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Dieser Artikel ist in der MSZ 12-1985 erschienen.


DER GANZ NORMALE WAHNSINN

Der Vergleich in der demokratischen Politik

hinkt nie! Dafür gibt es zwei aktuelle Beispiele, die beide nach dem Schema verfahren, eine öffentlich anerkannte Verfehlung gegen die Moral, den Rechtsstaat, das Grundgesetz u.a. heilige Güter aufzurufen, um die Beschränkung der eigenen Anliegen als Verbrechen hinzustellen.

"CSU-Politiker vergleicht Teilung Deutschlands mit Apartheidsystem

Der unterfränkische CSU-Bezirksvorsitzende und Staatssekretär im bayerischen Finanzministerium, Albert Meyer, hat bei einer Veranstaltung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Bad Kissingen die deutsche Teilung mit der südafrikanischen Rassentrennung verglichen. Der CSU-Politiker sagte, bei genauer Betrachtung könne man die Teilung Deutschlands als ein 'unmenschliches Apartheidsystem' ansehen. Ihm fehle jedes Verständnis dafür, daß bestimmte politiiche Kreise die Verhältnisie in Afrika und Chile mit Entrüstung aufgriffen, gleichzeitig aber die Augen vor den Problemen der deutschen Frage verschlössen. Die Aussöhnung mit den Völkern des Ostens könne nur auf dem Boden der geschichtlichen Wahrheit gedeihen." (Süddeutsche Zeitung, 11.11.)

Der wackere Christenpolitiker hält natürlich die Verhältnisse in Afrika und Chile für notwendig. Er benutzt nur die öffentliche Verurteilung, um die ihr zugrundeliegenden moralisch-politischen Ehrentitel auf ein Gebiet umzulenken, wo sie seines Erachtens wirklich und ausschließlich hingehören.

Dieses in der demokratischen Öffentlichkeit ebenso anerkannte wie beliebte Verfahren haben die westdeutschen Zahnärzte unlängst angewandt und einen

"Eklat bei der 'Konzertierten Aktion' im Gesundheitswesen"

verursacht - durch folgenden Vergleich:

"Aus dem Kreise der Demonstranten sollen Zurufe wie 'moderne Judenverfolgung' gekommen sein. Blüm reagierte darauf scharf. Er sagte, der Protest der gutgestellten Zahnärzte sei ungerechtfertigt."

Auch den Zahnärzten ging es selbstverständlich weder um einen späten Protest gegen die Judenverfolgung, geschweige denn um eine Selbstkritik ihres Gewerbes wegen der Rolle einiger Standeskollegen beim Goldzähnebergen in Auschwitz: Sie wollten nur das allerhimmelschreiendste Unrecht zitieren, um ihre Einkommensverluste als ungerecht glaubwürdig anprangern zu können. Haben sie übertrieben? Nein. Nur bei den katholischen Bischöfen gelernt, denen bei Abtreibung immer nur "Auschwitz" einfällt...

Sinnlose Opfer

"In 25 Jahren starben 2000 Soldaten im Dienst

Von 1960 bis Ende 1984 haben bei Flugzeugabstürzen, Unfällen mit Waffen und Gerät sowie bei Fahrzeugunfällen genau 2000 Soldaten der Bundeswehr ihr Leben verloren. In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen heißt es, daß fast ebenso viele Soldaten, nämlich 1924, Selbstmord begingen. Als Ursachen können nach Darstellung des Verteidigungsministeriums in fast der Hälfte der Fälle Liebes-, Ehe- oder Familienkonflikte sowie Angst vor Strafe oder berufliche und finanzielle Schwierigkeiten angenommen werden, in 30 Prozcnt der Fälle konnten die Gründe nicht aufgeklärt werden. Außerdem, hieß es in der Antwort, seien im betreffenden Zeitraum 529 Zivilpersonen an Folgen von Unfällen mit Bundeswehrbeteiligung gestorben." (Süddeutsche Zeitung, 8.11.85)

