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Internationale Heimatkunde: Spanien
EINE KÖNIGLICHE DEMOKRATIE
"Ich habe von Kind auf gelernt, daß es kein edleres Wort gibt als 'dienen', und ich muß meinem Land dienen. Mein erster Dienst am Volk soll es sein, ihm die Freiheit zurückzugeben." (Don Juan Carlos I. de Borbon y Borbon, Rey de Espana por la Gracia de Dios)
Nach fast 40 Jahren faschistischer Diktatur gab ein König der spanischen (Klassen-)Gesellschaft die politischen Freiheiten zurück, die ihr der Franco-Staat vorenthalten hatte. Nicht ein Staat in Bedrängnis, sondem eine souverän agierende Staatsgewalt entschloß sich nach dem Tode des Caudillo, den Völkern Spaniens die Demokratie zu schenken. So vollzog sich harmonisch und weltweit bewundert der 'Übergang' ins Reich von Freiheit und Gleichheit gleichsam als Restauration.
Die Demokratie von oben ersetzt den Franquismus
Anders als in Deutschland und Italien gab es in Spanien keine faschistische Massenbewegung, wie sie den Führer bzw. den Duce noch demokratisch und rechtsstaatlich an die Macht gebracht hat. Franco und seine Offizierskollegen inszenierten ihren Pronunciamiento von 1936 gegen eine soeben mit überwältigender Mehrheit gewählte Regierung, die von einer Volksfront aus Sozialdemokraten und Liberalen mit Unterstützung der Kommunisten und Tolerierung durch die beim Landproletariat einflußreichen Anarchisten gebildet worden war. Zum Bürgerkrieg kam es durch den Beschluß dieser Regierung, ihre Anhänger gegen die abtrünnig gewordene Armee zu bewaffnen. Und die Durchsetzung des Franquismus nach dreijährigem Kampf verdankte sich der Intervention der Achsenmächte (unsere "Legion Condor" über Guernica z.B.). Nach dem militärischen Sieg betrieb das Franco-Regime seine politische Konsolidierung im Inneren nach dem heute bekannteren "chilenischen Modell": Der Caudillo sicherte sich seinen Platz in der Geschichte als der größte Henker des spanischen Volkes. Seine "Errettung des Vaterlandes" vor der "bolschewistisch-jüdischen" Gefahr kostete über drei Millionen engagierten Republikanern das Leben - nachdem die nationalen Truppen gesiegt hatten.
Nach der großen Säuberung erst bemühte sich Franco um eine organisierte Nationale Bewegung. In dieser stellten die Faschisten aus der Falange-Partei nur eine der "Säulen" des "Movimiento Nacional". Die anderen waren die alten Rechtsparteien, in denen sich die Interessen von Großgrundbesitz und Kapital organisiert hatten; die Monarchisten, die sich von Franco die Wiedereinführung der Monarchie versprechen ließen und fürs erste die Restituierung aller Adelstitel und Privilegien bekamen; und schließlich die katholische Kirche (mit Ausnahmen im Baskenland und in Katalonien). Die franquistische "Bewegung" war also eine Koalition der einflußreichen Stände zur Sicherung der Klassengesellschaft vor der sozialistisch-kommunistisch-anarchistischen Bedrohung, gegen die der Militäraufstand von 1936 gerichtet war.
Mit der physischen Vernichtung aller "unspanischen", sprich: antifeudalen, antikapitalistischen, antiklerikalen, antimonarchistischen Elemente im Volk war der Faschismus auch schon am Ziel und damit an seinem Ende als die Politik bestimmende Staatsdoktrin. 1953 hinderten die gelegentlichen Öffentlichen Ausfälle des Caudillo und von Falange-Führern gegen die "Freimaurer-Demokratie" USA die Regierung des spanischen Staates nicht an der Einbeziehung Spaniens ins NATO-Militärkonzept (Militärabkommen zur Überlassung von Stützpunkten an die USA). Und bereits 1967 gab es erste Verhandlungen Madrids mit der EWG über ein Assoziierungsabkommen.
Beim Tode Francos war der einzige verbliebene Vorbehalt spanischer Wirtschaftspolitik gegen eine völlige Öffnung des Landes an die "internationalen Finanzoligopole" (gegen so etwas wetterte der faschistische Staatsideologe und Märtyrer der Bewegung Jose Antonio) die Aufrechterhaltung des Staatsmonopols auf Erdölraffinerie und -verkauf.
In den sechziger Jahren gab es im spanischen Staat den Aufschwung einer demokratischen Opposition gegen die "autoritäre Alleinherrschaft" Francos und seiner "Hofkamarilla". Diese Opposition rekrutierte sich einerseits aus Kreisen der 'politischen Klasse', die gerade beim Caudillo in Ungnade gefallen waren oder wegen der persönlichen Abneigung des Diktators gegen Bankiers, Basken, Katalanen, Protestanten, Juden, Männer unter 40, Frauen überhaupt usw. trotz zweifelsfreier Loyalität und " Kompetenz" keine Chance hatten, mit Machtfunktionen betraut zu werden. Andererseits entstand Opposition als demokratisches Missionswerk von außen: Die Friedrich-Ebert-Stiftung kümmerte sich in Spanien um eine nagelneue Sozialistische Partei, die Hanns-Seidel-Stiftung förderte christlich-demokratische Zirkel, und der CIA hatte einige fähige junge Männer des Movimiento Nacional auf seiner Alimentenliste, die sicherstellen sollten, daß der Abgang Francos keine US-Sicherheitsinteressen gefährdete. Einer davon hieß übrigens Adolfo Suarez und wurde erster Ministerpräsident der Demokratie.
