Info
EINE WISSENSCHAFT NAMENS PSYCHOLOGIE
Ein Bericht, der die wesentlichen Leistungen einer Wissenschaft erklärt, benennt ihren Gegenstand, referiert die grundsätzlichen Erkenntnisse über ihn und führt die Beweise für die zentralen Einsichten des Fachs an.
Dazu versteigen sich im Falle der Psychologie auch die Vertreter der Disziplin nicht. Selbst in ihren lehrbuchhaften Darstellungen sind sie damit befaßt, ihren Gegenstand zu suchen; die meisten widmen sich der Präsentation von Methoden, nach denen sich die Psychologie betreiben läßt. Dabei sind sie sichtlich angetan von der Vielfalt sich durchaus widersprechender Theorien, aus denen Sie den Auftrag ableiten, den Möglichkeiten nachzugehen, die sich für die Fortsetzung psychologischer Theoriebildung ergeben.
Wissen kommt so zwar nicht zustande, wohl aber eine Unmenge von Literatur, in der Fachleute darüber Auskunft geben, welcher Sichtweise sie sich verschrieben haben.
A)
Psychologen konkurrieren und koexistieren mit anderen Wissenschaften aufgrund eines Menschenbilds, das sie ständig wiederentdecken, was immer sie beobachten und als Material ihrer Theorien benutzen. Die Elementarform ihrer Lehre besteht in der Behauptung, der Mensch sei als ein Wesen zu deuten, das ein Verhältnis z u sich selbst eingeht: Psychologen befassen sich mit allem, sie nehmen Stellung zu Politik und Krieg, Liebe und Arbeit, Krankheit und Spiel - aber nichts davon nehmen sie sich zum Gegenstand. Sämtliche Taten und Unarten des Menschen subsumieren sie unter ihren gedanklichen Universalschlüssel, demzufolge es sich in jedem Fall um einen Ausdruck, eine Konsequenz der "Menschennatur" handelt, die ihr Fach zum Inhalt hat. Alles gerät zum Beispiel dafür, daß der Mensch ein psychologisches Wesen und ein Problem dazu ist.
Mit Hilfe der Psychologie wird man unablässig damit vertraut gemacht, wie relativ sich der Wille zu den eigenen Anlagen und Kräften verhält. Wo immer ein Vorhaben in Konflikt mit den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Durchführung kommt, diagnostiziert diese Wissenschaft menschenkennerisch Erfolge und Niederlagen der Beteiligten - im Umgang mit sich selbst. Was immer die besichtigten Individuen treiben - die Psychologie löst es in das Problem ihres Verhaltens auf, dessen Gesetze sie in denkbar dürftigen "Faktoren" zu ermitteln suchen will. Erstens gibt sie sich kundig in bezug auf die Ausstattung des von ihr analysierten Menschen. Zweitens läßt sie den Willen und das Bewußtsein ihrer Probanden antreten, damit sie sich an dieser Bedingung - die Mittel und Bedingung, Werkzeug und Defekt in einem ist - bewähren.
Mit ihrem Verständnis des Individuums als einem funktionellen Verhältnis z u sich selbst verspricht die Psychologie Aufschluß über das Warum und Wie menschlicher Unternehmungen, Die Techniken des Umgangs mit den eigenen Fähigkeiten, die sie unbestreitbar vorfindet, will sie nicht erklären und beurteilen, ja nicht einmal diese Fähigkeiten selbst. Sie trägt statt dessen das Vorurteil vor sich her, in der Kenntnis des Seelenapparates, als den sie den Menschen nach wie vor versteht, lägen die deterministischen Vorgänge verborgen, die den Motor der menschlichen Werke und der Lebensführung abgeben.
