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Dieser Artikel ist in der MSZ 10-1985 erschienen.

Systematik

Keine Korrespondenz
"GEGNERISCHE ORGANISATION: MARXISTISCHE GRUPPE"

Vorlage zur Beratung im
( ) Geschäftsführenden Bundesvorstand
(x) Bundesvorstand
( ) Bundesausschuß

Vorstandsbereich: Ernst Breit

Abteilung: Vorsitzender

Beschlossen am 10. Juni 1985

Datum/Zeichen: 13. Juni 1985 Vors.-LK-Se

Betreff: Gegnerische Organisationen / Marxistische Gruppe (MG)

Beschlußvorschlag

Der Bundesvorstand beschließt:

1. Die Ende der 70iger Jahre aus den "Roten Zellen" hervorgegangene Marxistische Gruppe ist eine gewerkschaftsfeindliche Organisation.

2. Die Marxistische Gruppe fällt unter den Beschluß des Bundesvorstandes vom 02. Juli 1974.

3. Der DGB-Bundesvorstand geht davon aus, daß alle Mitgliedsgewerkschaften die organisatorischen Schlußfolgerungen aus diesen beschlüssen (BV vom 02.07.1974 und 02.07.1985) ziehen.

Begründung

Die Marxistische Gruppe umfaßt z. Zt. etwa 1.500 Mitglieder und eine weitaus größere Zahl von Kandidaten und Sympathisanten. Ihre ursprünglich auf den Hochschulbereich konzentrierten Aktivitäten richten sich in zunehmenden Maße auf den Betriebs- und Gewerkschaftsbereich. Immer häufiger stören Vertreter der Marxistischen Gruppe gewerkschaftliche Veranstaltungen. Darüber hinaus verschärft die Marxistische Gruppe ihre antigewerkschaftliche Agitation in Publikationen und Demonstrationen.

In einem gegen den DGB gerichteten Manifest der Marxistischen Gruppe heißt es: "Mit seiner ganzen Macht tritt dieser Einheitsverein für das Wohl der Wirtschaft und der Nation ein. ... Konsequent behandelt er die Lohnabhängigen als die Manövriermasse der Konjunkturen, die der Staat und die Geschäftswelt ins Werk setzen. Eine solche Gewerkschaft ist keine Bedingung, die die Arbeiter je zu ihren Gunsten ausnützen könnte. Sie ist nicht zu verbessern, sondern zu bekämpfen."

In einer weiteren These gegen den DGB schreibt die MG: "Die Gewerkschaft will kein Feind des Kapitals sein. Deshalb macht sie aus Lohnverhandlungen ein um so größeres Theater. Gespielter Klassenkampf für Lohnsenkung."

Es folgt weiter: "Was ist Mitbestimmung? Wenn die Gewerkschaft nicht Partei sein will, sondern Mittler. Wenn sie nicht für die Interessen ihrer Mitglieder eintritt, sondern mit Staat und Kapital über die rentabelste Benutzung der nationalen Arbeitskraft berät. Wenn der soziale Frieden das höchste gewerkschaftliche Gut ist."

Die MG schlußfolgert: "Wir meinen, drei Jahrzehnte DGB sind genug."

Der vorliegende Beschluß erfüllt den Auftrag des Antrags 43 des 12. Ordentlichen Bundeskongresses von 1982."

An die Kreisgeschäftsführer und Bezirkssekretäre der ÖTV Hessen

Gewerkschaft Öffentliche Dienste
Transport und Verkehr
Bezirk Hessen
Bezirksleitung

6000 Frankfurt 1, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77, Tel 069/2569 (1) 210

Zeichen BV-I-M/k Datum 04.07.85

Liebe Kollegin, liebe Kollegen,

Der DGB-Bundesvorstand hat in seiner letzten Sitzung am 02. Juli 1985 beschlossen, daß die sogenannte Marxistische Gruppe (MG) eine gegnerische Organisation ist und damit unter die Unvereinbarkeitsbeschlüsse vom 02. Juli 1974 fällt. Nähere Einzelheiten werden mit der nächsten Ausgabe von ÖTV-intern allen Sekretären mitgeteilt.

Wir bitten, die Kreisvorstände davon zu unterrichten.