Die damals übliche Rede in und außerhalb Spaniens lautete: Der Franquismus habe sich "überlebt". Er sei zu einem Anachronismus geworden, denn erstens sei sein "übertriebenes" Repressionsrepertoire für die spanische Gesellschaft unnötig, andererseits verhindere die Abhängigkeit von der "Willkür eines alten Mannes" immer wieder die optimalen sachlichen und personellen Entscheidungen. Anfang der siebziger Jahre gab es im spanischen Staat fix und fertige politische Parteien nach dem Muster der westlichen Demokratien, die vom Staat toleriert wurden, aber nicht so agieren durften, wie es demokratischen Parteien zukommt. Die komplette Politikermannschaft von aufgeklärten Jüngern des Movimiento bis zu in der Illegalität groß gewordenen Sozialdemokraten stand gleichsam in den Startlöchern und wartete darauf, daß der Tod Francos den Weg frei machte für eine freie und offene Konkurrenz u m die Macht.
Am 20. November 1975 starb Franco und es gab im spanischen Staat außer den Falange-Führern, die bereits seit Jahren nicht mehr in der Regierung sitzen, keine politische Kraft, die nicht für eine "Transicion hacia la democracia" (einen Übergang zur Demokratie) eintrat. Selbst der Caudillo hatte nach dem Tode seines designierten Nachfolgers Admiral Carrero Blanco (ein ETA-Kommando hatte den Reservecaudillo in die Luft gesprengt) die Unwiederholbarkeit seiner "historischen Mission" eingesehen und per Dekret Spanien als Monarchie restauriert. Den als König vorgesehenen Enkel des letzten Monarchen, Juan Carlos, schickte Franco auch auf Universitäten und Militärakademien, wohl wissend, was der Thronprätendent da lernte, so daß der König sich mit Recht bis heute nicht als "Verräter" an Francos Erbe fühlt. Mit dem Tode übertrug Franco dem König alle seine Kompetenzen. Er installierte ihn als absoluten Monarchen. Und der König machte von dieser Macht, die ihm die Armee und die Guardia Civil in Treue zu Franco über den Tod hinaus zunächst einmal garantierten, vollen Gebrauch. Allerdings zuerst, um sich aus der Abhängigkeit seiner Macht von der Loyalität der Armee und der Guardia zu emanzipieren und die Monarchie als Institution zu legitimieren. Der König wollte nicht nur von "Gottes Gnaden" über Spanien stehen, sondern sich für Spanien auf das ganze Volk stützen. Im Interesse von Stäbilität und Kontinuität einer Monarchie im modernen spanischen Staatswesen setzte er auf Demokratie. Mit der von Franco übernommenen Gesetzeshoheit, den "Leyes Fundamentales", verordnete der König dem Staat eine demokratische Verfassung; gestützt auf die Kompetenzen, die die faschistische Ordnung dem "Jefe de estado" einräumte, feuerte Juan Carlos die alten Franco-Minister aus der Regierung und betreute mit den Regierungsgeschäften Figuren, die mit seinen Plänen in Sachen "Modernisierung Spaniens" übereinstimmten. So wurde Spanien demokratisch und unter seinen Bürgern der Monarchismus populär.
Die Politisierung der Spanier zu demokratischen Untertanen
Der demokratische Aufbau vollzog sich mit Staatsbürgern, die vorsichtig zum politischen Leben erweckt wurden. Sie stimmten einer neuen Verfassung zu - nur die störrischen Basken verwarfen sie - und wählten die neue Regierung. Das Volk, das unter dem Faschismus mit einigem Erfolg zum Respekt gegenüber jeglicher Staatsautorität erzogen worden war, erwies dieser nun seine Dankbarkeit. Es war ja gewürdigt worden, indem um seine Zustimmung nachgesucht worden war.
Die Konkurrenz um die politische Macht wurde zunehmend lebendiger. Sie war von höchster Stelle freigegeben worden, und im Zuge des Aufbaus und der Besetzung der neugeschaffenen demokratischen Institutionen winkten viele lukrative Posten. Von einer Sorge wurden die politischen Manager aber doch geplagt, nämlich, ob die Konkurrenz nicht von höchster Stelle außer Kraft gesetzt werden könnte. Diese Sorge gaben sie an das Volk weiter und empfahlen ihm, Ruhe zu bewahren. Eine Klärung in dieser Hinsicht brachte der Putschversuch vom 23. Februar 1981. Da rebellierte eine Gruppe von Offizieren im Namen der Monarchie gegen die parlamentarische Regierung. Der König und die Armee machten nicht mit, und der Putsch scheiterte: Jetzt war klar, daß die Krone und die Armee es mit der Demokratie ernst meinten. Die demokratischen Politiker konnten jetzt sehr sicher vor das Volk treten, mit der Sicherheit nämlich, als gewählte Vertreter regieren zu dürfen.
Nach dem Putsch war die Demokratie nicht mehr auf die Krücken der Krone und ihres politischen Führungspersonals angewiesen. Staatstragende Partei Nummer Eins wurden die Sozialisten. Die PSOE (Partido Socialista Obrero Espanol) hatte sich einige Vorteile gegenüber der politischen Konkurrenz von links und rechts erworben. Mit der brüderlichen Hilfe der nordeuropäischen Sozialdemokraten war sie neu gegründet worden, gesäubert von alten antifaschistischen Elementen und nicht des Widerstands gegen Franco verdächtig. Nationalismus und Antikommunismus der Parteiführung waren echt.
Das Programm, das die Sozialisten dem Volk mit Überzeugungskraft präsentierten, hieß, in einem Satz zusammengefaßt: Solange wir regieren, sind die Bedingungen für einen Staatsstreich nicht gegeben. Sozialistische Politiker, die beim Putschversuch wenige Monate vorher schon die Koffer gepackt und politisches Asyl in der BRD ins Auge gefaßt hatten, waren nun wild entschlossen, den spanischen Faschismus ein für allemal überflüssig zu machen. Das leuchtete dem Wähler ein. Die kommunistische Konkurrenz bekam keine Chance.
