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Der Staat Österreich läßt wählen
ERMÄCHTIGUNG ALS WAHLZUCKERL
Eine "Regierungskrise" soll vorgezogene Neuwahlen unumgänglich gemacht haben - so das bezeichnende Urteil über seine demokratische Majestät, den Wähler: seine Stimmabgabe eine einzige lästige Störung beim Regieren, der man sich vorzeitig nur dann bedient, wenn eine Unzufriedenheit der Politiker mit ihrer Machtkonstellation eine "Regierungsbefähigung" nötig macht. Eine Machtkonkurrenz mit anschließendem Obmannwechsel beim kleinen Regierungspartner FPÖ soll die Koalition "handlungsunfähig" gemacht haben - seit wann ist lebendige, innerparteiliche Demokratie ein Stolperstein beim Regieren?
Eine sozialistische Regierungspartei, ausgestattet mit den besten Umfragedaten seit Jahren, hält den Wähler gerade jetzt für die Urne reif und damit auch schon das Angebot für ihn bereit: Wir lassen vorzeitig wählen!
Glück und Elend einer demokratischen Kontrollpartei
Was soll denn die Freiheitliche Partei Österreichs auf ihrem Innsbrucker Parteitag so Außergewöhnliches angestellt haben, daß gleich das gesamte Staatsschiff ins Trudeln geriet? Nach "dramatischen Flügelkämpfen" hat sich die breite Mehrheit der Delegierten zu einer Korrektur ihrer Politik entschlossen, wie sie unter den Erfolgsmaßstäben demokratischer Politik üblich ist und von jeder Partei vor absehbaren und nach eingetretenen Mißerfolgen vollzogen wird: Die Auswechslung des Führungsteams. Da in der Demokratie die Taten und unangenehmen Folgen der Politik erst gar nicht zur Debatte stehen, sondern die Parteien ausschließlich an den "Macherqualitäten" ihrer Capos gemessen werden wollen, begleiten sie ihre politische Praxis durch eine emsige Selbstbeobachtung, die den ganzen Betrug einer Politik im Namen des Volkes offenkundig werden läßt: Inwieweit entsprechen die jeweiligen Führerfiguren den selbstausgegebenen Maßstäben politischer Glaubwürdigkeit? Mehrere verlorene Landtagswahlen und nicht etwa der Umstand, daß das Amt seinen Inhaber so hergenommen hätte ("Die 3 Regierungsjahre gehören zu den glücklichsten meines Lebens."), ließen den Vizekanzler und bisherigen FPÖ-Parteiobmann Steger in den Augen der Delegierten "verbraucht", "abgenutzt" und "austauschreif" erscheinen. Der Kärntner Landesrat Haider hingegen hatte als bislang einziger FPÖ-Wahlsieger den nötigen Schmäh, Pardon! "Überzeugungskraft" und "starken, jugendlichen Optimismus" bewiesen, der die Partei künftig auch auf Bundesebene auf die Siegerstraße bringen soll. Von wegen "Staats- und Regierungskrise"! Wie sehr derartiges Gebaren zur Normalität demokratischer Schmähführerei gehört, hat zuletzt nach ihrem mißlungenen Präsidentschaftswahlkampf gerade die SPÖ mit ihrem Kanzlerwechsel bewiesen, die deswegen jetzt der FPÖ den Strick aus dem "Scheitern der Koalition" drehen möchte.
Daß in Innsbruck "undemokratische Töne" aufgekommen wären, mag ja schon sein. Aber seit wann sprengt denn eine aufrechte deutschnationale Gesinnung die Solidarität der Demokraten? Und im übrigen sind die Unterschiede so groß nicht, an denen sich der Kurs der Partei entscheiden soll. Entgegen anderslautenden Meinungen herrschte zwischen der Steger- und der Haiderpartei nicht nur völlige Einigkeit über das einzige gültige Erfolgskriterium demokratischer Politik: 'Wie seifen wir die Wähler am erfolgreichsten ein?', sondern auch bezüglich der Methoden. Deswegen kam gar kein Streit über unterschiedliche politische Positionen auf, sondern gestritten wurde ausschließlich um die trostlose Alternative von Kontinuität oder Wechsel der Führungspersönlichkeit. Vollständig einig war man sich dabei, daß der Ausweis gehabten Erfolgs in Gestalt eines Vizekanzlers und mehrerer Regierungsposten die beste Voraussetzung für künftigen Erfolg ist. Der "Antikoalitionsrebell" Haider bewies dabei große demokratische Reife, indem er mit seinem Kontrahenten die Überzeugung teilte, daß "Durchsetzungsfähigkeit" das Gütesiegel politischen Erfolgs ist und diese Befähigung am besten durch die weitere Teilnahme an der Regierungsverantwortung bewiesen werden kann. Gar nicht mehr einkriegen konnte sich der freche Jörg vor vertrauensbildenden Maßnahmen, damit der Bundeskanzler die blauen Regierungsmitglieder wenigstens bis zur Wahl mitmachen läßt. Auch die jetzt gewählte Wahlkampftaktik der neuen Führungsriege ist alles andere als ein Bruch mit der vielgelästerten Koalition:
"Norbert Gugerbauers Taktik: Man wird auf die erfolgreiche Regierungsarbeit pochen, die FPÖ als regierungsfähig präsentieren und im übrigen einen 'inhaltlichen' Wahlkampf führen."
