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Internationale Heimatkunde: Die Philippinen
AMERIKAS DEMOKRATIE IM PAZIFIK
Die Philippinen: militärischer Stützpunkt der amerikanischen Navy und Flugwaffe, der den Pazifik zum Binnenmeer westlicher Freiheit macht. Dieser Flugzeugträger hat ein Hinterland: rund 7000 Inseln und 55 Millionen Filipinos, zusammen ein Staat, der über einen Naturreichtum an Kokospalmen, Zuckerrohr, Manilahanf und Gold, sowie über einen nationalen Markt gebietet. Für die stabilen Geschäftsbeziehüngen zum befreundeten Ausland gibt es die "kleinen Brüder" der USA, von Roxas über Magsaysay bis zu Marcos, deren staatliche und private Armeen für Frieden im Land sorgen.
Diese hochoffizielle Sichtweise der USA - "die grundsätzliche Linie unserer Philippinenpolitik war und ist die Gewährleistung unserer Militärbasen Subic Bay und Clark, Field"; "Militärhilfe ist das einzige Mittel, das die Reformbewegung auf den Philippinen am Leben erhält" - ist die Realität, an der sich philippinische Staatsmänner bewähren können. Daß bei den entwickelten Weltmarktbeziehungen - hauptseitig zu den USA - der nationale Reichtum nicht zu kurz kommt, nahmen die Staatsvertreter der Philippinen schon immer höchstpersönlich in die eigene Hand und konnten dabei normalerweise auf weltpolitisches Verständnis rechnen. Korruption und persönliche Bereicherung der Politiker waren ja dasselbe wie die wirtschaftliche Entwicklung der Philippinen. Ihre Macht übten sie - gelehrige Schüler der USA - fast ausnahmslos demokratisch aus. Die kleine Schwierigkeit, die Stimme des Volkes bei den Wahlen mit dem Votum der "neutralen Wahlbeobachter", die in der amerikanischen Botschaft saßen, überein zu bringen, lösten sie auf ihre Weise. "Blutige Wahltage" und der offen demonstrierte Wahlbetrug wurden als landesüblich und keines Aufhebens wert verbucht.
Kein Wunder, daß Marcos die Welt nicht mehr versteht. Jetzt soll er so ziemlich alles falsch gemacht haben, und mit den schönsten moralischen Titeln wie Menschenrechtsverletzungen, brutale Gewalt und korrupte Figur wird ihm mitgeteilt, daß er ein Schlappmann ist, überhaupt nur noch an einer Niere hängt und die längste Zeit Präsident der Philippinen gewesen sein soll. Da kann er sich alle vergangenen amerikanischen Lobeshymnen über den "starken Mann in Manila" - "Mein starker rechter Arm in Asien" (Lyndon Johnson 1965); "Ich bewundere Ihren Kampf gegen den Kommunismus" (Reagan 1980); "Wir Amerikaner lieben an Ihnen, Herr Präsident, das Festhalten an den Prinzipien und Spielregeln der Demokratie" (Vize-Präsident Bush 1985) - an den Hut stecken.
Heute wird er mit der Forderung nach "fairen Wahlen" konfrontiert. So melden die USA Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit ihres bisher treuen und zuverlässigen Verbündeten an. Damit wird tatsächlich die Herrschaft des Marcos-Clans zur Disposition gestellt. Schon möglich, daß der verbitterte Diktator überhaupt nicht mehr mitkriegt, daß dieser Stimmungswandel die Kontinuität der besonderen Rücksichtnahme der USA auf sein Land ausdrückt - heute mit neuer Radikalität vorgetragen.
Die Verbrechen des Marcos
Marcos, dem einstmals weder Wahlfälschungen noch Kriegsrecht noch sein entschiedener Umgang mit der Opposition - beispielhaft die Ermordung Aquinos - ernsthaft nachgetragen wurden, wird jetzt mit einer anspruchsvollen Sichtweise bekanntgemacht: "Droht den USA auf den Philippinen ein zweites Iran?"
