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Reagans SALT II-Manöver
WOFÜR RÜSTUNGSVERTRÄGE NOCH GUT SIND
Ein absurdes Theater hat Reagan bei seinen Verbündeten einen extra gute Ruf und im eigenen Land Kritik von Parteigängern und Zustimmung von der Opposition eingebracht.
"Die Vereinigten Staaten sind bereit, den SALT-II-Vertrag von 1979, der Ende dieses Jahres formell auslaufen würde, so weitgehend wie möglich weiter zu respektieren, falls auch die Sowjetunion sich an das Abkommen hält, ihre nukleare Aufrüstung bremst und die Bereitschaft zu Kompromissen bei den Genfer Abrüstungskontrollverhandlungen erkennen läßt." (Süddeutsche Zeitung, 12.6.)
Warum eigentlich hat der Mann, der Amerika für alle Ewigkeit unbesiegbar machen möchte, nicht auf den Rat seines Verteidigungsministers sowie konservativer Gesinnungsgenossen gehört und den Vertrag einfach aufgekündigt, wie man allenthalben von ihm erwartet haben will? Einen Vertrag, den die USA nie ratifiziert haben, den Reagan entschieden ablehnt und der Ende 1985 ausgelaufen wäre?
Was die zügig voranschreitende amerikanische Waffenproduktion selber betrifft, ist der Streit um die SALT-II (und ABM-) Abmachungen sowieso völlig gleichgültig. Schließlich waren die Verträge und ihre Auslegung von Haus aus nicht dazu gedacht, auch nur von einem einzigen der vorgesehen Kriegsmittel Abstand zu nehmen. In der Form von Begrenzungsversprechungen hatten beide Parteien nämlich nur offiziell die Anzahl Raketen festgestellt, die sie längst aufgestellt hatten, und sich die großzügige Erlaubnis erteilt, weitere Raketen aufzustellen, mit dem einzigen Vorbehalt, es dürften nicht mehr als 1.200 Mehrfachsprengköpfe postiert und nur ein neuer Langstreckenraketentyp entwickelt werden. Dieser Vorbehalt war so genau auf die amerikanischen Rüstungsbedürfnisse berechnet, daß die USA justament zum Zeitpunkt seines Auslaufens die erlaubte Obergrenze erreicht haben - und durch die Ausstellung veralteter Atomwaffen lässig einhalten können. So sind ganz im Sinne des Vertrages die begehrten Wuchtbrummen in Zahl und Qualität angewachsen. Die Cruise missiles gehen in die zweite Generation, und die Planung und Arbeit an der neuen Langstreckenrakete Midgetman sowie an dem Weltraumverteidigungssystem ist auch keine Minute ins Stocken geraten.
Aber auch von dem Geist, der den amerikanischen Kongreß bewogen hat, die Ratifizierung zu verweigern, und viele jetzt den offiziellen Bruch fordern läßt, ist kein i-Tüpfelchen zurückgenommen worden. Die Beschwerde, ein solcher Vertrag binde nur Amerika, und es sei eben zu bezweifeln, "ob mit den Sowjets überhaupt funktionierende Rüstungskontrollverträge geschlossen werden können", ist dwch die ungetrübten eigenen Rüstungsfortschritte mit und ohne Vertrag längst widerlegt. Aber mit dieser Beschwerde war ja schon damals gemeint gewesen, daß man der Gegenseite nicht mehr das bißchen Anerkennung zugestehen will, das eben jede Vertragsform schafft, sei ihr Inhalt auch noch so feindschaftlich begründet. Man wollte demonstrativ die Unvereinbarkeit der beiden Systeme und die Unverträglichkeit sowjetischer Politik feststellen. Diese von Reagan damals wahlkampfträchtig ausgeschlachtete Absicht hat er mit seiner "Konzession" nicht fallen lassen. Das Abkommen mit der Sowjetunion hat er durch den einsamen Beschluß ersetzt, sich nach Gutdünken auf SALT-II-Regelungen zu berufen oder auch nicht. Ausgerechnet dieses Manöver wurde aber auf dem Hintergrund der Kongreßablehnung als ein Zugeständnis interpretiert, das die sowjetische Seite zu Entgegenkommen in der Sache verpflichtet. Genau dafür war die großartige amerikanische Selbstverpflichtung auch nur gedacht.
