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Dieser Artikel ist in der MSZ 2-1985 erschienen.

Der DGB wird aktiv
ALS STREIKBRECHER IN GROSSBRITANNIEN

Wenn in der BRD ganze Branchen nach dem Beispiel der britischen Kohleförderung saniert werden, wenn in der deutschen Industrie Arbeitsplätze "wegrationalisiert" werden, dann wissen deutsche Gewerkschaftler ganz genau, was da zu machen ist:

  1. gar nichts
  2. nachzählen
  3. jammern
  4. Sozialplan unterschreiben, damit alles glatt über die Bühne geht.

Klar, Profit muß sein, denn an Arbeitsplätzen, die nur Lohn, aber keinen Profit abwerfen, würden deutsche Gewerkschaftler ihren Lohn nicht verdienen wollen! Dann lieber gar nicht!

Wenn aber irgendwo - und sei es im Ausland - irgendwelche Leute sich einmal gegen Rationalisierung zur Wehr setzen, und das noch nicht einmal im Namen der besseren Wirtschaftspolitik, sondern einfach wegen ihres Lebensunterhalts, dann wissen deutsche Nationalgewerkschafter: Das darf erstens nicht sein, und zweitens schon gleich nicht Schule machen! Und da reicht die Verantwortung der Arbeiterverwaltung der EG-Vormacht BRD weit, wenigstens bis nach England. Schon 1983 hatte man

Die radikale britische Bergarbeitergewerkschaft NUM

aus dem westlichen "Internationalen Bergarbeiterverband" gedrängt, weil diese sich nicht in die NATO-Feindschaft gegen den Osten einspannen lassen wollte und Kooperation mit Gewerkschaften des Ostblocks nicht wegen der nationalen Front gegen die sozialistischen Staaten aufgeben wollte.

Jetzt verurteilt die IG Bergbau Scargills Kampf gegen die totale Verarmung seiner halben Mitgliedschaft als "destruktiven energiepolitischen Kurs, der sich allen notwendigen Anpassungen verschließt", wodurch die NUM "aus der internationalen Solidarität der demokratischen Arbeiterbewegung ausgeschert sei" (in der klaren Ausdrucksweise der FAZ, 10.1.84).

Eben darin besteht die internationale Solidarität demokratischer Gewerkschaften, daß sie genau wissen, welche "Anpassungen" notwendig sind: alle nämlich, die dem Geschäft nützen und den Lohn schädigen. Wer sich an diese Einsicht nationalistischer Energiepolitiker im Arbeiterauftrag nicht hält, wird nicht nur von der konservativen Klassenkämpferin Margaret Thatcher, sondern auch noch von den anderen Gewerkschaften niedergekämpft. Die IG Bergbau unterstützt finanziell und politisch die britische Steigergewerkschaft, die sich als Streikbrecher betätigt. Der DGB als ganzer unterstützt den britischen Gewerkschaftsdachverband TUC, der ebenfalls die kämpferische NUM kleingemacht sehen und kleinmachen möchte, weil sie dem Arrangement der eben auch nationalistischen englischen Gewerkschaften mit Thatchers: "Make Britain Great Again!", im Wege steht.

Nun kann eine Gewerkschaft, auch eine deutsche, angesichts eines so erbittert ausgetragenen Klassenkampfes nicht einfach den Standpunkt der britischen Regierung, des Klassengegners, vertreten und auch nicht verhindern, daß sich bei einigen deutschen Arbeitern der Wille regt, den Streikenden zu helfen. Also organisiert der DGB alles, was an Hilfe für die britischen Bergarbeiter aufkommt, in eindeutiger Weise: Helfen darf man nach dem Willen des DGB "den in Not geratenen Bergarbeiterfamilien, insbesondere den Frauen und Kindern". Daß das mit den Familien, Frauen und Kindern

Ein Angriff auf den Streik

der Väter sein soll, ist schon so gemeint; man hatte extra getüftelt, wie man das hinkriegt: "Humanitäre Hilfe für die notleidenden Familien der streikenden Bergleute - ja, aber keine Unterstützung für Arthur Scargill und die Politik der kommunistisch unterlaufenen Gewerkschaft."

Also hat man Mitleid mit den Familien, ja sogar mit den Bergleuten selbst - aber als bedauernswerte Opfer eines Streiks, den sie doch gerade selber machen. Nicht als Streikende sollen sie Hilfe bekommen, damit sie ihren Streik lange durchstehen und siegreich beenden, sondern als Opfer einer Sache, die sie nichts angeht und die auf ihrem Rücken ausgetragen wird.

Die "metall" (Zeitung der IG Metall) kommt im November mit einer herzzerreißenden Titelgeschichte heraus, in der sie, sich vor Lob über den geradezu faschistischen Idealcharakter der britischen Bergrbeiter überschlägt: In den Augen einer deutschen Arbeiterzeitung sind diese Leute arm, aber total anständig, und sie wären in ihrer Armut glücklich, würden sie nicht von Frau Thatcher als Pöbel beleidigt. Es bricht ihnen - ganz wörtlich: Herzinfarkt - das Herz, wenn sie einmal, selbstverständlich nur wegen frierender Kinder daheim, bei ihren Ausbeutern ein paar Brocken Kohle stehlen müssen usw. Daß dieselben Idealbilder anständiger Armer gleichzeitig Streikbrecher verprügeln und Kohletransporte zu den Elektrizitätswerken mit brennenden Barrikaden stoppen, will da so wenig ins falsche Anstandsgemälde passen, daß die "metall" Entschuldigungen, Provokationen der Regierung und einfache Umdeutungen der Aufgaben der "picket lines" (Streikpostenketten) erfinden muß - sie hält das für "Mahnwachen", wie die IG Metall sie bei Streiks macht.