Kritik heute

"Kritischer General vom Dienst suspendiert Äußerung über Rückständigkeit der französischen Panzerwaffe als Pflichtverletzung bezeichnet

Der französische General Phillippe Arnold, der in der vergangenen Woche in Trier vor Journalisten gesagt hat, die Panzerwaffe seines Landes sei gegenüber jener der USA, der Bundesrepublik, Großbritanniens und der Sowjetunion um eine Generation im Rückstand, ist von Verteidigungsminister Paul Quiles vom Dienst suspendiert worden. In einer Verlautbarung des Generalstabschefs des Heeres, des Generals Maurice Schmitt, hieß es, Arnold habe mit seinen Äußerungen die Pflicht der Zurückhaltung verletzt. Außerdem wies Schmitt die Kritik des Kommandeurs zurück und sagte, die Ausrüstung der Streitkräfte sei auf dem neuesten Stand. ... Der im Ruhestand stehende General und jetzige UDF-Abgeordnete Bigeard urteilte: 'Es ist für einen General, der für eine Division und für das Leben der Soldaten verantwortlich ist, völlig normal zu sagen, ich habe nicht die Panzer, die ich brauche, ich habe mir gegenüber bessere Panzer stehen.'" (Süddeutsche Zeitung, 4.11.85)

Mit der Figur eines kritischen Generals verhält es sich in etwa so wie mit dem modischen Titel eines "Theologen der Befreiung": Diesem sind die Touren des Einseifens für Jesus nicht zeitgemäß genug, und jener vermißt den letzten Schliff beim Vernichtungswerkzeug. Während Generäle wie der zur Friedensbewegung konvertierte Gerd Bastian bei Politikern auf wenig Verständnis für ihr Ausscheiden aus dem (Militär-)Dienst rechnen könne, kann sich Arnold der Solidarität aller Kommißköpfe in Uniform und in Zivil sicher sein: Er hat das Militär auf die einzig erlaubte Weise kritisiert, nämlich bezüglich seiner Kriegstauglichkeit. Anders läßt es sich im übrigen immanent gar nicht kritisieren: Davon zeugt der logische Unsinn dissidierender Ex-Generale - und militärtheoretisierender Friedensbewegter, die der Truppe vorhalten, sie trage nichts zum Frieden bei. Dafür hat sie niemand aufgestellt. Deshalb ist die französische Generalsaffäre ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte: Wer das Militär nicht mitsamt der Politik, die es braucht, abschaffen will, der soll sich dann auch die Sorgen des M. Arnold machen. Kritik '85: Wir brauchen bessere Panzer.

Bewältigte Vergangenheit

"OLG: 'Auschwitz-Lüge' ist keine Volksverhetzung

Wer die Vergasung von Juden in der NS-Zeit bestreitet, kann nicht wegen Volksverhetzung bestraft werden. Wegen Verbreitung der sogenannten Auschwitz-Lüge ist lediglich eine Verurteilung wegen Beleidigung möglich. Mit dieser Entscheidung bestätigte der Zweite Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Zweibrücken den Freispruch eines 18jährigen vom Vorwurf der Volksverhetzung. Das OLG stellte in seiner Entscheidung fest, der 18jährige habe zwar das jüdische Volk beleidigt, sich aber nicht der Volksverhetzung schuldig gemacht, weil er das Lebensrecht der Juden in Deutschland nicht bestritten habe. Er habe auch gesagt, es wäre ein großes Verbrechen gewesen, wenn Juden vergast worden wären." (Süddeutsche Zeitung, 9./10.11.85)

Einerseits ist uns immer schleierhaft geblieben, wieso es sich um eine Beleidigung handelt, wenn man behauptet, jemand sei nicht umgebracht worden. Aber bei dem "Auschwitz-Lüge"-Paragraphen ging es dem Gesetzgeber ja nie und nimmer um die Wahrheit des Wozu und Warum faschistischer Menschenschlächterei, sondern um ein Stück Staatsräson mit einem antikommunistischen Zusatz zur moralischen Aufrüstung (die Sache mit der "Vertreibungslüge"). Das OLG in Zweibrücken hat jetzt den Gesetzestenor kongenial ausgelegt: Die Stammtischsentenz zur deutschen nationalen "Lösung der Judenfrage" lautet bekanntlich: Vergasen hätte er sie nicht gleich brauchen, der Hitler...

