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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1985 erschienen.


DER GANZ NORMALE WAHNSINN

Die Jahrhundertforderung der Gewerkschaften für die Tarifrunde 1986 zeichnet sich ab... im Mittelpunkt steht die Solidarität mit den Arbeitslosen... angestrebt wird ein Einstieg in die Verkürzung...... Tabu der Arbeitgeber soll gebrochen werden... Steinkühler erwartet die härtesten Auseinandersetzungen seit 1984... Diskussionen an der Basis beginnen schon im Mai............ Motto: Mittwochs läßt Papi die Finger von den Weibern...

"IG Metall macht sexuelle Belästigungen im Betrieb zum Thema

Die Verhaltensunsicherheit der Männer kann konstruktiv nur durch Grenzen, die Frauen ihnen setzen, behoben werden

Die Frauenabteilung der IG Metall vertritt die Auffassung: 'Sexuelle Belästigung ist ein Thema, das die Gewerkschaften angeht.'... Das Thema Sexualität im Betrieb könne nicht als 'Nebenkriegsschauplatz' betrachtet werden, weil es dabei um die Gleichberechtigung der Frau und um das Recht auf Arbeit gehe... Es wird auf den Zusammenhang von sexueller Belästigung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hingewiesen... Die IG Metall-Frauen definieren sexuelle Belästigung so: 'Wiederholte und unerwünschte verbale oder tätliche sexuelle Annäherungsversuche, eindeutig anzügliche Äußerungen oder sexuell diskriminierende Bemerkungen, durch die der oder die Betroffene sich bedroht, gedemütigt, schikaniert oder belästigt fühlt.'" (Frankfurter Rundschau, 13. März 1986)

Ferien bei der Wörner-Jugend

"Luftwaffe umwirbt Jugendliche. Mit Kenntnis von Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner will ein 'Freundeskreis der Luftwaffe' zweiwöchige 'Flugsport-Camps' für 14- bis 18jährige auf Fliegerhorsten der Luftwaffe veranstalten. Ein erster 'Feldversuch', bei dem 10 Jugendliche - voraussichtlich auf dem Tornado-Stützpunkt Nörvenich - eine 'Schnüffelausbildung' erhalten sollen, ist für die Zeit vom 17. bis 30. Juni geplant. Ziel ist die 'Nachwuchswerbung für Tätigkeiten in der Luftfahrt in den Bereichen Luftwaffe/Streitkräfte, Wissenschaft, Industrie. Luftverkehr und Luftsport'.

Der 'Freundeskreis' ist im September vorigen Jahres als gemeinnütziger Verein gegründet worden. Als Hauptzweck nennt die Satzung, 'in allen Bereichen der Gesellschaft' besonders in der Jugend, Verständnis und Aufgeschlossenheit für die Luftwaffe und ihren Auftrag zu fördern'.

Präisdent des 'Freundeskreises', den Eimler dem Vernehmen nach mitinitiiert hat, ist der ehemalige Chef des Stabes der Luftwaffe, Generalmajor a.D. Gerhard Kerscher. Er schrieb an den Luftwaffenchef, bei dem Vorhaben 'kommt es wesentlich darauf an, daß die Maßnahme auf eine breite Unterstützungsbasis gestellt wird und durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit abgesichert wird, um von Anbeginn ein Argument einer vormilitärischen Ausbildung auszuräumen'. Gleichwohl fühlen sich manche Offiziere 'an Methoden im Osten oder die Flieger-HJ' erinnert sowie an den erst vor kurzem gescheiterten Versuch, 'Ferienlager' für Schüler bei der Bundeswehr einzurichten. Ein 'Beirat Ausbildung' des 'Freundeskreises' plädiert dafür, die 'Maßnahme' auch im Fall 'negativer Publizität' offensiv zu realisieren." (Süddeutsche Zeitung, 10. Mai)

Diese "publizistische Offensive" wird sich leicht machen lassen. Man braucht nur auf die entscheidenden Unterschiede aufmerksam zu machen. Als da wären: 1. heißt der Chef der Luftwaffe heute Manfred Wörner und schon lange nicht mehr Hermann Göring. 2. nennt man die Nachwuchskriege! im "Camp", diesmal "Schnüffler" und nicht mehr Pimpfe und 3. ist der Hauptzweck "Verständnis und Aufgeschlossenheit" für die (Bundes-)Luftwaffe und nicht wie damals für die Luftwaffe (der Reichswehr). Vergleiche mit der Flieger-HJ sind also überholt. Und "an Methoden im Osten " zu denken, verfehlt völlig die Richtung, aus der die Tornados kommen...

