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Dieser Artikel ist in der MSZ 1-1985 erschienen.


DER GANZ NORMALE WAHNSINN

"Ersatzmethoden für Tiertests entwickelt

Mit dem Forschungspreis des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit sind in diesem Jahr zwei Wissenschaftler ausgezeichnet worden, die Ersatzmethoden für Tierversuche entwickelt haben. Professor Niels-Peter Lüpke aus Münster erhielt 10.000 Mark für den "Hühner-Ei-Test", mit dem ein bisher an Kaninchenaugen ausgeführter Test zur Hautverträglichkeit von Kosmetika und Chemikalien ersetzt wird. Damit würden 100.000 Tierversuche überflüssig."

Und selbst dagegen hegt Bundesminister Geißler die schwersten Bedenken: Der Schutz des ungeborenen Lebens sei unteilbar, betonte Geißler.

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Humanitare Vorneverteidigung

"Der parlamentarische Staatsselretär im Bundesverteidigungsministerium, Peter Kurt Würzbach, würdigte die Leistungen des Bundeswehr-Rettungsdienstes als stolze Bilanz humanitärer Hilfe. Dagegen bedauerte es Würzbach, daß es bis jetzt noch keine Vereinbarungen mit den Staaten des Ostblocks über offene Grenzen bei Rettungsmaßnahmen gebe". (Ärztezeitung 169)

Na klar, die Russen: Erstens lehnen sie humanitäre Hilfsangebote ab und lassen lieber ihre Toten und Verletzten vergammeln. Zweitens, selbst wenn sie wollten, könnten sie gar nicht helfen, weil ihre Armee der unseren in Rettungsangelegenheiten bereits hoffnungslos unterlegen ist. Weshalb es drittens überhaupt eine Frechheit ist, daß uns der Feind nicht sein Territorium zur zivilen Probe des militärischen Ernstfalls überläßt. Schließlich ist der Dienst an den Opfern am besten in den Händen derer aufgehoben, die sie dereinst massenhaft schaffen werden und hat aus diesem Grund zumindest das moralische Recht, vorneverteidigt zu werden.

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Menschenversuche: sie gehen weiter!

Die Unverträglichkeit von Kernkraftwerken und menschlicher Gesundheit wird auch weiterhin in groß angelegten Versuchen am lebenden Menschenmaterial dargestellt. Die Testergebnisse sind in einer Studie im Auftrag des bayrischen Umweltministeriums niedergelegt:

"So wurde im Landkreii Aschaffenburg, wo die Kernkraftwerke Kahl und Karlstein arbeiten, eine auffällig erhöhte Kindersterblichkeit ermittelt... Die Todesfälle infolge von angeborenen Mißbildungen sind in Aschaffenburg auffällig und in Günzburg (Gundremmingen) immer noch signifikant erhöht." (Weser Kurier 29.11.84)

Auch aus wissenschaftlicher Sicht ist der AKW-Betrieb voll befriedigend:

"Wir haben damit erstmals auch ein Fehlbildungsregister, wie es schon im Ausland existiert."

Die Wohnbevölkerung im Umkreis der AKWs, die das Testmaterial abgibt, erhält für die weitreichenden Konsequenzen der Tests kein Honorar. Regreßansprüche sind aber auch ausgeschlossen, wie die Studie im Auftrag des bayrischen Umweltministeriums betont:

"Auswirkungen kerntechnischer Anlagen auf die menschliche Gesundheit sind mit großer Sicherheit auszuschließen."

