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Das Lome III-Abkommen
DER HINTERHOF DER EG
Seit 1975 gibt es das Wirtschaftshilfsabkommen zwischen den EG-Staaten und mittlerweile 65 Ländern in Afrika, der Karibik und dem Pazifischen Ozean. Es heißt nicht Bonn-, sondern Lome-Abkommen, damit man sieht, wem da geholfen wird. Damit die "begünstigten" Staaten auch weiterhin den Segen der EG haben, wurde das Abkommen jetzt um weitere fünf Jahre verlängert.
Anläßlich dieses Routine-Ereignisses fanden "unsere" exotischen Partner - z.B. unter Buchstabe S und T im Staatenlexikon: Sambia, Senegal, Seychellen, Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Surinam, Swasiland, Tobago, Togo, Tonga, Trinidad, Tschad, Tuvalu - kurzfristig Pressebeachtung. Zwanzig der dreißig ärmsten der armen Länder sind stolze Mitglieder des AKP-Pakts, haben die Journalisten aus ihrer Hunger- und Leichenstatistik herausgefunden. Um diese Hungerleider muß sich das Bündnis der mächtigsten Wirtschaftsnationen kümmern; das versteht jeder.
Die Wahrheit sieht etwas anders aus. Daß in den Partnerländem der EG heute auf Teufel-komm-raus gehungert und gestorben wird, ist kein menschenfreundlicher Auftrag an die Politiker der BRD, Frankreichs und Englands, sondern das Ergebnis einer zehnjährigen Partnerschaft. Die Sonne und der ausbleibende Regen hätten in der Sahelzone, wo es nur Partnerländer der EG gibt, ihr Werk nicht tun können ohne das gemeinsame Hilfswerk von EG- und einheimischen Politikern. Für "bescheidenen Wohlstand" der umsorgten Staaten samt ihren Massen war ein Vertrag nicht gedacht, der mit dem sich einstellenden Verhungern den EG-Staaten lauter zusätzliche Erpressungsmittel für ein lupenrein botmäßiges Regieren dort unten an die Hand gibt.
Wie das funktioniert, kann man an Äthiopien - auch ein AKP-Staat - sehen. So lange die dortigen Militärs die marxistisch-leninistische Partei Äthiopiens feiern, sich auch von der Sowjetunion unterstützen lassen und den vom Westen geförderten Befreiungsbewegungen nicht nachgeben, ist es schwierig bis unmöglich, auch nur einen minimalen Teil des europäischen Getreidebergs an die Verhungernden heranzubekommen. Größeres vermag der Lome-Vertrag im Tschad zu leisten, wo Frankreich mit neu bestätigter kolonialer Verantwortung dafür sorgt, daß sich kein falscher, libyscher Einfluß breit macht. Wo in Uganda das herrschende Militär die Bevölkerung ermordet und terrorisiert, erklären sich die Vertragsstaaten für unzuständig; eine Gefahr unbefugter Einmischung ist nämlich nicht zu sehen.
Angemessenes Hilfsangebot der EG
Der Preis, den die EG-Staaten für die Einrichtung eines EG-Hinterlandes in Übersee entrichtet haben, war entsprechend. Für die Ehre, in ein genuines EG-Imperium eingereiht zu werden, konnten sich die AKP-Staaten keinen großen Wunschkatalog aussuchen. Für die Erweiterung der EG über Europa hinaus hat sich die EG als staatlicher Lumpensammler betätigt. Mit dem sonderbaren Reichtum dieser Staaten, Produkten aus Feld und Wald wie Kaschu- und Erdnüssen, Rundhölzer und Tierhäute - eine Hinterlassenschaft der Kolonialplantagen Frankreichs und England - läßt sich der Weltmarkt eben nicht erobern, weil die Geschäftsmöglichkeiten sehr bescheiden sind. Da ist es schon ein Angebot, wenn die EG ihre Zölle auf diese Produkte wegfallen läßt und sich für diesen komischen Segen der Natur öffnet. Auf Erdnußbutter sind die Bewohner des EG-Marktes dennoch nicht umgestiegen: Die Wirkung dieser Zollpräferenz zeigte sich in den AKP-Staaten. Alles, was ihr Boden hergab, war exportfähig geworden und damit zu schade für die Hungerleider zu Hause: eine echte Hungerhilfe! Die Bewohner Senegals, einer Staat gewordenen Erdnußplantage, dürfen den Abtransport dieser Böhnchen bewundern. Wenn sie über Glück und das auch dort nötige Geld verfügen, können sie dann mit importierte Soja-Öl kochen. Die Zeiten des Kolonialismus sind eben vorbei, die Kosten der gebotenen Hilfe dürfen die "begünstigten" Länder und Völker ganz eigenständig tragen.