Sollten sich aufgrund des Beschlusses konkrete Konsequenzen nach Paragr. 6 der Satzung ergeben, bitten wir, diese mit der Bezirksleitung abzustimmen.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Herbert Mai

F.d.R.

Ilse Kröh"

Aus dem gewerkschaftsinternen Hetzpapier, mit dem einige maßgebliche Ideologen der ÖTV gegen MG-verdächtige Positionen von Kollegen zu Felde gezogen sind und den Unvereinbarkeitsbeschluß erwirkt haben (die Hervorhebungen sind vom Original übernommen):

"Um die gegenwärtige Bedeutung der MG zu verstehen, ist es erforderlich, die spezifische Differenz der genannten Gruppe gegenüber anderen politischen Ausdrucksformen, die sich seit dem Ende der antiautoritären Studentenrevolte... konstituierten, zu ergründen, denn: Die MG konnte ihren Mitgliederbestand innerhalb von drei Jahren verdoppeln... (vgl. Verfassungsschutzberichte).

Wie ist die Bedeutungszunahme dieser Gruppe zu erklären?

Das Ende der Studentenbewegung leitete bei dem 'aktivistischen' Teil der Kritiker der 'formierten Gesellschaft' den Beginn der Suche nach dem 'revolutionären Subjekt' ein; bekanntlich war die Zeit von 1964 bis 1968 noch durch die berechtigte Skepsis bezüglich der 'revolutionären Möglichkeiten der Arbeiterklasse' geprägt. Durch verschiedene theoretische Entwürfe ... wurde die Arbeiterbewegung als nicht mehr systemnegierend, sondern als integrierter Teil des entwickelten Spätkapitalismus ausgemacht. Diese u.E. überwiegend richtige Betrachtung beruhte jedoch damals schon auf einem zentralen Fehler: Sie unterstellt einfach, es habe jemals eine revolutionäre Arbeiterbewegung (ABW) gegeben. Alle ernstzunehmenden sozialhistorischen Untersuchungen belegen, daß trotz aller zum Teil verbalradikaler Programmatik die alltägliche politische Praxis der ABW gerade auch in Deutschland vor 1914 reformistisch strukturiert gewesen war...

Die spätkapitalistische Gesellschaft wurde gerade von den o.a. Gruppen, die es in ihrer Ahistorizität dann noch dazu brachten, sich auf Lenin und Stalin zu berufen, als grundlegend veränderbar gesetzt; die Analyse der komplizierten gesellschaftlichen Realität... wurde nicht ernsthaft angegangen.

Marxistischer Geschichtsoptimismus war angesagt; daß es viele gute Gründe gibt, warum die Arbeiterbewegung gerade in der Bundesrepublik eine kooperative und reformistische Politik betreibt, die explizit staatsbezogen ist, wurde nicht begriffen. ...

Ein Merkmal, welches die K-Gruppen, die DKP und die MG eint, ist die Denunziation der politischen und sozialen Rahmenbedingungen, die Voraussetzungen für eine kontinuierliche gewerkschaftliche Praxis sind, nämlich politische Demokratie, Menschenrechte usw. Der demokratische Teil der Arbeiterbewegung der Bundesrepublik (Gewerkschaften, SPD, christliche Arbeiterbewegung) hat zumindest die historischen Katastrophen wie den Nationalsozialismus und den Stalinismus verarbeitet und von daher zu Recht einen positiven Bezug zu den Institutionen der politischen Demokratie entwickelt. ... Gewerkschaftspolitik muß hier und heute die unmittelbaren praktischen Probleme der Kolleginnen und Kollegen lösen...

...Im Unterschied zu den genannten 'Avantgardeparteien' begreift sich die MG ... von Anfang an als Theoriezirkel. Die MG hat bis heute keinerlei positive Zielvorstellungen entwickelt; ihr Programm ist die Kritik realer Herrschaft - sie verbleibt bei reiner Negation."

"Folgerichtig denunziert die MG alle relevanten sozialen Bewegungen (vor allem die Gewerkschaften, aber auch die Ökologie- und Friedensbewegung), die problematische Prozesse der Gesellschaft thematisieren und in praktische Politik transformieren wollen, als systemimmanent, staatstragend bzw. nationalistisch. ... Der MG-Standpunkt führt zur Nicht- Politik; er beschränkt sich auf das zynische Kommentieren aller Anstrengungen, die zu einer Verbesserung der Lebenschancen (im weitesten Sinn) der Menschen in dieser Gesellschaft führen können.