Der Hergott vergibt allen

Nie wollte man uns unsere Behauptung glauben, daß die Kumpanei der katholischen Kirche mit dem Nazi-Regime, ihre gläubige Verehrung des Führers sowohl logisch als auch theologisch völlig in Ordnung geht. Jetzt hat die Kirche selbst unsere Auffassung bestätigt - nach nochmaliger gründlicher Durchsicht aller Quellen:

"Wenige Tage vor dem 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation hat der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der bayerische Kultusminister Hans Maier, die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus als "durchaus menschlich" gekennzeichnet. Die Haltung des Katholizismus im Dritten Reich sei "keineswegs unehrenhaft oder beschämend" gewesen, sagte Maier auf der ZdK-Frühjahresvollversammlung in Aachen. Die Angriffe auf die Kirche und ihre Haltung in der NS-Zeit seien "oft beleidigend und wenig quellennah"...

Wer von der Kirche amtlichen Protest und Widerstand gegen die Hitler-Diktatur erwartet hätte, der mache sich von ihr falsche Vorstellungen. "Revolution, Umsturz, politische Veränderung" sei nicht Sache der Kirche als ganze, sondern ihrer einzelnen Mitglieder. Das Martyrium sei Sache des Einzelgewissens, betonte der ZdK-Präsident." (Süddeutsche Zeitung 4./5. Mai '85)

Da trifft es sich doch gut, daß Hans Maier als ZdK-Präsident nicht als Einzelgewissen, sondern als ganze Kirche herumläuft. Das schützt vor verantwortungslosem Martyrium.

Saubere Kernkraft

Die angesehene amerikanische Fachzeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" (Chicago, April 1985) veröffentlichte eine Liste mit den Namen von 765 Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern und anderen Spezialisten, die nach dem Ende des III. Reichs nahtlos aus dem Dienst für Nazi-Deutschland auf die Gehaltsliste der US-Streitkräfte überwechselten. Auf höchste Weisung verschafften ihnen die Einwanderungsbehörden der USA Personaldokumente und "Beweismaterial" für die erfolgreiche "Entnazifizierung" ihres Lebenslaufs.

Was will das Bulletin uns damit sagen?

- Will es das amerikanische Vaterland dafür loben, daß ihm die demokratische Integration von Nazi-Wissenschaftlern so reibungslos gelungen ist;

- oder will es die amerikanische Demokratie davor warnen, daß die amerikanische Sicherheit durch Nazi-Know-how gefährdet wäre;

- oder will es behaupten, daß nur reinrassige Amerikaner wissenschaftliche Atome werden dürfen?

- Oder was?

Verhindert Strauß Republikflucht?

Weil die bayerische SPD keine Gelegenheit auslassen will, ihrem übernnächtigen Gegner am Zeug zu flicken, und weil sie in der Sache keine Differenz vorweisen kann, außer der, es noch besser besorgen zu wollen als FJS - deswegen geht sie wie selbstverständlich davon aus, daß der DDR-Grenzschutz in der Bayerischen Staatskanzlei geregelt wird:

"Nach dem Abbau der Selbstschußanlagen an der DDR-Grenze zur Bundesrepublik ist um das jetzt mit einem technisch perfektionierten Schutzstreifenzaun gesicherte Sperrsystem eine Kontroverse zwischen den bayerischen Sozialdemokraten und Ministerpräsident Strauß entstanden. Der 'Erfolg' des 'Milliardenkrediteinfädlers Strauß' sei, daß die DDR-Grenze jetzt unüberwindbar geworden sei, kritisierten die Sozialdemokraten in ihrem Pressedienst."