Für dieses Programm benötigt die Disziplin noch nicht einmal die Befassung mit den Formen, in denen sich die Subjektivität betätigt - Psychologen wissen bis auf den heutigen Tag nicht zwischen Gefühl und Selbstbewußtsein, Bedürfnis und Interesse, Erinnerung und Vorstellung zu unterscheiden. Dafür widmen sie sich um so eifriger dem Ideal einer Wissenschaft, die eine feststehende Deutung erforscht und Belege für ihre Objektivität herbeischafft. Ihre Methoden, von der tiefenpsychologischen Modellbildung bis zu den "naturwissenschaftlich-empirischen" Tests und Experimenten, sind Strategien, durch die das fachspezifische Vorurteil den Schein der Begründetheit erhalten soll. Ziel ist die Bestimmbarkeit der Gesetze im Menschen, derer Psychologen habhaft werden wollen, weil sie von ihnen überzeugt sind.
B)
1. Ein Psychologe studiert die Physiologie, ohne je Physiologe werden zu wollen. Seine diesbezüglichen Anstrengungen begründet er damit, daß er anders keinen "Zugang" zu den ihn eigentlich interessierenden psychischen Vorgängen bzw. Tätigkeiten finden könne.
Er will zwar die Wahrnehmung, das Bewußtsein, das Denken usw. erforschen, erklärt sich aber außerstande, dieser geistigen Tätigkeit habhaft zu werden - so sicher er sich ansonsten ist, daß sie vollzogen werden. Er beklagt allen Ernstes, daß sie ihm "nur" als inneres Geschehen bekannt sind und der Beobachtung eigentlich "nur" in Form der Selbstbeobachtung zugänglich werden. Die wiederum hält er für eine recht unzuverlässige Instanz, was Auskünfte über die allgemeinen Gesetze des Seelenlebens angeht. Also beschränkt er sich weise darauf, das Psychische erst einmal dort zu studieren, wo er zwar weiß, daß er es - das ist der Nachteil - gerade nicht vor sich hat. Dafür - das ist der Vorteil - kann er es aber auch beobachten, messen, testen: empirisch fassen. Der Psychologe treibt Psychophysik, also keines von beiden; und er zermartert sein Gehirn mit dem fundamentalen Rätsel, wieso das Subjektive und Objektive ewig auseinaderfallen. Da werden Nachweise geführt und Meßtabellen vollgeschrieben, die nur belegen, daß man per Wahrnehmung einfach kein Physiker ist. Das seine Sinne benützende Menschlein schätzt, empfindet etc. die Unterschiede in der Höhe von Tönen, die Differenzen von Farben und Gewichten einfach anders, als diese ihrer physikalischen Erklärung nach beschaffen sind. Ein Wunder? Oder ein Auftrag an den Psychologen, endlich eine gesetzmäßige Relation zwischen meßbaren physikalischen Daten und deren "Abbild", wie es "erlebt" wird, zu ermitteln? Am besten mit Funktionsgleichung und Kurve und so sinnigen Mitteilungen wie: "Der empfundene Abstand zwischen zwei Reizen der gleichen Modalität variiert mit deren Größe und Intenstität". Oder mit einem Gesetz, das die arithmetische Reihe der Empfindungen (Maßeinheit: "Empfindungsintensität") mit der geometrischen Reihe Reizgrößen (Maßeinheit: "Reizintensität") korreliert. Unterm Strich bleibt die psychologisch verbürgte Gewißheit, daß sich die Wahrnehmung in der Physik täuscht, weil sie keine ist; daß sie aber auch einiges zur Verhaltenssicherheit des Menschen beiträgt, obwohl ihre Gesetze der "Verfälschung", bisweilen auch der Absehung ("Abstraktion") von objektiven Gegebenheiten, noch nicht ermittelt sind. Die Psychologie läßt sich weitere Tests angelegen sein, welche die Physik nie nötig hatte.
2. Das Bewußtsein spielt sich drinnen ab, und die Welt ist - "obwohl" sich das Bewußtsein um sie dreht - draußen. Soweit sich das Innen überhaupt fassen läßt, ist es schon wieder sein Ausdruck im Außen, z.B. eine Reihe geheimnisvoller Kehlkopfaktivitäten.