Bekanntlich führt Nicht-Politik dazu, daß andere gesellschaftliche Gruppen bzw. Bündnisse nicht besetzte Politikfelder beanspruchen; der konservativen Politikgestaltung kann keine Alternative mehr entgegengesetzt werden."

"Die MG ist die u.E. konspirativste politische Gruppierung. Über ihre inneren realen Strukturen und Mechanismen (Rekrutierung, Selektion, Prüfungen! usw ) ist uns kaum etwas bekannt."

"Der Lohn stellt somit auch 'die allgemeine Form der modernen Armut' dar. Daher weist die MG auch die Selbsteinschätzung vieler Arbeiter "Heute geht es dem deutschen Arbeiter gut", als krasses Fehlurteil zurück, das nur aus der Dummheit der Arbeiter zu erklären ist. Es sei nämlich falsch, seine heutige Lebenssituation mit der der Väter und Großväter oder gar mit den Arbeitern anderer Länder zu vergleichen. Als Maßstab müsse vielmehr die Lebenslage der Bourgeoisie gewählt werden. Die realen Bedürfnisse der realen Menschen interessieren die MG nicht. Nur das Interesse des einzelnen Lohnarbeiters an möglichst hohem Lohn (und möglichst geringer Arbeitsleistung) zählt; diesem 'Materialismus' gilt das Interesse...

Die MG diffamiert die Gewerkschaften, weil sie 'keine Lohnmaschinen sein' wollen, sondern statt dessen ihre 'Liebe stets dem Ideal einer politischen Emanzipation der Arbeiterklaiie galt, wie sie perfekter und demokratischer nicht mehr zu denken ist.'

...

Die MG kritisiert somit nicht nur die historiich entwickelten und staatlich anerkannten Formen der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, wie dies z.B. andere gewerkschaftskritische Positionen mit dem Vorwurf des 'Legalismus' tun: Die MG denunziert jede Gewerkschaftspolitik, die sich in demokratisch-emanzipatorischer Zielsetzung um politische Veränderungen bemüht, als Verzicht auf den notwendigen ökonomischen Kampf und damit als Verrat an den objektiven Arbeiterinteresien."

"All denen, die versuchen - wie unvollkommen auch immer bisher -, Konzeptionen zur demokratischen, emanzipatoriichen Veränderung dieser Gesellschaft zu entwickeln, bescheinigt die MG, daß ,ihre Versuche... das Gegenteil einer rationalen überzeugung der Opfer von Staat und Kapital (seien), sich per Klassenkampf... die lebenslange Erfahrung zu ersparen, als Mittel in Fabrik, Kaserne und schließlich im Krieg zu dienen und damit unzufrieden sein zu dürfen.'

An Diskussionen, wie diese Gesellschaft mit welchen Perspektiven umgestaltet werden könne, beteiligt sich die MG nicht.

...

Der propagierte Kampf gegen Kapital und Staat scheint aber überhaupt nur der Vorwand für die Bekämpfung der Gewerkschaften zu sein. 'Drei Jahrzehnte DGB sind genug!' Die Vermutung liegt nahe, daß die MG im Auftrag gesellschaftlicher Gruppen handelt, denen die Gewerkschaften auf ihrem Weg in die neokonservative Zukunft im Wege stehen.

Die MG vermittelt den Eindruck des radikalen Kritikers der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft. Form und Inhalt ihrer Kritik richten sich aber gegen jede gesellschaftliche Veränderungspraxis, gegen jegliches Engagement für die realen Bedürfnisse und Interessen der 'Untertanen'; reale Kämpfe finden nur ihre Verachtung. Dies nützt nur den Gegnern der Gewerkschaften und der demokratisch emanzipatorischen Veränderung dieser Gesellschaft."

"Darstellung von Positionen der MG in gewerkschaftlichen Politikfeldern und Vergleich mit in der ÖTV vertretenen Positionen:

Arbeitslosigkeit

...