Man könnte fast meinen, nach Auffassung der bayerischen SPD sähe die für uns ideale "Zonen"grenze etwa so aus: durchlässig und lebensgefährlich, damit immer wieder mal welche rüberkommen zwecks Freiheit und erschossen werden für die Demonstration östlicher Unmenschlichkeit. Dafür sind Milliardenkredite gut angelegt.

Marx hat doch recht! oder Käse vom Grafen

Ex-Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff in "Bild":

"Aber jeder Mensch lernt dazu. Und ich habe in meinen sieben Jahren als Wirtschaftsminister eine Menge Erfahrungen gesammelt... Außerdem, heute, wo ich nicht mehr Minister, sondern 'Nur-Politiker' bin, brauche ich kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen. Zum Beispiel jetzt und hier, wenn ich die menschliche Arbeitskraft mit einer Ware vergleiche. Die kann doch nicht mit Käse gleichgesetzt werden, heißt es oft. Wirtschaftlich gesehen ist es aber so.

Wenn Ihnen als Hausfrau im Laden oder auf dem Wochenmarkt ein Stück Käse zu teuer ist, lassen sie es liegen. Genauso macht's der Arbeitgeber: Er stellt einfach keine neuen Mitarbeiter ein, wenn sie zuviel kosten." (Bildzeitung, 29. April)

"Gelernt" hat er natürlich nichts als Wirtschaftsminister. Daß er die "menschliche Arbeitskraft", die eine Ware ist, mit einem "Stück Käse" vergleicht, verdankt sich dem gemeinen Interesse, das er schon ins Amt mitgebracht hat. Den Arbeiter wünscht er sich auf dem Markt wie den Käse: Möglichst als Sonderangebot und streichfähig. Möglichst viele Löcher in der Weichmasse - das ist ein Gütesiegel nicht nur beim Emmentaler, sondern auch fürs Hirn eines Ministers...

"Wie gerne wär' ich mitgewallt..."

"Der frühere Geschäftsführer der Fraktion, Joschka Fischer, nach der Rotation nicht mehr Abgeordneter, stellte in der Fraktionsaussprache fest, die Bündnisfrage sei das 'ideologische Krebsgeschwür' der Grünen. Wenn die Partei auch im nächsten Bundestag vertreten sein wolle, müsse sie bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. 'Für mich machen die Grünen nur einen Sinn, wenn sie versuchen 'Macht zu erlangen', erklärte Fischer. Schily später, die Wähler erwarteten von den Grünen 'nicht Machtabstinenz, sondern die richtige Nutzung der Macht'. Wenn die Grünen nicht bald einen klaren Handlungsrahmen für ihre Politik fänden, 'dann werden wir zum eigenen Beerdigungsunternehmen'.

Der neue Fraktionssprecher Christan Schmidt verzichtete auf Vorschläge, wie die Grünen ihre Krise überwinden könnten. 'Machtgeilheit mag abstoßend sein; schlimmer ist das Gefühl der Ohnmacht', sagte der Abgeordnete aus Hamburg." (Süddeutsche Zeitung, 15./16. Mai '85)

Na, endlich habt Ihr's kapiert, Ihr politischen Saubermänner, Ihr pfäffischen Seichbeutel, Ihr basisgeilen Waldheinis, Ihr linken Friedensmissionare, Ihr Fundamentalrealos, Ihr Grünen! Endlich seid Ihr beim tieferen Sinn Eurer waldursprünglichen radikaldemokratischen Opposition angelangt.