Beim Schah soll Carter zu lange auf den falschen "starken Mann" gesetzt haben - mit dem bekannten Resultat. Heute wird präventiv und ohne besondere Anlässe der Verdacht aufgemacht, daß auf den Philippinen wegen der dortigen Herrschaftsverhältnisse die strategischen Interessen der USA und des Westens überhaupt gefährdet werden könnten. Unter diesem Kriterium müssen sich selbst die treuesten Vasallen eine Sicherheitsüberprüfung gefallen lassen. Unter diesem radikalen Anspruch werden dann Verhältnisse, die bisher die Lage da unten sicher gemacht haben, zu Indizien fürs Gegenteil. So reicht heute schon die pure Möglichkeit, daß in den nächsten 5 bis 10 Jahren die bewaffnete Guerilla der NPA (Nationale Volksarmee) relevante Teile der Philippinen unter ihre Kontrolle bringen könnte, weil sich Marcos dieser Sorge der USA nicht genug annimmt. Statt eine Mannschaft einheimischer "green berets" zu sein, die die Richtigen erledigt, handelt es sich bei der philippinischen Armee, in der militärische Ränge als Staatspfründe vergeben und "mißbraucht" werden, um den Auswuchs eines "korrupten Systems".
Die einstmals begrüßte und kriegsrechtlich durchgesetzte Zentralisierung der philippinischen Wirtschaft und Politik in der Hand eines starken Mannes und seiner Vertrauten entlarvt sich heute als "crony capitalism" (Vettern-Kapitalismus). Mit der Vergabe von Staatskrediten, Wirtschaftsprivilegien, Außenhandelspräferenzen an die Cronies wollte Marcos dafür sorgen, daß sich kapitalistische Geschäfte auch auf Peso-Basis lohnen - auch gegen die aufgemachten Bedingungen der internationalen Konkurrenz. Auf seinem Staatskonto haben sich dabei mittlerweile 28 Milliarden Dollar angesammelt, die der philippinische Staat der internationalen Bankenwelt schuldet; Grund genug für den IWF, die weitere Entwicklung dieses Landes selbst "sanierend" in die Hand zu nehmen. Bei den zur Auflage gemachten Peso-Abwertungen, Preisanhebungen für Lebensmittel und Wirtschaftsbeschränkungen konnte man sich immer auf Marcos verlassen, freilich mit einer Ausnahme: Die neuen Konditionen sollten die staatlich abgesicherten Geschäfte der Cojuangcos und Benedictos - und wie seine Vertrauten alle heißen - nicht durchstreichen. Die andere Seite nahm das sehr grundsätzlich als einen gänzlich unzulässigen Versuch, einen philippinischen Protektionismus gegen die Notwendigkeiten des freien Welthandels zu betreiben. Dagegen standen grundsätzliche Wirtschaftsreformen an, und die Weigerung von Marcos ließ dessen korrupte Machenschaften entdecken:
"Die amerikanische Regierung unterstützt den IWF und die Weltbank bei ihren Versuchen, Präsident Marcos unter finanziellen Druck zu setzen. Nach zwei Jahren wirtschaftlichen Niedergangs auf den Philippinen treibt die Wirtschaft des Landes in den Ruin, der nur durch einen radikalen Wandel aufgehalten werden kann... Der Anfang muß mit der Zerschlagung der Zucker- und Kokosnußmonopole gemacht werden, die sich im Besitz von Freunden des Präsidenten befinden. Der IWF hat Kredite an die Philippinen zurückgehalten - und überlegt, ob er ein Umschuldungsprogramm uon 14 Milliarden platzen läßt -, um Marcos zu zwingen, die erwünschte Maßnahme durchzuführen." (The Economist 9.11.85)
Den Wunsch nach "Reformen" haben die USA noch einmal eigenhändig dringlich gemacht. Der Senat kürzte die Militärhilfe, und CIA-Chef Casey und der Reagan-Spezi Senator Laxalt reisten nach Manila, um "mit entschiedenen Worten" Marcos zur fälligen Einsicht zu nötigen. Genutzt hat es wenig; "es war, als ob man gegen den Wind spuckt" (Laxalt). Marcos ist eben als Nationalist die weltpolitische Figur, die von Amerika bisher als Garant der philippinischen Prosperität und als antikommunistischer Staatsmann gefeiert wurde - und diesmal stand seine Herrschaftsgrundlage auf dem Spiel. In solchen Fällen beherrscht noch jeder Parteigänger des Imperialismus das anti-imperialistische Vokabular. So verkündet Marcos jetzt als erste Lehre einer eigenständigen "Filipino-Ideologie", daß "die Verewigung einer abhängigen Wirtschaft das nationale Schicksal in die Hände der internationalen Banken und Finanzinstitutionen legt" und daß "die Abhängigkeit vom Ausland Ausdruck im Leben von Millionen in Form von zunehmender Arbeitslosigkeit, schwerer Inflation und sozialer Unruhe findet". Auch der Anti-Amerikanismus ließ sich auf philippinisch ausdrücken:
"Die Resolution" (über die Kürzung der Militärhilfe) "ist typisch für die amerikanische Zucker- und Peitsche-Diplomatie, die abwechselnd heiß und kalt bläst. Diese amerikanischen Politiker sind nicht von der Kolonialpolitik des amerikanischen Imperialismus von einst entwöhnt worden, der es darauf anlegt, schwächere Nationen zu unterwerfen, um die Ziele großer amerikanischer Geschäftsintereisen zu fördern." (ein Minister aus dem Kabinett von Marcos)
Teile der philippinischen Regierungspartei sprachen sich sogar für die Aufkündigung der amerikanischen Militärbasen im Land aus.