100 Jahre Deutsch-Togo

"Weizsäcker würdigt Präsident Eyadema

Der Name Lome stehe überall in der Welt für sachliche und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Das sei, sagte Bundespräsident von Weizsäcker, nicht zuletzt dem togoischen Präsidenten Eyadema zuzuschreiben, der wesentlich beigetragen habe zum Abkommen von Lome zwischen der Europäischen Gemeinschaft und 66 Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik. Bei seiner Begrüßung Eyademas sagte Weizsäcker, kurz zuvor habe er mit einer Schulklasse diskutiert, der der Name Lome völlig vertraut gewesen sei. Eyadema hat am Montag einen offiziellen Besuch in der Bundesrepublik begonnen, der ein Gegenbesuch zum deutschen Besuch der Hundertjahrfeier der deutsch-togoischen Beziehungen im Vorjahr ist. Am 5. Juli 1884 hatten der Beauftragte des Königs von Togoville und der Gesandte des Deutschen Reiches, Gustav Nachtigal, in Baguida den deutsch-togoischen Schutzvertrag unterzeichnet, der am Beginn der gut dreißig Jahre deutscher Kolonialherrschaft stand. Schon zuvor aber gab es zweihundertjährige Handelsbeziehungen. Stärker wohl als in allen anderen früheren deutschen Besitzungen außer dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika wird das deutsche Erbe noch heute in Togo gepflegt. ... Eyadema, seit einem Militärputsch 1967 Staatschef, besucht die Bundesrepublik zum fünften Mal offiziell. ... Weizsäcker erwähnte den mit deutscher Hilfe geplanten Bau eines Nationalarchivs, in dem auch die Kolonialakten aus deutscher Zeit untergebracht werden sollen." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.10.85)

Wer ist Eyadema? Ein Putsch-General, dem der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke bei seinem ersten Staatsbesuch in Bonn noch den Händedruck verweigern wollte, weil der neue Mann in Togo an der Ermordung eines seiner Vorgänger, Sylvanus Olympio, beteiligt war, mit dem Lübke schon persönlich auf die "deutsch-togoische Freundschaft" angestoßen hatte.

Wofür steht Lome? In der Hauptstadt Togos hat sich die EG langfristig per Vertrag die Ausbeutungsrechte über 67 Staaten der "Dritten Welt" zusichern lassen.

Was macht Weizsäcker? Unser ehrwürdiger, weiser, menschlicher, gebildeter, verehrungswürdiger Staatspräsident würdigt diesen amtierenden Gorilla, feiert den reichsdeutschen Kolonialismus als Beginn einer bundesrepublikanischen Mission in Afrika und empfiehlt bereits den Volksschulkindern die denkwürdigen Daten des Imperialismus zum Memorieren.

Die Ignoranz der Macht

"Dem Senat mißfällt ein Botschafterkandidat Reagans

Der von Präsident Reagan als Botschafter der USA in Schweden vorgesehene Gregory Newell ist im Kongreß scharf kritisiert worden. In einer Anhörung vor dem Auswärtigen Senatsausschuß wußte der ehemalige Abteilungsleiter im Außenministerium nicht, wieviele Staaten der NATO angehören; auch konnte er die Frage zur Strategie der NATO nach einem Atomangriff nicht beantworten. Senator Joseph Biden sagte, er fände es schwierig, einen solchen Botschafter nach Schweden zu schicken." (Süddeutsche Zeitung, 9./10.11.85)

