Info
Korrespondenz
Eine Rechnung, die zwar stimmt, aber nie aufgeht
RENTNER SIND KEINE RENTIERS
"Ein paar Zahlen mehr bringen..."
An die MSZ-Redaktion
Ich bin euch dankbar für eure Argumente - wenn sie überzeugend sind. Der Beitrag zu den Renten (MSZ Nr. 12/1984 "Die Rente - ein Selbstbedienungsladen für den Staat") hat bei mir mal wieder mehr Fragen entstehen lassen, als er beantwortet hat.
Mit der Grundlage eures "Beispieles zum Mitrechnen" geht man doch in jeder Diskussion baden. Auf einen Durchschnitts(!)arbeitslohn von 2500 DM brutto monatlich für die letzten 40 Jahre (!) können jedenfalls unmöglich die Leute kommen, die ihr meint. Wie hoch waren denn die Löhne vor 30 Jahren? (Daß die Löhne zu niedrig sind, sollte an der Stelle ja wohl nicht bewiesen werden...)
Klar ist auch, daß die eingezahlten Rentenbeiträge nicht alle zinsgünstig angelegt und angesammelt werden können, wenn sie zu einem großen Teil an Anspruchsberechtigte gleich wieder ausgezahlt werden müssen. Ihr habt doch mal kritisiert, daß die Finanzierung der heutigen Renten nur deshalb als gefährdet erscheint, weil zuviel Geld festgelegt ist. (Liquiditätsprobleme)
Natürlich stellt sich die Frage, was aus den eingezahlten Beiträgen der heutigen Anspruchsberechtigten geworden ist. Mag sein, daß der Staat den "Generationenvertrag" deshalb erfunden hat, um sein Nachkriegsproblem einer leeren (oder angeblich leeren ?) Rentenkasse kostengünstig für sich und zum Schaden der Rentner zu lösen, aber das habt ihr so auch nicht geschrieben.
Schließlich höre ich immer mal was von dem "monatlichen Zuschuß des Staates an die Träger der Rentenversicherung". Wo bleibt da das Geschäft des Staates, wird da mancher einwenden.
Vielleicht sollte der Autor des Rentenartikels mal etwas genauer zeigen, wie die Rentenversicherung funktioniert, was da mit dem eingezahlten Geld gemacht wird, was mit den Investitionen, Zinsen etc. Um zu beweisen, daß der Staat ein wirkliches Geschäft mit der Rentenversicherung macht, muß man schon ein paar Zahlen mehr bringen...
B. W., Köln
Antwort der MSZ-Redaktion
Sicher hast Du schon einmal die Sparkassen-Reklame gesehen:
"Während Sie hier auf die Straßenbahn warten, arbeitet bei uns Ihr Geld für Sie!"
Du kennst sicher auch die schönen Anzeigen der Pfandbrief-Anstalt:
"So viel, wie dieses Gebäude (das gerade malerisch gesprengt wird) gekostet hat, verdienen unsere Sparer in 35 Minuten."
oder:
"So viel, wie Deutschlands Frauen im Jahr für Strumpfhosen ausgeben, wächst das Vermögen unserer Sparer in einer Woche."
usw.
Vielleicht ist Dir auch schon mal ein Werbefaltblatt einer Lebensversicherung untergekommen, wonach Dir nach 30 Jahren Beitragszahlung in Höhe von 200.- DM pro Monat zum 65. Geburtstag volle 100.000.DM winken.
Für wen Geld "arbeitet"...
