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Dieser Artikel ist in der MSZ 6-1985 erschienen.

Systematik

"Die Arbeit der Zuspitzung" oder Die Mythen des Peter Glotz
GEIST UND MACHT INEINS

Der Geschäftsführer der SPD und Universitätsprofessor der Kommunikationswissenschaft gilt bei Intellektuellen als lebender Beweis, daß Macht und Geist sich bestens vertragen und gegenseitig beflügeln - ganz im Unterschied zur 'Birne' Kohl.

Peter Glotz pflegt diesen Wahlspruch seit Jahren, redet als politischer Wissenschaftler auf Germanistentagen über "Die Rückkehr der Mythen in die Sprache der Politik", äußert sich als Politiker und besserer Deutscher programmatisch mit einem "Manifesto per una nuova sinistra" im Ausland und schreibt in seiner Doppelfunktion Bücher. Früher gab er dem gehobenen Publikum Einblicke in die "Innenausstattung der Macht" und führte sich selbst als Opfer seiner Regierungstätigkeit vor. Seitdem die SPD die Regierungsverantwortung in Bonn los ist, klagt Glotz mit "Visionen", "Perspektiven" und "geistigen Diskursen" das Recht der SPD ein, die schwere Last der Politik tragen zu dürfen. Sein Leib- und Magen-Thema ist die Pflicht aller besseren Demokraten, das zu ermöglichen; sein Leib- und Magen-Problem, wie die Partei sie dazu bringt; seine Lösung: "Ich will eine regierungsfähige Linke!"...

Der bürgerliche Wissenschaftler

"Wer die Sprache beherrscht, hat auch Macht über die Motive von Menschen und ihr politisches Votum."

"Aufgeklärte Politik... versucht einen rationalen Diskurs über Güterabwägung und geeignete Mittel, einem Ziel näherzukommen. Der Mythos appelliert an Gefühle. Er verspricht die Geborgenheit des Uralt-Wahren."

Der Mann der Politik- und Kommunikationswissenschaft macht sich um den Irrglauben verdient, die oberste Gewalt mache nicht die Gesellschaft ihrer Machterhaltung und -entfaltung dienstbar, sondern diene einem allgemeinmenschlichen verbreiteten Bedürfnis nach "geistiger Führung" und "Sinnstiftendem". Die Logik kennt jeder Oberschüler aus dem Sozialkundeunterricht: Wenn Politiker über die Lebensumstände des Volkes im Interesse des Staates entscheiden, für den es nicht zu knapp eingespannt wird, sei das ganz umgekehrt eine Veranstaltung, die sich - jedenfalls dem Prinzip nach - nach den "Hoffnungen und Bedürfnissen der Menschen" richte. Und wenn demokratische Bürger ihren Herrschaften die Wahlstimme geben dürfen und von denen zum Kreuzchenmachen agitiert werden, dann sei demokratische Politik genau umgekehrt die Umsetzung der guten Argumente, die - jedenfalls idealiter - für die Wahl ausschlaggebend seien, in die Tat.

Etwas anderes als der tatkräftige und wahlwirksam betriebene Glaube an die 'Überzeugungskraft' von Politik kommt also von vornherein gar nicht in Frage, wenn das Wahlkreuz bei Glotz entweder für gelungene "geistige Überzeugungsarbeit " steht oder aber für Ver-führung durch "Verabsolutierung eines Werts oder Ziels und durch das Versprechen, es gleich erreichbar zu machen". Der Fan "aufgeklärter Politik" klärt gleich darüber auf, daß es bei dem politischen "Kommunikationsprozeß" weder um die Richtigkeit von Argumenten noch gar um die Interessen der von der Politik Betroffenen geht. So idealistisch er der Macht das Gewand der Vernunft und der geistigen Auseinandersetzung verpaßt - es bleibt unstrittig, daß allein die Politiker das Volk darüber aufklären, was sie wollen, und lauter Argumente für die Unausweichlichkeit ihrer Wahl vorbringen sollen. Gefragt und problematisiert ist bei dem Theoretikcr sprachlicher Macht andererseits die 'Mündigkeit' des Bürgers - eine Einstellung zur Politik, die eine Zustimmung der Untertanen garantieren soll, welche dem höheren Standpunkt der Politik gerecht wird. Und da macht sich der SPD-Professor sehr aparte Sorgen um den politischen Gemeinsinn, den er gleich als Frage des sprachlichen Materials bei der politischen Agitation auffaßt, so als ließen sich mit Begriffen die Köpfe automatisch dirigieren. Viel zuviel Entgegenkommen an die Wünsche und Absichten des Volks gegenüber seinen Herren entdeckt er nämlich da bei letzteren. In dem Slogan "Sicherheit durch Stärke" z.B. entdeckt er partout nur ein unerfüllbares Versprechen und nicht ein gewalttätiges nationales Programm und eine längst wahrgemachte Drohung nach innen und außen.

