreiheit grenzenlos ist. Daß in der BRD Unternehmen direkt aus dem Staatshaushalt gefördert werden, sei es im Rahmen von Konjunkturprogrammen, sei es als Sanierungsbeihilfe zur "Erhaltung von Arbeitsplätzen", ist unumstrittene Wirtschaftspolitik des Staates, wobei es in der Regel keinen Skandal deswegen gibt, daß sie nach den Kriterien von Beziehungen, Parteizugehörigkeit und legalen und semilegalen Bestechungen passiert, weil in der Regel der ökonomische Erfolg sich einstellt. Die Bereitstellung des Kredits ist hierzulande Aufgabe und Geschäft der Banken: eine Aufgabe, der sie sich erfolgreich stellen, weil sie damit geschäftlichen Erfolg haben. In Italien hingegen, wo ganze Produktionssphären vom Staat betrieben werden, der durch die großzügige Finanzierung der Verluste und regelmälßige Kapitalschnitte die Konkurrenzfähigkeit erhält, muß das Kreditwesen ebenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil vom Staat betrieben werden, eben von der Italcasse, die ihre Kredite nicht nach Zinserwartungen und Sicherheiten vergibt, sondern nach politischen Gesichtspunkten; und daß sich diese genauso auf private Unternehmen anwenden lassen, ist allein schon eine Frage wirtschaftlicher Gerechtiglkeit. Wo also das politische Kalkül die Ökonomie dominiert, Unternehmen und damit der Kredit nur bedingt an der Rentabilität gemessen werden, da ist ein Verhältnis von Staat und Kapital die Regel, wo jener in diesem seine Basis auf eine ganz unmittelbare und bisweilen sehr individuelle Weise hat und umgekehrt. So schafft der Staat dem Kapital Kompensation für sein mangelhaftes Durchsetzungsvermögen gegenüber dem widerspenstigen Proletariat.

Während bei uns der Übergang von der Wirtschaftspolitik zur Korruption meistens ein eindeutiger ist, weil sich die produktive Anlage des Kapitals in der Regel lohnt und staatliche Aufträge im Rahmen von Strukturpänen rentable wirtschaftliche Strukturen schaffen, fließen in Italien jedes Jahr Milliardenbeträge in die Cassa per l Mezzogiorno, mittels derer zwar so mancher Kapitalist und Politiker reich geworden ist, ohne daß im Süden nennenswerter Reichtum akkumuliert worden wäre, weswegen die "profunden Strukturprobleme des Mezzogiorno" dort bleibende Basis des Geschäfts sind und nicht ihre Lösung.

Kein Wunder also, daß der Italcasse-Skandal als solcher weder die Parteipolitiker sonderlich beeindruckt noch die Bürger, die die Zeitungsstories lesen wie den populären Comicstrip über das makellose Leben des Staatspräsidenten, der Cossiga bei der Kabinettsbildung die Auflage erteilte, keine "Persönlichkeiten mit Ministerämtern zu betreuen, die im Ruch der Korruption stehen". Ein Personalproblem, das die DC lässig gelöst hat.

Auch der PCI, der als typisch italienische Opposition für einen sauberen Staat kämpft, hält sich dezent zurück, nicht nur, weil mittlerweile auch Exponenten seiner Regionaladministration in Korruptionsaffären verwickelt sind. Eine zu pauschale Kritik an der DC würde im DC-Staat die Nationale Solidarität aufkündigen und damit den Staat gefährden. Diese staatstragende Haltung wird jedoch nicht honoriert: Seine geringere Korruptionsquote ergibt sich nach landläufiger Auffassung mehr aus mangelnder Gelegenheit denn aus sozialistischer Moral, weil die großen Projekte in Rom vergeben werden und die

"DC eher auf das Amt des Staatspräsidenten verzichtet als auf den Posten eines stellvertretenden Sparkassendirektors",

wie der Espresso bei der Diskussion, ob Italien eine "Bananenrepublik" sei, bemerkt.

Die Italiener, die seit 30 Jahren über den malgoverno schimpfen, an die Möglichkeit eines buongoverno nicht mehr glauben mögen, ziehen daraus nicht den Schluß, es mal ohne jeden governo zu versuchen, sondern ziehen aus der Erfahrung, daß es alle so machen, den Schluß, sich für den geschicktesten bandito zu entscheiden und sich den neuesten Enthüllungen über den Fußballskandal zuzuwenden. Meinungsumfragen prophezeien für die Regionalwahlen im Mai und Juni Stimmengewinne der Christdemokraten, die Franco Evangelisti zurückgetreten haben und in ihrem Parteiblatt l Popolo allen, die von den Caltagironi Geld einsteckten, bescheinigen, sie hätten dies getan, um die Demokratie zu stärken.