Noch schöner wird es, wenn Du Dir von einem Versicherungsagenten Deine bestmögliche persönliche Altersversicherung ausrechnen läßt. Und erst recht, wenn ein Fachmann Dir vorrechnet, daß die Lebensversicherungen mit solchen Sparmodellen selber fett verdienen - und daß man durch eine halbwegs geschickte Vermögensanlage diesen Gewinn durchaus selber einstreichen und sogar noch inflationssicher und steuermindernd sparen kann. Wer genug verdient, muß schließlich schon einen sehr schlechten Steuerberater haben, wenn er nicht die Hälfte seiner Altersvorsorge vom Finanzamt als Steuerersparnis geschenkt bekommt und so mit einem Aufwand von effektiv 500.- DM pro Monat in 20, 25 Jahren ein hübsches "Sicherheitspolster" fürs Alter bildet. Lauter Beispiele für eine schlichte Wahrheit: Wer genug Geld hat, also auch genug Geld übrig hat, für den "arbeitet" dieses Geld tatsächlich, und zwar sehr zuverlässig. Der monatliche Hunderter für 3% bei der Stadtsparkasse oder auf dem Postsparbuch tut's da natürlich nicht. Es gibt sie aber: eine Anzahl von Leuten, die sich nicht einzuschränken und ansonsten im wesentlichen bloß abzuwarten brauchen, um für ihr Alter ein Extra-Vermögen zu bilden, dessen Zinsertrag allein sie besser leben läßt als die besten Sozialrentner.
...und wer es bloß erzählt
Na gut, wirst Du sagen; aber was heißt das schon? Soll man das, läßt sich das überhaupt auf die gesetzliche Rentenversicherung übertragen? Klar, das geht wirklich überhaupt nicht. Bloß: Warum nicht? An geringeren Einzahlungen liegt es sicher nicht; das wirst Du bei aller Skepsis den angedeuteten Zahlen schon entnommen haben. Klar, ein Mittvierziger, der heute 410.- DM im Monat an die Rentenkasse abführt, hat vor 20 oder 21 Jahren vielleicht mit 80.- DM angefangen. Schon mit 5 bis 10% Zinsen und Zinseszins käme er dennnoch bis zur Verrentung auf ein Guthaben von einer Viertelmillion, wenn das Geld als seine persönliche Kapitalanlage verbucht und behandelt würde.
Aber eben: wenn! In der Verwendung seines Geldes liegt der kleine Unterschied.
Zwar sammelt auch die gesetzliche Rentenkasse, ähnlich wie eine Versicherungsgesellschaft, die Beiträge ihrer Einzahler als Vermögen an und legt dieses Vermögen als verzinsliches Kapital an. Es mag schon sein, daß zur Zeit alle Beitragseingänge gleich wieder als Auszahlungen abgebucht werden. Das ist im normalen Bankgeschäft aber auch nicht anders; und gerade so wachsen Konten und Geldvermögen. Auch bei der Rentenkasse wird ja gar nicht die hereinkommende Geldmenge hausväterlich auf die Häupter der lieben Alten aufgeteilt, sondern als individueller Rentenanspruch gutgeschreiben; und gemäß den individuell erworbenen Ansprüchen wird auch ausgezahlt - ungefähr so, als wäre da ein angesammeltes Privatvermögen zu einem enorm niedrigen Satz zu verzinsen. Auch die Rentenkasse handelt also wie ein kapitalistischer Geldanleger und betreibt Geschäfte - nur: die Geschäfte würden jeder privaten Versicherung sofort als Betrug und Schwindel verboten.
Erstens behandelt sie die einkommenden Gelder nicht treuhänderisch als fremdes Vermögen, sondern als ihr eigenes. Das ist so, als würde eine Lebensversicherung nie die Hauptsumme herausrücken, sondern gerade mal deren Zinsertrag. Und die gesetzliche Witwenrente wäre gewissermaßen eine verringerte Weiterverzinsung, nachdem die Hauptsumme nicht etwa ausgezahlt, sondern von der Versicherung selbst als lachendem Erben endgültig vereinnahmt worden ist.