Und die Rechten? Als Erben des Faschismus operierten sie mit demselben Stabilitätsargument wie die Sozialistem, nur klang es bei ihnen so: Solange wir nicht wieder regieren, gibt es viele Bedingungen für einen Staatsstreich. Beim Volk kam dieses Argument immer weniger an. Die Sozialisten entschieden den Wahlkampf für sich und wurden Regierungspartei. Dieses Resultat war gut für die Festigung der spanischen Demokratie. Die demokratische Linke war stark und regierungsfähig, die Rechte sammelte sich und mauserte sich zur demokratischen Opposition, und der kämpferische Antifaschismus war politisch bedeutungslos.
Ein "Staat der Autonomien" für die demokratische Einheit der Nation
Damit war der demokratische Staatsaufbau i n Spanien nicht vollkommen. Dort gibt es nämlich Bürger, die sich volkstumsmäßig nicht als Spanier begreifen, sondern zuerst und vor allem stolz darauf sind, Basken oder Katalanen zu sein. Sie sind auch Nationalisten, aber ihr separater Nationalismus wurde unter Franco diskriminiert und blutig unterdrückt, so daß sie sich von der Demokratie,vor allem dessen Rehabilitierung und Anerkennung versprachen. Die Katalanen und die Basken forderten von links bis rechts von der Demokratie vor allem katalanische und baskische Freiheiten als ihr gutes Recht. Die Demokratie gewährte sie ihnen, auf daß auch sie gute spanische Bürger würden.
Der Staat teilte - im Sinne seiner neuen Verfassung, in deren Präambel sich "die Völker Spaniens" als "Staat der Autonomien" konstituieren - sein Hoheitsgebiet neu auf in "Comunidades Autonomas" (Autonome Gemeinschaften). Er kleidete sein Angebot an die baskischen und katalanischen Nationalisten, sich an der Macht zu beteiligen, in die Form einer Gebietsreform. Ganz Spanien wurde "autonom"; auch Regionen, wo niemand das Bedürfnis nach "eigener" Verwaltung oder Regierung angemeldet hatte, wurden in die Autonomie entlassen. Für Basken und Katalanen sollte eben keine Extrawurst gebraten werden.
Die Autonomiereform machte keinen Bundesstaat aus Spanien. Die Kompetenzen der autonomen Regierungen waren nicht gesetzlich verankert, sondern mußten erst in Verhandlungen mit der Zentralregierung für jede Region definiert werden. Die Kompetenzen von Justiz und Polizei waren von den Verhandlungen völlig ausgeklammert, dagegen waren die ökonomischen Kompetenzen wie Steuern, Investitionen und Subventionen Gegenstand eines munteren Handelns. Das war alles gut und schön, aber für Basken und Katalanen war es nicht genug. Im Baskenland forderten die "Abertzalen" - so heißen diejenigen Basken, die ihren Wunsch nach (teil-)staatlicher Unabhängigkeit über ihre Bereitschaft zu ordentlichem Mitmachen stellen und diese Reihenfolge "Sozialismus" nennen - mit allen Mitteln vom spanischen Staat Verhandlungen über den Abzug von Guardia Civil und Polizei. Dabei ignorierten sie das Autonomieangebot und boykottierten die neugeschaffenen Institutionen. Die bürgerliche baskische Formation, die PNV (Partido Nacionalista Vasco), ging auf dieses Angebot ein und regierte (siehe Artikel "Die Basken").
Diese Partei als Sachwalter von Kapitalinteressen verwaltete die Autonomie ordentlich und "erkämpfte" die meisten ökonomischen Kompetenzen von Spanien. Als Regierungspartei stellte sie die Frage nach Verhandlungen über den Abzug der spanischen Ordnungskräfte anders als die Abertzalen: als Sorge um die öffentliche Ruhe und Ordnung im Lande, die durch ihre Regierung nur gewährleistet wäre, wenn sie einen eigenständigen baskischen Gewaltapparat hätte.
In Katalonien lag die Sache anders. Die katalanischen Nationalisten verfolgten ihr Ziel ohne jede Störung von links. Ihnen ging es vor allem darum, ihren politischen Einfluß in Katalonien zu erweitern, da die spanischen Parteien im eingewanderten Gastproletariat aus Andalusien über eine respektable Basis verfügten. In der Frage der Autonomie-Kompetenzen taktierten sie vorsichtiger als die Basken und betonten immer wieder, daß die Verwaltung Kataloniens von der spanischen Zentralregierung erschwert würde. Der Zentralregierung ihrerseits war jede Gelegenheit recht, der katalanischen Regierung zu zeigen, wie sehr diese auf sie angewiesen sei, um in Katalonien überhaupt regieren zu können. Die beste Gelegenheit dafür war die Pleite der größten katalanischen Bank "Banca Catalana". Diese Bank, gegründet vom Chef der katalanischen Nationalisten, war als Finanzmacht des Landes konzipiert und operierte nach politischen Kriterien. Anfang der 80er Jahre kam sie in große Schwierigkeiten; "spanische Zungen" behaupteten, daß die Bank an insolvente Unternehmen Kredite vergab, versehen mit der Bemerkung "P.C." - Por Catalunya. Die spanische Zentralbank ließ dann in aller Ruhe die größte Pleite der spanischen Geschichte vor sich gehen. Die spanische Zentralregierung drohte sofort mit einem Prozeß gegen den Bankchef, inzwischen Regierungschef von Katalonien. Die Justiz ließ sich Zeit, und so wird die Prozeßdrohung noch heute gegen ihn aufrechterhalten. Das verpflichtet ihn natürlich, gewisse Rücksichten zu nehmen.
Das Hin und Her zwischen Zentral- und Autonomregierung nannte sich "Autonomieprozeß". Selbstverständlich kam dabei auch die Heimatliebe auf ihre Kosten. Euskera und Katalanisch waren nicht mehr verboten, sogar die besseren Kreise bedienten sich ihrer, und beim autonomen Fernsehen staunte man, wie gut Sue Ellen baskisch sprach.