'Wer für Arbeitsplätze ist wie der DGB, dem ist jede Arbeit recht, - der meint, den Arbeitslosen fehlte Arbeit und nicht Geld, - der hält die Profitwirtschaft für ein Beschäftigungsprogramm und Arbeitslosigkeit für dessen Scheitern, - der verhindert keine einzige Entlassung, sondern macht Vorschläge für die Benutzung der Entlassenen.' Die MG geht davon aus, daß die Lohnarbeit ausschließlich ein Zwangsverhältnis ist und zur Ruinierung der Arbeitskraft der Arbeitnehmer führt. Sie bezieht sich deshalb nur auf den Lohn und die Arbeitsbedingungen und denunziert jede Position, die sich Gedanken über sinnvolle Arbeit, Veränderung der Arbeitsinhalte usw. macht.

Für Arbeitslose kann nach dieser Logik nur die 'fehlende Knete' als Problem übrigbleiben.

In der ÖTV tauchen folgende Positionen auf, die unseres Erachtens mindestens Ähnlichkeiten zur 'MG-Logik' enthalten:

'Wenn 250.000 offene Stellen vorhanden sind, muß doch zumindest ein Teil der Arbeitslosen so scharf auf Arbeit nicht sein, bekommt man zu hören. Solche Sprüche können einem schon auf den Magen schlagen. Da kann man doch mal fragen, "Wer ist denn schon scharf auf Arbeit?" Schließlich ist die Arbeit nur das Mittel, um Geld zu verdienen, und nicht der Zweck, den es hochzujubeln gilt. Noch dazu ist die Arbeit für die meisten Leute hier das einzige Mittel, um die Existenz zu sichern..., also ein Zwang.'

'Jeder von uns weiß oder kann sich vorstellen, was es bedeutet, arbeitslos zu sein. Das ohnehin schon nicht sehr hohe Einkommen wird gekürzt, und man muß auf einiges verzichten.'

Bei dieser Argumentation wird nur das fehlende Geld als Problem der Arbeitslosigkeit gesehen. Andere wichtige Fragen, die gerade auch für Gewerkschaften bedeutsam sind, werden total ausgeblendet, z.B. gesellschaftliche Verschwendung vorhandener Qualifikationen, die nützlich eingesetzt werden könnten, soziale Isolation bis hin zur Zerstörung der eigenen Identität.

Die Gewerkschaften werden von der MG bekämpft (verhöhnt, denunziert), weil sie sich in ihrer Politik und Programmatik nicht auf die Funktion der Lohnmaschine und den Kampf um bessere Lohnbedingungen reduzieren lassen.

In der ÖTV taucht dies so auf, daß alle Aktivitäten, die sich nicht ausschließlich auf mehr Lohn/Ausbildungsvergütung und Ausbildungs-, Arbeitsplätze/Ausbildungs-, Arbeitsbedingungen beschränken, denunziert werden als etwas, was für die Betroffenen nichts bringt. Übelstes Beispiel hierfür ist die Einschätzung des Kulturfestei 1984 der DGB-Jugend gegen Jugendarbeitslosigkeit unter dem Motto 'Arbeit - Leben - Frieden' im Entwurf des Geschäftsberichts zur 15. ÖTV-Bundesjugendkonferenz:

eigentlich deutlich, daß man nichts mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit und die weiter zunehmende Verarmung der Jugendlichen machen will, denn es ist allen klar, daß mit solchen Veranstaltungen kein einziger Ausbildungsplatz und kein Pfennig Geld mehr herauskommt. Dies kann nur in konkreten betrieblichen oder tariflichen Auseinandersetzungen erreicht werden, und dort muß der Schwerpunkt sein. Wenn man aber davon ausgeht, daß man sowieso nichts gegen die (Jugend-) Arbeitslosigkeit ausrichten kann, dann kommt es wirklich nur noch darauf an, "Wie halte ich die Jugendlichen bei der Stange?" Man will ihnen statt einem angenehmen Leben nur noch die Hoffnung auf eine Zukunft geben. Dies erinnert wirklich sehr stark an die Religion, die ein besseres Leben nach dem Tod verspricht und damit die Argumente liefert, die vorfindbaren Mißstände einfach hinzunehmen mit der Hoffnung, daß die Zeiten besser werden.'"