So trennt man, im Ton größter Anteilnahme, zwischen den armen, anständigen, der Solidarität würdigen Opfern von unsozialer Politik und Klassenkampf - und eben denselben Leuten, sofern sie diese tätigen Klassenkämpfer sind.

Diese Hilfe, die zugleich

Kritik an den Streikenden

sein soll, ist nicht nur theoretisch ein Angriff auf den Kampf der Bergleute. Der DGB schickt seine Hilfsgelder nicht an die Bergarbeitergewerkschaft, die damit ihre Durchhaltefähigkeit steigern würde, sondern an den TUC, der "humanitär hilft" und das heißt Streikenden wie Streikunwilligen, vor allem aber Frauen und Kindern, damit die armen Unschuldigen nicht in die schlimme Sache - den Kampf ihrer Väter - "hineingezogen" werden. Und mit jedem Care-Paket wird, wie bei den seinerzeitigen Polenpäckchen, die Botschaft mitüberreicht: "Seht her, das geben wir euch, die wir arbeiten und nicht streiken, um eure Not zu lindern, die eure Gewerkschaft euch beschert, weil sie eure Männer streiken und nicht arbeiten läßt."

Den härtesten Schritt in seinem Beitrag bei der Isolierung und Ruinierung der "marxistischen" Bergarbeitergewerkschaft NUM hat der DGB Mitte Januar getan.

Hatte der Chef der IG Bergbau Adolf Schmidt einem Repräsentanten der NUM schon im Herbst 20.000 Mark Bestechungssumme dafür geboten, daß der in Deutschland nicht "herumagitiert", so hat der DGB diese Schweinerei in großem Stil wiederholt:

Am Samstag, dem 12. Januar 1985, war in Essen eine Sympathiekundgebung für den britischen Bergarbeiterstreik geplant, auf der auch Arthur Scargill reden wollte. Der DGB, der in der BRD noch nicht einmal eine theoretische Befassung mit den Auffassungen einer kämpfenden Gewerkschaft haben möchte, hatte die Organisatoren und die NUM erpreßt: Entweder die Veranstaltung findet im Deutschland des DGB nicht statt, oder der DGB unterbindet ab sofort alle Spendenaktionen, die er über den TUC zuläßt.

Die Veranstalter sagten ab.

Solidarität politisch sauber

"Gewerkschaftsmitglieder aus dem mittelfränkischen Großraum haben in sechs Wochen 30000 Mark gesammelt. Elf Tonnen Hilfsgüter für die britischen Kumpels. Abschied einer Lastwagenbesatzung vor dem DGB-Haus am Kornmarkt - Solidarität im Kampf um Arbeitsplätze gefordert."

Einen Lebensmitteltransport auf die Reise nach England zu schicken, ist schon eine ziemlich eigenartige Unterstützung der britischen Bergarbeiter.

  • Da werden erst 30.000 Mark in der Nürnberger Gewerkschaft gesammelt, dann davon Grundnahrungsmittel und Winterkleidung gekauft - als ob es all das in England nicht gäbe.
  • Da wird ein teurer, die Gesamthilfe mindernder LKW-Transport organisiert - wo doch eine Beförderung im Portemonnaie oder ein Scheck für den NUM-Funktionär so einfach und viel effektiver wäre.
  • Da wird ein weiterer Transporter angekündigt, "der vor allem auf die Bedürfnisse der Kinder zusammengestellt" ist - als ob streikende Bergarbeiter nichts dringender benötigen als Spielsachen für ihre Kinder.

Die Absicht, den dortigen Streik zu unterstützen, hat also bei der Nürnberger Gewerkschaftsaktion offenbar nicht Pate gestanden. Eher schon die gegenteilige Absicht: Wie können wir "Solidarität üben", ohne uns hinter die Ziele und die Mittel des Streiks und die Härte, mit der er geführt wird, zu stellen?

Dafür ist freilich der auf den ersten Blick so umständlich und ineffektiv anmutende Lebensmitteltransport genau das Passende: garantiert politisch sauber! Eine Lebensmittelspende - unter Aufsicht eines bundesdeutschen IG-Metallers verteilt - macht keine Unterschiede zwischen streikwilligen und -unwilligen - britischen Arbeitern; sie kann also nicht "falsch" verwendet werden. Genau wie im Fall äthiopischer Hungerleider oder Nürnberger Sozialhilfeempfänger handelt es sich um "Hilfe für in Not geratene Menschen", die - so die "Nürnberger Nachrichten" vom 31.12. - nicht in einem Kampf gegen das Kapital stehen und deswegen Unterstützung verdienen, sondern "im Kampf gegen Hunger, Entbehrung und Not".

Aller Gegnerschaft zum Kapital entkleidet, kann dann eine Ute Melzig von der IG Druck und Papier verkünden, "warum gerade Nürnberg in diesem Arbeitskampf Flagge zeigen muß. Auch hier seien in der Metallindustrie von 1974 bis 1983 rund 21.000 Arbeitsplätze vernichtet worden."

Es scheint, ihr großherzigen Angeber könntet selber ganz gut ein paar Care-Pakete gebrauchen.