Und den Verführungskünsten, die er in solchen harten Versprechungen für Nationalherzen am Werk sieht, will der Apostel 'geistiger Führung' ausgerechnet dadurch begegnen, daß er für mehr "Realismus" der Politik gegenüber plädiert. "Politische Kultur" sieht der Freund des herrschaftlichen "Diskurses" "Politiker reden - Bürger hören drauf" dann verwirklicht, wenn die Untertanen alle von oben ernannten Notwendigkeiten als Probleme begreifen, die von den politisch Verantwortlichen bewältigt werden müssen, und wenn die Opfer solcher verantwortlichen politischcn Programmbewältigung die Einsicht sich ganz zu eigen gemacht haben, daß alles andere falsche Versprechungen wären.

Der selbsternannte Aufklärer verzichtet erklärtermaßen ganz und gar nicht auf die Absicht der Verführung - zu einem Wahlkreuz nämlich, dessen Macher sich garantiert nichts Falsches mehr von ihren Herren wünschen

"Aber der springende Punkt ist, daß es mit Rationalität allein (?) nicht getan ist. Wir brauchen eine Sprache, die nicht nur zu den Sachen stimmt, sondern die auch Phantasie und Leuchtkraft hat, die Hoffnungen und Wünsche bindet - und dennoch nicht lügt, dennoch keine Mythen fabriziert."

"Wir haben der Versuchung widerstanden, aus Mogadischu einen Mythos zu machen. Aber wir haben auch Wahlen mit dem Slogan geführt: Sicherheit für Deutschland. Das war wahrscheinlich politisch geschickt. Vielleicht war es in der gegebenen Situation der Parteienkontroversen sogar unausweichlich. Aufklärerisch war es nicht."

Politische Propaganda, die sich politischer Ideale bedient und Wünsche weckt, die aber zugleich davor warnt, solche Ideale für eine Verpflichtung der Politiker zu halten, so heißt das Rezept für "rationale Information". Wähler, die nicht mehr enttäuscht werden können und deswegen überzeugt wählen, das soll das Ergebnis "gelungener Kommunikation" sein.

Der SPD -Politiker

Als Mann der Partei sieht Glotz das geistige Ringen um die beste Einstimmung des Volkes auf die Politik im Prinzip entschieden an. Die CDU steht für die falschen Versprechungen, den fehlenden politischen Sinnhorizont, die unerfüllbare Heilslehre, kurz, die Verführung des dummen Volkes. Die SPD aber steht für all die guten Prinzipien politischer Einseiferei, die Glotz der Politik als Wissenschaftler zugeschrieben hat. Sie ist die Partei der Aufklärung oder zumindest der Aufklärer, wie Glotz einer ist.

"Differenziert" wie der Geschäftsführer nun einmal denkt, drückt er das natürlich etwas anders aus. Alles, was die SPD so ununterscheidbar von den Christliberalen in der Regierungsverantwortung geleistet hat - von Mogadischu bis zur "Nach"rüstung genannten Aufstockung der Raketen, von Berufsverboten bis zum Schmidt-Wort vom 'verwöhnten deutschen Volk' - firmiert als Abweichung von einem besseren Geist der SPD, als vergebliches, halbherziges oder unterlassenes Sträuben gegen das vom Christen-Ungeist verführte Volk.