In weiser Kenntnis der besonderen Natur dieser EG-fähig gewordenen Waren hat die Europäische Gemeinschaft den AKP-Staaten ein weiteres Angebot gemacht. Bei Produkten, die die Herren des Weltmarkts nur sehr begrenzt brauchen, bestimmt allein der Wille des Käufers, wieviel er sie sich kosten lassen will, den Preis, den sie für den Verkäufer abwerfen. Mit der Sicherheit desjenigen, der dieses ökonomische "Sachgesetz" bestimmt, hat die EG den AKP-Staaten eine Entschädigung für den sicheren Preisverfall angeboten. Das sogenannte STABEX hat gut geklappt. Da nur die Hauptprodukte in den Genuß der Rückvergütung kamen, wurde in den AKP-Ländern einiges in Richtung auf Monokultur reformiert. Wann ein Ausgleich fällig war, entschieden Kommisionen in Brüssel. In einigen Entwicklungsländern der EG gibt es allerdings auch Rohstoffe, mit denen die europäische Geschäftswelt etwas anfangen kann, nämlich veritable Bodenschätze. Auch für die wurde im Lome-Abkommen gesorgt. Hier war freilich ein nachträglicher Preisausgleich nicht das Richtige. Das Hilfsangebot SYSMIN packte das Übel gleich an der Wurzel. Der Fall der Zinn- und Kupferpreise ins Bodenlose sollte nicht dazu führen, daß die AKP-Länder ihre Bodenschätze gar nicht mehr förderten und nach Europa ablieferten. Die Entschädigung für einen nicht lohnenden Erzabbau wurde für die Filialen einiger europäischer Unternehmen zum Geschäft.
Einige Milliarden wurden den AKP-Ländern als Entwicklungshilfe zugestanden. Sie durften sich damit exklusiv bei der EG verschulden und damit die Kosten einer auch in Afrika nötigen politischen Herrschaft bestreiten. Die Gelder für die Bezahlung von Waffen, Parlamentsgebäuden und Staudämmen mußten gar nicht übers Meer verschifft werden. Sie sind von einem europäischen Konto auf ein anderes verrechnet worden.
Ein kleines Dankeschön für so viele Hilfe haben sich die BRD, Frankreich und Großbritannien zuletzt noch ausbedungen: Die Meistbegünstigungsklausel für die Länder der EG wurde den AKP-Staaten ins Lome-Protokoll geschrieben. So beschränkt und "unentwickelt" dieser Markt auch sein mag, die AKP-Länder stehen damit der EG zu spezieller Verfügung und Diensten. Ein nicht unwichtiger Pluspunkt in der ökonomischen Konkurrenz mit den USA und mit Japan.
Fortschritte der Entwicklungshilfe
Die zehnjährige Obhut der EG über ein Mittel aller in der Welt existierenden Staaten hat durchschlagenden Erfolg gehabt. Für den auffälligsten davon wollen die europäischen Politiker in falscher Bescheidenheit allerdings nicht verantwortlich zeichnen: Die Hunger"katastrophen" in den AKP-Ländern schieben sie eher dem Schicksal und der Wüste zu.
Im Vorfeld der neuen Vertragsunterzeichnung gab es von beiden Seiten Kritik am bisherigen Verlauf der Kooperation. Die Klagen und Wünsche der AKP-Staaten konnten im neuen, am 8. Dezember unterzeichneten Vertragswerk jedoch nicht verankert werden. Gelobt wurde dagegen ihr Realismus, sich auf das "Machbare" zu beschränken. Von den "bahnbrechenden" Wunderwerken STABEX und SYSMIN, mit denen der "Nord-Süd-Dialog" "von der Theorie in die Praxis geholt" werden sollte, machten sie gar kein Aufhebens mehr. Sie wollten sich bei ihren EG-Partnern nur mehr weiter verschulden dürfen, als diese es ihnen zubilligten. Der ausgehandelte Kompromiß, mit dem der Entwicklungsfonds für die AKP-Länder um nicht ganz eine Milliarde ECU (Europäische Währungseinheit) aufgestockt wurde, kostet die führenden europäischen Wirtschaftsnationen nichts. Er geht als Eintrittsgeschenk an die zukünftigen EG-Mitglieder Spanien und Portugal. Durchgesetzt hat sich die radikalere Kritik der anderen Seite. Die EG-Staaten meinten sogar, das bisherige Lome-Abkommen sei "gescheitert" und es sei eine "veränderte Entwicklungsstrategie" fällig.
