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Bonner Charaktere: Dr. Norbert Blüm
KLEINER MANN WIRD GROSS
Ein Minister für Arbeit und Soziales mit lupenreinem Proletariernachweis: Dr. Norbert Blüm wird den Vorschußlorbeeren gerecht, die seinem Kanzler für den "personalpolitischen Kunstgriff" mit ihm zuteil wurden. Natürlich muß man keinen Arbeiter zum Vater haben, um die blanke Gemeinheit dem werktätigen Volk als besondere Fürsorge zu verkaufen. Das schafft noch jeder Politiker. Der Herr Dr. Blüm kann aber immer noch einen draufsetzen: "Was wollen Sie denn, ich war selber Arbeiter!"
Profil
Blüm hat ein Problem für sein politisches Erfolgsimage. Es ist sein Ressort, das bei der "Sparpolitik" der christlich-liberalen Mannschaft in Bonn stets die meisten Streichungen "hinnehmen" (sprich: durchsetzen) muß. Er hat dies "Problem" so ausgenutzt, daß er als prahlender Vorreiter des Rotstifts auftrumpft:
"Es muß gespart werden. Ich bin in der Tat der Sparminister. Ich weigere mich nur, dies nur defensiv betreiben zu müssen. Sparen muß mit Gestalten verbunden werden."
Deshalb tritt der Vorsitzende der christlichen Sozialausschüsse, der den "Sozialstaat als Grundlage eines menschenwürdigen Lebens" schon "in jungen Jahren kennen und schätzen gelernt" hat, mit ständig neuen Vorschlägen auf, wie sich der Staat seinen Besitz an den Sozialversicherungsbeiträgen möglichst vollständig unter den Nagel reißen kann: "Sie sehen, wie viele Einfälle ich hab." Sein erster, einziger und in ständigen Variationen immer wieder neu vorgetragener Einfall lautet so:
"Wenn schon die Rentner Opfer bringen, dann müssen auch die Arbeiter Abstriche hinnehmen."
Gemäß dieser "Logik" des Hau-ich-deine-Oma-mußt-auch-du-dich-hauen-lassen ist er inzwischen bei den Schwerkriegsbeschädigten angelangt, und wenn er so weiter macht, wird er sich bald schon nur noch auf die Toten berufen können, die es noch härter trifft beim Opfer für die "Solidargemeinschaft."
Immer nimmt Blüm ein von ihm und seiner Regierung geschaffenes Opfer her, um den nächsten "Eingriff ins soziale Netz", bzw. den Zugriff auf das Geld derer, die davon ohnehin zu wenig haben, den Betroffenen als gerecht zu verkaufen. Diskutiert wird mit dem Minister Blüm lediglich darüber, wieviel und von wem. Und hier läuft der Mann, der "aus dem Volke kommt", zu seiner Höchstform auf: Er schmeißt die Kranken aus den Betten und würde sie am liebsten höchstpersönlich an den "Arbeitsplatz" zurückschleifen - als Dienst an der Volksgesundheit: "Wir haben den niedrigsten Krankenstand seit Kriegsende!" so unverblümt heißt die Siegesmeldung vom Triumph ökonomischer Erpressung über die Physis des deutschen Arbeiters. Und als Endsieg peilt der rotbackige Schreibtischtäter aus Bonn den Endsieg gesunder Durchhaltequalitäten über die "Kostenentwicklung im Gesundheitswesen" an, in dem eben dieses zum Volkskrankheitsbazillus Nr. 1 erklärt wird:
"Wenn es zuviele Betten in den Krankenhäusern gibt, legen sich die Leute auch hinein."
Logisch, nicht? Wenn es keine Krankenhausbetten mehr gibt, bleiben die Leute da stehen, wo man sie hingestellt hat; und wenn man den Leuten etwas entzieht und beim Staat konzentriert, kommen beide Seiten auch so ganz gut zurecht:
"In der Rentenversicherung wie in der Sozialpolitik geht es um Konzentration. Also muß die Frage beantwortet werden, für was soll sie da sein. Die Rentenversicherung ist nicht der allmächtige und allzuständige Heiland der Nation."