Für die Psychologie, gerade für die allerempirischste und modernste, ist angesichts dieser einem fachidiotischen Denkfehler geschuldeten "Schwierigkeit" das metaphysische Leib-Seele- Problem höchst aktuell. Eine Korrelation muß her, ein Verhältnis verlangt nach seinem Gesetz! Zumal sich dem so unzugänglichen inneren Geschehen eines nicht abstreiten läßt: es leistet gute Dienste, sooft sich der Mensch unter tatkräftiger Benützung seines eigenen Außen mit dem Rest der Welt ins Benehmen setzt.
Das verdient eine Prüfung, zumal das interne Treiben nicht selten auch versagt.
Also lautet der Beschluß, in zwei Teilprobleme untergliedert: Erstens ist in der Frage nach den mehr oder minder brauchbaren Leistungen des geistigen Innendienstes leider nur die Abteilung so recht faßbar, die zugegebenermaßen bestenfalls als Voraussetzung eine Rolle spielt. Immerhin läßt sich aber bei dieser Voraussetzung aus der Naturwissenschaft ein Ideal machen, so daß erst einmal Ursache und Wirkung zu ihrem Recht kommen. Wörter und Farben, Qualität und Quantität der Außenwelt erhalten den Status einer Ursache, die ihre Wirkung auf die Physis, das Äußerliche der Subjektivität, tut.
Zweitens steht aufgrund dieser Wirkung, die das Bewußtsein, das Denken, den Willen gerade nicht bewirkt, die aufregende Debatte an, was die geheimnisvolle Psyche mit ihr anstellt. Läßt sie sich von den physikalischen Sinneseindrücken beeindrucken und ist nur deren Ausdruck? Oder ist sie so frei und macht sich ihren eigenen bewußtseinsmäßigen Reim darauf?
Die Antwort der modernen Psychologie auf diese von ihr selbst ständig wiedergekäute Alternative darf als ebenso ausweichend wie befriedigend bezeichnet werden. Sie entscheidet sich weder für weder noch für noch, und sie umgeht damit jegliche Bestimmung der Leistungen, deren Gesetze sie ihren Hörern verspricht. Im Sprachdenkmal der Anpassung, die das menschliche Subjekt ausgerechnet durchs Denken und seine problemlöserische Funktion zustandebringt, vereinigt diese Wissenschaft das Urteil der Passivität (Bewußtsein) mit der Aktivität (Wirkung); sie gibt (damit) an, daß das bißchen Gefühl, Bewußtsein und Verstand - so rätselhaft das Geistesleben im einzelnen funktionieren mag - immerhin und wissenschaftlich verbürgt seine Funktion hat.
3. Daß sich der Mensch ziemlich verhält, steht für alle Vertreter des Faches fest. Bahavioristen sind allerdings nur die wenigsten geworden. Einige unter den Menschenkennern haben ihrer Achtung vor dem Subjekt Nachdruck verliehen, weil sie die eigene Gattung lieber mit Freiheit versehen sehen möchten und Determinismus verabscheuen. Damit haben jene wenigen eine Reaktion vollzogen, die jeglichen Reizes entbehrt. Objekt zu sein ist nämlich unter Menschen keine Frage der wissenschaftlichen, per definitionem vollzogenen Aberkennung der Subjektwürde, sondern die Folge eines Benutzungsverhältnisses zwischen leibhaftigen Subjekten. Und ob jemand dabei zu Schaden kommt, hängt ganz anderen Dingen ab als von so lausigen Kategoerien wie Subjekt und Objekt.