Einheitsgewerkschaftliche Disziplin gegen kommunistische Anfechtungen

Immer bemüht, die konkreten Probleme der realen Kolleginnen und Kollegen in ihrem konkreten Alltag zu lösen, hat die deutsche Einheitsgewerkschaft vor dem "Trialog" mit dem Kanzler und den Arbeitgebern und vor dem "heißen Herbst" noch Zeit gefunden, ihrer Basis den Herzenswunsch zu erfüllen und die Unvereinbarkeit von DGB und MG zu beschließen. Wer also unserer Agitation die Argumente nicht hat entnehmen können, die gegen die gewerkschaftliche Politik sprechen, der hat es jetzt wenigstens amtlich, daß die Gewerkschaft uns als ihren Feind identifiziert hat.

Der offizielle Beschluß der DGB-Führung kommt ohne weitere Begründung aus. Er will eben keine Widerlegung von Angriffen sein, keine Korrektur vermuteter falscher Auffassungen in der Mitgliedschaft, sondern eine disziplinarische Maßnahme. Was nach MG aussieht, ist schon allein deshalb verboten; wer sich bei der MG umhört - es sei denn in gewerkschaftlichem Spionageauftrag -, erst recht wem dort etwas einleuchtet, der fliegt 'raus. Leider nicht gleich aus der Republik, deren Säule Nummer 1 der DGB darstellen will; aber immerhin schon mal aus dem dicken Verein, dem demokratische Sauberkeit über alles geht. Eine Feindschaftserklärung ist schließlich keine Erklärung, warum man jemanden bekämpfen will, sondern der Beschluß, alle administrativen Machtmittel in Stellung zu bringen.

Eine ideologische Meinungsbildung ist selbstverständlich diesem Beschluß vorausgegangen. Sie trägt alle Züge einer innerorganisatorischen Intrige - leitenden ÖTV-Funktionären hat die Vorliebe einiger Kollegen für materielle Forderungen statt sozial-psychologischer Kindereien nicht gepaßt - und gibt ein wenig Aufschluß über den linken Soziologismus, der in den Ideologieabteilungen der DGB-Gewerkschaften seine Heimstatt gefunden hat.

1

Radikale Phrasen und eine Politik in Unterordnung unter den staatlich gesetzten "Rahmen" haben bei der organisiertcn deutschen Arbeiterbewegung schon immer zusammengehört; selbst Marx haben Sozialdemokratie und Gewerkschaften von Anfang an als Autorität für demokratischreformerische Glaubensbekenntnisse verschlissen. Die ÖTV-Ideologen, die eine Jagd auf MG-Verdächtiges eingeleitet haben, begrüßen diese Tradition - von den "vielen guten Gründen ", die sie dafür wissen, hätten wir allerdings gerne mal irgendeinen, nur einen wirklich guten, gehört, statt dem dunklen Hinweis auf ihre Existenz. Aber wenn sie schon so hemmungslos dafür sind, daß "die Arbeiterbewegung gerade in der BRD eine kooperative Politik betreibt": Warum sind sie dann beleidigt, wenn sie bei uns über die Gewerkschaft das Urteil "systemimmanent, staatstragend bzw. nationalistisch" heraushören, und werten das als "Denunziation" oder "Diffamierung"? Es gut finden, daß die Arbeiterbewegung antirevolutionär ist, aber gemein, das auszusprechen - ist es das, was sie gesagt haben wollen?

Die Gewerkschaft loben unsere ÖTV-Ideologen dafür, daß sie sich ganz und gar den Geschäften der und in der Demokratie verschrieben hat. Logischerweise ennpfinden sie den kleinsten Hinweis unsererseits auf das, was in unserer glorreichen Demokratie alltäglich wirklich mit den Leuten angestellt wird - und das ist weiß Gott etwas anderes als ein unablässiges Verbesserungsstreben! -, bereits als Diffamierung der Gewerkschaftspolitik. Aber ist ein Hinweis schon dadurch widerlegt, daß ein paar Gewerkschaftler sich davon betroffen zeigen und beleidigt sind?