Demokratische Wahlen - Zum Betrug erklärt
Um dem amerikanischen Verbündeten zu beweisen, daß sie auch künftighin die Geschicke der Philippinen mit Marcos zu lösen hätten, setzte der Präsident selbst Wahlen an. Er war sich sicher, daß er keinen Konkurrenten zu fürchten brauchte; ganz einfach deswegen, weil die USA - anders als in früheren Fällen - keinen philippinischen Oppositionspolitiker damit ausgezeichnet hatten, einen würdigen Nachfolger des derzeitigen Präsidenten abzugeben.
Die internationalen Wahlbeobachter, in Scharen vor allem aus den USA angereist, erklärten die Wahlentscheidung zu einer von Moral gegen Gewalt und Korruption: Die Moralseite wurde dabei vertreten durch eine Opposition, die sich von der Regierungspartei nur dadurch unterschied, nicht zum "Marcos-Clan" zu gehören, wenn sie auch zum großen Teil alte Freunde von Marcos waren; durch die Geschäftswelt Manilas, die am "crony capitalism" nicht oder zu wenig beteiligt war und die aufmerksam den sinkenden internationalen Kredit von Marcos registrierte; und durch die katholische Kirche, die schön immer nationale und internationale Versöhnung predigte. Sie alle stellten sich hinter die "Hausfrau" Corazon Aquino. Die bestritt ihren Wahlkampf mit der Leidensgeschichte, die Witwe des vom Marcos-Militär umgelegten Oppositionspolitikers und Großgrundbesitzers Benigno Aquino zu sein. Das Volk durfte darin seinen Hunger, sein Elend und seine Slumexistenz wiederfinden. Mehr als diese moralische Einheit wurde nicht versprochen.
Da gab der "korrupte" Präsident mehr aus. Die Beamtenschaft bekam eine kleine Lohnerhöhung, der Benzinpreis wurde verbilligt, eine spektakuläre Landverteilung fand statt. Wahlgeschenke waren schon immer das, was Marcos unter Reformen verstand. Für das einfache Volk gab es ein paar Pesos und etwas Reis, um die Wahlentscheidung voranzutreiben. Ansonsten verließ sich Marcos auf die von seiner Regierung eingesetzten Dorfbürgermeister, die für die richtige Wahlstimmung vor Ort sorgen sollten.
Cory und Ferdinand waren sich über die Hauptaufgabe des künftigen Präsidenten ziemlich einig. Sie warf ihm vor, er sei "sehr erfolgreich darin, das Volk in die Hände der Kommunisten zu treiben". Er konterte damit, daß ein Wahlsieg Aquinos das Land wegen der ausbrechenden Machtkämpfe unter den Oppositionspolitikern zum Spielball der kommunistischen Guerilla machen würde.