Was die konsequenten Behavioristen vom Schlage eines Watson oder Skinner ihren Kollegen voraushaben, ist ihr Bewußtsein (sic!) davon, mit dem Verhalten von nichts anderem mehr zu reden und nichts anderes mehr denken zu müssen, als eben ein funktionelles Verhältnis. Was andere Bewußtsein, Denken, Willen etc. nennen erklären sie für nicht existent, weil sie sich methodisch eine Theorie zurechtgelegt haben, in der alles geistige und zweckbestimmte Tun des menschlichen Probanden erstens eine Funktion i s t und zweitens eine hat. Die unbegreifliche Psyche wird durch ihre theoretische Tilgung begreiflich; das "Innen" zeichnet sich im Unterschied zu anderen schwarzen Schachteln durch seine Reaktionen und sonst nichts aus, weil das "Außen" zum Reiz ernannt worden ist - und umgekehrt. Daß andere Bestimmungen nicht vorkommen - die Verstärkerchen und anderen Zusatzkonstrukte ändern ja nichts an der Grundidee, sondern retten sie ins "komplexere" S-R-Leben hinüber - macht die Theorie so universell wie inhaltslos und plausibel zugleich. Allerdings nur für Leute, die auf den abstrakten Gedanken der Hervorgerufenheit von Denk- und Willensakten reagieren wie auf ein wissenschaftliches Gesetz, das mit dem Reiz einer erklärten Notwendigkeit daherkommt. Solche Leute begeistern sich dann auch für die Beeinflußbarkeit des Willens. Lernen - was, spielt da keine Rolle - ist ein wunderbares Geschäft, das im Sich-Konditionieren-Lassen besteht und am besten an Ratten zu studieren geht, weil es beim Menschen genauso, bloß komplexer, funktioniert.
Zu dieser recht freiwilligen Bezweifelung des freien Willens, die auch aus dem Ideal der Dressur kein Hehl macht, gehört sehr logisch die Natur als Faktor der Determination; diese schöne Vorstellung lassen sich echte Menschenkenner auch durch Atomraketen, Parlamentsdebatten und Eherecht nicht vermiesen. Lieber verdoppeln sie den Hervorgerufenheitsgedanken in Prozentrechnungen über Anlage und Umwelt, was der Zwillingsforschung, ein- und zweieiig, Auftrieb gibt.
4. Das Interesse am Verhältnis von Ausstattung und Leistung, daran, wozu der Mensch kraft seiner Funktionsweise fähig ist, beflügelt freilich nicht nur die Anti-Seelenkundler von der Konditionierungsfront. An manchen von ihnen wie dem Ami Watson, der seinen theoretischen Reiz-Reaktionswahn an seinem Kind ausließ, seine Theorie praktisch machte, haben ganz andere Psychologen deshalb auch nicht ihr eigenes Prinzip entdeckt, sondern einen Verstoß gegen den Humanismus. Bisweilen stellt sich dieser Vorwurf schon anläßlich des allen Tierexperimenten innewohnenden "Vergleichs" zwischen dem animal rationale und anderem Geziefer ein. Die Gleichstellung wird im Rahmen der Achtung vor "dem Menschen", ethisch eben, für unerträglich befunden; und die Erkundung der menschlichen Intelligenz mittels Experimenten an Tieren vom Einzeller bis zum Vierfüßler gilt als dem Menschen nicht angemessen (von der Fraktion der Tierschützer wollen wir hier einmal absehen). Dergleichen hat zwar zeitweise und für manche Schulen ein schlechtes Licht auf die Verhaltensforscher der härteren Sorte geworfen, aber die Fortschritte der Verhaltensforschung nicht aufgehalten. Dazu wären ja ganz andere Einsichten vonnöten gewesen; statt des Zeigefingers der Moral, welche inzwischen längst im Sich-Anpassen, im Trial-Error-Verfahren der Tierwelt entdeckt wird und sich für Kapazitäten wie Lorenz vorbildlich, für einen Popper wegweisend in erkenntnistheoretischer Sicht ausnimmt ("Wenn wir Theorien bilden, verfahren wir wie Amöben..."), hätte die Logik der psychologischen Methode gezeigt werden sollen.
