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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1985 erschienen.

Systematik

Bergarbeiterstreik in Großbritannien
DER KLASSENKAMPF - EIN STAATSMONOPOL

Den Klassenkampf verachten und ihn führen - das ist beileibe kein Widerspruch. Schließlich haben Pfaffen, Lehrer und Mächtige immer nur die eine Seite der Kampffront im Sinn, wenn sie davon schwärmen, daß er in die "Mottenkiste des 19. Jahrhunderts" gehöre. Nicht zufällig fällt ihnen immer Marx dazu ein - der ihn erfunden haben soll - und nicht Krupp, BMW, Bismarck, Hitler und Kohl, die ihn führen. Von Klassenkampf ist sowieso nur dann die Rede, wenn die Arbeiter irgendwo auf der Welt der Gewalt von Gesetz und Not sich nicht schweigend ergeben, sondern sich wehren. Der Klassenkampf ist überholt, tönt die vereinigte Bourgeoisie und führt mit diesem Schlachtruf einen Kampf gegen die Arbeiterklasse, der sich gewaschen hat. In England z.B. ist Staat, Kapital und öffentlicher Meinung nicht nur jedes Mittel recht, sie verfügen auch über alle, die man dazu braucht.

Armut für den Reichtum

Die Krämerstochter in Downingstreet Nr. 10 braucht das "Kapital" nicht gelesen zu haben, um zu wissen, daß ein Arbeitsplatz das Mittel ist, um die zu erpressen, deren Existenz davon abhängt. Da der Besitzer des Arbeitsplatzes nichts lieber sieht, als daß sich der Besitzer von Arbeitskraft an ihm nützlich macht, ist das Erpressungsmittel der Arbeiter die Verweigerung der Arbeit, der Streik. Ohne Not, ohne Verzicht auf Einkommen, ist der nicht zu haben. Genau das wissen die erbitterten Feinde des proletarischen Klassenkampfes im Kabinett und in der Kohlebehörde.

Ihr Klassenkampfrezept ist deshalb recht einfach: Es gilt, dafür zu sorgen, daß der Schaden für die nationale Wirtschaft so klein wie möglich und der der Bergarbeiter so groß wie möglich wird.

Die Logistik gegen den "Feind im Innern" ist dabei nicht weniger umsichtig als die gegen den "äußeren". Schon im Jahr 1983 haben die Kraftwerke ihre Kohleverfeuerung drastisch reduziert, indem sie den Anteil von Öl und Kernkraft erhöht und ihre Kohlelager bis ins letzte Kellerloch aufgefüllt haben. Überstunden taten ein übriges, um die Kohlehalden in den Bergund Kraftwerken aufzutürmen. Der Weigerung des größten Teils der Bergleute, Kohle zu liefern, konnte der Rest der Wirtschaft schon deshalb beruhigt entgegensehen. Eine Einführung der 3-Tage-Woche wegen Stromknappheit wie 1974 war auf lange Sicht nicht abzusehen. Auch wenn die "Neue Zürcher" einen Gesamtverlust von ca. 2,5 Mrd. Pfund errechnet - der Schaden hielt sich in Grenzen: Die Kohlebehörde wollte die Produktion sowieso drosseln und 20.000 Arbeiter feuern. Um ganz sicher zu gehen, wurde laufend Kohle importiert. Um Behinderungen durch die Streikenden aus dem Weg zu gehen, scheute man keine Kosten und verlud ganze Schiffsladungen auf kleine Kutter, die bei Nacht und Nebel in Nebenhäfen gelöscht wurden.

Auch der anderen politischen Aufgabe, den Schaden der Arbeiter zu mehren, widmeten sich die Verantwortlichen nach Kräften. Kohle aus dem Ostblock - aber immer! Lebensmittelspenden für die englischen Bergleute mit solidarischen Grüßen von den sowjetischen Kollegen - da sei die Volksgesundheit vor! Mit dem Verweis darauf, die Ware entspreche nicht den britischen Lebensmittelvorschriften, schickte der Zoll die unerwünschten Helfer zurück und leistete seinen nationalen Beitrag, den Arbeiterfamilien die Mittel zum Leben weiter zu kürzen. Hilfe aus dem Osten oder gar Geld von Gadafi läßt sich propagandistisch als Hochverrat denunzieren, um damit ganz nebenbei noch der humanitätsdusseligen Spendierfreudigkeit eines nationalistisch verhetzten Volkes zu begegnen, das lieber die eigene Herrschaft Geld und Leben verlangen läßt als "vom Feind" auch nur einen Penny zu nehmen. Je größer Hunger und Not in den Bergarbeiterfamilien, desto größer die Chance, daß sie "zur Vernunft kommen" und vor den "Vorschlägen" der Kohleindustrie kapitulieren.