Blüm wehrt sich hier entschieden gegen die Zumutung an den Staat, die Rentenversicherung ganz einfach für die Rentner zu mißbrauchen. Als würden die Zwangsversicherten dem Kinderglauben anhängen, der Sozialstaat wäre wie Weihnachten und mit seinen "Geschenken" hätten sie ein für allemal ausgesorgt, klärt der "überzeugte Christ" Blüm sie darüber auf, was hierzulande "Realismus" heißt. So sieht das Blüm, und so handelt er, auch wenn ihm der "Spiegel" ausgerechnet einen "Widerspruch zwischen Wort und Tat" andichten möchte. Dieser Mensch ("Ich bevorzuge die Tat!") wollte immer schon der Armut des Volkes "gestalterisch" unter die Arme greifen.
Leben
"Wer aber ist einer, der Schlosser gelernt hat und dann Doktor der Philosophie geworden ist? Der gern mit dem Mann aus dem Volk an der Theke einen hebt und philosophische Aufsätze verfaßt? Der den Rummel in der Öffentlichkeit liebt, in den Ferien sich aber am liebsten in die Einsamkeit der Berge oder in finnische Wälder verzieht?" (Der Spiegel)
So einer kommt natürlich mitten aus dem Volk und zeigte schon - ganz Kind einer Mischehe - "frühzeitig Ehrgeiz und Unternehmungsgeist". Erst einmal Volksschule und Lehre und mit den katholischen St. Georgspfadfindern durch Europa (erste Bildungserlebnisse!), und schon ging's los mit der Karriere. Erste Bewährung bei Opel in Rüsselsheim, wo sich der junge Norbert "schnell zum Spitzenfunktionär der Betriebsjugend emporkämpfte" und Jusos und Kommunisten aus dem Betriebsrat drängte. Gemerkt, daß es bei einem deutschen Arbeiterfunktionär ohne Klugscheißerei nicht geht, zog er noch mehr Bildung in sich rein, machte das Abitur auf der Abendschule und studierte Philosophie, Theologie, Germanistik, Geschichte: Dr. phil.! Zwischenzeitlich vergaß er nicht den nächsten Karriereschub, machte Bibliotheksdienst bei der CDA (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft) und deren Sozialausschüssen, entdeckte die katholische Soziallehre Oswald von Nell-Breunings und redigierte die CDA-Zeitung "Soziale Ordnung" (erste Schreiberlebnisse). Mit Nell-Breuning wollte Blüm von nun an der Arbeit Gerechtigkeit widerfahren lassen, und zwar so: "(Die Arbeit) muß - weil es menschliche Arbeit ist dem Menschen ermöglichen, durch sie Sinnerfüllung zu finden, teilzunehmen am Schöpfungsauftrag Gottes. ... Das private Eigentum - auch an Produktionsmitteln - wird als Stütze für das Selbstbewußtsein, für die Eigenständigkeit und die verantwortliche Benfsausübung der Menschen angesehen." Dank und Lob dem Herrgott und dem Kapital! Mit dieser frohen Botschaft ausgestattet, drängte Blüm den Altsozialausschüßler Katzer aus Amt und Würden und hatte hinfort seine Hausmacht in der CDU. Diese wurde entgegen anderslautenden Gerüchten nicht kleiner, als er Thesen zur "sanften Macht der Familie" formulierte und den Frauen mal wieder ihre eigentliche Bestimmung vorbetete - so ließen sich "die Kosten für Gewaltbekämpfung und Psychiatrien ersparen". Treu hielt er zu Kohl nach dessen Wahlniederlage 1976, vergaß andererseits aber nicht, 1980 dem Kanzlerkandidaten Strauß seine Reverenz zu erweisen, und wurde schon 1981 mit dem Posten eines Bundessenators in Berlin belohnt. Ein Jahr darauf dann sein "Traumjob", den er seither zur Zufriedenheit seines ob ersten Herrn ausfüllt. Kohl über Blüm: "Laßt den mal, der bringt uns die Arbeiter."