Und genau das hat Präsident Reagan nun zum öffentlichen Thema gemacht und damit das Nicht-Vertrags-Werk seiner vorletzten Zwecksetzung zugeführt: Es dient nun offiziell als Dauertest auf sowjetische Vertragstreue; und das, nachdem man längst ex cathedra festgestellt hat, daß nach US-Sicht die Sowjetunion im Gegensatz zu den USA beständig gegen die Abmachungen verstößt. Die kontroversen Berechnungen beider Seiten und die "überparteilichen" Studien "angesehener internationaler Institute" plus deren Beschwerden über die Uneinheitlichkeit der anzulegenden Meßlatten belegen diesen Zweck des Vertrags. Er war von Anfang an auf das Bedürfnis der Rüstungsdiplomaten zugeschnitten, nach Bedarf Definitionsfragen aufzuwerfen und damit der anderen Seite rüstungspolitische Verbrechen vorzuwerfen.
Egal, was die US-Regierung noch alles vorhat, es ist damit vorab gerechtfertigt als ungewollte und bis zum letzten aufgeschobene Reaktion. Was für jeden sowieso längst klar und geplant ist, das wird schon jetzt vergangenen und künftigen sowjetischen Verfehlungen angelastet, die man endgültig aktenkundig macht. Schon jetzt geht Reagan mit dem Versprechen hausieren, "mit der geplanten Midgetman eine weitere Interkontinentalrakete zu stationieren, da die Sowjetunion ebenfalls über einen Raketentyp mehr verfügt, als das Abkommen zuläßt". Und Weinberger, der nach öffentlicher Auskunft eine bittere Niederlage gegenüber Shultz erlitten hat, "soll bis Mitte November eine umfassende Studie aller möglichen amerikanischen Schritte und Gegenmaßnahmen vorlegen, die im Fall anhaltender Verletzungen des SALT-II-Abkommens durch die Sowjetunion unternommen werden können". So werden die Rüstungsfortschritte über die Grenzen des SALT-Vertrages hinaus als ernsthaftes Bemühen um seine Einhaltung inszeniert, das vom Gegner leider vereitelt worden ist.
In der US-Innenpolitik hat der Präsident es nur mit solchen Kritikern zu tun, die diese Inszenierung ernst nehmen, um ihm Inkonsequenz vorzuwerfen.
"Der Präsident kann nicht unentwegt die Sowjetunion der Verletzung des SALT-II-Abkommens beschuldigen und auf handgreifliche Gegenmaßnahmen verzichten." (Süddeutsche Zeitung, 12.6.)
Das offizielle Ende von SALT und ABM, rüstungstechnisch geboten und politisch erwünscht, steht damit auf der Tagesordnung. 1986 spätestens wird mit dem nächsten Trident-U-Boot und mit den Entwicklungsfortschritten des SDI-Programms auch die Liste der SU-Verstöße allbekannt sein: Sie lassen sich nicht einfach totrüsten! Die Botschaft ist angekommen. Nicht zuletzt in Europa. Genscher und Co. können wieder einmal stolz sein: Reagan hat sich angeblich ihren Wünschen angeschlossen. Wer vom US-Präsidenten nichts als die Erledigung des Kommunismus erwartet, der findet in den dabei angewandten Methoden und Bündnisabsprachen eben auch immer noch den Willen zu irgendeiner Verständigung, die leider immer an irgend etwas bzw. an der anderen Seite scheitert. So leicht kann ein Cowboy die hohe Schule europäischer Entspannungsdiplomatie zufriedenstellen!