Überwältigte Vergangenheit

Daß sie gegen die Feinde Frankreichs gekämpft haben, darauf sind sie stolz, die Patrioten der Resistance. Damals waren die Feinde des Vaterlands die Nazis aus Deutschland. Heute wird tatkräftig Wert auf die Feststellung gelegt, daß es wirklich nur der lauterste Nationalismus sein darf, der für Frankreich gegen den Faschismus gekämpft hat - alles andere gehört zurecht ins KZ:

"In Besancon wollte eine Homosexuellenorganisation an der Gedenkfeier zum 40. Jahrestag der Befreiung der deutschen Konzentrationslager teilnehmen. Immerhin wurden von den Nazis zwischen 200.000 und 400.000 Homosexuelle umgebracht. Jean Petiteau, Vorsitzender der größten Vereinigung französischer Opfer der Naziokkupation UNADUF, lehnte die Teilnahme ab. Er könne nicht verstehen wie 'Personen dieser Art sich an einer patriotischen Feier beteiligen können'. Petiteau ging so weit darauf hinzuweisen, daß es keine Gemeinsamkeit zwischen den Deportationen 'Normaler' und denen Homosexueller gebe, 'weil diese ausschließlich auf Grund ihres abweichenden Verhaltens zur Bestrafung ins KZ geschickt worden sind'." (El Pais, 29. April)

Als die Schwulen trotz ihrer Ausladung dennoch einen Kranz am Denkmal für die Opfer des Nazifaschismus zu Besancon niederlegen wollten, wurden sie von Mitgliedern der UNADUF verprügelt:

"Ein großer Teil der bei der Feier Anwesenden zollte den Schlägern Beifall, und man hörte Rufe mit eindeutigem nazistischen Einschlag: 'Sie hätten sie alle wegräumen sollen.'"

Bewältigte Vergangenheit

"Mit Gewalt?

Jüdische Organisationen haben im In- und Ausland angekündigt, sie würden versuchen, den amerikanischen Präsidenten am Besuch der Gedenkstätte in Bergen-Belsen zu hindern, wenn es bei dem 'Besuch der SS-Gräber' in Bitburg bleibt.... Sollte da die Ausübung irgendeines 'zivilen Ungehorsams' gemeint sein, entweder in Form von Sitzblockaden oder gar durch aktive Gewaltanwendung? Es wäre katastrophal, meint der Präsident des Zentralverbands der Juden in Deutschland, Nachmann, 'wenn deutsche Polizisten Überlebende des Holocaust abtransportieren müßten'. Nichts anderes aber wird übrigbleiben, wenn öffentlich Handlungen in Aussicht gestellt - und damit zugleich zwangsläufig angeregt - werden, die ein Eingreifen der Polizei erfordern. Auch Sitzblockaden sind von deutschen Gerichten als Nötigung eingestuft und abgeurteilt worden; sie sind vom Versammlungsrecht nicht gedeckt. Können die führenden Repräsentanten der Juden in Deutschland wirklich ein Interesse daran haben, den Rechtsstaat in der Manier gewisser Startbahn- oder Kernkraftgegner herauszufordem? Wären nicht gerade sie berufen, jeder Form von Rechtsbruch und Gewaltanwendung unter allen Umständen zuwidersagen?" (FAZ, 4. Mai)

Die von den Faschisten ermordeten Juden können sich des "Respekts" der "Frankfurter Allgemeinen" sicher sein, sofern sie als unschuldige Opfer ins Gas gegangen sind: widerstandslos und gesetzestreu bis zum Schluß. Umgekehrt denkt die Bourgeoisie keinen Augenblick daran, deutschen Kommunisten die "Ehre zu erweisen", nur weil sie, wie z.B. Emst Thälmann, in Buchenwald erschlagen worden sind. Und wenn sich jetzt "Überlebende des Holocaust" erfrechen sollten, den "Rechtsstaat herauszufordern", dann sind sie weder Opfer noch unschuldig, sondern fällig zum Abtransport.

Die "taz" warnt vor "zweitem Cuba"

Wenn die USA über Nicaragua eine Wirtschaftsblockade verhängen, um das Verbrechen des Sandinismus zu bestrafen, dann kommt ein westdeutscher Alternativer natürlich nicht auf den schlichten Gedanken, einfach gegen diese jüngste Eskalation des US-Kriegs in Mittelamerika zu sein. Als Durchblicker aus der und für die Scene weist ein Klaus J. Tangermann in der "taz" vom 2. Mai wieder einmal dem Chef der Weltmacht Nr. 1 blutigen Dilletantismus nach:

"Auf dem amerikaniichen Kontinent wird nach Kuba 1960 zum zweitenmal ein Staat in die völlige Abhängigkeit der Sowjetunion gedrängt. Damit verkehrt sich das von der US-Regierung angegebene Ziel ihrer Politik gegenüber Nicaragua ins Gegenteil."

