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Dieser Artikel ist in der MSZ 3-1985 erschienen.

Systematik

Feindbild
BILDUNG, TEILGEBIET: FREMDE MÄCHTE OST

Einen Schülerwettbewerb "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn" hat das Bayerische Kultusministerium ausgeschrieben. Begründung: "Der Blick über die politische Grenzlinie in Europa lohnt sich bestimmt; er bringt Hinweise und hoffentlich einige Einsichten." (Kultusminister Hans Maier)

Einige Beispiele aus der Aufgabenstellung zeigen, mit welcher Stringenz der Verstand und das logische Urteilsvermögcn des jungen Schülers gebildet werden.

"1) Der Eiserne Vorhang trennt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa viele Menschen und erschwert Informationen und Begegnungen. In den 50er Jahren entstand deshalb die Ostkunde, um Kenntnisse über den östlichen Teil Europas zu vermitteln und Verständnis für einen Bereich zu fördern, der in Gefahr geriet, fremd zu werden.

Welches Land ist durch die Aufspaltung Europas mehr als andere betroffen, da es geteilt ist?"

Es beginnt gleich mit einer schwierigen Frage, um das Konzentrationsvermögen des Schülers voll zu aktivieren.

"12) Rußland befand sich vor der Oktoberrevolution 1917 keineswegs in einem Zustand hoffnungsloser wirtschaftlicher Rückständigkeit. Schon seit Peters Zeiten gab es bedeutende Eisen-/ Metall- und Textilindustrie und Schiffbau mit Zentren im Ural, an der Mittleren Wolga, südlich von Moskau und um Petersburg. Die ungeheure Weite des Landes und die Beschaffenheit des Bodens erschwerten vor allem eine gleichmäßige Verkehrserschließung. Die Transsibirische Eisenbahn, 1894 bis 1904 erbaut, kann als großes Zeugnis organisatorischer und technischer Leistung gelten. Die Zaren holten bis ins 20. Jahrhundert Spezialisten für Manufakturen, Industriegründungen und technische Entwicklungen in das Land.

In welcher Oper Lortzings sind die Bemühungen Peters des Großen bühnengerecht dargestellt?"

Eine doppelt bildende Aufgabe: Daß es keinen Grund für die Revolution in Rußland gegeben habe, wird über musikhistorische Kenntnisse vermittelt.

"15) Die zaristische Armee hatte bei der Niederwerfung Napoleons 1815 im verbündeten Heer Paris erreicht. (Dies wird über der Einnahme Moskaus drei Jahre zuvor meist vergessen!) Nach dem Wiener Kongreß schloß sich das Zarenreich gegen die freiheitlich-parlamentarischen und nationalen Bewegungen ab, wollte aber von der zivilisatorischen Entwicklung nicht ausgeschlossen bleiben (s. Frage 12). Die ungeheueren Umwälzungen in Rußland und die Entwicklung in den Menschen und in der Gesellschaft wurden von bedeutenden Dichtern beschrieben.

a) Nenne einen russischen Dichter des 19. Jahrhunderts von Weltgeltung!"

Hier wird einmal das Abstraktionsvermögen des Schülers geübt. Er muß nämlich von Preußen abstrahieren, das bekanntlich zw selben Zeit jede freiheitlich-demokratische Bewegung an die Macht ließ. Dann wird dem vorschnellen Vorurteil, Rußland sei schon immer ein despotisches System gewesen, mit der Aktivierung literarischen Wissens begegnet. Zugleich lernt der Schüler dialektische Sprünge beherrschen, die in ihrer Anlage weit über die Wissensfrage: 'Ein Schiff ist 300m lang, wie heißt der Kapitän?' hinausgehen.

Diese Fähigkeiten werden noch weiter vertieft, z.B. mit Aufgabe 17, in der zusätzlich noch der kausale Gehalt des Wörtchens "auch" gelehrt wird. Auch die Untreue des Sohnes seines Volkes gegenüber seinem Volk kann der gelehrige Schüler mitnehmen.

"17) Auch die Völker Kaukasiens und Zentralasiens, diese erst kurz vor 1900 unterworfen, konnten die kurze Freiheit nicht bewahren. Ein Volk in Transkaukasien mit glanzvoller Kultur und Geschichte hatte schon lange vor der Unterwerfung (1810) befruchtend auf Rußland eingewirkt. Ihm entstammt der 'neue Herrscher Rußlands', Stalin (Jossif W. Dschugaschwili). Er zwang sein Volk sehr rasch unter die Herrschaft der Zentralgewalt der KPdSU, die sich an die Stelle des Zaren und der Adelsherrschaft gesetzt hatte.

Wie heißt das Volk?"

Die letzte Frage:

"23) Die Aussiedlung aus der Sowjetunion gelingt nur ganz wenigen. Über viele Anträge und Hindernisse suchen Familien den beschwerlichen Weg in das Land, aus dem die Vorfahren vor 200 und mehr Jahren ausgewandert waren. Ihre Leistung für Land und Völker bleibt zurück.

a) Miß die Entfernung zwischen Karaganda in der Kasachischen SSR - einem Gebiet mit hohem deutschen Bevölkerungsanteil - und Bonn und gib sie auf 1.000 km (auf-)gerundet an!

So werden zuguterletzt auch die deutschen Ansprüche auf deutsches Eigentum weit im Osten ihres ketzerischen Tons entkleidet, indem ihr sachlicher Kern herausgearbeitet werden soll. Der Schüler lernt rechnen und Geographie und kann sich dabei vorstellen, wie lange man braucht, um die Strecke in der einen oder anderen Richtung zurückzulegen.

Ein Fall von Mißwirtschaft

"In der UdSSR steigen die Löhne schneller als die Arbeitsproduktivität

Der Durchschnittslohn eines Sowjetbürgers betrug 1984 185 Rubel (umgerechnet rund 650 Mark), der eines Kolchosearbeiters 145 Rubel (510 Mark). Vor zwei Jahren waren es 182 und 138 Rubel. In der UdSSR hat sich in den letzten jahren, wie Experten errechneten, zunehmend ein Mißverhältnis von Lohnzahlungen und Arbeitsproduktivität gebildet: So wuchsen etwa in der Industrie die Löhne um das Dreifache, im Bauwesen um das Vierfache, im Eisenbahnwesen sogar um das Neunfache schneller als die jeweilige Arbeitsproduktivität." (FR, 30.1.85)

Mehr Lohn bei weniger Leistung - so etwas kann's nur drüben geben! In einer Planwirtschaft nämlich, wo man vom Wirtschaften nix versteht und so ein dummes "Mißverhältnis" einreißen läßt. Darüber wissen unsere Fachmänner von der demokratischen Presse genauestens Bescheid. Marktwirtschaftlich korrekt hat das Verhältnis gerade anders herum zu stimmen: Jedes Jahr ein paar Mark weniger in der Lohntüte und an der Leistungsfront ordentlich zugelegt - das ist kein "Mißverhältnis", sondern fördert den Aufschwung. Bei wem, ist dann auch keine Frage mehr.