Die spanische Arbeiterklasse wird zum demokratischen Sozialpartner
Der Franquismus hatte in faschistischer Tradition jeglichen Klassengegensatz als "Erfindung der Marxisten" und als Verrat am Prinzip "Espana una, grande, libre!" geleugnet und gewerkschaftliche Betätigung, vor allem Streiks, verboten. Die faschistische "vertikale Gewerkschaft" vereinte im Sindicato Nacional die Kapitalisten und die Arbeitervertreter einer Branche. So sorgten die Beauftragten des Movimiento für das "Wohl der Betriebsfamilie" und dekretierten Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen gemäß den Richtlinien des Arbeitsministeriums. Dagegen entstanden bereits Anfang der sechziger Jahre unter Führung der illegalen Kommunistischen Partei sogenannte Arbeiterkommissionen auf Betriebsebene, die sich national zur Untergrundgewerkschaft der Comisiones Obreras (CCOO) zusammenschlossen. In der Endphase des Franquismus kontrahierten viele große Industrieunternehmen des Landes mit Vertretern der CCOO, Streiks wurden je nach politischer Beschlußlage einmal toleriert, ein andermal zusammengeschlagen. Für die CCOO waren alle Arbeiter, die gegen das Regime eingestellt waren, gleichgültig gegen ihre politischen Unterschiede als Sozialdemokraten, Kommunisten, parteipolitisch Nichtengagierte oder als baskische bzw. katalanische Nationalisten. Die CCOO kämpften für mehr Lohn, Arbeiterrechte und deshalb unter dem Franco-Regime immer auch für eine andere Staatsform, in der dieser Kampf legal, d.h. ohne Polizeirepression möglich sein sollte.
Mit der Legalisierung gewerkschaftlicher Betätigung fiel das einigende Moment der Solidarität gegen Faschismus und für Demokratie weg, und die Sozialdemokraten entdeckten, daß die "größte Gewerkschaft des Landes kommunistisch" "dirigiert" wurde. Sie forderten ihre Anhänger zum Austritt auf und gründeten gegen die CCOO eine sozialdemokratisch dirigierte Gewerkschaft, die UGT. Beide Gewerkschaften verhielten sich dem neuen demokratischen Staat gegenüber loyal. Sie verdankten ihm ihre legale Existenz. Der Staat stellte diese Loyalität auf die Probe, indem er ihnen prompt einen polit-ökonomischen Auftrag erteilte: Sie sollten während des Übergangs zur Demokratie einen Sozialpakt mit der Regierung und den Unternehmern schließen, der den sozialen Frieden gewährleistete. Diese Aufgabe erfüllten sie. Als der demokratische Übergang vollzogen war, bekamen sie nichts, was sie den Arbeitern als materiellen Erfolg hätten verkaufen können; ein Umstand, der die UGT etwas verbitterte, weil sie glaubte, es handle sich um ihre Regierung. Das wirtschaftspolitische Vorhaben der neuen Regierung erforderte weiterhin eine gewisse gewerkschaftliche Mitarbeit: bei der Ausarbeitung und Durchsetzung von Sozialplänen. Auf der Suche nach europafähigen Betrieben musterte der Staat seine Wirtschaft durch und ordnete eine weitgehende Rationalisierung an. Die Massenentlassungen sollten dann möglichst schnell, ruhig und billig über die Bühne gehen. Für die Gewerkschaften gingen sie zu schnell und zu unsozial vor sich, für den Staat zu langsam und zu teuer, aber sie kamen einander entgegen, und so gelang das Unternehmen. Die Verelendung der Arbeiterklasse wurde von den Gewerkschaften unterschiedlich kommentiert. Für die CCOO war sie das Resultat einer falschen Wirtschaftspolitik des Staates und auch das Produkt von Kapital und Computer, lauter Faktoren, die ihnen ihrer Meinung nach ihre Basis raubten. Sie demonstrierten und protestierten, ohne viel zu stören, da ihnen ohnehin die "Perspektive" fehlte und das "Kräfteverhältnis" ungünstig vorkam. Die Zukunft der Gewerkschaft als "sozio-politische Bewegung" sahen die Führer der CCOO noch dazu durch die politische Krise der Partido Comunista (in drei Fraktionen gespalten) gefährdet, und sie versuchten, unabhängiger von der Partei zu werden.
Für die UGT warf die Verelendung der Arbeiter folgendes Problem auf: Sie schadete der Attraktivität der Gewerkschaft und war doch zugleich das Werk der eigenen Partei. Die Gewerkschaftsführer der UGT saßen selber als sozialistische Abgeordnete im Parlament. Als solche begutachteten sie das Wachstum der Arbeitslosigkeit, zählten die Arbeitslosen und kontrollierten die Unterhaltskosten für das Arbeitslosenheer. Dabei betonten sie immer wie der, wie schwierig die finanzielle Aufgabe des Sozialstaats geworden sei, einer solchen Masse das Überleben zu ermöglichen.
Als die Regierung die Renten drastisch kürzte und die CCOO mit einem Generalstreik Protest dagegen einlegten, entdeckten die sozialistischen Gewerkschaftsführer in sich einen furchtbaren Zwiespalt zwischen ihren Pflichten als Politiker und ihren Neigungen als Gewerkschaftler. Sie protestierten als Gewerkschaftler gegen die Kürzungen, die sie als Politiker beschlossen hatten. Beim letzten Gewerkschaftskongreß ist dem Führer der UGT eingefallen, daß die Gewerkschaftsgelder der Basis keinen Nutzen bringen. Sie als Kapital zu investieren, würde dagegen einiges in Bewegung bringen. Im Gespräch waren Ferienhotels, eine Lebensversicherung und - nach DGB-Muster - eine Gewerkschaftsbank. Man hätte dann den Mitgliedern etwas anderes zu verkaufen als Gewerkschaftspolitik.
