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AUGSTEIN UND SEIN SPIEGEL
haben sich natiirlich prompt zu Wort gemeldet, als es darum ging, die korrekte nationale Begehung des 8. Mai festzulegen. Und wie geht's kritisch lang in der deutschen Ehrenfrage: stramm vorwärts! Dafür wird der Blick in die Vergangenheit gerichtet. In einem historischen Sittenbildpotpourri aus den 'letzten Tagen Berlins' 1945 zieht sich durch unzählige Anekdoten und Geschichtchen die eine Botschaft, die Springers Hetzblätttr auch nicht besser hinkriegen könnten:
"Der Iwan auf dem Weg nach Berlin, der Iwan in Berlin: Dramatischere Tage hatte die Stadt nie erlebt." "Alles hoffte auf die Amerikaner, aber... länger als einen Monat überließ er (Eisenhower) die Hauptstadt den Russen." "Aber kein Zweifel, die Russen waren nun da. ... 'Affen' oder 'Urwaldmenschen', wie so mancher Berliner meinte ... Junge Burschen, deren Unter- und Oberarme mit Uhren bestückt waren... Feldküchen... Vergewaltigungen." ( Spiegel Nr. 2/85)
Und Augstein, einmal gar nicht in der Pose des nationalen Kritikers, sondern ganz kritischer Nationalist, bemüht in einem Parforceritt durch die Geschichte der letzten 120 Jahre Bismarck, Wilhelm II. und Hitler als Stationen einer unausweichlichen nationalen Katastrophe, deren Opfer wir heute sind: Die deutsche Macht war für Europa zu groß:
"Das Bismarck-Reich selbst war ein Monstrum, nur mit Glück in der Lage, selbst zu überleben. Es hatte Pech, es bekam den Selbstmörder Hitler."
Mit der altbekannten Ideologie von der leider verspäteten Nation bekommt das Bedauern über die verlorene nationale Größe den Rang eines historischen Gesetzes. Was hätten denn "die Deutschen" von einem nach Augsteins Maßstäben rechtzeitiger und erfolgreicher zur Weltmacht aufgestiegenen Deutschen Reich für Vorzüge gehabt? Was hatten sie unter der für kritische Beobachter vergeigten Größe anderes zu leiden als unter einer bewahrten? Wäre es den deutschen Arbeitern leichter gefallen, den nationalen Reichtum zu vermehren sowie als Kanonenfutter die Nation zu verteidigen? Lauter überflüssige Fragen. Augstein ist längst bei den Opfern, die die Nation selber bringen mußte. Was andere Nationen da an Siegen errungen und was "wir" verloren haben, weil kein demokratischer Kohl dort regieren und kein zum Reaktionär geläuterter Rudi dort agitieren darf - das macht ihm das Herz schwer:
"Daß den Zweiten Weltkrieg die Amerikaner in Europa und Fernost gewonnen haben, steht außer Zweifel. Die Russen hingegen... haben sich überfressen... Landwirtschaft, Wirtschaft und Technologie reichen bei ihnen nicht aus... Aber ist es möglich, sich wohl zu fühlen, wenn die westdeutschen Botschaften in den östlichen Ländern vor Flüchtlingen bersten? Wenn alle, die ihren Staat DDR verlassen wollen, ... losgekauft werden müssen. Wenn eine Schlümpfe-Kultur drüben für Ahnenerbe ausgegeben wird... Kann man sich freuen, wenn wir Westdeutschen nicht souverän genug sind, Olympische Spiele zu besuchen, auf denen Großbritannien und Frankreich vertreten sind? Wenn wir nicht selbst befinden können, wem wir was exportieren dürfen... Nur wäre es uns Deutschen wohler, wenn die Stunde Null von Eisenhower und Montgomery bis an die heutige polnische Westgrenze, bis an Oder und Neiße herangetragen worden wäre... Zwar stimmt es, daß Europa, und mit ihm das Deutsche Reich von einer unsäglichen Schreckensherrschaft befreit worden war. Aber nur ein Teil von Europa, ein Teil auch des Deutschen Reiches. Ein nicht kleiner Teil wurde überhaupt nicht befreit, sondern nur einer neuen Schreckensherrschaft unterworfen. ... Wir haben uns nicht selbst befreit... Daß Deutschland mit Mauer, Stacheldraht und Flüchtlingsmengen in den bundesrepublikanischen Botschaften der Ostblockstaaten der eigentliche Gewinner des Krieges sei, geteilt und ohne die - gewiß relative - Souveränität Frankreichs und Englands, dem mag man so fröhlich nicht zustimmen. Da kann man mit Alfred Dregger ausnahmsweise einmal einig sein: Laßt sie feiern, weil sie den Krieg gewonnen haben." (Spiegel, 2/85)
Was heißt da eigentlich "ausnahmsweise"? Der Mentor journalistischer Besserwisserei, ansonsten stolz, schon einmal als Abgrund des Landesverrats gegolten zu haben, stimmt mit Dregger doch ausgerechnet in den zehn Geboten einer antikommunistischen nationalen Grundüberzeugung überein! Von Dregger unterscheidet ihn einzig die undiplomatische Kritik, die heutigen Bündnispartner hätten kein Recht, Kriegsverbrecher zu verurteilen, weil sie selber welche gewesen seien. - Diese Beschwerde aller Unterlegenen hat Dregger sicher auch schon oft genug gedacht, aber nicht sagen dürfen.
Wenn der nationale Konsens jetzt schon so weit gediehen ist, dann können die Feiern 1985 ja noch heiter werden. Deutschland über alles...!?