"Wenn nach zwanzig Jahren Entwicklungshilfe heute Bilanz gezogen wird, und sich das Zugeständnis aufdrängt, daß mehr als die Hälfte der Empfängerländer in ihrer bloßen physischen Existenz bedroht sind, braucht es niemanden zu überraschen, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr ohne weiteres mit einer Politik identifiziert werden will, die offenbar zum Scheitern verurteilt ist und bei allem guten Willen auch noch die kollektive Kritik in der Dritten Welt auf sich zieht." (Neue Zürcher 21.11.)
Diese "Öffentlichkeit" beherrscht eben den einfachen Trick, die ruinöse Benutzung von Land und Leuten in der "Dritten Welt" zur "Hilfe" zu erklären, deren sichtbares Ergebnis als "Scheitern" zu fassen, dem nur durch noch intensivere Benutzung beizukommen sei. Da trifft es sich gut, daß mit dem EG-Vizepräsidenten für Entwicklungspolitik Edgar Pisani der Erfinder einer "neuen Entwicklungsphilosophie" den Vorsitz bei den Verhandlungen zu Lome III geführt hat und den ersten Grundsatz dieser "Philosophie" gleich in die Tat umsetzen konnte:
"Um ein neues Kapitel der Wirtschaftsgeschichte zu beginnen, muß der Europäer sich abgewöhnen, sich in der Rolle des 'Helfers' und des freigiebigen 'Spenders' zu sehen, und die Menschen in Afrika, in der Karibik und im Pazifik müssen aufhören sich als Wiedergutmachung heischende Opfer zu gebärden. Entweder sind wir Partner oder nicht - wir sollten endlich lernen, als solche zu handeln".
Diese neue Partnerschaft heißt "politischer Dialog" und besteht im sehr einseitigen Zwang der EG, die AKP-Staaten auf "effektivere Nutzung" der staatlichen Verschuldung, die sie sich leisten dürfen, zu dringen. Die lächerlichen Aufwendungen, mit denen die EG ihren Völkerbund kreditiert, fallen jetzt nicht mehr unter die Obhut exotischer Politiker, deren Verschwendungssucht notorisch bekannt ist, ihre effektivste Verwendung legt gleich die EG fest. Erfreulich die
"Tatsache, daß die Dritte Welt mit Brüssel öfters als bisher zusammensitzt und gemeinsam begutachtet, ob die (Mit-) Finanzierung eines Projekts sinnvoll erscheint",
findet die "Neue Zürcher". Für die Partnerstaaten der EG gilt staatliche Souveränität und die selbständige Abwicklung ihrer wirtschaftlichen Interessen künftig nur so weit, so weit sie mit den Interessen des Partners zusammenfallen. Anders geht kein anständiger "Hinterhof" zu organisieren.
Für den gelten ab jetzt neue Grundsätze: 1. Keine Nahrungsmittelhilfe mehr. Solche Geschenke verhindern nur die politische Lösung des Hungerproblems und blähen den staatlichen Verwaltungsapparat auf. Gedacht ist dabei weniger an die so reichlich nach Übersee dümpelnden Butterschiffe der EG; schon eher daran, daß dunkelhäutige Staatsmänner ihr Volk z.B. durch unerlaubt niedrige Preise für Nahrungsmittel "bestechen" und dadurch ihre Bauern "entmutigen, gewinnträchtig zu produzieren". Deshalb ist das dringendste Gebot zur "Förderung des Wohlstands in den AKP-Ländern" eine anständige IWF-Auflage, aber in eigenständiger EG-Regie.
Keine Technologiehilfe mehr. Diese unangemessene Imitation westlicher Lebensweise fördert nur das staatliche Prestigedenken bei "unseren" AKP-Partnern. Luxusprojekte wie Staudämme sind unangebracht, gefragt ist "Hilfe zur Selbsthilfe". Die Hungergerippe werden aus dem Boden der Sahelzone doch noch etwas Freßbares herauskratzen können! Erst alle Nahrungsmittel wegschaffen, und dann die AKP-Staaten auffordern, mit untauglichen Mitteln die Leichenproduktion zu reduzieren, das ist die Hunger"philosophie", die die europäischen Staaten mit Lome III wahr machen.