Eines steht dabei jetzt schon fest: Der Grund für das Glaubwürdigkeitsproblem der FPÖ wird damit nicht beseitigt. Denn recht besehen liefert Jörg Haider 3 Jahre nach Beginn der rotblauen Regierungskoalition eine regelrechte Kopie des bisherigen Steger-Kurses. Steger hatte einst als AKH-Skandal-Mitbewältiger mit dem genuinen Oppositionskonzept die Regierungsverantwortung angetreten, um als "dritte Kraft" "Kontrollinstanz" für die beiden Großparteien zu sein, die ungeachtet der 16 Jahre ÖVP-Opposition nach wie vor die Macht in Politik und verstaatlichter Industrie untereinander aufteilten. Schon 1983 wurde dieses Konzept nicht durch ein "überzeugendes Wählervotum" in Regierungsfunktionen gebracht, sondern durch die "Not" der SPÖ, die nach erklecklichen Stimmengewinnen der ÖVP nur mehr eine relative Mehrheit zusammenbrachte. Als unentbehrliche Mehrheitsspenderin hatte die notorische Kontrollpartei vom Beginn ihrer Regierungstätigkeit an mit Selbstdarstellungsproblemen zu kämpfen, die regelmäßig in dem Bemühen gipfelten, die jeweiligen Staatsmaßnahmen als durch die regierungsimmanente Opposition korrigierte darzustellen. Immerzu mußte sich die FPÖ gefallen lassen, von den Medien an dem von ihr selbst ausgegebenen Maßstab der Andersartigkeit der SP-Regierungspolitik durch die FP-Beteiligung gemessen und prompt blamiert zu werden. Von der Zinsertragssteuer bis zu den Ladenschlußzeiten wurden lauter "Umfaller" Stegers registriert, für die gutwillige Auslegung desselben Verhaltens als jeden Demokraten schmückende "Konsensbereitschaft" fehlte die Glaubwürdigkeit der nötigen Machtbasis. Diese Beurteilung wurde durch die öffentliche Meinung vor allem deswegen genüßlich breitgetreten, weil von ihr in kongenialer Übernahme der Qualitätskriterien moderner, demokratischer "Macherpolitk" allein der Verdacht eventueller Rücksichtnahmen der politischen Macher auf den kleinen Partner als Regierungsschwäche abgelehnt wurde. Da man der SPÖ derartige 'Fehler' kaum nachweisen konnte, stand der Vizekanzler Steger sehr bald für die negativen Führerattribute "schwach", "kein Rückgrat", "Umfaller", vor allem aber für das politische Übel, gegen das die FPÖ seinerzeit anzutreten behauptete: "Machtopportunismus". Insofern ist das Wesen des Liberalismus, die FPÖ-Regierungskontrolle, von den Fortschritten im Selbstverständnis demokratischer Politik entwertet worden. Besonders augenfällig wurde dieser Umstand, als die SPÖ mit dem neuen Kanzler Vranitzky einen Mann brachte, der mit besonderer Eignung die schon zuvor gültigen Ideale des kompromißlosen, dynamischen Führers zu repräsentieren versteht. Vranitzky personifiziert in eleganter Nadelstreifenausführung mit der Methode: 'net amal ignorieren' die Vorstellung, daß außer seinem Sachverstand niemand und schon gar nicht der blaue Kontrolleur bei den österreichischen "Schicksalsfragen" mitzubestimmen hätte.
Der neue Parteiobmann Jörg Haider hat mit seiner bedingungslosen Unterordnung unter das Diktat von Kanzler Vranitzky - entweder prinzipielle Zustimmung zum Budgetprovisorium oder sofortiger Rausschmiß der blauen Minister aus dem Kabinett -, mit dem Beweis seiner "Regierungsfähigkeit" zugleich den ersten Sündenfall in seiner eigenen Glaubwürdigkeit geliefert. In der Absicht, das öffentliche Mißtrauen gegen seine Regierungskompetenz ("Haider hat sich völlig in seiner Oppositionsrolle einzementiert") zu widerlegen, hat er dem Regierungschef die uneingeschränkte Freiheit beim Regieren eingeräumt, die er seinem Vorgänger vorgeworfen hat.