In ihrem Rückblick auf die "Studentenbewegung" bringen die ÖTV-Ideologen deren Einfälle auf den Glaubenssatz herunter, daß die "spätkapitalistische Gesellschaft" "grundlegend veränderbar" sei. Diese 'Setzung' lehnen sie ab - nicht unoriginell mit dem Verweis, die "gesellschaftliche Realität" sei vielmehr "kompliziert". Sie wünschen Veränderungen, die vor allem alle Ideale der Demokratie respektieren; offenbar ist das der komplizierten Materie angemessen. Bei uns finden sie nun die Klarstellung, daß beflissene Verbesserungsvorschläge für die bundesdeutsche Demokratie nichts mit Opposition gegen die Benutzung beträchtlicher Menschenmassen für Fabrik und Kaserne zu tun haben - in ihrer Redeweise: nicht übermäßig "grundlegend" sind. Und schon sind sie wieder beleidigt. Das bloße Zitat soll uns bloßstellen als Feinde jeder wohltätigen Veränderung. Für "gesellschaftliche Veränderungspraxis" treten sie ein; "grundlegend" darf sie allerdings nicht sein; daß sie dann also den bestehenden Verhältnissen dient, will man sich aber partout nicht sagen lassen müssen: Geht's nicht ein bißchen geradliniger?

Der gewerkschaftliche Wille zu kooperativem Mittun freut die ÖTV-Ideologen; "Klassenkampf" erklären sie zum kommunistischen Mythos, mit dem die Arbeiterklasse "zu Recht" nichts am Hut hat. Gegen unsere Kritik an der proletarischen Kunst der folgenlosen Beschwerdeführung beharren sie allerdings darauf, "Kämpfe " entdeckt zu haben, denen sie sogar das zweifelhafte Kompliment "real" nachsagen, um uns eine Verachtung angeblicher Einmischungsversuche der Arbeiterklasse in den Lauf der kapitalistischen Welt vorwerfen zu können. Was jetzt? Sind Deutschlands Arbeiter kooperationsgeil und kampfwillig zugleich? Oder wollen sich unsere ÖTV-Ideologen bloß den Ehrentitel "Kampf" für ihr konformistisches Gewerkschaftsgetue nicht klauen lassen?!

So verdrechselt polemisieren nur einstige Linke, die mitten in ihrem glücklich errungenen gewerkschaftlichen Verwaltungsjob noch immer an ihre früheren, furchtbar grundsätzlichen Änderungs- und Weltverbesserungsvorschläge denken und unbedingt die Botschaft loswerden wollen, sie würden dafür längst das Äußerste an politischem Einsatz bringen, was vernünftigerweise überhaupt geht. "Demokratisch-emanzipatorische Veränderungen" heißt dafür ihr Zauberwort - es hat den Vorteil jeder schlechten Verallgemeinerung, daß sich ihr alles subsumieren läßt, was dem Verwender der Vokabel gefällt, also vor allem auch der eigene schnöde Job: Linkssoziologische Phrasen passen zu allem. Ohne solch wohlfeile und unwiderlegliche Überhöhung ihrer beruflichen Funktion wollen sie diese jedenfalls nicht erfüllen. Größten Wert legen sie auf den albernen Anschein, als hätten sie sich ihren Job erst nach reiflicher Abwägung der "Alternative" - Revolution mit der MG - als die bessere "gesellschaftliche Veränderungspraxis" ausgesucht.

Offenbar ein tiefes moralisches Herzensbedürfnis linker Renegaten.