Gesetz gegen die Armut

"General Winter", auf den die Bergleute als Bundesgenossen gegen die nationale Wirtschaft gehofft hatten, kämpft auf Seiten der Regierung, ganz einfach deshalb, weil die Polizei Arbeiter, die auf den Abraumhalden Kohleabfälle sammeln, als Diebe verhaftet. Daß der Sozialstaat keine Einrichtung ist, die "unnützes Volk" durchfüttert, hat die Regierung oft genug erklärt. Daß sie um seinen Zwangscharakter weiß, demonstriert sie durch eine sozialpolitische und zwei fiskalische Maßnahmen: Sie läßt ein Gesetz beschließen, das davon ausgeht, daß Gewerkschaften 15 Pfund pro Woche Streikgeld zahlen - was diese nicht tun -, zieht diese von der Sozialhilfe ab - die eh nur an Familien gezahlt wird - und senkt außerdem noch die Sozialhilfesätze ganz allgemein! Die durchgreifende Wirkung dieser Maßnahmen ermöglicht dann der Sympathisantenszene in der Fleetstreet zynische Rechnungen folgenden Kalibers: Wenn ein Streikender am 1. Januar wieder -in die Grube fährt, braucht er für das Steuerjahr 84/85 keine Steuern zahlen, da das Jahreseinkommen dann zum Besteuern zu niedrig wäre. Das läßt auf ein Wiedererwachen der Arbeitsmoral hoffen! Wie sehr Staat und Wirtschaft auf die Not als ihren besten Helfershelfer setzen, zeigt auch das "Angebot", an Kumpels, die vor Weihnachten die Arbeit aufnehmen, wieder ca. 5.000 DM Weihnachtsgeld zu zahlen, etwa ein Viertel ihrer Lohnausfälle. Das wäre sicher kein Betiag, der einen Arbeiter nach 10 Monaten Streik zum Verzicht auf seine Streikziele bewegen könnte, ohne die ergänzende Argumentation der Polizei, die die Entschlossenheit der Regierung schlagend demonstriert. Wer sich nicht seine liebgewonnene Schulbuchvorstellung vom freundlichen, unbewaffneten Bobby um jeden Preis retten will, könnte dabei, anstatt die Verletzung des Rechtsstaats anzumahnen, spätenstens hier merken, daß der Rechtsstaat Polizeistaat ist. Telephonüberwachung, Knüppel, Chemische Keule, Tränengas und Wasserwerfer setzen das Recht auf Arbeit durch und befördern die, die dieses Recht mit einer gesicherten Existenz verwechseln, in die GefängnisSe (7.000) und ins Jenseits (7).

Auf zum letzten Gefecht

Daß rücksichtsloser Kampf gegen Staat und Kapital sich nicht damit verträgt, daß man nur das Beste will für die "Zukunft Großbritanniens und der Kohleindustrie" das haben die meisten Gewerkschaften und vor allem der Dachverband TUC schon lange eingesehen. Der Bergarbeitergewerkschaft mit ihrer alternativen Vorstellung von einer stabilen und billigen Energieversorgung der britischen Wirtschaft muß das erst noch beigebracht werden, indem man sie zerschlägt. Wo die Regierung so unmißverständlich klarstellt, wozu Arbeiter da sind, kommen staatstreue Kumpel fast von selbst auf die Idee, eine Gegengewerkschaft zu gründen, die schon in ihrem tautologischen Namen - "Komitee arbeitender Bergarbeiter" - jedes Mißverständnis ausräumt und offensiv zum Ausdruck bringt, daß Gewerkschaften nichts anderes sind als die selbstbewußte und selbstgenügsame Standesorganisation der Klasse, deren Beruf es ist zu arbeiten, wo und wenn man sie braucht. Vertreter des Komitees klagen dann die Gewerkschaftsgesetzgebung der Regierung im Namen der Arbeiter vor Gericht ein, das dem Verlangen gerne nachkommt, den Streik von zwei Dritteln der Bergarbeiter wegen fehlender Urabstimmung für "inoffiziell" und damit jede weitere Aktion der Streikleitung für illegal zu erklären. Weil die NUM-Zentrale den Streik nicht ab bricht, wird sie zu einer Geldstrafe von 200.000 Pfund verurteilt wegen "Mißachtung des Gerichts". Als die NUM nicht zahlt und ihr Vermögen vor dem Gerichtsvollzieher ins Ausland rettet, setzt das Gericht einen Zwangsverwalter ein, der mit dem Recht ausgestattet wird, die 9 Millionen Pfund der Gewerkschaft im Ausland abzuheben und ihre Geschäfte zu leiten. Der Zwangsverwalter "ist die NUM - mit absoluter Kontrolle über jeden Bereich mit Ausnahme der Politik selbst" (Financial Times). Die Benützung des Gewerkschaftsapparats ist den Gewerkschaften damit verboten, die Koordination der Streikposten, Telefonate, Propaganda usw. nur noch von den Bezirksbüros aus möglich, gegen die schon dieselben Verfahren angeleiert sind wie gegen die nationale Führung. So ist das eben mit Recht und Freiheit: Das Recht gibt der Regierung die Freiheit, die Staatsraison im Einverständnis mit oder auch gegen das nützliche Menschenmateiial - auf jeden Fall rücksichtslos - durchzusetzen. Die Freiheit, die der Gewerkschaft von der Regierung von Anfang an zugestanden worden war, bestand in der Alternative, dem Regierungsprogramm mit oder ohne Unterschrift der Gewerkschaft zuzustimmen. Als die Gewerkschaft ihrer Majestät nicht mitmarschieren wollte, hat ihr die Regierung den Krieg erklärt - und der kennt nur ein Ziel: Kapitulation oder Vernichtung des inneren Feindes.