Auch als deutscher Linker kennt man anscheinend kein schlimmeres Los für ein Land der "Dritten Welt" als die "Abhängigkeit von der SU". Ein "taz"-Kommentator hat die Russen so sehr gefressen, daß er sein Herz für den Kapitalismus in Nicaragua entdeckt:

"Das am Dienstag in Moskau unterzeichnete Wirtschaftsabkommen zwischen Nicaragua und der Sowjetunion wird möglicherweise die Einbußen durch das Embargo weitgehend kompensieren, doch zu zwei Bedingungen: der langsamen Eingliederung Nicaraguas in das östliche Wirtschaftssystem und der allmählichen Austrocknung der nicaraguanischen Privatwirtschaft, die gegenwärtig noch rund 60% ausmacht."

Die gehört nämlich auch zum "demokratischen Pluralismus", den die "taz"ler Nicaragua verordnet haben, damit sich die Sandinisten der "Sympathie" europäischer Alternativ-Intellektueller würdig erweisen. Haargenau wie Tangermann bewertete übrigens Hans Jürgen Wischnewsky für die SPD den neuesten "Fehler" Ronald Reagans. Und mit der Sozialistischen Internationale bewertet der sozialdemokratische Internationalismus in der "taz"-Redaktion einen Kriegsakt des Imperialismus gegen Nicaragua als weltpolitische Konfliktverschärfung:

"Das jetzige Embargo allein kann Nicaragua nicht in die Knie zwingen, und Präsident Reagan kündigte bereits weitere Maßnahmen an. Die Haltung Gorbatschows ist bislang unbekannt. Doch auszuschließen ist keineswegs, daß die USA mit ihrer Entscheidung vom Dienstag einen Konflikt vorbereiten, der andere Dimensionen haben wird als die bisherigen Auseinandersetzungen."

Die "taz" verschafft jetzt schon die coole "Einsicht": Es mußte ja so kommen!

Pershing gesichert

Vom Erfolg der "Nachrüstung" mit Pershing 2 zeugt die Debatte im Gefolge des Unglücksfalls bei Heilbronn vom Januar dieses Jahres. Lautete die öffentliche Auseinandersetzung vor der Stationierung: "Ist Pershing 2 für unsere Sicherheit wirklich unentbehrlich?", so erregt sich die kritische Öffentlichkeit jetzt nur noch über das Problem: "Wie sicher ist Pershing 2, die Unentbehrliche?" Eine erste beruhigende Meldung gab der Vorsitzende Verteidigungsausschüßler Biehle (CDU) schon kurz nach der Explosion. Trotz der toten GI's war es nämlich keine:

"Eine Explosion sei hierbei (bei dem Unfall) nicht erfolgt, wohl aber sei der Raketentreibstoff so blitzartig verbrannt, daß die Schubdüse durch Verpuffung 120 Meter weit geschleudert wurde." (FAZ, 17.1.)

Die technische Untersuchungskommission wartete Ende Januar mit einer wunderbaren "Erklärung" auf:

"Das Pershing-Unglück von Heilbronn ist möglicherweise durch ein bislang unbekanntes naturwissenschaftliches Phänomen verursacht worden." (ARD-Tagesschau vom 31.1.)

Irgendeine "elektrostatische Entladung", mit der niemand nicht rechnen konnte! Das brachte die umliegende Bürgerschaft auf die Beine. Erstmals nach der Stationierung kam es wieder zu einer Großdemonstration, bei der im Interesse der Sicherheit eine sichere Pershing gefordert wurde. Daraus zog die Untersuchungskommission der US-Streitkräfte ihre Schlüsse und leitete eine Sicherung der Raketen in die Wege - gegen Demonstranten:

"Pershing-2-Raketen sollen besser gesichert werden

Die in der Bundesrepublik stationierten amerikanischen 'Pershing-2'-Raketen sollen gegen mögliche Terroristenangriffe besser gesichert werden. Mit dem Hinweis, daß diese Atomwaffen 'extrem verwundbar' seien, hat jetzt die Armee beim amerikanischen Kongreß rund zwei Millionen Dollar für den Bau zusätzlicher Schutzvorrichtungen beantragt. Zum ersten Mal seit Beginn der Stationierung in der Bundesrepublik vor siebzehn Monaten wurde der Kongreß jetzt aufgefordert, Mittel für Betonbarrieren und Tarnzäune um die vier deutschen Basen bereitzustellen. Nach einem Bericht der 'New York Times' ist dies das Ergebnis einer umfassenden Überprüfung aller Sicherheitsvorkehrungen nach dem Unglück im Januar.... Die Raketen... seien zu sichtbar und damit sowohl ein 'potentiell verlockendes Ziel für Terroristen' als auch ein Anziehungspunkt für Demonstranten." (FAZ, 3. Mai)

Für die SPD ist das Gerangel um die "technische Ausgereiftheit" einer Atomwaffe die ideale Ebene, auf der sie die "Auseinandersetzung um die Nachrüstung" fortsetzen will: Beinhart auf dem Boden der vollzogenen NATO-Rüstung, entschieden oppositionell gegen die Modalitäten und superpatriotisch mit dem gewissen Schuß Anti-Amerikanismus. Ihre Forderung: Deutscher TÜV für Ami-Raketen:

"Der Unfall mit einer amerikanischen Pershing-2-Rakete im Januar hätte sich nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Horst Jungmann wahrscheinlich vermeiden lassen, wenn deutsche Vorschriften zur Unfallverhütung beachtet worden wären. ... Jungmann übersandte dem Bundesverteidigungsminister einen Auszug aus den Unfall-Verhütungsvorschriften der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Darin heißt es unter anderem, beim Transport und Lagern explosionsgefährlicher Stoffe könnten durch Trennvorgänge hohe Aufladungen entstehen und 'zündfähige Entladungen' verursachen. ...

Die Existenz dieser Vorschrift, schrieb Jungmann, bestätige die SPD in der Auffassung, daß bei der Erprobung der Rakete nicht alle möglichen Unfallursachen berücksichtigt worden seien und 'somit die Stationierung überstürzt war'." (Süddeutsche Zeitung, 9. Mai)

Ein Schritt in die richtige Richtung

Aus Leserkreisen erreichen uns immer - wieder einmal Beschwerden, unsere Zeitung befleißige sich eines unguten, nachgerade "ketzerischen" Tons und lasse insbesondere an unserer Bundeswehr kein gutes Haar. Wir haben diesbezüglich immer darauf verwiesen, daß namentlich an der Bundeswehr keines aufzufinden sei. Deshalb freuen wir uns, der Münchner "Abendzeitung" vom 16. Mai eine Meldung über eine Aktion der Aeroplane des Herrn Wörner entnehmen zu können, der auch wir Marxisten ihren objektiv fortschrittlichen Charaker nicht absprechen können:

"3 Düsenjäger im Tiefflug: Barockkirche stürzte ein.

'Plötzlich war die Kirche weg.' Der Landwirt Joseph Strobl ist Augenzeuge des Kircheneinsturzes in Weipertshausen bei Münsung (Kreis Starnberg). ... Kurz zuvor waren drei Düsenjäger in 150 Meter Höhe über die kleine Barockkirche gedonnert."

Höchste Kirchenkreise haben schon die Risse im ehrwürdigen Bündnis zwischen Wehrmacht und Glauben entdeckt. Sie zetern und Mordio:

"Das Erzbischöfliche Ordinariat in München gibt den Militärjets die Schuld. 'Bislang haben wir nur vermuten können, daß Risse im Mauerwerk und kaputte Fensterscheiben durch die Flieger kommen. Jetzt gibt es zum ersten Mal einen unmittelbaren Zusammenhang.'"

Unsere Forderung an die fortschrittlichen Kräfte im Bundesverteidigungsministerium muß jetzt lauten:

"Phantom im Tiefflug über den Kölner Dom!"