Schwierig, aber nicht unmöglich: Wieso nuß ein Gesandter der Weltmacht Nr. 1 auswendig wissen, ob Island zur NATO gehört? Bestenfalls bei einem Diplomatenjob zählen solche Stilfragen, wegen Empfindlichkeiten des Gastlandes. Ansonsten kommt z.B. der Oberbefehlshaber der NATO und Chef Mr. Newells glänzend zurecht in seinen Ämtern, auch wenn er sogar beim Stadt-Land-Fluß vergeigen würde. Intellektuelle Brillanz von der Macht zu verlangen, ist der Sache, um die allein es dieser geht, nicht angemessen.

Fiiieps!

Rundfunkzensur

ist, wenn die Sowjetunion oder andere Oststaaten bestimmte Frequenzen mit starken Sendern belegen, so daß Reagans Propagandareden über die "Stimme Amerikas" und andere Hetzsendungen des Freien Westens dem Ostvolk nicht zu Ohren kommen.

Rundfunkfreiheit

ist, wenn die Empfangsgeräte im Westen mit Kondensatoren ausgestattet werden, damit der "unerwünschte Empfang von 'Radio Moskau'... verhindert" wird. Die Hersteller halten sich dabei an die "FTZ-Bestimmungen zur Störstrahlfestigkeit". Nur für den HiFi-Spezialisten der "Süddeutschen Zeitung" (9./10.11.85) ist das ein "Ärgernis" wegen der "viel zu hohen Kapazitäten der Phono-Magnet-Eingänge, die ... der Tatsache nicht gerecht werden, daß viele Magnetabtaster heute mit nur 100 bis 250 Picofarad Kapazität belastet werden sollten, um einen glatten Frequenzgang und hohe Anstiegsgeschwindigkeit bieten zu können".

Zuwider

"Zhao distanziert sich von Pseudo-Maoisten

Der chinesische Ministerpräsident Zhao hat sich während seines Besuchs in Kolumbien von ultralinken Gruppen in Lateinamerika distanziert, die sich auf Mao Tsetung berufen und darum häufig als Maoisten bezeichnet werden. 'Ich kann nichts für die Namen, die sich diese Organisationen geben', sagte Zhao auf einer Pressekonferenz in Bogota. 'Wir haben keinen Kontakt zu diesen Organisationen, die dem Maoismus zuwider sind.'

Der Premierminister traf unterdessen auf der zweiten Station seiner Rundreise durch Lateinamerika in Brasilien ein. ... Beide Seiten zeigten sich an einer Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit interessiert. ... In der Presse hat es geheißen, China sei an brasilianischen Waffen und Militärflugzeugen interessiert." (Süddeutsche Zeitung, 2./3.11.85)

Während Mao noch die gar nicht abwegige Auffassung vertrat: "Für alles Reaktionäre gilt, daß es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt", sind seine Erben da ganz anderer Meinung. Sie lassen bei ihren Tourneen durch die westliche Welt keinen Reaktionär aus. Sie profilieren sich als Kundschaft im Waffengeschäft, distanzieren sich vom Widerstand in deren Ländern und bemühen sich um ein rundum "gutes Verhältnis" zu den Schlächtern anderer Kontinente. So ist China seinen maoistischen Flegeljahren entwachsen und zu einem geachteten Mitglied jener hochanständigen Familie der Völker geworden.