Diese Logik ist nämlich auch in psycho-logisch ganz anders aussehenden Theorien am Werk. Das Menschenbild von Freud klärt den geneigten Studenten schließlich auch über das geistige und Willensleben des Subjekts mit einem Modell auf, in dem die Bedingtheit des freien Willens breitgetreten wird. Vom Bewußtsein, vom Denken erfährt man da herzlich wenig; von den Schranken, die diesen Tätigkeiten und dem gesamten zweckmäßig und mit Wissen ans Werk gehenden Willen auferlegt sind, um so mehr. Das Un- und Unterbewußtsein kommen ihm ständig in die Quere, vom Es ist der Mensch ge- und vom Über-Ich bedrängt, so daß sein Ich ein Leben lang mit Selbstzensur befaßt wie gebeutelt ist. Wie gesagt - für Psychologen mögen Welten dazwischen liegen; logisch gesehen handelt es sich bei sämtlichen Schulen um dasselbe Konstrukt einer Subjektivität, die nur sehr bedingt ihre Funktion bemeistert. Wenn die Behavioristen radikal werden und die Leistungen von Gefühl und Verstand, Sprache und Denken gänzlich in Funktion von und für auflösen, so machen sie eben aus der Fragwürdigkeit und Bedingtheit menschlicher Fähigkeiten schlechthin, aus ihrem Vorurteil - ein "Forschungsobjekt" Für sie ist die Intelligenz ein Instinktersatz, sie kommt auch so zur Geltung wie jene animalische Überlebens- und Anpassungsinstanz, und die Rede von der "Menschennatur" ist keine Metapher.
5. Die Befassung mit den Fähigkeiten des Individuums führt, so möchte man annehmen, allemal zur Analyse der Tätigkeiten, in denen sich die ersteren äußern. Nicht so bei Psychologen, die über die Logik einer Verhältnisbestimmung recht zielstrebig einen Irrtum nach dem anderen in die Welt setzen. Aus den Sprüchen eines Zeitgenossen würden sie nie seine Denkfähigkeit entnehmen und untersuchen wollen. Was ein Urteil oder ein Schluß ist, interessiert sie schon gleich gar nicht. Sie suchen mit dem Handwerkszeug sämtlicher ihnen genehmer Schulen nach Bedingungen, die vorhanden sein müssen, um die Fähigkeit zu gewährleisten. Diese Bedingungen taufen sie Faktoren, zählen sie auf oder ordnen sie gemäß einer geometrischen Figur (Würfel sind beliebt!) an, um so ihr Modell z.B. der Intelligenz vorstellig zu machen. Dabei entfalten sie heftige Diskussionen über sichere und hypothetische Momente ihrer Theorien - und veranstalten Tests, die zu so phantastischen Befunden gelangen wie dem, daß sich Versuchstiere mit Hilfe von Elektroschlägen an die Unterscheidung von schwarz und weiß gewöhnen. Wenn Versuchstiere "rascher zu einem Ziel liefen, wenn sie an einem Zwischenziel belohnt worden waren", so schließen Psychologen messerscharf auf ein Verhaltensgesetz, das sie der menschlichen Kunst des Lernens ein gut Stück näher bringt: "...daß die situationsspezifische Frustration als Antrieb wirkt". Manchmal entdecken sie Effekte, "die nicht immer zu beobachten sind", so daß die Beobachtbarkeit zur Erfindung neuer Experimente drängt. Daß Lernen schon wieder "Verhalten" ist und Denken auch, steht fest, obgleich selbst Tests mit Maulfischen noch nicht zur Entdeckung eines allgemeinen Denkfaktors geführt haben.