Es gab auch Arbeitskämpfe um die Sozialpläne. Sie wurden dort am härtesten geführt, wo die Sorge um die spanische Demokratie am geringsten war, nämlich im Baskenland. Dort genoß die Parole "Arbeiter gefeuert - Chef gehenkt" eine gewisse Popularität, was sich in der Höhe der Abfindungen bemerkbar machte. Wo diese Kampfbereitschaft fehlte, wurden die früher ausgehandelten Sozialpläne nicht einmal eingehalten und revidiert. So bereitete die Demokratie in Spanien ihre Arbeiterklasse auf die Jahrhundertaufgabe vor, die sie ihrer Nationalökonomie gestellt hatte.
Der Anschluß Spaniens an die EG
Die "Nationale Erhebung" von 1936 hatte der Verteidigung von ökonomischen Privilegien des Adels, der Besitzer großer Latifundien und der anderen besitzenden Klassen, worunter auch Männer der Kirche zählten, gedient; gegen den von der demokratischen Republik freigesetzten Klassenkampf. Dennoch ließ der Franquismus an der Macht die von ihm vorgefundene, weitgehend landwirtschaftlich bestimmte Volkswirtschaft nicht unverändert. Dazu trieb ihn erstens sein nationales Sendungsbewußtsein, das Spanien einen Platz im Kreise der starken europäischen Nationen zurückerobern wollte. Zweitens zwang die Wirtschaftsblockade der Westalliierten gegen den Hitler-Freund Franco den spanischen Staat zu weitgehender Selbstversorgung, wollte er nicht in völlige ökonomische Abhängigkeit von den Achsenmächten geraten, aus deren Krieg er sich herauszuhalten gedachte.
So setzte sich im nationalen Lager die Einsicht durch, daß Geld und Privateigentum sich auch als Industriekapital lohnen und für Spanien taugen. Der faschistische Staat wurde zum größten Unternehmer des Landes. Er gründete Industrien in allen wichtigen Branchen (Stahl, Metall, Chemie, Energiewirtschaft und Transportwesen) und beauftragte eine Behörde, das Instituto Nacional de Industrias (INI), mit der Planung und Finanzierung. Das Bank- und Kreditgeschäft ließ der Staat in privaten und patriotischen Händen. Er sicherte den Banken das innere Kreditmonopol zu, indem er die Niederlassungen ausländischer Kreditinstitute verbot (erst 1978 wurden sie wieder zugelassen). Er verpflichtete sie, mindestens 40% ihrer Guthaben in Schuldpapieren des Staates oder in Obligationen des INI anzulegen. Die Staatsschuld wurde so zu einer zinstragenden Geldanlage der vornehmsten Stände der Nation. Aus dem Reichtum von Großgrundbesitzern und Pfaffen bildete der faschistische Staat Kapital für sein industrielles Aufbauprogramm. Die Banken wußten ihrerseits auch mit den Staatsschulden eigene Geschäfte zu machen. Die Erfolge sind an den prächtigen Bankgebäuden in den spanischen Städten zu bewundern.
Mit dem nationalen Aufbau stellte sich eine respektable Inflation ein. Die interne und externe Kaufkraft der Peseta litt darunter. Sie wurde mehrmals entwertet. Es gab aber auch positive Posten in der Zahlungsbilanz:
- Die USA waren Waffenbrüder geworden, pachteten spanischen Boden für strategische Zwecke und zahlten mit Dollars, Getreide und Waffen.
- Diese Hilfe war für den Staat der Anlaß, das kostspielige Programm zur Aufrechterhaltung einer Landwirtschaft für die Volks(unter)ernährung einzustellen. Die Grundlage für zahllose Familien- und Subsistenzbetriebe in Nord- und Zentralspanien war endgültig dahin, Kastilien und Extremadura wurden immer menschenleerer und dienten hauptsächlich als Jagdreviere. Die freigesetzten Arbeitskräfte wanderten in die spanischen und europäischen Industriezentren ab. Das paßte sehr gut zu den Industrialisierungsvorhaben des spanischen Staates und zum deutschen Wirtschaftswunder. Diejenigen, die fern der Heimat schufteten, waren sehr sparsam und schickten einen Teil des Lohns nach Hause, also Devisen.
- Gleichzeitig förderte der Staat bereits unter dem Franco-Regime durch ein gigantisches Bewässerungsprogramm den Aufbau einer exportorientierten Agrarindustrie für Obst und Gemüse.
- Mit der spanischen Küstenlandschaft und der Sonne wußten die Bank- und Staatsmanager Grandioses anzufangen. Das Tourismusgeschäft wurde staatlich gefördert, und die Grundeigentümer kamen bei dem Bauboom voll auf ihre Kosten. Auch die Touristen brachten Devisen nach Spanien.
Der Staat tat alles, um seinen Beschluß, ein "modernes Spanien" hinzustellen, ohne Auslandsverschuldung zu verwirklichen. Das hieß keineswegs, daß die spanischen Manager auf ausländisches Kapital verzichten mußten. Dieses war willkommen in Form von Beteiligungen am nationalen Industrieaufbauprogramm. Ein lebhaftes Geschäft mit Lizenzen entwickelte sich. Partnerschaftliche Kooperationsabkommen wurden zwischen staatlichen und ausländischen Firmen in der Autoindustrie, der Stahlbranche, in der Elektronik- und in der Rüstungsindustrie abgeschlossen. Selbständige ausländische Investitionen wurden sehr begrüßt, nur gab es gewisse Produktionsquoten und Exportpflichten für das Kapital, die mit Zollschutz und Steuerbefreiung belohnt wurden.
Die Grenzen, an die das ökonomische Werk des Franquismus stieß, waren diejenigen des neuen europäischen Wirtschaftsblocks EWG.