Die munter betriebene Konkurrenz um Macht und Wählerstimmen, die freudig ergriffene Verantwortung für das Gewaltgeschäft unter Brandt und Schmidt, all das wird als leidige Notwendigkeit aufgeführt, der die gute Partei leider gehorchen mußte, wenn - ja wenn sie eben regieren wollte. Daß die führenden Parteiköpfe schon immer das Regieren und seine Notwendigkeiten über die volksfreundlichen Ideale dieses Geschäfts gestellt haben; daß also diese Ideale das Mittel waren, um in diese Verantwortung zu gelangen, und deshalb mit der erfolgreichen Führerschaft die Reformphrasen immer mehr dem demonstrativen Stolz auf das "Modell Deutschland" und seinen Ansprüchen ans Volk zum Opfer fielen - all das soll die SPD-Mannschaft als besonders problembewußte und gute Führung ausweisen. Glotz bürgt dafür mit seinem Mythos von den Nöten und Zwängen einer SPD-Regierung angesichts eines dummen, dummen Volkes unaufgeklärter C-Wähler.

"Mythos rechts - Entmythologisierung links, das ist zu einfach" -

so einfach bringt der geistige Stimmenfänger die Botschaft 'Mündige Bürger wählen nur SPD!' für gehobene Gemüter an den Mann. Damit ist er bei seinem eigentlichen politischen Anliegen.

Der demokratische Parteitaktiker

"Die Zerbrechlichkeit und der Idealismus Petra Kellys mögen uns rühren; ihr Realitätsverlust, ihre demonstrativ vorgezeigte Angst und diese deutsche Mißachtung des politischen Handwerks verderben uns eine halbe Generation."

Eine saubere Aufklärung für kritische Bürger und Intellektuelle! Einwände gegen die Politik in Bonn vor und nach der Wende, Kritik an Rüstung und an der Ruinierung von Land und Leuten - das mag sich alles noch so politikgläubig organisieren, eben als parlamentarische Alternativpartei mit konstruktiven Angeboten an die "Etablierten", mit Appellen an die nationale Verantwortung der Rüstungsmacher und mit Gesetzesinitiativen an das Parlament mit seinen Spar- und Waffenbeschlüssen. Um so mehr legt Glotz den kritischen Geist auf ein einziges, ganz und gar nicht geistiges Prinzip fest - den politischen Erfolg und die Zuträglichkeit für die Oppositionspartei, die überall mit an der Macht ist. "Die Linke", wie Glotz alles vom Juso bis zum Friedensdemonstranten einbegreifend zu nennen pflegt, hat seiner wissenschaftlich autorisierten Politikermeinung nach offensichtlich nur einen Auftrag sich bedingungslos zu dem Argument zu bekehren, daß jeder Unmut über die laufende Politik ein guter Grund für ein Kreuzchen für die SPD ist. Wer das nicht einsieht, wer gar mit seinen politischen Idealen gegen die SPD konkurriert, der erzieht Bürger zu vaterlandslosen Gesellen, weil die einfach nicht so treudoof politik- und SPD-begeistert zu Diensten stehen, wie "wir" Politiker es einfach verlangen können. Die politischen Kritik anliegen, so die uralte, von Glotz gebetsmühlenartig wiederholte SPD-Masche, sind nämlich dann und nur dann gut vertreten, wenn man sie schleunigst aufgibt, Selbstkritik übt und die Partei wählt, die ausdrücklich verlangt, daß man von seinem eigenen kritischen "Idealismus" Abstand nehmen soll.

Das schlagendste Argument für gute "geistige Führung" und intellektuelles politisches Niveau ist offenbar, wenn der Einseifer sich mit seinen Adressaten auch noch darüber 'argumentativ' verständigt, wie man das Volk am besten einseift und daß insbesondere auch sie nur als eins zählen: als Stimmen für eine SPD-Regierung. Überzeugte Demokraten waren schon immer am besten nicht durch Versprechen zu gewinnen, sondern durch die öffentliche Besprechung, wie man sich am geschicktesten zur Wahlurne zerrt.