2

Die Selbstdarstellung als hingebungsvoller Anwalt der Arbeiter darf dabei natürlich keinesfalls fehlen. Gegen unsere Agitation für mehr Materialismus unter den Lohnarbeitern - was übrigens keineswegs zusammenfällt mit dem "Interesse des einzelnen Lohnarbeiters an möglichst hohem Lohn", sondern die Lohnarbeit selbst als höchst untaugliches Mittel für Arbeiter kritisiert - halten die ÖTV-Ideologen standhaft die "realen Bedürfnisse der realen Menschen" hoch. So viel Beteuerung der seltsamen Eigenschaft "real" gibt schon einen Hinweis darauf, daß sie den deutschen Arbeitern auf alle Fälle sehr viel edlere Beweggründe unterstellen als den schnöden Mammon. "Selbstverwirklichung in der Arbeit": Das braucht der bundesdeutsche Arbeitsmann. Sich mit dem Lebensstandard früherer Generationen und ferner Länder vergleichen, die ja bekanntlich zum genau ausgekundschafteten Erfahrungsschatz eines "konkreten" Lohnarbeiters gehören: das ist lebensnah. Sich damit - ausgerechnet! - beweisen, wieviel Grund "der deutsche Arbeiter", eine lustige Abstraktion im Munde eines deutschen Arbeiters, zur Zufriedenheit hat: Das ist den ÖTV-Ideologen nicht als getürkte Zufriedenheit verdächtig, sondem eine glaubwürdige und kluge Selbsteinschätzung. Nichts schlimmer für einen braven Arbeitsmann als eine Gewerkschaft, die sich als "Lohnmaschine" mißverstünde: Sein Sinn steht ihm nach der "Besetzung sämtlicher Politikfelder" durch seine Gewerkschaft und nach der alternativen "Thematisierung problematischer Gesellschaftsprozesse". ...

Natürlich wissen unsere ÖTV-Ideologen selbst am besten, daß diese "konkreten" und "realen Bedürfnisse" sich beim wirklichen Lohnarbeiter keineswegs von selbst einstellen, schon gar nicht in der gewerkschaftlich erwünschten und brauchbaren Form. Ein Erziehungsprogramm muß dafür schon her - schließlich ist das ihr Job! Eine "Jugend-" und "Erwachsenenbildungsarbeit", die vor allem die Entlassenen vor seelischen Schäden bewahrt. Denn Lohnarbeit ist für ÖTV-Ideologen nicht bloß ein einwandfreies Lebensmittel, sondern auch die unverzichtbare Seelennahrung eines deutschen Arbeiters, sein Königsweg zum "sozialen Kontakt" und zur "Identität". Mit dieser psychologischen Erzlüge über die Lohnarbeit - die ihre Anhaltspunkte ausgerechnet an Symptomen der Ruinierung auch des Uerstandes durch lebenslängliche Lohnarbeit findet! - wollen sie gerade den Entlassenen hinterhersteigen, um sie mit "kreativer" Unterhaltung zu trösten. Und "gerade eine Gewerkschaft" darf überhaupt nicht bei den individuellen Schäden durch Arbeitslosigkeit stehen bleiben, sondern muß das Ganze im Auge behalten und die "gesellschaftliche Verschwendung vorhandener Qualifikationen" betrauern: Volkswirtschaftliche Sorgen um die passende Benutzung des Arbeitermaterials ehren einen Gewerkschaftler und geben einem Entlassenen seine Ehre wieder!

Enorm viel Sachverstand ist da am Werk nur um zu widerlegen, daß Lohnarbeiter gut daran täten, mehr auf ihr Auskommen zu achten als auf Komplimente für selbstlosen Dienst. Die Kritiker der ÖTU-Politik, gegen die unsere Ideologen ihr Pamphlet gerichtet haben, scheinen diesen gewerkschaftlichen Bildungseifer ja immerhin durchschaut zu haben.

3

Wer für ungehinderte Zufriedenheit mit den bundesdeutschen Verhältnissen eintritt, ärgert sich an unseren Einwänden gegen diese Verhältnisse und möchte uns normalerweise am liebsten "nach drüben" verfrachten. So einfach machen unsere ÖTV Ideologen es sich nicht. Als Linke wollen sie ihrer Intervention gegen Kritik den häßlichen Beigeschmack des Reaktionären nehmen, ihre Fortschrittlichkeit beweisen. Als gelernte Soziologen und Politologen verfügen sie über den Systemgedanken, der für diesen Beweis taugt: Unsere Opposition ist böse, weil sie das richtige, konstruktive Opponieren behindert, also den "Konservativen" in die Hände spielt.

Denen kommt man nämlich nach Auffassung der ÖTV-Ideologen nur dadurch richtig in die Quere, daß man sämtliche öffentlich angesagten "Probleme" verantwortungsbewußt mit ihnen teilt und mit alternativen "Lösungsmodellen" um die "Besetzung" von "Politikfeldern" konkurriert. Um Gottes willen nur nichts abschaffen wollen; das wäre MG-mäßiger "Nihilismus". Nein: als Kritiker der Gesellschaft und Fortschrittsmensch muß man den Reaktionären am besten zum Verwechseln ähnlich sehen, bloß noch schöner; nur so macht man denen ihre Ressorts streitig.