Damit war die Rolle des Volks bei den Wahlen genügend umschrieben; es brauchte nur noch zu wählen. Danach begann erst die richtige Wahl, ausgetragen als Kampf um ihren "fairen Verlauf". Die Berufung auf die Wahlurnen machte den eigentlichen Wahlkampf aus. Für beide Kontrahenten fiel der Wählerwille mit der Demonstration des eigenen Machtwillens zusammen, dem das passende Wahlergebnis gleich mitgegeben wurde. Jede Seite erklärte sich zum eigentlichen Sieger und warf der anderen Mißachtung des Wählervotums vor und alles im Hinblick auf die interessierte Welt Öffentlichkeit. So weit die anwesend war, wie eine amerikanische Senatorenmannschaft, steckte sie die Nase in alle Wahlurnen, so daß jeder demonstrative Betrug auch wahrgenommen wurde. Eine philippinische Bürgerrechtsbewegung, einstmals vom CIA gegründet, um die Niederlage des bei den USA mißliebig gewordenen Präsidenten Quirino zu kontrollieren, warf sich über die Urnen und bewies damit westlichen Demokraten, daß Marcos seine Niederlage vertuschen wollte. Jede Seite zählte selbst aus, dementsprechend sahen die Wahlergebnisse aus. Ein moralischer Pluspunkt für Cory Aquino ergab sich daraus, daß ihre NAMFREL schneller zählte, indem sie die Wahlurnen nicht an die regierungsamtliche Zählkommission weitergab. Außerdem meldete sie sich schneller als Wahlsiegerin zu Wort, bereits acht Stunden nach Wahlende, als noch kaum Stimmen ausgezählt waren, aber mit dem überzeugenden Argument, "eine amerikanische Fernsehgesellschaft habe ihren Sieg vorausgesagt".
Jetzt haben die Parlamentsabgeordneten der Regierungspartei aus den Urnen das überzeugende Votum für Marcos herausgelesen - und damit endgültig das philippinische Volk um den Sieg betrogen, auf den der Westen gepocht hat. Ob die USA Marcos "fallen lassen", hat Reagan noch nicht entschieden. Diese Aussage, daß auf den Philippinen nur die Wahlstimme des amerikanischen Präsidenten zählt, darf deshalb noch als die Schwierigkeit einer Weltmacht genommen werden, von den Launen eines Vasallen abhängig zu sein.
Der Wahlkampf selbst war srhon die Widerlegung der allseits beschworenen Gefahr, dem politischen System drohe eine Aufkündigung von unten: An den Oppositionsfiguien wird die Verwaltung des Hinterlandes der amerikanischen Militärbasen nicht scheitern.
Souveränität - Ein spezielles amerikanisches Geschenk
Daß die Stimme Amerikas für die Philippinen gilt, hat gute historische Tradition. 1898 nahmen die USA Spanien den letzten Rest des ehemaligen Kolonialreiches ab (Cuba, Puerto Rico und die Philippinen). Neben einer philippinischen Unabhängigkeitsbewegung, die sie kolonialmächtig erledigten, fanden die USA schon einige zivilisatorische Hinterlassenschaften der Spanier vor. Zuerst einmal den Peso als gültiges Zahlungsmittel und dann die katholische Kirche, die die Einwohner vom Aberglauben und vom Land befreit und die Philippinen in einen kirchlichen Großgrundbesitz verwandelt hatte. Ferner gab es bereits eine einheimische Kompradorenmannschaft, die das philippinische Volk vertrat. Während die Spanier die Philippinen hauptsächlich als Umschlagplatz ihres weltweiten Handels benutzt hatten, machten sich die USA an die Entwicklung ihrer Kolonie. Sie kauften dem Vatikan für 7 Millionen Dollar den kirchlichen Grundbesitz ab und überließen die Zurichtung der philippinischen Landwirtschaft zu einer Monokultur aus Zuckerrohr-, Kokosnuß- und Hanfplantagen der Privatinitiative amerikanischer und philippinischer Geschäftsleute. Private Reichtumsproduktion auf den Philippinen hieß die Parole. Dementsprechend behandelten die USA das Land als einen Absatzmarkt für amerikanische Waren. Dafür sollte sich heimische Kaufkraft entwickeln. Motor des inneren Marktes wurden US-Konzerne, hauptsächlich aus der Nahrungsmittelbranche, die eigenständige Filialen auf den Philippinen gründeten.
Getreu ihrer Devise, die Filipinos reif für das demokratische Leben zu machen, beteiligten sie die heimische Oberschicht an den kapitalistischen Geschäften und an der demokratischen Verwaltung des Landes. Seitdem gibt es die 400 Familien-Clans, die Politik und Wirtschaft der Philippinen unter sich ausmachen, die USA zur zweiten Heimat haben, oft auch den amerikanischen Paß besitzen und mit dem Dollar als erster Währung rechnen. Alles, was sie an heimischen Geschäften tätigen, schlägt sich auch auf amerikanischen Bankkonten nieder.