Inzwischen sind gewisse "Faktoren" der Intelligenz, wie z.B. die Funktion der Sinne (groß und klein, grün und gelb unterscheiden), der Mechanismus des Gedächtnisses (sich Zeichen merken und sie wieder demselben Bild zuordnen, unter dem sie gesichtet wurden) etc. so anerkanntermaßen tatsächlich Faktoren, daß Psychologen per Intelligenztest prüfen dürfen, ob sie einer hat. Das gibt der Zunft mächtig Auftrieb, weil sie sich in der Auslese des demokratischen Karrierewesens nützlich machen darf. So etwas kommt einer Bestätigung ihrer Theorien gleich; so wie sie es sehen, werden in der Welt tatsächlich unterschiedliche "Fähigkeiten" bei den Menschen ermittelt! Es lohnt sich also praktisch, Lernen und Denken, Gedächtnis und Intelligenz für eine Verhaltensstruktur zu halten, den IQ zu messen und der natürlichen Gerechtigkeit auf die Sprünge zu helfen.
6. Die wissenschaftliche Psychologie verfertigt aus einer Sichtweise, einem praktizierten Standpunkt mit dem massenhaft Leute in der bürgerlichen Gesellschaft sich und anderen auf den Wecker fallen, eine Methode zur Beurteilung der Subjektivität. Der erwähnte Standpunkt bemüht sowohl für Zwecke der Rechtfertigung wie für solche der Kritik die heiße Frage, ob sich das Individuum seine Erfolge bzw. Mißerfolge selbst zuzuschreiben hat oder nicht. Insofern bietet er nichts anderes als ein paar moralische Einfälle in Sachen Gerechtigkeit, die sich an den tatsächlich geltenden Maßstäben blamieren. Sobald freilich Ernst damit gemacht wird, am Einzelnen die Ursache seiner mehr oder minder gelungenen Unternehmungen festzumachen, ihn jenseits aller fraglichen Zwecke daraufhin zu prüfen, wie e r mit seinen Fähigkeiten haushält, wie er sich also verhält, hat die Psychologie als Technik der moralischen Begutachtung diese abgelöst. Dann gibt es Leute ohne Fähigkeiten, solche, die sie nicht zu nutzen wissen, ausgemachte Versager und Dumme und anderes mehr. Dann gleicht eine Sorte Verhalten mangelnde Voraussetzung aus, während eine andere Einstellung alle positiven Eigenschaften zunichte macht.
Aus diesem, dem bürgerlichen Leben mit seinen Rechten und Pflichten, seiner Konkurrenz und seiner Hierarchie eigenen Wahn, sich eine "Stiftung Eignungstest" zugehörig zu fühlen, verfertigt ein wissenschaftlicher Psychologe sein Handwerk. Es besteht darin, sie Ergebnisse der allzu volkstümlichen Prüfungskommissionen mit Hilfe aller methodologischen Unarten moderner Wissenschaft zu "verifizieren", sie aufzusuchen und nach Mitteln ihrer Auffindbarkeit zu streben. Dabei ist eine gewisse Emtfernung vom Ausgangspunkt nicht zu vermeiden, was ein Blick in die Literatur des Faches zeigt. Allerdings versäumt es kein einziger Vertreter der Zunft, die Gelegenheit zur Rückkehr in seine Heimat zu den Techniken der Moral wahrzunehmen. Was die Intelligenztheoretiker über die Dienste am Auslesewesen bewerkstelligen, schaffen alle anderen spätestens mit der Synthese ihrer Hypothesen über den Menschen, das psychologische Wesen. Darüber, was eine echte und rechte Persönlichkeit ausmacht, wollen sie in ihren akademischen Höhenflügen sämtlich einiges in Erfahrung gebracht haben. Die akademische Spinnerei macht sich sicher auch auf diesem Feld geltend. Wenn einer seine Klassifizierungswut ein mathematisches Gewand umhängt, das lauter Möglichkeiten und grundlose dazu abdeckt, dann tickt er eben nicht richtig. Zumal er folgendes für "eine nüchterne theoretische Überlegung" hält: "...daß zur Sicherung (!) der individuellen Eigentümlichkeiten selbst einer sehr großen Anzahl von Menschen (N=10^10) nur eine relativ geringe Anzahl (n) voneinander unabhängige Merkmale (Faktoren) erforderlich ist, von denen jede in k unterscheidbaren Stufen vorkommt: k^n=N^n. Wenn dann aber die "Merkmale" genannt werden, die Psychologen so einfallen, weiß man wieder, worum es geht, und daß diese Akademiker doch nicht den Faden zum gewöhnlichen Blödsinn abreißen lassen, dem sie dienen möchten: "Aktivität", Selbstbeherrschung", "Durchsetzungsfähigkeit", "emotionale Stabilität" usw.