Die staatlichen Industrien Spaniens waren für den nationalen Markt geschaffen worden. Exporterfolge waren gering und wurden für den Staat, der sie gegen die ausländische Konkurrenz subventionierte, immer teurer. Gegenüber der Europäischen Gemeinschaft verschlechterte sich die Handelsbilanz, weil die spanischen Kapitalisten immer mehr als Käufer auftraten und wenig zu verkaufen hatten, was gegen die Industrieprodukte aus der BRD, Frankreich und Italien bestehen konnte. Der Agrarexport wurde durch EWG-Außenzölle, vor allem gegen Wein und Oliven, behindert. Bereits unter Franco fiel die Entscheidung, die Flucht nach vorne anzutreten. Die eigene Ökonomie sollte in der EG mitmachen. Durchgesetzt hat diesen Beschluß dann die Demokratie. Das Ziel erreicht zu haben, durfte die sozialdemokratische Regierung Gonzalez als ihren größten Sieg feiern. Die drei großen "Umwandlungen" (Reconversaciones) des postfranquistischen Spanien sind die schönsten Früchte der Demokratie - das haben vor allem die arbeitenden Klassen zu spüren bekommen.
- Mit der Steuerreform der Regierung Suarez verschaffte sich der Staat erst einmal Geld von allen seinen Bürgern und insgesamt erheblich mehr als bislang. Während die Steuerleistung von Großgrundbesitz und Kapitalisten im Franquismus eher symbolischen Charakter hatte, ließ sich Madrid nun seine Leistungen für die besitzenden Klassen auch von diesen mitfinanzieren. Das Volk kam in den Genuß von zahlreichen indirekten Steuern, die demokratisch-gleichheitlich jeden treffen, der sich irgendeine Ware kauft. Krönender Abschluß dieser Reform: die Einführung der Mehrwertsteuer am 1. Januar dieses Jahres als erste konkrete und umfassende Errungenschaft des vollzogenen EG-Beitritts.
- Mit den staatlichen Mehreinnahmen finanzierte die Regierung Gonzälez eine Reconversacion Industrial. Der Staat beschloß, sich von einem Teil der von ihm mehrheitlich kontrollierten Stahl-, Schwer- und Werftindustrie zu trennen und den Rest auf "Weltmarktniveau" hochzumodernisieren, was durch eine umfassende Rationalisierung in Angriff genommen wurde. Über ein Drittel aller Beschäftigten in der Metallindustrie und knapp die Hälfte aller Werftarbeiter sind inzwischen "abgebaut" worden. Was die Gefeuerten dabei besonders erbitterte, war der Umstand, daß die geschlossenen Werke größtenteils noch Aufträge bis zum Ende des Jahrzehnts hatten. Sie wurden zugemacht, weil sie "Zuschußbetriebe" waren, die ihr Besitzer, der Staat, sich nicht mehr leisten wollte. Eine Lektion in Sachen "wirtschaftlicher Vernunft". Damit die Arbeiter als Klasse diese Lektion überleben können, bastelt Madrid seit dem Abgang Francos an
- einem spanischen "sozialen Netz", das dem Proletariat allein schon aus dem Grund als Staatsgeschenk vorkommen soll, weil es so etwas unter Franco nicht gab. Daß es jetzt eine staatliche Sozialversicherung gibt, Arbeitslose, sofern sie legal beschäftigt worden sind, Arbeitslosengeld kriegen, das sind die großen Schlager der Regierung, mit denen sie dem grassierenden Stammtischspruch "Unter Franco konnte man sich mehr zum Leben leisten!" begegnet. Auch in Spanien, wo jetzt die Sozialbeiträge von den Löhnen abgezogen werden, grassiert inzwischen die öffentlich verkündete Lüge vom "Generationenvertrag", der die Renten finanzieren muß, und die über den Schwarzarbeiter, der die "Solidargemeinschaft betrügt".
Mit der Aufnahme in die EG als Vollmitglied kann das demokratische Spanien jetzt die Früchte seiner ökonomischen Anstrengungen ernten. Und da tut es nichts zur Sache, daß die Früchte seiner Landwirtschaft für sechs Jahre weitgehend aus dem gemeinsamen Agrarmarkt ausgeschlossen bleiben. Wegen seiner Bauern und Landarbeiter ist der Industriestaat Spanien nicht eingetreten. Das Land bringt eine sanierte, modernisierte "Unternehmensstruktur" in die Gemeinschaft ein und bietet seine Staatsunternehmen leistungsfähigen EG-Kapitalen zum An- bzw. Einkauf an. Von diesem Angebot wird auch Gebrauch gemacht. VW z.B. ersteigerte gegen japanische Konkurrenz die Automobilfirma SEAT, die den innerspanischen Markt beherrscht. Jetzt, wo die Zollmauer gegen Spanien gefallen ist und wo die Wolfsburger ihr "know-how" mit der billigen, aber qualifizierten spanischen Arbeitskraft kombinieren und die Kapitaldecke ihrer spanischen Tochter erhöhen, dürften bald schon die schnuckeligen "Rondas" aus Barcelona das Bild westdeutscher Straßen bereichern.
Mit dem EG-Beitritt hat eine umfassende Hausse an den spanischen Börsen neue Rekordmarken gesetzt. Spitzenreiter sind dabei die Papiere von Staatsunternehmen, in die nicht nur spanische, sondern europäische und auch amerikanische Geldanleger großes Vertrauen setzen. Auch die "Ölscheichs" gehen nicht mehr nur zum Baden an die Costa del Sol, sondern mit Milliarden "Petrodollars" in die Pesete.
Die Kosten, mit denen der spanische Staat seine Industrie "gesundgeschrumpft" hat, haben sich also gelohnt. Das beweist sein erfolgreicher Kapitalimport.
Für die spanische Wirtschaft ist der EG-Markt offen; gegenüber zahlreichen Staaten der "Dritten Welt" eröffnen sich jetzt für Madrid alle Sonderkonditionen, die die EG für ihr Kapital ausgehandelt hat (z.B. der AKP-Vertrag). Die langwierige Feilscherei in Brüssel um Fischereirechte, Olivenöl, Wein und Stahlquoten ging um die Konditionen eines Geschäfts, das beide Seiten machen wollen - miteinander. Für die EG eröffnet sich ein Markt mit 30 Mio. Leuten, denen man allerhand verkaufen kann und der über hervorragende "Connections" zu einer Region verfügt, in der die EG gegen die bisherige US-Dominanz verstärkt ins Geschäft kommen möchte: Lateinamerika.