Nach der japanischen Besetzung des Landes (1941-45) erklärte die amerikanische Regierung die Philippinen für souverän, gemäß dem Anspruch vom "Ende des Kolonialismus", den sie gegen Frankreich und England geltend machte. Zuvor zerschlug MacArthur noch die philippinische Freiheitsbewegung der HUKs, die gegen Japan gekämpft und daraus das Recht auf einen eigenständigen Staat abgeleitet hatten. Den richtigen Verwalter der gewährten Freiheit sahen die USA in einem Kollaborateur der Japaner. Die USA garantierten den Erfolg dieser neuen Nation mit einer Starthilfe von 250 Millionen Dollar und durch umfassende Schutzrechte. Zur Sicherheit der Philippinen machten sie die Unabhängigkeit von einem Militärabkommen abhängig, das das Land für 99 Jahre zum militärischen Stützpunkt und zur östlichen Aufmarschbasis zuerst gegen Japan, dann gegen China und Vietnam und jetzt gegen die UdSSR erklärte. Teile des Landes wurden exterritoriales Hoheitsgebiet des amerikanischen Militärs. Das philippinische Heer wurde von amerikanischen Militärberatern aufgebaut, und die USA sicherten sich das Recht zu, philippinische Bürger zur US-Army einzuziehen. Als US-Hilfstruppen waren die Filipinos an allen von den USA in Asien geführten Kriegen beteiligt, von Taiwan über Korea bis zu Vietnam. Ihre eigenständige Rolle wurde dem philippinischen Militär durch eine amerikanische Militärhilfe zugewiesen, die speziell auf den einheimischen Anti-Guerilla-Kampf zugeschnitten war. Als die Amerikaner aus Vietnam abzogen, bekamen die Militärberater Diems in Manila ein neues Betätigungsfeld. Diese zugewiesene Wichtigkeit des eigenen Staates haben philippinische Politiker nie als Einschränkung ihrer Souveränität verstanden: Sie waren die eifrigsten Befürworter des SEATO-Militärpakts, mit dem die Amerikaner in Asien ein Pendant zur NATO gründeten.
Zur Festlegung der Richtung, in die der wirtschaftliche Erfolg der neuen Nation laufen sollte, knüpften die USA die Souveränität an die Annahme des "Bell-Trade-Acts". Dieses Freihandelsabkommen sicherte dem amerikanischen Export nach den Philippinen bis 1954 völlige Zollfreiheit zu. Umgekehrt galt dasselbe, mit einigen Modifikationen. Produkte, die in Konkurrenz zu amerikanischen Waren standen, waren nicht zollfrei und für die hauptsächlichen Exportprodukte der Philippinen legten die USA Höchstquoten fest. Damit der gegenseitige Nutzen dieses Geschäfts mit Zucker und Kokosöl auch weiterhin erhalten blieb, durften nur die philippïnischen und amerikanischen Handelsgesellschaften, die schon vor 1940 im Geschäft waren, die Quoten unter sich aufteilen. Für den Erhalt der philippinischen Wirtschaft als Unterabteilung des amerikanischen Binnenmarktes stand die "parity"-Klausel, die amerikanischen Bürgern auf den Philippinen die gleichen geschäftlichen Rechte wie den philippinischen Bürgern zubilligte. Logischerweise sollte dieser erweiterte Binnenmarkt erst gar nicht von schwankenden Wechselkursen behelligt werden. Der Peso wurde zum kleinen Münzgeld des großen Bruders und sein Kurs fest an den Dollar gebunden. Kleinliche Devisenkontrollen und Eingriffe in den freien Kapitaltransfer hatte der philippinische Staat bleiben zu lassen.
"Pilipino muna!" - "Die Philippinen zuerst!"
Diese Auflagen haben philippinische Politiker und heimische Geschäftswelt immer so betrachtet, daß sich daraus etwas machen läßt. Am wirtschaftlichen Fortschritt, jetzt unter eigener Flagge, wurde die Bevölkerung beteiligt, ohne daß die landwirtschaftlichen Pächter und die Arbeiter in den Fabriken das Recht zugestanden bekamen, ein ökonomisch anerkanntes Ausbeutungsmaterial zu sein. Die Mehrheit des philippinischen Volkes, die Kleinpächter, lebten weiterhin in persönlicher Abhängigkeit von den wenigen Großgrundbesitzern, denen sie den größten Teil ihrer Ernte abzuliefern hatten: Die steigende Zentralisierung des Großgrundbesitzes vertrieb einen Teil dieser Pächter von ihrem Land; aus den Pachtbauern wurden Saisonarbeiter, die zur Erntezeit Beschäftigung fanden oder gleich in die Slums von Manila zogen.