Krieg durch Frieden

"Reagan ehrt Kriegstote

Mit einer Kranzniederlegung am Mahnmal des Unbekannten Soldaten auf dem Heldenfriedhof in Arlington hat Präsident Reagan die amerikanischen Kriegstoten geehrt. 'All jene, die für uns und unser Land gestorben sind, sind in dieser oder jener Weise Opfer eines verfehlten Friedensprozesses geworden', sagte Reagan während der Feierlichkeiten zum amerikanischen Heldengedenktag. Sie seien Opfer einer Entscheidung, die bestimmte Dinge vergessen habe wie die Tatsache, daß der sicherste Weg, den Frieden zu erhalten, die Erhaltung der eigenen Stärke sei. Reagan sagte, der Friede sei nur dann in Gefahr, wenn die verantwortlichen Männer an der Spitze der Staaten keine Übereinkommen erzielten und wenn vergessen werde, daß Vereinbarungen nicht ohne einen bestimmten Preis gebrochen werden könnten." (Süddeutsche Zeitung, 13.11.85)

Nicht umsonst steht über den Eingängen amerikanischer Basen im Ausland die Berufsbezeichnung "Peace is our profession", und die US-Rakete mit dem größten Vernichtungspotential nennt der Präsident "Peacemaker". Die Helden auf dem Nationalfriedhof Arlington sind Ergebnis aller Friedensprozesse, an denen die USA siegreich beteiligt waren. Der Krieg war und ist nämlich das konsequente Ende des sichersten Wegs seiner Vorbereitung. Posthum erscheint er als die zweitbeste Lösung, weil das politische Ziel der vorhergehenden Friedenspolitik nicht ohne Opfer in den eigenen Reihen erreicht werden konnte. Umgekehrt ist der Krieg, für den unter dem Titel Erhaltung der eigenen Stärke gerüstet wird, das Ergebnis eines korrekten Friedensprozesses, für dessen Erhaltung den verantwortlichen Männern n der Spitze keine andere Entscheidung übrigblieb.

Geißler klärt auf:

Nur die NATO friedenspreiswürdig!

"CDU-Generalsekretär Geißler hat die geplante Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an die Vereinigung 'Internationale Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges'- speziell an den sowjetischen Mitbegründer der Organisation, Tschasow - scharf kritisiert. Der CDU-Politiker kündigte am Wochenende an, er werde das Friedensnobelpreiskomitee in Oslo auffordern, die Übergabe des Preises an Tschasow in Oslo zu verweigern.

Vor dem Landesparteitag der CDU in Rheinland-Pfalz in Rockenhausen sprach Geißler von einer Fehlentscheidung und einer Schande. Tschasow sei als Mitglied des Obersten Sowjet an der Verfolgung und Diskriminierung des deportierten Atomphysikers, Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträgers Sacharow maßgeblich beteiligt gewesen." (Süddeutsche Zeitung, 11.11.)

Genaugenommen ist dem Generalsekretär des ZK der CDU schon wieder nichts anderes eingefallen als der kategorische Imperativ des Westens: Amtsträger der Sowjetunion sind unsere Feinde und nie und nimmer Sachwalter des Friedens, der allein unsere Sache ist.

"In diesem Sinne müßte der nächste Friedensnobelpreis der Bundeswehr und der NATO verliehen werden."

Auf die Wirkung seines Einfalls konnte sich Geißler verlassen. Denn daß Friedensärzte das Ideal des Friedens nicht fallenlassen, daß sie darüber hinaus die Gefahr für den Frieden im Osten ansiedeln und nie und nimmer in den Maßstäben des Westens, war abzusehen. Also war auch zu erwarten, daß sie nicht die frechen Maßstäbe Geißlers in Frage stellen würden, vor denen sie sich rechtfertigen sollten. Der Vorwurf 'antikommunistischer Volksverhetzer' ist ihnen gegen Geißler nicht eingefallen. Kaum war die Hetze heraus, hat sich die Ärztevereinigung mit dem heiklen Problem auseinandergesetzt, das Etikett "prokommunistisch" als ungerechtfertigt darzutun. Nicht verleumdet wollten sie werden, so daß folgendes Dementi erging:

"Die Sektion Bundesrepublik Deutschland der Ärzteorganisation wies die Beschuldigungen als 'haltlose Verdächtigung' und Diffamierung zurück. Der Vorsitzende, Professor Richter, meinte, das Nobelpreiskomitee, das Sacharow geehrt habe, 'hätte die gleiche Auszeichnung niemals einer Organisation zuerkannt, deren Copräsident an der Verfolgung des eigenen Preisträgers in irgendeiner Form beteiligt wäre'. 'Wir wehren uns gegen den durchsichtigen Versuch, unsere in 41 Ländern vertretene Ärzteorganisation, die sich gegen die Atomrüstung in Ost und West wendet, als prokommunistisch zu diffamieren.'"

