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Dieser Artikel ist in der MSZ 9-1986 erschienen.

Systematik

Geißler in Chile:
WENDESPEZIALIST IM UNTERGRUND

Heiner Geißler, seit einem Jahr wieder ausschließlich Generalsekretär der CDU, war schon immer ein Mann der "geistigen Auseinandersetzung".

Jüngst hat er sich mal wieder so viel Neues einfallen lassen, daß der SPIEGEL gleich Schwierigkeiten hatte, seinen Lieblingsgegner wiederzuentdecken. Er hat Südkorea, die Philippinen und Chile bereist und sich besonders in letzterem Land als Superdemokrat aufgespielt. Schon als er 1976 die "Neue Soziale Frage" aufrollte oder sich 1985 auf dem CDU-Parteitag intensiv dem Problem "Frau und Gleichberechtigung" widmete, hat er den gleichen Trick angewendet: ein Thema zu "besetzen", das eigentlich die Domäne seiner politischen Kontrahenten ist. Dieses Mal hat er die internationalen Umtriebe der SPD beobachtet und sich nach dem Vorbild von Brandt etc. zum moralischen Anwalt der unterdrückten Menschen und ihrer Rechte in der "3. Welt" erklärt. 14 Tage lang belieferte er Presse und Fernsehen mit Nachrichten wie "Geißler kritisiert Chiles Militärregime", selbst die Bonner Botschaft in Santiago war vor seiner Kritik nicht sicher. Doch während die SPD und die Sozialistische Internationale die Politik des Imperialismus von ihren Ergebnissen und 'Fehlern' her kommentieren und kritisieren, um sie mit veränderten Regierungsmethoden, neuen Führungsmannschaften und einer imperialistischen Strategie des "3. Weges" fortzusetzen, unterstellt Geißler die laufende imperialistische Politik pur und argumentiert für deren Glaubwürdigkeit:

"Die Verteidigung der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte gegen das totalitäre System der Sowjetunion durch die westliche Allianz wird diskreditiert und vor allem in den Augen junger Menschen unglaubwürdig, wenn in Ländern wie Südkorea, Südafrika, Panama und Chile, die im weitesten (?) Sinne zur westlichen Welt oder (?) zur Einflußsphäre der Vereinigten Staaten gehören, die Demokratie behindert und die Menschenrechte verletzt werden. Die Begründung der dortigen Regierungen, die repressiven Maßnahmen seien notwendig zur Bekämpfung des Kommunismus, ist politisch und moralisch pervers. In Wirklichkeit arbeiten diese Regierungen dem Kommunismus in die Hände." (Brief Geißlers an Reagan) (Geißler über sich: "Der Präsi dent weiß, wer ich bin.")

Der gute Mann macht Propaganda für Christenregierungen daheim und anderswo, und zwar mit einem Gedanken, den er Fußballkommentatoren abgeschaut hat: die Theorie des überflüssigen Fouls. Für ihn entscheidet sich die Frage nach der Notwendigkeit staatlicher Härte eben am Kräfteverhältnis. Vorstellen kann er sich eine Militärdiktatur sehr wohl als die passende Form des Regierens, aber eben nur dann, wenn mit Kommunisten aufgeräumt werden muß:

"'Jedoch ist der Kommunismus in Chile keineswegs so stark, daß er eine Militärdiktatur erforderlich macht', meinte Geißler. Die Demokratie könne mit der Kommunistischen Partei fertig werden." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Daran, daß sich wegen seiner Berechnung an den chilenischen Verhältnissen etwas ändert, glaubt Heiner Geißler sicher nicht. An die Werbewirksamkeit seines verpflichtenden Antikommunismus aber schon. Seine Adressaten betört er ja nicht mit einer Parteinahme für die Gebeutelten in Chile, sondern mit der Warnung vor dem Zustand einer unnötigerweise aufs Spiel gesetzten Volkseinheit. Er sagt Pinochet nach, er stelle die Chilenen

"vor die Wahl, sich entweder für die Fortdauer seines Regimes oder aberfür den Kommunismus und damit das Chaos zu entscheiden."

Grund: Pinochets falsches "Konzept" - "mit einem eindeutigen Konzept muß die Opposition - voran die PDC - das falsche Konzept der Regierung unterlaufen." Ausweg: Zivilregierung unter Führung der Christdemokraten. Seinem Koalitionspartner Genscher hat er bei dieser Gelegenheit auch gleich noch eins reingewürgt: Das Außenministerium habe die Zeichen der Zeit noch nicht richtig erkannt, d.h. sich nicht rechtzeitig genug mit der demokratischen Opposition und vielleicht künftigen Regierung beschäftigt. "Ich bin der einzige, der sich wirklich darum kümmert." Die Zeichen, die Heiner Geißler mitbekommen hat, stammen aus den USA. Die Botschaft, daß Chile vielleicht doch ein Problem sei, war nicht zu überhören. Daß es keines wird, dafür sorgen wie immer die Schutzmächte der Menschenrechte.