Seitdem die USA auf die meisten der wirtschaftlichen Auflagen verzichteten - sie hielten sie nicht mehr für notwendig - und die philippinische Wirtschaft sich der offenen Konkurrenz auf dem Weltmarkt aussetzen darf, bekommen westliche Korrespondenten philippinisches Anschauungsmaterial für die spannende Frage, ob in Bangla Desh, der Sahelzone oder auf der Zuckerrohrinsel Negros prozentual mehr Menschen verhungern. Vorher haben die USA philippinischen Zucker zu einem Fixpreis aufgekauft, während jetzt der Weltmarktpreis für Zucker den Anbau auch für die philippinischen Zuckerbarone nicht mehr lohnend macht.
Findige Schnellrechner haben daneben herausgefunden, daß die Arbeitslöhne, die auf den Philippinen gezahlt werden, noch unterhalb der in Malaysia und Hongkong gezahlten liegen. Die staatlich betriebene Politik zur Senkung der Lohnkosten hat inzwischen auch der philippinischen Wirtschaft erlaubt, von landwirtschaftlicher Halbfertigproduktion zu wirklich "arbeitsintensiver" industrieller Produktion überzugehen. Den Markt von textiler und elektronischer Billigproduktion fanden die Philippinen allerdings schon durch ihre staatlichen Nachbarn besetzt. Seinem sozialstaatlichen Auftrag kommt der philippinische Staat nach, indem er Mindestlöhne festlegt; an die braucht sich niemand zu halten. Das vom Weltmarkt vorgegebene und inzwischen IWF-mäßig gelenkte Auf und Ab der philippinischen Wirtschaftskonjunktur sorgt so für eine kontinuierliche Verschlechterung der Lebensverhältnisse für das philippinische Volk.
Gründe genug, daß immer einmal wieder Aufstände, Unruhen und Streiks ausbrechen, bei denen radikale Sozialreformen eingeklagt werden. Kein Wunder auch, daß bewaffnete Bewegungen für eine "wirkliche" Unäbhängigkeit gegen die jeweilige Regierungsmannschaft von "US-Marionetten" auftraten. Der wachen Aufmerksamkeit und des strategischen Interesses der USA an ihrem Land gewiß, fanden philippinische Präsidenten darin jeweils Anlässe, ihr internationales Ansehen zu rechtfertigen und wieder für geordnete Verhältnisse zu sorgen.
Von 1949 bis 1953 befreite die Hukbalahap, die militärische Organisation der philippinischen moskautreuen KP, einige Teile des Landes, verjagte einzelne Großgrundbesitzer und setzte Volksverwaltungen ein. Truman erhöhte die Militärhilfe, und unter der Anleitung amerikanischer Militärberater räumte die philippinische Armee gründlich auf. Umgebracht wurden nicht nur die HUK-Kämpfer, zum Teil Partisanen, die gegen Japan gekämpft hatten, sondern auch einiges Landvolk. Das war allerdings nur die spektakulärste, weil gesamtstaatlich organisieite Form des Kampfes gegen die Subversion. Die tägliche Befriedung sah und sieht das philippinische Militär als seine Hauptaufgabe an, darin unterstützt von den Privatarmeen der Großgrundbesitzer, die ihre besonderen Rechnungen begleichen. Die haben auch ihren ökonomischen Hintergrund: Die Vertreibung und Umsiedlung in Wehrdörfer räumt die Plantagenwirtschaft frei von überflüssiger Bevölkerung.
Anlaß zu größeren militärischen Unternehmungen gab auch der Versuch einiger muslimischer Stammesfürsten auf den südlichen Inseln, sich für autonom und unabhängig von der Zentralregierung zu erklären. Seit einigen Jahren kämpft eine neue Guerilla-Organisation, die bewaffnete Front der- neuen "maoistischen" KP. Die zur Zeit auf rund 15.000 geschätzten Anhänger der NPA sind ein Anlaß, weshalb Marcos bei den Amerikanern ins Gerede gekommen ist. Mit ihrem Ziel der Bauernbefreiung orientieren sie sich an der Kampftaktik des chinesischen "Langen Marsches" und halten sowohl die Russen wie die Chinesen für Renegaten. Ihre Verstecke haben sie mittlerweile überall auf den Philippinen, aus denen heraus sie einzelne Überfälle unternehmen und kleinere Regierungspatrouillen angreifen. Ein Umsturz auf den Philippinen steht deshalb noch lange nicht bevor. Der Aufruf der kommunistischen Partei zum Wahlboykott hat die Cory-Fans nicht gestört.
