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Dieser Artikel ist in der MSZ 7-1985 erschienen.
ZUR POLITISCHEN ÖKONOMIE DES REALEN SOZIALISMUS
Der Einfall, einen Sozialismus aufzumachen, ist den Staatsgründern des Ostblocks aufgrund ihrer Kritik am Kapitalismus gekommen. Inwiefern diese Kritik mit der von Marx übereinstimmte und wo nicht, läßt sich durch das Studium beider Abteilungen klären. Wer in bezug auf die Differenzen richtig liegt, auch. Allerdings nicht durch die Ernennung des älteren Kritikers zur unanfechtbaren Berufungsinstanz, sondern durch Prüfung der Argumente.
Wer beide Parteien als Berufungsinstanz retten möchte, kann die durchaus gegensätzlichen Befunde über Kapital und Lohnarbeit, Geld und Kredit, Staat, Außenhandel etc. für vereinbar halten. Er braucht dazu nur ein paar falsche Gedanken über "allgemein", "konkret", "historische Lage" zu bemühen. Dann hat er gleich ein paar Instanzen, die seinem Traditionsbedürfnis entsprechen.
Heute, Jahrzehnte danach, beruft sich die Führungsmannschaft des realen Sozialismus immer noch auf Marx und die anderen, und sie kritisiert immer noch den Kapitalismus. Inzwischen allerdings gerne durch einen Vergleich mit dem eigenen System:
"Zum erstenmal in der Geschichte erhielt der Staat die Möglichkeit, die Entwicklung der Wirtschaft im Rahmen der gesamten Gesellschaft zu organisieren und zu lenken..."
"Der bürgerliche Staat kann niemals zu einer gesamtgesellschaftlichen Planung und Leitung der Produktion emporsteigen. Selbst im Kriege, wenn der staatsmonopolistische Kapitalismus seine höchste Stufe erreicht, ist eine planmäßige Leitung der gesamten Produktion nicht möglich, weil das auf dem Privateigentum beruhende Privatinteresse, d.h. das Profitintererse, oberstes Gesetz bleibt."
Mit diesem Vergleich wird nicht nur dem Kapitalismus ein Mangel atttstiert, den dessen Staat offensichtlich gar nicht als solchen verbucht. Schließlich sorgt er mit seiner Gewalt dafür, daß das Privateigentum "oberstes Gesetz" bleibt. Und als Garant des freien Marktwirtschaftens und von dessen Erfolgen "lebt" die politische Herrschaft so gut, daß sie ihr System über alles preist und versucht, alle auswärtigen Schranken für e s niederzureißen. Ein Vorzug allerdings wird aus der Möglichkeit, "zu organisieren und zu lenken", wenn das im Kapitalismus übliche Verhältnis zwischen "Wirtschaft" und Staat als die Beschränkung der politischen Gewalt genommen wird, mag diese noch so unerbittlich die Maßstäbe des Kapitals in Kraft setzen. Seltsamerweise verstehen sich Sozialisten, die doch mitbekommen haben müssen, daß die Amtsenthebung jener "ohnmächtigen" Instanzen eine Frage des Kampfes ist, auch noch auf bürgerliche Abstraktionen, die es in sich haben. Das Lob des Sozialismus mit dem scharfen Argument, da hätte der Staat mehr z u melden als der bürgerliche Klassenstaat in seiner Gesellschaft, wird ja präzisiert - in bezug auf die "Produktion", die "Wirtschaft" sollen die Befugnisse der öffentlichen Gewalt gewachsen sein und einen Segen darstellen! An solchen Komplimenten können es sich selbst in Sachen Klassiker zurückhaltende Leute kaum verkneifen, an Marx zu erinnern. Dem ist es nämlich schon um die Überwindung eines Produktionsverhältnisses gegangen, das auf der Ausbeutung einer Klasse beruht, die durch den dazu passenden Staat gesichert und betreut wird! Und diese Überwindung war ihm keineswegs als ein Programm geläufig, das dem Staat mehr Kompetenzen bei der "Entwicklung der Wirtschaft" einräumt. Wenn dagegen reale Sozialisten von heute ihren Systemvergleich entscheiden, "rechtfertigen" sie die Beseitigung des Privateigentums sehr eigenartig. Sie sei
"nicht nur vom Standpunkt der Entwicklung der Produktivkräfte historisch notwendig, sondern zugleich rechtmäßig".
Ob dieser gute Grund für die sozialistische Revolution auch noch urkundlich verbrieft ist, interessiert herzlich wenig - die Deutung eines Befundes, nach dem sich Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte in die Haare geraten, ist ebenso beliebt wie der einschlägige Umgang mit Krise, Stagnation und Fäulnis als den untragbaren Schattenseiten des Kapitalismus. Hier wird dem Kapital, das die Produktivkräfte rücksichtslos gegen den Arbeiter und die Natur entwickelt, nichts Geringeres angelastet als ein Versagen in der Pflege und Steigerung der Produktivkräfte - und dem Sozialismus auf ebendiesem Felde seine grundlegende Überlegenheit bescheinigt. Diese rührt daher, daß der Staat im Sozialismus endlich seiner Berufung ungehindert nachkommt: E r bestimmt Produktion und Verteilung des Reichtums, und zu dessen Vermehrung setzt e r alle Hebel in Bewegung.
Die neue Produktionsweise, die er damit etabliert, entlehnt zwar die Namen der Hebel aus dem Kapitalismus. Der Sache nach aber handelt es sich um ökonomische Kategorien "neuen Typs".