Zweitens wird durch diese
Gesetzliche "Enteignung"
nicht die Rentenkasse immer vermögender, sondern die Staatskasse liquide. Zum einen in der Form, daß die angesammelten Gelder in Staatsschuldverschreibungen angelegt werden. Zum anderen in der Weise, daß die fiktiven Vermögen, auf die die Rentenansprüche der Versicherten bezogen werden, gar nicht wirklich angesammelt werden, noch nicht einmal in papierenen Staatsschulden - sie sind ja, wie gesagt, überhaupt nie zur Auszahlung vorgesehen -; vielmehr werden die Einnahmen gleich als frei verfügbare Finanzmasse im Staatshaushalt behandelt. Mit allerlei sozialstaatlichen Gesetzen, die die Rentenkasse zur Alimentierung von Nicht-Beitragszahlern oder zur Anrechnung von beitragsfreien als Beitragszeiten verpflichten, mit dem Herumwirtschaften zwischen verschiedenen sozialstaatlichen "Töpfen", was auf eine mehr oder weniger direkte Geldentnahme hinausläuft, zwingt der Staat seiner "Rentenversicherung" Ausgaben auf, die das versicherungsmathematisch erforderliche und fiktiv vorausgesetzte Vermögen der Rentenberechtigten gar nicht erst entstehen lassen. Insofern sind es also tatsächlich nicht die Kapitalerträge einer angesparten Hauptsumme, mit denen die Rentner durchgefüttert werden, sondern die jeweils neu hereinkommenden Beiträge. Nach den Maßstäben des kapitalistischen Versicherungswesens müßte man sagen: Die gesetzliche Rentenversicherung finanziert sich aus der Substanz; was nur solange gutgeht, wie die Einzahler um ihr angesammeltes Vermögen betrogen werden - ein ansehnlicher Fall von Wirtschaftskriminalität!
Was nun? Blüm vor den Kadi?
Du wirst schon gemerkt haben, daß der Haken ganz woanders liegt. Nämlich beim Vergleich der Rentenkassen mit dem privaten Versicherungsgewerbe. Sicher: Mit dem Geld, das ein durchschnittticher Pflichtbeitragszahler in die Rentenkasse zahlte, könnte er reich genug werden, um einen sorglosen Lebensabend zu verleben und seinen Erben einen hübschen Einstieg in ein ziemlich arbeitsfreies Dasein zu verschaffen. Aber das wäre ja wirklich absurd: Wenn der Staat ausgerechnet die Masse seiner Bürger, die mit ihrem Monatseinkommen unter der Versicherungspflichtgrenze bleiben, dazu zwingen wollte, reich zu werden. Spätestens da müßte ja noch dem letzten Bank-Fetischisten und Versicherungsexperten aufgehen, daß die Werbeparole vom "Geld", das "arbeitet" und seinem Eigentümer wie von selbst mehr Geld bringt, eine Lüge ist - bzw. nur für eine Minderheit von hinreichend potenten Geldbesitzern eine praktische Lebenswahrheit sein kann.
Für die große Masse, die ohnehin kein Geld übrig hat, kann eine allgemeine Altersversicherung gar nichts anderes sein als ein Schein: eine falsche Nachahmung des privaten Kapitalgewerbes. Es geht da nicht um die portionsweise Kapitalisierung, sondern um die
Verstaatlichung von Lohnanteilen,
aus denen ein mehr schlechter als rechter Lebensunterhalt, der wegen Alter oder Erwerbsunfähigkeit ausrangierten beitragspflichtigen Arbeiter und Angestellten bestritten wird. Insofern also ein staatliches Umverteilungsprogramm innerhalb einer Klasse, die sehr abstrakt durch die Beitragsbemessungsgrenze definiert ist; eine Umverteilung, die kein Vermögen - außer beim Staat-, sondern Opfer auf beiden Seiten schafft und keinerlei Ansprüche verbürgt. Den Beitragszahlern wird das Geld abgenommen, weil deren Einkommen für eine nennenswerte private Kapitalbildung ohnehin nicht vorgesehen ist; und das geschieht mit gesetzlichem Zwang, weil sie mit ihrem Geld gar nicht in der Lage wären, sich freiwillig gegen ihre "Lebensrisiken" zu versichern. Den Rentnern wird weniger als der marktübliche Zins auf die Summe, die sie tatsächlich berappt haben, als Rente ausgezahlt und jedes Beitragsversäumnis als Abzug vergolten: Für die Erben schaut nichts heraus als der Zwang, selber wieder einen Lohn beizuschaffen, von dem die Versicherungsbeiträge gleich schon wieder abgezogen sind.