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Sozialdemokratischer Internationalismus

"SPD: Bremen soll Enrique Schmidt ehren

In Bremen wird es demnächst eine nach Enrique Schmidt benannte Straße geben allerdings nicht, wie von der Friedensbewegung und den Bremer Jungsozialisten gefordert, vor dem amerikanischen Konsulat, sondern wahrscheinlich im Universitätsviertel.... In dem SPD-Antrag wird zwar Kritik am 'Interventionismus von Großmächten geübt - doch zu einer Umbenennung des John-F.-Kennedy-Platzes mochten sich die Sozialdemokraten nicht durchringen. Andererseits dürfe die Kritik am Handeln der USA in Lateinamerika nicht den Blick auf die Verdienste John F. Kennedys in der Europapolitik verstellen. Am selben Tag veröffentlichte der Senat einen Brief an das Bremer Friedensforum, in dem der Präsident des Senats sich ebenfalls vehement gegen eine Umbenennung des John-F.-Kennedy-Platzes ausspricht. Koschnick plädiert statt dessen für eine Widmung im Universitätsviertel, denn zu der Hochschule habe Enrique Schmidt eine Beziehung gehabt: der Gefallene hat hier promoviert." (Weserkurier)

'Unsere amerikanischen Freunde schießen. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und ehren die Toten!' Gemäß dieser pietätvollen Maxime läßt Bremens SPD über "die Verdienste John F. Kennedys" nichts kommen, wenn sie des von der "Contra" m CIA- Auftrag erschossenen sandinistischen Postministers gedenkt. Immerhin hat der Cuba-Krisen-Manager einstens "Ich bin ein Börlina" auf Einladung von Willy Brandt über die Mauer gerufen und sich damit als Befreiungskämpfer gegen die östliche Unfreiheit unsterblichen Ruhm erworben. Für diesen Feldzug westlicher Freiheit hat Kennedy seinen Vietnamkrieg schließlich angezettelt - die Ehre läßt die SPD dem amerikanischen Freund nicht abschneiden. Für ihre Glaubwürdigkeit läßt die Partei ein Straßenschild malen: "Enrique-Schmidt-Straße" ist die sozialdemokratische Abkürzung für die Heuchelei, daß diese Partei als Friedensmacht Anerkennung verdient, weil sie nicht den Krieg verherrlicht, sondem seine Opfer ehrt. Natürlich nur ausgesuchte Exemplare: nicht der Feind der USA, als der Enrique Schmidt getötet wurde, wird von den sozialdemokratischen US-Freunden geehrt. Als Student und Freund der Bremer Hochschule verewigt der Bremer Senat auf einem Straßenschild einen Mann, der seine Feindschaft gegen die westliche Freiheit mit dem Leben bezahlen mußte. "Denn zu der Hochschule habe Enrique Schmidt eine Beziehung gehabt", zum John-F.-KennedyPlatz der Bremer SPD nicht. Außer einer feindlichen. Und die wird nicht geehrt, sondern liquidiert.

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Da freut sich der deutsche Wald...

"Polizei schießt bleifrei

Nach Protesten von Naturschützern verwendet die Polizei auf ihren Übungsschießständen nur noch bleifreie Munition. Sie ist um 23 Prozent teurer. 'Aber der bleihaltige Boden rund um die Schießplätze und das Grundwasserproblem lassen keine andere Wahl', sagt das Innenministerium". ( Bild, 6.12.1984)

Aber wann kommt die Katalysatorknarre für den Ernstfall?

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...und der deutsche Mensch

Im "Deutschen Ärzteblatt" erläutert ein Chemiker am Beispiel Dioxin den Unterschied zwischen "möglichen und tatsächlichen Giften":

"Einen Persilschein für Dioxin darf es natürlich nicht geben. Denn in Wechselwirkung mit anderen Chemikalien können auch niedrige Dioxinkonzentrationen möglicherweise krebsauslösend wirken. Dennoch zeigen die Erfahrungen mit dieser Substanz, daß wohl ein kanzerogenes Potential vorhanden ist, ein Krebsrisiko aber nicht besteht."

Man muß also nur schauen, daß man das Dioxin lediglich in Reinform zu sich nimmt, den Genuß von Formaldehyd also in dieser Zeit zurückstellt, und schon wird sich die an sich ausgezeichnete Verträglichkeit dieses Stoffes zeigen.

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Malx ist tot! Oder: Tlau keinem Übel...