Daß die Arbeiter im spanischen Staat ihren Abschluß an Europa mit einer Angleichung des Niveaus der Ausbeutung erschuften müssen; daß in ihre "Lohnfindung" jetzt immer der Konkurrenzvorteil "europäisches Billiglohnland" eingehen muß, wenn sie ihren "Arbeitsplatz" erhalten wollen; daß alles, was man zum Leben braucht, teurer wird und daß die bekannten Köstlichkeiten der iberischen "tapa"-Kultur von den Bartresen verschwinden, weil Gambas und Langusten "Exportschlager" auf einem "expandierenden Markt" sind; daß der schwere vino tinto immer wässriger wird, weil er nur als "leichter Landwein" über EG-Grenzen kommt - alles das stimmt zwar auch: Aber die demokratischen Regierungen Spaniens sind schließlich für Spanien in die EG gegangen und nicht wegen der Gemütlichkeit ihrer Proleten.
Die Integration Spaniens in die NATO
"Die spanische Nation ist ziemlich kriegstüchtig, aber unordentlich, so daß nur jemand, der sie zu einigen und in Ordnung zu halten vermag, mit ihr große Taten vollbringen kann." (Ferdinand, König von Spanien, vertrieb 1492 die Mauren und die Juden und einte die Nation.)
Ins westliche Bündnis war das Territorium Spaniens schon seit 1953 einbezogen: Im andalusischen Rota unterhalten die USA ihren größten und wichtigsten Marinestützpunkt am Mittelmeer; in Torrejon bei Madrid einen Luftwaffenstützpunkt und an der Ostküste weitere Air-Force-Basen, Radarstationen und Luftüberwachungssysteme. Ein Beitritt zur NATO ist auch nicht an den Vorbehalten der westlichen Demokratien gegen den Franco-Faschismus gescheitert, vielmehr war es Francos Furcht vor einem Verlust an nationaler Souveränität Spaniens, die einen NATO-Beitritt zu seinen Lebzeiten undenkbar machte. Sofort nach Beginn der "Transicion" trugen die USA in Madrid ihr Interesse an einer NATO-Mitgliedschaft Spaniens vor. Der König und seine Regierung hatten die Integration ins westliche Militärbündnis als Voll - Mitglied fest in ihr Demokratisierungsprojekt eingebaut. Die spanischen Streitkräfte sahen dieses Vorhaben durchweg positiv und ohne die ansonsten bei ihnen vorherrschende Skepsis gegen die Demokratisierung. Sie wollten endlich ohne Restriktionen an modernste Waffensysteme herankommen und im westlichen Bündnis gegen den gemeinsamen Feind antreten. Insofern war das innenpolitische Argument für einen NATO-Beitritt, wie es die Regierung Calvo Sotelo vertrat, eine an der Sache vorbeigehende Propaganda: Eine Integratrion der spanischen Streitkräfte in das Bündnis würde die Putschgelüste in der Armee unter Kontrolle bringen. Daran stimmte nur eines: Souveräne Alleingänge des Militärs in der Politik würden erschwert und Putschabenteuer von den Verbündeten nicht gern gesehen werden. Sollte aber die innenpolitische Lage Spaniens - in Übereinstimmung mit NATO-Ermessen - eine Intervention der Streitkräfte notwendig machen, dann wäre das eine Wahrnehmung westlicher Sicherheitsinteressen, ein richtiger Putsch also und kein "Abenteuer". Siehe Griechenland, siehe Türkei und vergleiche auch das Telegramm des damaligen US-Auenministers Haig in der Nacht des 23. Februar 1981, in dem ausdrücklich zwischen US-Sicherheitsinteressen und der Sicherheit der spanischen Demokratie unterschieden wurde.
Zum Zeitpunkt des NATO-Eintritts Spaniens waren die Regierungen der "Transicion" allerdings alles andere als stabil; sie stützten sich nur auf die UCD, ein Sammelsurium von Figuren aus der Franco-Ära und frisch gebackenen Demokraten aus der Umgebung des Königs. Sie waren nur bedingt handlungsfähig. Weil aber der US-Freund drängte und sie selber unter dem frischen Eindruck des gescheiterten Putsches standen, glaubten sie, gegen den Willen der Öffentlichkeit und von Teilen der eigenen Partei handeln zu müssen. Sie setzten den NATO-Beitritt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durch und verschwanden von der politischen Bühne. So trat Spanien der NATO bei, das Volk aber war noch nicht ganz reif dafür. Ihm wollte es nicht in den Kopf, daß der Süden etwas davon hat, wenn er den Westen gegen den Osten unterstützt. Gute Demokraten haben sich auch darüber gewundert, daß der Beschützer ihrer politischen Freiheiten derselbe sein sollte wie der Beschützer des Faschismus, nämlich die USA. Die Sozialisten, zur Zeit in der Opposition, hatten Verständnis für die Meinung des Volkes. Is der NATO-Beitritt stattfand, sagten sie: "So nicht", kritisierten Stil und Bedingungen des Beitritts und versprachen für den Fall der Regierungsübernahme, einen konsultativen Volksentscheid zu veranstalten.
Die Sozialisten wollten das Volk mit der Realität vertraut machen, daß, so unglaublich es klingen mochte, die USA doch der Beschützer der spanischen Demokratie seien und ausgerechnet die Sowjetunion, der einzige Verbündete der Republik, ihr Hauptfeind. Diese politische Erziehungsaufgabe lag ihrer Meinung nach im Interesse Spaniens und konnte nur durch sie erfüllt werden.