Dies der bleibende Ertrag aller Geißlerschen Goebbelsiaden: Man hat "Fragestellungen" in die Welt gesetzt, die die blanke Denunziation politisch salonfähig gemacht haben.

Hat nicht doch der Pazifismus irgendwie zu Auschwitz...?;

Ist nicht vielleicht die SPD immer in Gefahr mit Moskau...?;

Haben die Ärzte mit ihrem Sowjetvorsitzenden gegen Sacharow...?

Geißler geißelt Gottesmänner

"Der CDU-Generalsekretär fordert mehr Besinnung auf die,letzten Dinge', statt über 'die vorletzten wie Formaldehyd und Nicaragua' zu reden

CDU-Generalsekretär Heiner Geißler... forderte die Kirchen auf, sich wieder mehr auf die 'letzten Dinge' zu besinnen, statt über die 'vorletzten Dinge wie Formaldehyd und Nicaragua' zu reden. Soziale Not entstehe auch durch 100.000 Scheidungen im Jahr. Die Kirchen müßten wieder mehr daraufeinwirken, daß Ehepaare nicht bei ersten Schwierigkeiten auseinandergingen." (Süddeutsche Zeitung, 4.11.85)

Recht hat er. Wo kämen wir da hin, wenn sich ausgerechnet die Evangelen in die Produktion von Gift, Leichen auswärts und Sozialfällen daheim einmischen, die ausschließlich Sache des zuständigen Ministeriums ist. Hier gehört sich eine klare Scheidung der Kompetenzen: Die Politik hat das vorletzte Wort in allen Fragen, und die Kirche begnügt sich mit dem Hinterletzten.

Die klassenlose Gesellschaft

ist keine Utopie. Sie geht sogar ganz leicht:

"Albrecht: Keine Arbeit ist unzumutbar

Die Zumutbarkeits-Bestimmung bei der Zuteilung von Arbeitsplätzen durch die Arbeitsämter und Sozialbehörden sollte nach Ansicht des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht weiter gefaßt werden. Albrecht sagte in Hannover, 'es gibt keine Arbeit, die unzumutbar ist'. Jede andere Auffassung führe zurück zur Klassengesellschaft, weil sie diejenigen, die eine 'unzumutbare' Arbeit verrichteten, zu Menschen zweiter Klasse mache." (Süddeutsche Zeitung, 31.10./1.11.85)

Es braucht dafür nur einen Ministerpräsidenten, dem alle anderen für keine Arbeit zu schade sind. Ferner genug Leute, die auf jede Drecksarbeit angewiesen sind. Schließlich den menschenrechtlich einwandfreien Beschluß, daß ein Arbeitsloser jede Drecksarbeit gefälligst anzufassen hat, weil der Ministerpräsident sie nicht als solche auffaßt.

Im Sozialstaat macht Arbeit eben nicht nur frei, sondern auch gleich.