SPÖ: Wahlstimmen fürs Wählenlassen
Eigentlich wäre mit dem Obmannwechsel der ganze Rummel auch schon wieder rum gewesen: Die kleine Regierungspartei hat sich einen durch ein eindrucksvolles Abstimmungsergebnis besonders glaubwürdigen Obmann an die Spitze gewählt der selbst unter Verzicht auf die eigene Vizekanzlerschaft dem Koalitionspartner die Fortsetzung der gegenwärtigen Regierung womöglich über die turnusmäßigen nächstjährigen Wahlen hinaus schmackhaft machen wollte.
Die Wahlvorverlegung entsprang daher auch keiner wie immer gearteten "Not" oder "Regierungskrise", sondern dem Entschluß der größeren Regierungspartei, den Wähler genau dann zu den Urnen zu holen, wenn sie sich ihrerseits die besten Chancen auf Ermächtigung ausrechnet. Daß die SPÖ aus ideologischen Vorbehalten mit einem Jörg Haider als Mehrheitsspender nicht regieren könnte, hat ihr nicht einmal die bürgerliche Presse angesichts der jahrelangen", äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit" (Landeshauptmann Wagner) in Kärnten abgenommen. Daß es vom Standpunkt bequemer Machtausübung für Vranitzky "schwieriger" geworden wäre, stimmt schon deswegen nicht, weil den Haiderschen Anerkennungstouren der Opfer der Regierungspolitik ohnehin mit dem Eintritt in die Koalition ihre Glaubwürdigkeit entzogen wäre. Auch die Angst vor den politischen Folgen der angekündigten Massenentlassungen bei VOEST (10.000 Menschen in den nächsten Jahren) kann die SPÖ nicht in die "Flucht nach vorne" getrieben haben; dafür wirbt der Bundeskanzler viel zu sehr mit den "notwendigen, einschneidenden Opfern" für sich. Die Spezialisten des demokratischen Personenkults in der SPÖ sahen vielmehr in den FPÖ-Streitigkeiten eine willkommene Gelegenheit, mit vorverlegten Neuwahlen ihrem Kanzlerkandidaten die souveräne Handhabung des Wählerwillens gutzuschreiben.
"In der SPÖ ist, so konnte man erfahren, die Lage nach Ende des Parteitags anders beurteilt worden als zuvor. Die Meinung verfestigte sich, daß man jetzt offensiv und selbstbewußt handeln müsse, das Heft nicht aus der Hand geben dürfe. Alles andere würde dem Image von Bundeskanzler Vranitzky schaden. Dessen Schwung sei aber die einzige Wahlhoffnung der SPÖ." (Die Presse)
Wählerstimmen dafür, daß man wählen läßt so lautet der aktuelle sozialdemokratische Wählerbetrug. Aus der Erlaubnis an den Wähler, ein halbes Jahr vor der Zeit das politische Personal bestellen zu dürfen, soll man aus der Sicht der SPÖ eine ganze Latte von Führungsqualitäten herauslesen, die nur ein Angebot beinhalten: Franz Vranitzky gehört schon deshalb gewählt, weil er sich wie ein echter Führer benimmt: selbstbewußt, offensiv, das Heft jederzeit in der Hand. Am Gegenstand der Charakterbeweisführung: dem vorzeitigen Wählenlassen, wird deutlich, daß es die "Macherqualitäten" getrennt von irgendwelchen Leistungen zu schätzen gilt. Der souveräne Umgang mit dem Wählerwillen soll letzteren seinen Kanzler als Symbolfigur für ein ungestilltes nationalistisches Bedürfnis nach starken politischen Repräsentanten entdecken helfen und für weitere 4 Jahre ermächtigen lassen. Selbst der Wunsch nach politischer Autorität als Problemlöser, Arbeitsplatzbeschaffer erscheint demgegenüber als unerlaubter Anspruch von unten, wenn die politische Autorität als Wert an sich geschätzt werden soll. Mit dem Zweck demokratischer Wahlen: Ermächtigung der Herrschaft, wird ausgiebig um den Wählerwillen geworben. Die beiden Großparteien spekulieren ziemlich unverhohlen über die Notwendigkeit einer Großen Koalition, die das Angebot an den Wählerwillen beinhaltet, daß er seine Stimme garantiert der Regierung gegeben hat, die sich gegenüber dem Volk in :llen einschneidenden Fragen einig ist:
"Ich bin mir sicher, daß eine Große Koalition große Problemlösungskompetenz aufweist. Die anstehenden einschneidenden Maßnahmen können nur gemeinsam durchgezogen werden." (Vranitzky)