C)
Ob das Ideal des Dienstes a m Individuum wie bei Freud aus quasi medizinischen Hilfsvorstellungen geboren oder wie bei der amerikanisierten Technik der Erfolgsberatung einfach als käufliche Dienstleistung angeboten wird, ist egal. Psychologen beziehen sich allemal positiv auf den Mist, auf dem ihr Geist bzw. Verhalten gewachsen ist. Am normalen Psychologisieren ist ihnen alles Recht, und eine Erschütterung der Moral haben sie nie im Sinne gehabt. Bestenfalls sind sie in diesen Verdacht geraten, weil sie wieder einmal an einer zeitgemäßen Modernisierung des "Verhaltens" herumschmarotzt haben.
Das parasitäre Eingreifen i n die öffentliche Moral ist ihr einerseits wie jeder anderen Disziplin durch die Autorität jeder Wissenschaft im demokratischen Dialog gewährt. Andererseits gewinnt die Stimme der Psychologie um so mehr an Gewicht, als sie noch jeden sozialen Konflikt, jeden Krieg und überhaupt alle politischen Schweinereien kundig in ein Problem für den Menschen bzw. ein Problem durch den Menschen verfabelt, dessen Eigenarten sie schließlich unentwegt studiert. Politischen Entschlüssen zum Krieg begegnen diese Fachidioten mit einer Theorie der menschlichen Aggression, die - würde sie stimmen - schon menschliche Seelenkundler zum Opfer eines Kapitalverbrechens hätte werden lassen. Sorgt sich der Staat um Familie und Nachwuchs, machen sich die Psychologen für allerlei Erbaulichkeiten über die Kunst der Liebe stark. Daß und wie sie Kämpfer gegen den Marxismus sind, sagen sie jeden Tag, obwohl sie sich da gar nicht auskennen. Sie bemerken einfach, daß er "dem Menschen" nach ihrem Bilde nicht entspricht - womit sie richtig liegen.
Die neutrale Ratgebertour setzt die öffentliche Wichtigtuerei der Zunft konsequent fort. Mit dem kleinen Unterton der Klage, daß sie die Menschen kennen, aber diese nicht auf sie hören, kommt ja schon ein wenig das Versprechen auf Besserung der Menschheit zum Vorschein. Wer das Angebot so versteht, daß er sich in einem ewig währenden Krieg mit sich selbst verbessern könnte, wenn er sich den Deutungen eines Psychologen anvertraut, geht dann auch schon mal hin. Dann kriegt er wieder Selbstvertrauen und so Zeug - wobei, mag man gar nicht erwähnen.
Als pädagogische Hilfstruppe haben sich die Wissenschaftler von der seelischen Betreuungsfront noch am nachhaltigsten ins Spiel gebracht. Das Ideal der "Menschenführung", der "Motivation" und so, verkauft sich prächtig in einer Welt, wo das Ausbildungswesen alles Lernen als Auslese organisiert und "Persönlichkeiten" entweder gefragt sind oder überflüssig.
Daß in der klinischen Psychologie den gestörten Persönlichkeiten, denjenigen also, die es mit dem psychologischen Umgang mit sich selbst zu weit getrieben haben, um nicht unangenehm aufzufallen, ausgerechnet durch die Absolventen der akademischen Psychologie geholfen werden soll, ist ein Witz. Bei dem Geisteszustand einer ganzen Disziplin!