Gewalt - kein Mittel der Politik

"CIA soll zu Geheimoperation gegen Khadafi ermächtigt sein

Präsident Reagan hat nach einem Bericht der Washington Post den Geheimdienst CIA ermächtigt, eine Geheimoperation gegen die libysche Regierung unter Khadafi zu unternehmen. Der Plan, der sich gegen die anti-westliche Subversion Libyens und nicht gegen das Leben Khadafis richte, sei im US-Kongreß anfänglich auf Widerstand gestoßen. Außenminister Shultz habe den Plan in der vergangenen Woche vor dem Geheimdienstausschuß des Repräsentantenhauses erläutert. Ein Ziel des Geheimplanes sei es, Khadafi in ein außenpolitisches Abenteuer zu locken, das zu seinem Sturz führen würde, heißt es in dem Bericht weiter. Darüber hinaus sei vorgesehen, den Nachbarn Libyens, etwa Algerien oder Ägypten, eine Rechtfertigung für militärische Gegenmaßnahmen gegen Khadafis subversive Einmischungen zu geben. Reagans Regierung habe nach viereinhalb Jahren ineffektiver wirtschaftlicher Sanktionen gegen Libyen beschlossen, daß eine Geheimoperation notwendig sei, um gegen die internationale Bedrohung von US-Interessen durch Khadafis Aktivitäten vorzugehen. Reagan hat inzwischen eine Untersuchung über die Weitergabe der Geheiminformationen an die Washington Post angeordnet." (Süddeutsche Zeitung, 3.11.85)

Internationaler Terrorismus? Keine Spur davon, sondern Wahrnehmung berechtigter US-Interessen, denen Gadafi nicht immer devot Rechnung getragen hat. Bruch des Völkerrechts? Iwo, in dessen Namen hat schließlich das amerikanische Oberhaupt der Völkerfamilie den Libyer geächtet und für vogelfrei erklärt. Ein Skandal? Bestenfalls, daß hier wieder einmal Stellen der US-Administration nicht dicht gehalten haben, weswegen ihr Chef jetzt eine "Untersuchung" ankündigt. Aber nicht einmal das ist sicher: Wie die US-Außenpolitik mittlerweile gegen alle Formen ausländischer Unbotmäßigkeit vorgeht, läßt sie keine Gelegenheit für gezielte Indiskretionen aus, weil ein Auftrag an die CIA eine unmittelbare Bedrohung darstellt, mit der die Adressaten rechnen müssen. Anders verhält es sich da mit dem Gerücht, Gadafi selbst habe "Mordkommandos" auf Reagan angesetzt: Da kann der Revolutionsführer dementieren, soviel er will; trotzdem wundert sich niemand in der Freien Welt, wenn ihn die Führungsmacht wie einen Gangster behandelt. Sollte dies Gadafi, wenn nicht gleich das Leben, so doch zumindest die Macht in Libyen kosten, so steht bereits heute das demokratische Urteil fest: selber schuld.

Eigentum verpflichtet

"Der Verleger Axel Springer hat eines der eindrucksvollsten Testamente der Nachkriegszeit hinterlassen: Sein gesamtes privates Vermögen darf bis zum Jahre 2015 nicht unter den Erben aufgeteilt werden. Es soll jederzeit dem Springer-Verlag zur Verfügung stehen, wenn es gilt, 'Strukturprobleme zu überwinden oder notwendige Investitionen zu finanzieren'.

Mit diesem grandiosen Vermächtnis sichert Axel Springer die Arbeitsplätze vieler tausend Menschen." (Bild, 31.10.85)

Damit ist sichergestellt, daß auch noch am 10675. Tag nach dem Tode Axel C. Springers die Arbeiter und Angestellten seiner Firma garantiert dafür arbeiten dürfen, daß die Menschheit in "Bild" nachlesen kann, daß dann seit dem Bau der Mauer durch Berlin 19850 Tage und seit der Gründung des Staates Israel 24090 Tage vergangen sind. Eindrucksvoll...

Wer zuletzt lacht...

Die jugoslawische Parteizeitung "Vjesnik" verkündete ihren Lesern, daß mit Springer "der Feind einer ganzen Generation" gestorben sei, und konnte sich einen hämischen Kommentar nicht verkneifen:

"Springer, der Zeit seines Lebens die Existenz der 'DDR' durch Anführungszeichen geleugnet hat, gibt es nicht mehr. Die DDR aber existiert weiter!"