Einmal an der Regierung, taten sich die Sozialisten aber schwer mit dem Versprechen, ein Referendum zu machen, gerade weil die Öffentlichkeit mit Nachdruck auf seiner Erfüllung bestand. Andererseits waren die Alliierten nicht gerade glücklich über die Tatsache, daß die NATO in einem Mitgliedsland politisch in Frage gestellt wurde. Sie empfahlen der spanischen Regierung, das ganze Referendum abzublasen. Das jedoch konnte Felipe Gonzalez nicht tun, da er gerade seine Meinung über den NATO-Beitritt geändert hätte: Er war jetzt dafür, seine Wähler aber (noch) nicht. Aus dem "S o nicht!" machte die sozialistische Regierung ein "So j a!" Sie stellte die Mitgliedschaft der Nation in der NATO nicht mehr Frage, sondern wies auf die spanischen Bedingungen dieser Mitgliedschaft hin. Die Frage, die dem ehrenwerten Volk gestellt wurde, lautete:
"Sind Sie unter der Bedingung, daß in Spanien keine Atomwaffen eingeführt, gelagert und stationiert werden, daß die amerikanische militärisch Präsenz auf spanischem Territorium reduziert wird und daß die spanischen Streitkräfte nicht in die Militärstruktur des Bündnisses integriert werden, bereit, einem Verbleib Spaniens in der Atlantischen Allianz zuzustimmen?"
Als Beweis für die Treue und Zuverlässigkeit eines Verbündeten war die Frage sicher nicht gedacht, sondern als Angebot an das Volk Außenpolitik mit seiner ausdrücklichen Zustimmung zu betreiben. Für den Fall, daß das Volk dem Angebot nicht zustimmen würde, sagte die Regierung voraus, daß Spanien in eine sehr heikle Lage geraten würde, weil sich niemand finden würde, der den Austritt aus der NATO abwickelte. Alle, die für das Regieren in Frage kamen, waren ja für die INATO, die NATO-Gegner waren nur Regierte. Da mußten alle Regierten, wenn sie weiterhin regiert werden wollten, dem Beispiel Felipe Gonzalez' folgen und ihre Meinung ändern. Soweit sie gehorsame spanische Bürger waren, erwiesen sie der Demokratie ihre Treue und änderten tatsächlich ihre Meinung. Sie stimmten zu.
Die Neinsager blieben in der Minderheit: die Basken, die Katalanen, die Neutralisten, die Pazifisten. Und die Faschisten, weil sie ihre Hoffnungen auf eine Destabilisierung ihrer Demokratie schwinden sehen. Das hat den NATO-Sozialisten Auftrieb gegeben. Sie organisieren gleich für Juni, statt erst für Oktober, ihre Wiederwahl.
Die NATO-Alliierten freuten sich gleichfalls über das Resultat, weil die Russen geschlagen waren, auch wenn dieser rein innenpolitische Sieg am weltweiten Kräfteverhältnis nichts änderte. Wegen der Bedingungen des Verbleibs dürften sie doch auch eine ganz kleine Enttäuschung empfunden haben: Spanien will in der NATO ein militärisch weicher Verbündeter bleiben. Oder doch nicht? Volk und Führer sind zu Meinungsänderungen fähig. Das haben sie ausdrücklich bewiesen.
Die Demokratie in Spanien
ist konsolidiert und stabil. Wie in jedem demokratischen Staatswesen gibt es auch hier ein reges demokratisches öffentliches Leben, in dem gerade die kritischen Töne für die Gesundheit des Staatswesens bürgen. Auch in Spanien wenden sich die von den Leistungen demokratischen Regierens Enttäuschten nicht gegen die staatlichen Zwecke, die durchgesetzt werden, also gegen die Kosten der Freiheit, sondern sie räsonnieren über die Spesen der Politiker, über die moralische Verkommenheit von Amtsträgern, die dem Volk auf der Nase herumtanzen. Den moralischen Kritikern gab eine sozialistische Dame Wasser auf ihre Mühlen, indem sie bei einem Diner mit arabischen Scheichs und Waffenhändlern in Marbella öffentlich kundtat: "Wir Sozialisten haben das Recht, gut zu essen, uns gut zu kleiden und ein angenehmes Leben zu führen." Die Demokratie bereitete ihren Liebhabern schlechte Gefühle. "Gegen Franco ging es uns besser", wurde zum Lieblingsspruch von den Leuten, die jetzt durchaus dafür sein wollten.
So gibt das demokratische Spanien, jedem das Seine und geht auf die verschiedensten Bedürfnisse seiner Bürger ein. Die spanische Öffentlichkeit macht mit dem Pluralismus ernst, und im Vergleich zur spanischen Presse wirken die Zeitungen anderer westlicher Länder wie zensiert.
Der Staat bemüht sich um einen Ausgleich zwischen den diversen Fraktionen der herrschenden Klasse und tut dies entsprechend dem Prinzip der nationalen Einheit, die es jetzt mit demokratischen Mitteln zu festigen galt. Den Gehorsam gegenüber seiner Gewalt betrachtet der Staat als eine demokratische Selbstverständlichkeit, wo dieser sich nicht einstellt, wird das als Terrorismus bekämpft - weil er die politische Betätigung der Untertanen erlaubt hat.
Das ist der politische Rahmen, den die Staatsgewalt unter der Mitarbeit seines Volkes für den Erfolg von Staat und Bürger geschaffen hat. Dieser Erfolg, der heute Wachstum heißt und sich in Geld mißt, ist ganz auf die spanische Ökonomie angewiesen, die wegen ihrer eigenen Besonderheiten die europäischen "Sachzwänge" als ihre eigenen feiert.
Im spanischen Geld jedenfalls drückt sich der demokratische Übergang sprichwörtlich aus. Auf den Münzen, die der Caudillo prägen ließ, war sein Porträt zu sehen und das Motto: "Führer Spaniens, von Gottes Gnaden." Auf den heutigen 5.000-Peseten-Scheinen sieht man ein Porträt des Königs und seinen Spruch: "Für die Krone und alle Staatsorgane sind alle Bedürfnisse legitim, und jeder muß sich im Interesse der Allgemeinheit einschränken." An diesen Spruch sollten sich die Spanier gerade jetzt erinnern, da sie beim Geldausgeben jede Peseta dreimal umdrehen müssen.