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LINKE PROSTITUTION
"G. Koenen / H. Löchel / V. Lehmann Frankfurt, 30.8.84
Liebe/r...
vielleicht ist es Dir zu Ohren gekommen, vielleicht nicht; der KBW wird sich am 8./9. Dezember 84 auf einer Mitgliederversammlung in Frankfurt definitiv auflösen. Viele werden vielleicht der Meinung sein, daß ein Abgang aus der Geschichte ohne weiteres Aufhebens jetzt in der Tat auch das Beste ist. Andererseits: Für die meisten von uns hat die Zeit im KBW lebensgeschichtlich einen tiefen Einschnitt bedeutet. Und der KBW war in der Geschichte der 70er Jahre eine sehr eigentümliche und markante Erscheinung. Sein Aufstieg und Niedergang könnten doch wohl Anlaß zu Schlußfolgerungen geben, die des Nachdenkens noch wert sind. Was haben wir gelernt? Und wie teuer haben wir das erkauft?
Kurzum, wir denken, es wäre jetzt der passende Augenblick, noch einmal politische und persönliche Erfahrungen, die durch und im KBW gemacht wurden, festzuhalten, Spuren zu sichern und Brüche in der Entwicklung für sich und andere nachvollziehbar zu machen.
Wir haben uns eine Art Aufsatzsammlung vorgestellt, geschrieben von ehemaligen und Noch-Mitgliedern, darunter auch solchen im BWK, den's ja auch noch irgend wie gibt. Angeschrieben haben wir ein Spektrum von ca. 30 Leuten, die wir (darunter Dich) bitten, einen Aufsatz beizusteuern, oder vielleicht auch nur eine kürzere Reflexion, einen Erlebnisbericht, eine bezeichnende Anekdote oder ähnliches. Natürlich war die Auswahl dieser Personen ganz subjektiv und willkürlich. Immerhin haben wir uns bemüht, eine Art von repräsentativem Sample zusammenzukriegen aus Leuten, die die Linie bestimmt, solchen, die sie leitend durchgeführt und solchen, die ihr hauptsächlich gefolgt sind. Wir haben neben solchen hierarchischen bestimmte biographische, soziale, geschlechtsspezifische u.a. Gesichtspunkte miteinbezogen, so daß ein Kreis von Leuten zusammenkommt, die jeweils 'ihre' Geschichte zu erzählen haben." (Arbeiterkampf des KB, Nov. 1984)
Außer für die Hetze und Schadenfreude der antikommunistischen Bundesliga taugt der Abgang eines linken Vereins für nichts etwas. Nun wird man wieder einmal eines besseren belehrt: Der enttäuschte linke Charakter, der gestern noch gegen Resignation gewettert hat, weil er Erfolg für ein Argument hält, packt nicht einfach ein. Dann wäre er ja kein guter und richtiger Mensch - was er übrigens schon 1974 immer sein wollte. Ein echter linker Charakter möchte, wenn dann die Kinder kommen, die Frau ein Bäumchen im Hof pflanzt, ein Freund zu einem Schwätzchen vorbeikommt und nach einem guten Buch fragt, auch einmal von sich erzählen, nachdenken, philosophische Brüche rekonstruieren, sagen können, was er schwer erfahren und gelernt hat und was er bereut. Es gehört zu seinem Charakter, daß ihn das nicht einmal ankotzt."