Marcos' "Neue Gesellschaft"
Aus der inzwischen ganz souverän betriebenen Öffnung der Philippinen zum gesamten Weltmarkt leitete der seit 1965 regierende Marcos den Anspruch auf eine neue Größe seines Landes ab - und entdeckte, daß sein Inselreich noch gar nicht auf diese vorbereitet war. 1972 rief er das Kriegsrecht aus und verwaltete seitdem die Philippinen mit diktatorischer Vollmacht. Das verstand er als eine überfällige gesellschaftliche Reform, um aus den Philippinen überhaupt erst eine Nation und aus ihren ökonomischen Mitteln ein "Schwellenland" zu machen:
"Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß unsere Unabhängigkeit unvollkommen ist, wenn wir erlauben, daß unsere Demokratie in übertriebene Wahlkämpfe und einen unkontrollierten inhaltlichen Liberalismus ausartet, dem soziale Ungerechtigkeit auf dem Fuß folgt. Heute ist es die vornehmste Aufgabe der neuen Gesellschaft, wie die Filipinos die gegenwärtige Regierung nenne, das noch verbesserungswürdige freiheitliche und unabhängige System der Inselrepublik zu festigen. Wir kämpfen gegen Korruption, Landanarchie und nationale Zersplitterung."
Politisch einflußreiche Interesse, der ständige Streit dieser Interessen um die Macht erschienen Marcos als Beeinträchtigung und Schwächung seiner Staatsmacht. Das reiche demokratische Leben, auf dessen Einrichtung die USA so stolz waren, mit Parteienkonkurrenz, Wahlen und freier Presse war das Vehikel der Konkurrenz unter den 400 Familien, die die staatlichen Ämter als Pfründe ihrer privaten Interessen verwalteten. Die philippinischen Parteien unterschieden sich erst gar nicht durch einen programmatischen Anspruch, sondern danach, welche bedeutenden Interessen hinter ihnen standen. Die philippinischen Politiker wechselten je nach günstiger Gelegenheit die Parteien, einige schafften sich ihre eigene Organisation an, und vor Wahlen zeichnete die amerikanische Botschaft den von ihr erwünschten Kandidaten aus. Das war zuwenig für einen nationalen Politiker wie Marcos. Er beendete die "Zerspitterung" der Staatsmacht, indem er die Parteien verbot - bis auf seine eigene Hausmannschaft -, seine Gegner verhaftete und sämtliche demokratischen Rechte aufhob. Diese Straffung der staatlichen Verwaltung ergänzte er um eine nationale Säuberungswelle, steckte 50.000 Filipinos ins Gefängnis, und das Militär durfte sich austoben. Jetzt sorgte der "Marcos-Clan" für den Primat des Staates, dessen private Verwaltung den Philippinen eine neue nationale Größe geben sollte.