Das alles muß so sein - nicht in erster Linie, damit der Staat finanziell zuschlagen kann, sondern zuerst einmal, weil der Staat seine Wirtschaft so organisiert hat. So nämlich, daß der dumme Spruch vom "arbeitenden Geld" wahr wird - für alle, die genügend davon haben. Das gibt es ja tatsächlich, daß mancher nur sein Vermögen richtig anzulegen und zu warten braucht, um im Ernst immer vermögender zu werden. Es ist ja eine richtige Berechnung hierzulande, daß der Besitz von 100.000.- DM gleichbedeutend ist mit einem zusätzlichen Einkommen von wenigstens 10.000.- DM im Jahr - ansonsten hat man, betriebswirtschaftlich gerechnet, allen Ernstes einen Verlust gemacht. Und irgendwo muß dieses Einkommen ja herkommen. Die Vorstellung, es käme "von der Bank" (oder: "aus der Wirtschaft"), ist zwar beliebter, aber auch dümmer als die den Umweltschützern gern in die Schuhe geschobene Auffassung, für den Strom bräuchte es keine Atomkraftwerke - er käme ja aus der Steckdose. Der Reichtum will geschaffen sein, auf den der Besitz einer runden Geldsumme eine so unzweifelhafte Anweisung gibt; und er muß so beschaffen sein, daß er seinen werktätigen Fabrikanten nicht gehört - damit er statt dessen wie von selbst den Geldbesitzern gehört, die mit ihrem Geld ein Recht und einen materiellen Anspruch auf ein Einkommen besitzen.
Geld und Geld, Versicherung und Versicherung ist also nicht dasselbe in unserer Gesellschaft; es kommt ganz darauf an, wofür man sein Geld verwendet und was die "Versicherung" damit treibt. Ob Rentenanspruchsberechtigter oder Vermögensbesitzer, Rentner oder Rentier, das ist
Eine Klassenfrage
Daß der Staat das Geld seiner gesetzlichen Versicherung wie ein Steuereinkommen behandelt, während er die Lebensvorsorge bei freiwilligen Versicherungen mit Steuernachlässen honoriert, zeigt nur die Umsicht und Sorgfalt, mit der unser Staat diese Klassenfrage bis ins letzte Detail gerecht beantwortet.
"GEWINN FÜR ALLE. Mehr Preisstabilität ist ein Geschenk. Denn ein Prozent weniger Inflation bedeutet, daß beispielsweise ein Rentner ein Prozent ihres Renteneinkommens - jährlich 1350 Millionen DM - tatsächlich für den Kauf von Gütern verwenden können, statt daß ihnen dieser Betrag für den Ausgleich gestiegener Preise aus der Tasche gezogen wird." (SZ)
Super
Da kann sich der Rentner beruhigt zurücklehnen, und der Arbeiter noch eifriger zur Arbeit gehen und fleißig weiter sparen. Am meisten Freude kommt bei Muttern auf, wenn die Kinder ihre Geschenke selbst ausgedacht und gebastelt haben. Und wenn es sich um einen so schwierigen Gedanken handelt, ist Oma gleich ganz aus dem Häuschen. Weniger ist mehr! Hoffentlich kauft sich der Arbeitsmann von dem Millionengeschenk keinen Taschenrechner und rechnet nach, wieviel ihm die verbleibenden Prozentpunkte "aus der Tasche ziehen"!