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"Tribunal gegen den Weltwirtschaftsgipfel"
DAS "PRINZIP HOFFNUNG" KLAGT AN
Gut 1000 Leute trafen sich parallel zum großen Gipfel, um auf einer 12-Stunden-Veranstaltung in Bad Godesberg ihre Kritik an den weltweiten Werken des Imperialismus zu bilanzieren - und zwar in der Form eines "Tribunals". Das freilich ist mehr als bloße Form.
Ein Tribunal abzuziehen, bekundet den prinzipiellen Entschluß, die Taten der Mächtigen der freien Welt als einen Widerspruch zu eigentlich gültigen Prinzipien der Staatenwelt zu kritisieren. Und diese sollen nun auch nicht aus der Luft gegriffen, sondern deren ureigenste Ideale sein: etwa Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit, usw. Anders käme man nämlich gar nicht auf die Idee, die wirklichen Herren über Recht und Gesetz einmal selber auf die Anklagebank zu setzen (wenn auch nur in Gedanken) - wollte man sie nicht dafür an den Pranger stellen, sich an gemeinsamen, für jedermann gültigen Grundsätzen vergangen zu haben! In einer Hinsicht sind die angepinkelten Staatsgewalten damit schon freigesprochen, bevor der imaginäre Prozeß überhaupt begonnen hat: Den Verdacht, die Interessen der auf frischer Tat ertappten Politik stünden schlicht in einem unversöhnlichen Gegensatz zu den Bedürfnissen derer, welche für die erfolgreiche Durchsetzung der nationalen Zwecke immerzu verheizt werden, haben die Untersuchungsrichter aus der linken Szene in die Anklageschrift gleich gar nicht aufgenommen. Das wäre ihnen ein bißchen zu billig. Es müssen schon von aller Welt geteilte, also völlig unverdächtige Maßstäbe sein, die sie den Staaten dann reinwürgen - das macht die Kritik respektierlicher, meinen sie!
Das Urteil, Reagan, Kohl und Thatcher hätten sich diverser Verbrechen schuldig gemacht, ist (so hart es auch klingen mag) als Vorwurf gegen deren Sauereien also eine ziemlich matte Sache; für die Beschwörung des Glaubens, freedom and democracy, diese guten Werte, seien mit Geschäft und Gewalt, ihrer häßlichen Existenz also, total unvereinbar, ist es dagegen um so passender.
Die Anklagepunkte
waren insofern ziemlich beliebig. Viele sollten es schon sein, was aber nicht weiter schwer fällt, weil jede Sorte von Betroffenheit als Beweismaterial für die Verwerflichkeit ihrer Urheber gleichermaßen willkommen ist. Ob verschuldete Staaten, verhungernde Landarbeiter, unterdrückte Frauen, verhinderte Naturschutzgebiete oder verletzte Nationalgefühle - die Liste der Opfer, in deren Namen Anklage erhoben wird, ist genauso bunt und brutal gleichmacherisch wie der Katalog der Schuldigen: Ausbeuter wie Ausgebeutete finden sich in ihrer Eigenschaft als Mann gemeinsam auf der Anklagebank wieder; Herren wie Knechte der "1. Welt" fressen in ihrer Eigenschaft als Reiche der "3. Welt" die Butter vom Brot; und ausgerechnet die regierenden Nationalisten verderben ihren Untertanen den gebührenden Nationalstolz, nach dem selbst die kritischsten Geister trotz (bzw. gerade wegen!) aller Untaten dürsten sollen:
"Ich schäme mich für mein Land"
rief die amerikanische Politologin Susan George, nachdem sie aufgezählt hatte, mit welchen Methoden die USA dafür sorgen, daß der Hunger in Freiheit todsicher nicht ausstirbt. Man muß sich halt schon sehr identisch mit "seinem" Verein namens Nation erklären, der der Mensch bekanntlich angehört, um sich stellvertretend für die eigene Herrschaft öffentlich in die Büßerecke zu stellen. Linker Patri-Idiotismus! Die Resolution zu
Bitburg/Bergen-Belsen
trug diesen Gedanken als radikale Anklage vor. Sie unterschied sich von den Vorstellungen der Grünen, die es für hygienischer halten, die neuen Kriegsherren Reagan und Kohl hätten ausschließlich und ausgerechnet den Opfern der Nazis die Ehrung abgestattet. Nun haben es die Tribunalteilnehmer allerdings auch nicht bei der korrekten Feststellung belassen, daß diese Herrschaften in Bitburg bei den Leichen in Uniform genau richtig sind. Statt dessen machte man auch auf dem Gegengipfel die Form- und Stilfrage eines anständigen Leichenbegängnisses auf und verurteilte den Staatsbesuch in Bergen-Belsen: "Das ist eine Verhöhnung der Opfer."
Was von solchen Tönen zu halten ist, zeigte die zweite Resolution gegen das
Handelsembargo gegen Nicaragua,
das eine "Verhöhnung der wenige Tage später stattfindenden Feiern der Befrreiung vom Faschismus" darstelle. Es ist schon irre:
Da brauchen die westlichen Demokratien wirklich nicht mehr zu beweisen (weil es ihr Alltagsgeschäft ist), wie souverän und skrupellos sie alle Mittel der politischen Auspowerung, die sie sich gewiß nicht umsonst geschaffen haben, zu handhaben verstehen - und jedesmal gibt die nationale Opposition "bestürzt" zu Protokoll, so etwas traue man eigentlich nur alten Faschisten zu, nie und nimmer aber denen, die ihre Handels- und anderen Waffen gerade zum Einsatz bringen!
Dieses Prinzip, in aller doofen Treue niemals die Herrschaft der Demokratie, sondern immer ihre Abwesenheit für alle Schweinereien verantwortlich zu erklären, spendet zugleich ungeheuer viel Hoffnung. So gelang es den Veranstaltem des "Tribunals" locker, mitten in der "Verschärfung des aggressiven Kurses der kapitalistischen Länder gegen Nicaragua" sofort die Chance zu entdecken, "Reagan eine Niederlage beizubringen". Wie, was, wer? Ganz einfach: "Europa soll die Importe und Exporte übernehmen, aus denen die USA jetzt aussteigen." Kaum verhängen die USA einen Handelsstopp, wird dem eben noch als "ungerecht" gegeißelten Geschäft flugs der Charakter einer Wohltat verliehen, wofür das gute alte Europa einstehen soll. Craxi, Mitterrand, Thatcher und Kohl als Hoffnungsträger der Freunde der nicaraguanischen Revolution - und hinterher darf man wieder furchtbar enttäuscht sein, daß sie "doch" nur Reagan in den Arsch gekrochen seien! So macht sich der Idealismus der irgendwo verborgenen, besseren Absichten der eigenen Herrschaft ziemlich immun selbst noch gegen die frechsten, offen heraus verkündeten Vorhaben der sieben glorreichen Halunken aus dem Freiheitsstall: Hoffnung, Enttäuschung und Scham sind sehr duldsame Tugenden, mit denen sich mit so ziemlich allem Frieden schließen läßt.