Und als Gipfel des politischen Sachverstandes und intellektueller Redlichkeit liefert Glotz eine Erläuterung dieses Geschicks, die als Fehler der SPD-"Strategie" und als Versagen "der Linken" ein- und dasselbe festhält: die Frechheit, daß es Demokraten gibt, die sich mit ihrer Kritik an der SPD nicht gleich als SPD-Wahl-Initiative verstanden haben:

"Daß wir aber zugelassen haben, daß die Themen der Ökologie, RüstungskontroUe und Gleichstellung der Frau zu 'parteierzeugenden' Problemen wurden, ist ein politischer Kunstfehler, der vermeidbar gewesen wäre."

Im methodischen Kampf gegen diesen 'Fehler' legt Glotz allen kritischen Untertanen im Lande erst sein Interesse nach Regierung als ihr politisches Selbstverstädnis und einigendes Band ans Herz: "die Linke" - und hält ihnen und sich dann vor, daß sie ihr Anliegen nach Herrschaft schmählich verraten haben.

"Ich will eine regierungsfähige Linke",

sprich: 'Wählt gefälligst SPD, sonst seid ihr hoffnungslose Idealisten', das gilt dann als Bemühung um einen "rationalen Diskurs" mit Grünen!

Der Nationalist

"Eine Linke, die nicht einfach in ein unverbindliches Nein ausweichen möchte, muß sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie das mühsam verdiente Geld ihrer Steuerzahler in einer wirtschaftlichen Krisensituation für hochkomplizierte und sündhaft teure konventionelle Cruise Missiles ausgibt oder für die Entwicklung modernster Methoden der Panzerabwehr. Sie muß entscheiden, ob sie die Deutschen auf einen Weg führen will, der weg von Stahl und Pulver hin zur Elektronik führt, oder ob sie - angesichts der Tatsache, daß alle Waffen töten - sich zu all dem gar nicht äußert und der Rechten das Feld überläßt."

So apart die Kritik ist, angesichts eincr Friedensbewegung, die längst den Standpunkt des knappen Geldes teilt, alternative Verteidigung diskutiert, konventionell contra Atom stellt, so umstandslos macht sich Glotz hier für die geltenden Zwecke der Politik stark und führt, jenseits von Mythen und Aufklärung, die nationalen Notwendigkeiten deutschen Erfolgs als Sachnotwendigkeit an. Alles, was dazu nicht paßt, was nicht auf jeden politischen Anspruch auch die entsprechende nationale Antwort gibt, wie Deutschland eben im Bündnis vorankommt - mag es dabei auch Tote, Arme, ... geben - ist 'naive' "Militärstrategie" = nicht politikfähig, also auch "staatsgefährdend".

Lässig geht es dem Techniker des besten Machterwerbs dabei für seine "Linke" über die Lippen, daß im Interesse Deutschlands und seiner Bürger die Kriegsmannschaft und die Friedensfreunde sich auf ein- und dasselb e Programm verpflichten müssen, das der SPD nämlich, gegen das bekanntlich im Militär niemals Kritik laut werden mußte:

"Entweder man kämpft für ein neues Paradigma der europäischen Sicherheit, das die Chance hat, in der Armee und in der Friedensbewegung... eine Mehrheit zu finden, oder man bekommt die erbitterte Konfrontation zwischen Nuklearpazifisten und Nukleartechnokraten auf dem Rücken einer apathisch werdenden Bevölkerung."

Das bleibt bei all den methodischen Umwegen und strategischen Überlegungen für das mündige "man" als absolutes "Muß" übrig:

"Mit der Gefahr einer gesellschaftlichen Isolierung der Armee sind wir am entscheidenden Punkt überhaupt: Bei der wachsenden politischen Demoralisierung der westlichen Jugend... Ich rede von der Tatsache, daß wir es immer mehr versäumen, junge Menschen, von denen wir Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft verlangen, auf das vorzubereiten, was in den letzten Jahmehnten des 20. Jahrhunderts eigentlich auf sie zukommt... Von der Gefahr, daß das einzige, was unsere Armee zusammenhält, bald die Disziplin sein könnte."

Der Weg von der wissenschaftlichen Verantwortung zum politischen Herrschaftsanspruch ist nicht weit, weder geistig noch personell.