"Marx starb vor 101 Jahren und schrieb einige seiner Werke vor mehr als einem Jahrhundert. Einige der Ideen, die Karl Marx entwickelte, stimmten für reine Zeit, aber später hat sich die Lage entscheidend geändert, und einige von diesen Ideen passen nicht mehr in die heutige Zeit... Man kann von den Werken von Marx und Lenin nicht verlangen, daß sie unsere Probleme heute lösen helfen." (Volkszeitung Beijing, 7.12.)

Kann man wirklich nicht. An sowas haben Marx und Engels vor über 100 und nicht einmal Lenin vor 60 Jahren auch nur zu denken gewagt: Die "umfassende sozialistische Umgestaltung Chinas" mit Hilfe der "fortgeschrittensten Methoden aus der kapitalistischen Welt." Vor einer kommunistischen Partei, die die Macht im Staate einsetzt, um gegen "Faulenzer und Müßiggänger" endlich das "Prinzip Lohn-Leistung-Geld" durchzusetzen, haben sie sich bestenfalls gefürchtet. Insofern ist es nur gerecht, daß die Volksrepublik China und ihr Steuermann Deng "sich von einem immer lästiger werdenden ideologischen Erbe" (FAZ) befreien.

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Neues von Kohls Freund Zia

"Pakistans Militärregierung verbietet Kritik an Referendum

Die pakistanische Militärregierung hat den Zeitungen des Landes verboten, kritische Berichte über das von Präsident Mohammad Zia-ul-Haq angekündigte Referendum zu veröffentlichen. Die Zeitungsherausgeber wurden von den Informationsbehörden aufgefordert, ihre Journalisten nicht an Pressekonferenzen der Opposition teilnehmen zu lassen. Den Zeitungen sei mitgeteilt worden, sie verstießen gegen die "Presseanweisung" und gegen das Kriegsrecht, wenn sie trotzdem kritische Berichte veröffentlichen. Zia hatte am Samstag für den 19. Dezember Volksabstimmung angekündigt. Mit ihr sollen die Pakistaner befragt werden, ob sie die von Zia angestrebte weitere Islamisierung des Landes und die Übertragung der Macht an ein bis März zu wählendes Parlament wollen. Zia sagte, wenn die Mehrheit zustimme, bedeute dies automatisch, daß er für weitere fünf Jahre als Präsident gewählt sei." (Süddeutsche Zeitung, 3.12.)

Pakistans "Kriegsrechtsverweser" Zia hatte für seine Paten und Partner in der Freien Welt nur einen einzigen kleinen Schönheitsfehler: Er ließ seinen gewählten Vorgänger Bhutto aufhängen. Aber das ist längst vergeben. Keine Einwände aus Bonn und Washington gab es, als Zia bislang schätzungsweise 10.000 Oppositionelle wegräumen ließ. Kohl beim Staatsbesuch dieses Jahr herzte Zia öffentlich als "unseren verläßlichen Freund". Als Frontstaat mit Grenze zu Afghanistan und damit Etappe für die frommen Moslemkrieger des Westens ist Zia auch strategisch wertvoll. Deshalb berichtet die freie demokratische Presse getreulich und kommentarlos von den Fortschritten der Demokratie, wie sie da unten für "uns" gerade paßt: Wenn da hinten schon Demokratie gewagt wird, dann sollen die Betroffenen gefälligst dankbar die Schnauze halten. Und den Pakistanern lange den Unterschied zwischen Referendum und Präsidentenwahl zu erklären, da hat Zia wirklich Wichtigeres zu tun.

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Irgendwie, irgendwann...