Die eigentliche Hilfe besteht in der Anlage europäischen Kapitals in südlichen Zonen, sofern das diesem lohnend erscheint. Dessen Gewinne zu garantieren, durften die AKP-Staaten in dem jetzigen Vertrag eigenhändig zusichern.
Die Sache mit den Menschenrechten durfte gleichfalls im neuen Abkommen nicht fehlen. Das verpflichtet die AKP-Staaten zwar zu nichts, außer der schriftlichen Fixierung, was ihre politische Existenz ausmacht: Die Verfügungsmasse eines selbständigen, weltweiten EG-Imperialismus zu sein.
Eine andere Erklärung des Lome-Vertrags ist dagegen ein gelungener schlechter Scherz: die Ablehnung der Apartheid-Politik Südafrikas. Schließlich haben die Mitglieder der EG es diesem, mit ihnen befreundeten Staat zu verdanken, wenn sich jetzt zwei neue Teilnehmer an der EG-Völkergemeinschaft gefunden haben. Der Terror und Krieg des südafrikanischen Militärs und der von Südafrika ausgehaltenen Rebellenbewegungen haben Angola und Mosambik beigebracht, in einer künftigen AKP-Existenz eine Alternative für ihr staatliches Überleben zu sehen. Das wird wohl nicht klappen, wenn sie nicht endgültig den Russen und Cubanern abschwören. Diese fällige Einsicht wird ihnen ja jetzt nicht mehr von Südafrika allein vermittelt.
Die BRD hat es über die Abwicklung der Lome-Verträge und das Einbringen der kolonialen Erbmasse Frankreichs und Englands in die EG neben ihrer politischen und ökonomischen Weltgeltung zu einer eigenen Einflußsphäre in allen Weltkontinenten gebracht. Die Abwicklung dieser "Verantwortung" gilt heute als das Selbstverständlichste von der Welt, worüber kein Aufhebens gemacht wird. Jetzt gilt auch der alte deutsche Kolonialismus wieder etwas, wenngleich er sich in seiner armseligen Lächerlichkeit an heute blamiert.
Von der "Dritten Welt" als eigenständigem politischen Block, der sich zwischen Ost und West entscheiden können sollte, spricht heute niemand mehr. Zu offensichtlich sind die Länder dieses Namens nur noch die Verfügungsmasse in der Konkurrenz zwischen den mächtigsten Staaten des Westens - ein weiterer Fortschritt zur Bereinigung der Weltlage.
Bonn und die Seerechtskonvention
Als Koalitionsstreit inszenierte die Bundesregierung ihre Großmachtdemonstration in Sachen UNO-Seerechtskonvention. Sich den uneingeschränkten Zugriff auf die Bodenschätze aller sieben Weltmeere nicht völkerrechtlich reglementieren zu lassen - darin sind sich CDU/CSU und Genscher von Anfang an einig gewesen. Deswegen mit den USA und Großbritannien die Freie Marktwirtschaft gegen "UNO-Dirigismus" zu verteidigen - dafür sind auch "Teile der SPD". Während jedoch die Unionsfraktion mit Reagan den Vertrag einfach boykottieren will, ist Genscher für die Unterzeichnung mit dem Argument, "damit binde man sich völkerrechtlich nicht". Soll man sich ein Seerecht für die eigenen Ansprüche per Verhandeln zurechtmachen lassen, oder soll man es einfach ignorieren? Eine rein weltmachttaktische Frage also, die sich der BRD-Imperialismus zur Entscheidung vorlegte - als Ressortstreit zwischen Genscher und dem Rest des Kabinetts. Die Öffentlichkeit schenkte der Sache wenig Aufmerksamkeit, sondern fahndete nach dem "wer mit wem gegen wen". Nicht einmal daraus ist ein schlechter Eindruck entstanden. Immerhin vertrat FDP-Bangemann den Unionsstandpunkt. Als Koalitionskompromiß läßt die BRD jetzt die EG unterschreiben und bleibt bei ihren "Bedenken" gegen das Vertragswerk. So kann man beide Varianten "Freiheit der Meere" weiterverfolgen...