Mit dem Kriegsrecht ging es für Marcos um mehr, als den nach zwei Amtsperioden fälligen Rücktritt als Präsident zu vermeiden. Mit der Konzentration der Staatsgewalt auf seine Person besaß er den Hebel, den philippinischen "Oligarchen" den Kampf anzusagen. Aus der philippinischen Geschäftswelt sollte eine nationale Ökonomie werden. Das staatliche Wirtschaftsprogramm dafür war der "crony capitalism". Der Zucker- und Kokosnußexport wurde staatlichen Monopolen unterstellt, und an die Spitze der Bergbau- und Stahlkonzerne sowie der aufzubauenden nationalen Industrieprojekte gelangten Vertraute des Präsidenten. Die Verwalter dieser staatlichen Wirtschaftsprogramme sind außerdem an fast allen Geschäften auf den Philippinen und am Kapital der US-Konzerne beteiligt und repräsentieren schon in ihrer Person die so geschaffene Nationalisierung der Ökonomie. An dem staatlich abgesicherten und garantierten Erfolg der "Cronies" sollten alle anderen philippinischen Kapitalisten ihren Maßstab und ihren Stachel finden. Diese Zusammenfassung zu einer größeren nationalen Wirtschaftskraft kostete auch einige Großgrundbesitzer und Kapitalisten ihren Besitz. Im Namen des auf den Philippinen stets beliebten "Kampfs gegen die Korruption" wurden sie von Marcos enteignet. Dieses neue Wirtschaftsprogramm sollte das schlagende Mittel sein, vermehrt ausländisches Kapital ins Land zu ziehen. Konsequent verband Marcos die Nationalisierung der philippinischen Wirtschaft mit staatlichen Anreizen für ausländische Anleger. Die kamen in den Genuß von Steuerpräferenzen, durften sich an allen inländischen Geschäften - auch an den philippinischen Banken - beteiligen und waren frei von staatlichen Kapitalauflagen. Von den so Angesprochenen wurde das Kriegsrecht für ein sehr attraktives Wirtschaftsprogramm genommen und beantwortet:
"Das philippinische Investitionsklima hat sich fast täglich verbessert, seit Präsident Marcos im September 1971 das Kriegsrecht eingeführt und die Neue Gesellschaft deklariert hat. Diese Wende ist so bedeutsam, daß alle Unternehmen, die in den Philippinen investieren oder verkaufen wollen, sich über die dortige Situation von neuem vergewissern müssen. Vor allem ist die gesetzliche Behandlung von Auslandsinvestoren und die Gewährung von Anreizen geklärt und in manchen Fällen liberaler gestaltet worden; ein neues politisches, ökonomisches und soziales Klima ist geschaffen worden, in dem Unternehmen mit Zuversicht investieren können, sicher in ihrer zukünftigen Stellung im neuen, Rahmen eines wiedergewonnenen philippinischen Nationalbewußtseins." (Business International, 27.11.1974)
Daß zu dem nationalen Projekt auch ein Volk gehört, hat Marcos nicht vergessen. Der Landbevölkerung versprach er eine Landreform, die die Kleinpächter zu eigenen Herren machen sollte. Das ist zwar nicht eingetreten: Die begünstigten Pächter konnten die Ablösesumme an ihre Grundbesitzer nicht zahlen und wurden als säumige Schuldner von ihrer Scholle vertrieben. Bei den alten Feudalverhältnissen ist es jedoch nicht geblieben. Den Großgrundbesitzern urde das Pachtsystem überhaupt verboten, so daß die Plantagenwirtschaft jetzt von Lohnarbeitern betrieben wird, die nur zur Erntezeit Beschäftigung finden.
Mit Hilfe kompetenter Berater der amerikanischen Regierung bekamen die städtischen Arbeiter betriebseigene und staatliche Gewerkschaften. Ihre Funktion bestand in der Kooperation mit Unternehmensleitung und staatlichen Stellen. Für die Gewerkschaftsführer war eine neue Pfründe innerhalb des "crony capitalism" eingerichtet worden. Selbstverantwortlich konnten sie mit der Betriebsleitung Arbeitsverträge abschließen, die weniger den Lohn als das Betriebsklima zum Inhalt hatten:
"Alle Beschäftigten sollen sich fleißig ihren angewiesenen Arbeiten widmen. Das Unternehmen verabscheut Faulheit. - Alle Beschäftigten sollen die Anweisungen ihrer Meister befolgen. Die Unternehmensleitung bestraft Ungehorsam."
Aus dem Aufschwung der philippinischen Nation ist freilich nichts geworden! Vom Kriegsrecht und den damit verbundenen Träumen eines Marcos sind die Ruinen einiger industrieller Großprojekte, der Bankrott ganzer nationaler Geschäftszweige und die Slums von Manila - die eine Imielda Marcos auch einmal wegsaniert hat, wenn sie den Blick aus einem Touristenhotel störten - übriggeblieben.
Aus der weltöffentlich gestellten Frage, ob die Philippinen jetzt einen besseren Verwalter als den abgewirtschafteten Marcos verdient haben kann das Inselvölkchen immerhin einen Schluß ziehen: Ihrem Staat gilt unverändert das besondere Interesse der USA. Das wird die Philippiner, die sich für das Menschenrecht auf eine Wahlsiegerin Cory begeistern und die amerikanische Lebensweise lieben, trösten.