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Zhao Ziyang in Europa
AUF DER SUCHE NACH WELTMACHT
Der chinesische Ministerpräsident war auf Staatsbesuch in Europa und machte "im eleganten dunkelblauen Nadelstreifen-Zweireiher mit weißem Ziertuch eine tadellose Figur" ( Die Zeit) auch bei Westdeutschlands Politikern, Unternehmern und Öffentlichkeit. Zu welchem Zweck eigentlich?
Daß die Ex-Blaukittel aus Peking - wie in allen Blättern vermeldet - westliche Geschäftsinteressen als non plus ultra zur "Modernisierung" ihrer Wirtschaft entdeckt haben, ist nur die halbe Wahrheit. Mit und auf seinem Europabesuch unterstrich Zhao Ziyang auch den chinesischen Anspruch, Außenpolitik im Weltmaßstab zu treiben. Dabei sind die Männer aus Peking gar nicht bescheiden und reklamieren bei ihren europäischen Kollegen eine natürliche Bündnispartnerschaft:
"Mit ihrer Lage an zwei Enden der euroasiatischen Landmasse haben Westeuropa und China Schlüsselpositionen für die Verteidigung des Weltfriedens." (Beijing Rundschau 6/85, S. 16)
Wie es sich für einen anständigen Anwärter im Kreis der führenden Mächte gehört, wird das nationale Interesse als originärer Beitrag vorgestellt, als Beitrag zu dem gemeinschaftlichen Ideal einer stabilen Weltordnung, in deren Namen heutzutage der Frieden ständig strapaziert wird. Gegen welche politische "Landmasse" die geostrategische "Lage" dabei überhaupt ein Argument abgibt, ist klar. Aber einfach bloß russische Raketen und Bataillone binden, wie sich das mancher NATO-Nationalist wünschen mag, darauf legen die chinesischen Herren ihr Land mit diesem freundschaftlichen Hinweis auch nicht fest. Sie werben damit vielmehr für ihr Konzept einer
Weltpolitik der Dritten Art: Mit Macht den Supermächten begegnen
In ihrem außenpolitischen Weltbild, nach altem chinesischen Brauch in die F orm einer "Theorie" gegossen, heißt das internationale Verbrechen "Hegemonismus"; und dessen machen sich insbesondere zwei schuldig, die "beiden Supermächte":
"Hegemonismus bedeutet, nach außen eine Aggressions- und Expansionspolitik zu verfolgen, um Regional- oder Welthegemonie zu erreichen... gewaltsame Verletzung der Souveränität und Unabhängigkeit anderer Länder, Einmischung in die inneren Angelegenheiten und Kontrolle und Beherrschung dieser Länder." ("Zur Erhaltung des Weltfriedens muß der Hegemonismus bekämpft werden" in: China und die Welt 4, S. 34)
Eigentümlich substanzlos sind diese Vorwürfe, aus dem idealistischen Vokabular zwischenstaatlicher Beschwerden wohlbekannt. Ein Ideal respektierter Souveränität, bar jeden Inhalts, gibt nämlich hier den Maßstab ab, an dem Weltpolitik gemessen wird. Wie hiesige Theoretiker der 'Internationalen Politik' stellen sich die chinesischen Regierungssprecher ganz auf den ideellen Standpunkt einer internationalen Ordnung. Und wie wenn ihnen völlig unbekannt wäre, daß es immer noch ökonomische, rechtliche, politische und militärische Interessenkonflikte zwischen den Staaten sind, die sie an- und gegeneinander geraten lassen, sehen sie ganz tautologisch die Weltlage durch Machtkonflikte gefährdet - durch das Streben von Mächten nach mehr Macht mit dem Mittel der Macht. Unter diesem Gesichtspunkt entdecken sie zwischen den USA und der Sowjetunion wahrhaftig keinerlei Unterschied mehr, wohl aber einen entscheidenden zum Rest der Welt: das Quantum an Macht und das Streben nach immer mehr und mehr Macht. Zur außenpolitischen Richtschnur gemacht, folgt daraus ein klarer Auftrag: Die restliche Welt muß stärker werden! Die "Modernisierung" des außenpolitischen Weltbildes ist unübersehbar. Vorbei sind die Zeiten, da sich die Mao-Jünger die Befreiung der unterdrückten Völker und die Weltrevolution aufs Banner schrieben nach dem Motto: "Völker der ganzen Welt, vereinigt Euch und besiegt die USA-Aggressoren und alle ihre Lakaien!" Vorbei aber auch das Konzept eines eigenen nationaleevolutionären Wegs gegen den "Sozialimperialismus" und der Völkerfreundschaft zur Dritten Welt. Erst recht vorbei die Propaganda vom unvermeidlichen Krieg und gegen jede Koexistenz. Die alten Vokabeln "imperialistisch", "kolonialistisch", "sozialimperialistisch" kommen nur noch als Attribute des "Hegemonismus" vor.