"Pentagon: Moskau liefert Managua 15.000 Tonnen Militärausrüstung

Die Sowjetunion wird 1984 dem US-Verteidigungsministerium zufolge 15.000 Tonnen Militärausrüstung an Nicaragua liefern. Diese Zahl enthalte bereits die Waffen auf drei Schiffen, die derzeit in ricaraguanischen Häfen lägen, sowie Militärausrüstungen auf sechs Schiffen, die noch nach Nicaragua unterwegs seien. Über deren Ladungen wisse er allerdings nicht mehr, als daß sie etwas mit militärischer Ausrüstung zu tun habe, schränkte der Pentagon-Sprecher ein. Auf die Frage, woher die US-Regierung wisse, daß die sechs Schiffe nach Nicaragua unterwegs seien, antwortete er, er könne nicht sagen, wo die Schiffe derzeit seien oder auf welcher Route sie führen, aber sie kämen irgendwann in Nicaragua an." (Süddeutsche Zeitung, 1.12.)

Um endgültig und für die USA befriedigend zu beweisen, daß ihrerseits keine "aggressiven Handlungen" vorliegen, müßte die Sowjetunion obiger Meldung zufolge ihre gesamte Handelsflotte zweckmäßigerweise im Golf von Mexiko auf Grund setzen, damit amerikanische Beobachter zweifelsfrei kontrollieren können, daß kein Schiff unter roter Flagge eventuell irgendwann in Nicaragua ankommt. Allerdings wäre dann immer noch nicht mit letzter Sicherheit raus, was sie geladen hatten...

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Meinungsfreiheit

"Wer die Bundeswehrsoldaten 'Mörder' nennt, ist Volksverhetzer

Ein Bundeswehrgegner fertigte auf einer Collage den Text. 'Soldaten sind bezahlte Mörder, keine Kernwaffen!' und 'Wenn keiner schießt, gibt's keinen Krieg'. Damit machte sich der Urheber nach Auffassung des Oberlandesgerichts Koblenz strafbar (1 Ss 132/84): Wer die Bundeswehr in dieser Weise beschimpfe, begehe 'Volksverhetzung'. Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. Mai 1984." (Münchner Stadtanzeiger, 7.12.)

Man soll seine Soldaten und ihre Waffen achten und ehren. Schließlich verteidigen sie ja die Freiheit, insbesondere die Meinungsfreiheit, sie nicht Mörder schimpfen zu dürfen.

Wer war das?

Letzte Woche starb er im Alter von 62 Jahren in seiner Villa Ronco bei Ascona im Tessin. Außer diesem Sommersitz hinterläßt er seiner Witwe eine Villa in Wedel, 24 Wohnungen in Hamburg und Beteiligungen an 217 Wohnungen in Westberlin. Auszeichnungen: Großes Bundesverdienstkreuz und Hamburger Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes. Der Verstorbene wirkte als Bauunternehmer. Am Ende seiner Laufbahn hatte sein Unternehmen 60 Tochtergesellschaften in drei Erdteilen. Von den Sozialwohnungen seiner Anfangszeit, über Luxusappartements bis zu den teilweise fallierenden Mammutprojekten seiner Spätzeit, baute er alles. 1983 mußte er aus dem Unternehmen ausscheiden, weil unter seiner Leitung zunehmende Verluste statt Gewinne erwirtschaftet wurden. Seitdem laufen Prozesse zwischen ihm und seinem Aufsichtsrat.

Gestorben ist Albert Vietor, Mitglied der SPD und der IG Bau, Steine, Erden. Seit 1963 Vorstandsvorsitzender des Gewerkschaftsunternehmens Neue Heimat. Ein sehr bedeutendes Mitglied der westdeutschen gewerkschaftlich organisierten Arbeiterbewegung, als Genosse und Kollege bei den Genossen und Kollegen hochgeschätzt, solange er als Kapitalist fürs Gewerkschaftsvermögen Erfolg hatte. Als schwarzes Schaf ausgestoßen, nachdem die Kasse nicht mehr stimmte. "Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Bereicherung und des unangemessenen Lebensstils hielt er bis zuletzt für ungerechtfertigt." Immerhin ist mit Albert Vietor ein Gewerkschaftsmitglied verschieden, dem seine Mitgliedsbeiträge wirklich was gebracht haben: beständige Reallohnsteigerung und Sicherheit des Arbeitsplatzes 38 Jahre lang.

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Raus und rein

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