Wer dieses edle Anliegen nicht vorbehaltlos unterstützt, der wird nicht widerlegt, sondern mit den Techniken der - hier tatsächlich! - Denunziation behandelt. Punkt 1: Man kreidet den abweichenden Figuren ihre Nicht-Übereinstimmung mit den eigenen lauteren Idealen als bösen Willen an. Punkt 2: Man "erklärt" diesen bösen Willen einerseits psychologisch als den Charakter der betreffenden Individuen, als Defekt, der es eigentlich verbietet, sie frei herumlaufen zu lassen. Punkt 3: Man begutachtet dasselbe Ärgernis andererseits nach der Logik des Verfolgungswahns: "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!" und reiht die bösen MGler unter die "Rechtskräfte" ein, die die MG zwar auch kritisiert; aber weil man das ja schon selbst erledigt, kann die MG-Kritik nie und nimmer so gemeint sein, wie sie bloß gemeint ist. Punkt 4: Man spricht der angeblichen "objektiven" Dienstbarkeit der MG für die Konservativen jedes ehrenwerte Motiv ab und erklärt den Verein für 'gekauft': eine Geheimwaffe der Bourgeoisie. Ob die ÖTV-Ideologen im Ernst glauben, ihre "reaktionären" Kontrahenten hätten derart verschrobene Umwege nötig wie die Untergrabung aufrechter konstruktiver Kritik durch destruktive Opposition, um für den Optimismus ihrer "Wende"-Republik Stimmung zu machen?

Auf jeden Fall landet die Denunziation bei einer Agententheorie, wie sie eigentlich nur die DKP und ZDF-Löwenthal so unbefangen abstrus zusammenzuschustern verstehen: Im Endergebnis teilen unsere ÖTV-Ideologen Betrachtungsweise und Ausforschungsinteresse des Verfassungsschutzes - selbstverständlich mit bestem linken Gewissen!

4

So haben sie uns denn gestellt, die Chefideologen der ÖTV. Kommunisten haben sie ausgemacht; noch dazu solche, die zwei unverzeihliche Greueltaten verübt haben: Wir haben die allgemeine Bekehrung der bundesdeutschen Linken zum "Realismus" nicht mitgemacht, was sozialistische Moralisten offenbar als dauernden Gewissenswurm empfinden - und noch dazu sind wir nach Geheimdienst-Zählung mehr statt weniger geworden. Also lautet die Empfehlung auf Abschuß; dafür dienen die Ideologie-Lieferanten des großen Arbeitervereins ihren Brötchengebern, den Arbeiterführern vom DGB, ihre denunziatorischen Einfälle an.

Denen ist auch ohne solche Umwege längst klar, daß unsere Kritik sich nicht gehört, weder in dieser unserer Republik noch erst recht gegen die nationale Einheitsgewerkschaft. Denn dessen dürfen sie sich ja auch unter Kohl und seiner "Wende " genauso sicher sein wie unter Schmidt und seinem "Modell Deutschland": In der Demokratie hat eine Gewerkschaft keine Feinde; gewerkschaftlich vertreten, passen die Arbeiterinteressen nämlich - auf deren Kosten! - widerspruchsfrei hinein in ein System, das die Arbeiter kapitalistisch benutzt und sie für diese "Existenzbedingung" auch noch demokratisch verantwortlich macht. Gegner der Gewerkschaft sind also Feinde der Demokratie und umgekehrt. Darum brauchen Obergewerkschaftler sich nur auf ihr beleidigtes Ehrgefühl zu verlassen, um ihren Dienst als demokratische Saubermänner der Nation gegen linke Nestbeschmutzer zielstrebig und unfehlbar zu versehen und an der richtigen Stelle laut die Frage aufzuwerfen, ob man solche Typen wie geständige Kommunisten überhaupt noch frei herumlaufen lassen soll.

Dafür sind die realen Beiträge der konkreten Mitglieder jedenfalls aus vielen guten Gründen zu Recht goldrichtig eingesetzt.