Praktisch tritt die VR China weder für die weltweite Freiheit des Kapitals noch für den Sieg irgendeiner Sorte Sozialismus ein. Beides behandelt sie als gleich-gültig, Was immer die Männer in Peking auch unter ihrem Sozialismus verstehen mögen; dessen Durchsetzung nach außen abzuschwören, ist die Grundlage ihrer heutigen Diplomatie. Sie lassen jeden wissen, daß sie jede Form der Unterstützung kommunistischer Parteien ablehnen, "die die zwischenstaatlichen Beziehungen zu dem jeweils anderen Land schädigen könnten." (Parteichef Hu Yaobang), versprechen also, nur noch inter-nationalistisch zu verfahren. Und dieses Interesse an guten Beziehungen von Regierung z u Regierung kommt ausdrücklich als Respekt gegen jede fremde Souveränität und als Absage an dogmatische Bevormundung daher:
"Welche Gesellschaftsordnung ein Staat wählt, dies ist unserer Meinung nach einzig nnd allein Sache des Volkes des jeweiligen Landes und kann nur von ihm selbst entschieden werden."
Früher wollten die Völker laut chinesischer Überzeugung unbedingt nationale Befreiung und Sozialismus. Heute wollen sie die freie Betätigung ihrer Nation.
Polemisch ist dieses politische Weltbild daher nur noch gegen die wirklichen oder eingebildeten Beschränkungen nationaler Politik. Und dagegen etwas zu unternehmen, sehen sich Chinas Politiker aufgerufen und befähigt.
Erfolgreiche Konkurrenz mit den Supermächten
heißt ihr globales Patentrezept. Und sie haben ausgerechnet bei diesen Mächten die besten Voraussetzungen gefunden, daß dieses Rezept für China und den Rest der Welt aufgehen könnte. Im Gegensatz uon Ost und West wittern die 'gelehrigen Neulinge auf dem internationalen Parkett nämlich die Chance für eine eigenständige Weltpolitik, für die China ihrer Meinung nach durch Lage, Größe und Volksmasse geradezu prädestiniert ist:
"Die Amerikaner möchten, daß wir uns auf ihre Seite schlagen, und die Sowjets versuchen, uns wieder an sie zu binden. In China lebt ein Viertel der Menschheit. Indem wir uns weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen und zu beiden Supermächten Distanz halten, dienen wir der Erhaltung des Weltfriedens." (ein chinesischer Regierungssprecher)
Chinas Politiker bilden sich eine Bedeutung ihres Landes für die Sowjetunion und für die USA ein, an der diese nicht vorbeigehen können sollen, weil China sich jeder der beiden Seiten ganz souverän verweigert.
Die Herrschaft über ein Viertel der Menschheit hält man in Peking schon für dasselbe wie weltbewegende Staatsmacht; die strategische Lage im Hinblick auf zwei verfeindete Weltmächte schon für dasselbe wie eine eigenständige militärische Macht; das Interesse an China und die entsprechenden Angebote für eine Weltmachtrolle, die den Supermächten Grenzen setzt. China definiert sich als Weltmacht, obwohl ihm dafür alle Mittel fehlen und es bestenfalls auf das Stückchen Spielraum spekuliert, das die Konkurrenz der beiden Großmächte dem Reich der Mitte einräumt. Tatsächlich ist dieser Spielraum nicht so übermäßig; erst recht, seit die USA, mit der NATO im Rücken, die ganze Staatenwelt unter Frontgesichtspunkten durchmustern und noch die letzten möglichen oder wirklichen Statthalter sowjetischen Einflusses unerbittlich bedrohen - seit also weltpolitische Parteinahme verlangt ist. Da müßte man schon nach allen Regeln der internationalen Staatenkunst eine wirkliche Weltmacht sein, um sich diesem Zwang entziehen oder gar Bedingungen für das Interesse der Konkurrenten am eigenen Wohlverhalten stellen zu können. Daß sie überhaupt auf einen solchen Spielraum spekulieren können, liegt daran, daß ihr Land nicht vollständig einsortiert und abhängig von einer der beiden Weltmächte ist. Genau diese Lage reflektieren die chinesischen Führer staatsidealistisch nach zwei Seiten. Einerseits beklagen sie, daß "China noch nicht die Fähigkeit habe, einen Krieg zu verhindern. China müsse gestärkt werden" (Deng Xiaoping). Andererseits wissen sie für ihr Versprechen, "daß ein starkes unabhängiges China zur Stabilität der Welt beitragen wird" - ein Versprechen, das sie ausgerechnet den Europäern in den Mund legen -, gar keinen anderen Inhalt anzugeben als den der garantierten Unabhängigkeit. So abstrakt, wie ihre Kritik, ist ihre Zukunftsperspektive, die sie dem übrigen Dreiviertel der Menschheit anzubieten haben:
"China wird niemals nach Hegemonie streben."
"Das bedeutet, daß China niemals danach streben wird, eine Supermacht zu werden..." (China und die Welt 4, S. 27)
Das typische Machtprogramm eines Staates, der gar keinen bestimmenden und materiell abgesicherten Einfluß (zu verteidigen), also auch keine bestimmten weltweiten politischen Gegensätze (auszutragen) hat. Das hat der Menschheit gerade noch gefehlt: ein chinesischer Nationalismus, der in der Vorkriegslandschaft mit dem Versprechen Außenpolitik treibt, von seinen vorgestellten Machtmitteln freundlichst keinen Gebrauch zu machen, außer zur Wahrung der Souveränität anderer Staaten!
Die natürliche Weltachse Bonn - London - Beijing
Die weltpolitische Diagnose, mit der die VR China sich als Weltfriedensmacht empfiehlt, könnte auch von Kohl stammen:
"Mit einem Wort, überall in der Welt herrschen Turbulenz und Unruhe." (China und die Welt 4, S. 30)
Fürs Ruhestiften haben die Chop-Suey-Sozialisten sich ausgerechnet die Westeuropäer als Hauptbündnispartner ausgesucht. Ausgerechnet bei den Machthabern, die das Frontgebiet gegen die Sowjetunion befehligen, die durch ihre NATO-Bündnispartnerschaft aktive Mitgestalter der imperialistischen Weltordnung sind, ohne deren Geld und Waffen auch nicht eine "Turbulenz" in der Welt entsteht und "geregelt" wird, ausgerechnet in London, Bonn und Amsterdam entdecken die Chinesen kongeniale politische Geister!
"China und Westeuropa sprechen eine gemeinsame Sprache, was die Ost-West- und die Nord-Süd-Frage betrifft. Es gibt keine Interessenkonflikte." (Beijing Rundschau 6/85, S. 1).
Diese politische Interpretation ist irgendwie konsequent. Die Unter-Mächte sind eben auch Opfer ihrer Supers, mögen sie parteilich stehen, wo sie wollen. Daher entdecken die chinesischen Lagebeurteiler in den Fortschritten der NATO und den dazugehörigen nationalistischen Debatten und Methodenstreitigkeiten eine fortschreitende Distanz der Europäer zu den USA. Und in der europäischen Darstellung der Feindschaft sehen sie ein vernünftiges Maß an wirklichem 'Entspannungswillen' gegenüber der Sowjetunion am Werk. Vom Streit um das Röhrenembargo bis zur Nachrüstung - durch die chinesische weltpolitische Brille gesehen gibt alles Anlaß zur Hoffnung auf den Niedergang der Supermächte und das Anwachsen der neutralen dritten guten Weltmachtkraft:
"Ebenso wie China bekämpfen die west-europäischen Länder den Hegemoinismus und streben nach der Errichtung einer friedlichen internationalen Umgebung. Sie sind gegen die Intervention durch die USA oder die Sowjetunion in der Dritten Welt und wünschen, daß mehr Länder als starke unabhängige Kräfte in der Welt auftreten, so daß die Supermächte die internationalen Angelegenheiten nicht mehr willkürlich manipulieren können." (Beijing Rundschau 6/85, S. 17)
So weltfremd sich diese "Analyse" ausnimmt - gerade indem die chinesische Politik sich so gleichgültig gegen die wirhlichen Absichten der NATO-Bündnispartner stellt, spekuliert sie auf ein europäisches Eigeninteresse an China und bietet gute Beziehungen und das eigene Interesse an viel westlicher Unterstützung bei seiner 'Modernisierung' zum beiderseitigen Vorteil an.
Wenn Strauß und andere überzeugte Europäer umgekehrt Zhao Ziyang den kostenlosen Gefallen tun und China "als dritte Großmacht im Weltmaßstab in Erscheinung getreten" sehen, dann pflegen sie dieses Interesse mit gutem Grund. Denn über das Geschäftliche hinaus kümmert man sich so tatsächlich um die Berechenbarkeit des Reiches der Mitte nach westlichen Maßstäben. Worin die beschränkte geopolitische Nützlichkeit des chinesischen Nationalismus idealerweise besteht, das gab Kohl seinem Staatsgast als Trinkspruch mit auf den Weg:
"Die Volkrrepublik China trägt durch ihr entschlossenes Auftreten gegen alle Verletzungen der internationalen Rechtsordnung in ihrer engeren und weiteren Region zur Fertigung der Friedens bei. Chinas Unterstützung des kambodschanischen und afghanischen Volkes und sein nachdrückliches Verlangen nach Abzug aller fremden Truppen aus beiden Ländern bleiben eine wesentliche Voraussetzung dafür, politische Lösungen zu finden..."
So wird den Chinesen attestiert, wie man tatsächlich mit ihnen als eigene Größe kalkuliert: als regionale Macht, als Atommacht, als geostrategische Position - und als ziemlich berechenbare Diplomaten ohne eigene Weltmacht, aber mit viel Interesse an den imperialistischen Weltordnungsmächten. Das will man natürlich erhalten und ausbauen - mit kräftiger deutscher Beteiligung.