Worte und Wirkung
Die bringt er der CDU tatsächlich. Dieses "deutsche Arbeiterkind", das zu arbeiten aufgehört hat, um sich ganz dem Dienst a n der Arbeit widmen zu können, ist mit Fleiß und Gesinnung zum Arbeitsminister ausgewachsen, der seine Herkunft nicht vergessen hat, sich "bei denen" ganz unten auskennt, noch heute einer von ihnen ist - "Meine Kinder freuen sich auch immer, wenn die Oma kommt und 10 Mark auf dem Tisch liegen läßt." Kein gestelltes Foto (Blüm in der Trainingshose und mit dem Einkaufsnetz, Blüm als Hobbyhandwerker, beim Holzhacken usw. usf.) ist ihm da zu blöd, und wo er ein paar Dialektsätze (am besten gehen sie los mit "Also, ich...") vom Stapel lassen kann, tut er's auch. Und wenn gerade Wahlkampf ist, erscheint er - die Presse ist immer zufällig in der Nähe - in der Frühe um 6 Uhr vor dem Arbeitsamt ("Guten Morgen! Bin ich hier richtig, wo man auf Arbeit wartet?"), um mit seinem Verständnis für die Arbeitslosen - denen er gleichzeitig das Schwarzarbeiten ("Die Schwarzarbeiter sind die Ausbeuter des Systems") schwerer macht und denen er unentwegt die Bezüge kürzt - auf Stimmenfang zu gehen.
Wo andere prominente Politiker sich auch mal ins Ruhrgebiet bemühen, in den Schacht einfahren und sich femsehwirksam schön dreckig anmalen, hat das Blüm zu seiner Tour überhaupt gemacht. Diesem Volksvertreter aus dem Volk ist diese Art von Anmache schon so in seine grinsende Visage eingegangen, daß seine Nickelbrille diese Wirkung - wie beabsichtigt nur noch steigert. Irgendwie muß man doch sehen, daß dieser Mann was auf dem Kasten hat. Er liest sogar Bücher und weiß das so zu kommentieren: "Eine Wohnung ohne Bücher wär'wie ein Zimmer - ohne Fenster." Und: "Bücher haben so eine Offenheit, sie erweitern das eigene Leben, man lebt Leben, die man sonst nie leben kann." Arbeiter, aber gebildet! Gebildet, aber Arbeiter! Diese Sorte Proletkult, die Blüm mit sich selber inszeniert, ist in der Öffentlichkeit ein Hit: Blüm - eine interessante Persönlichkeit.
Der Vorwurf der IG Metall an ihr Mitglied, es habe "mit Eintritt ins Kabinett die Seite gewechselt", prallt an dieser Persönlichkeit voll ab. Jenseits aller praktischen Reibereien, die das Amt des Mustermitglieds Blüm mit sich bringt, bleiben nachwievor die ideologischen Gemeinsamkeiten der Gewerkschaft mit einem Arbeiterfunktionär in der Regierung: Der Stallgeruch verliert auf deutsche Gewerkschaftsführer nie seine Wirkung. Und umgekehrt ist Blüm den Intelligenzlern vom DGB allemal um einen dummen Spruch voraus:
"... die Gewerkschaften müssen wissen, daß sie sich nicht gegen Differenrierungen stellen können. Tun sie das, nimmt die Differenrierung auf sie keine Rücksicht."
Der hier so originell und spontan spricht, ist derjenige, der tagtäglich für neue "Differenzierungen" sorgt.
Blüm zur Bildschirmarbeit: Das Auge ist der Bildschirm der Seele
"Das Auge ist wohl das schönste menschliche Organ und vom Dichter als "Fenster der Seele" gepriesen, wird am Bildschirmarbeitsplatz zum zentralen Funktionsträger. Welch ein Glück für die Arbeitsplaner, daß der Schöpfer dieses menschliche Organ mit einer schier unglaublichen Flexibilität ausgestattet hat. Der alte Bauer, der blinzelnd vor sein Haus trat, mal gegen und mal mit der Sonne pflügte und abends noch am Kienspan einige Hyroglyphen der Bibel zu entziffern suchte, ließ seinen Augen in allen Phasen genügend Zeit zur Anpassung und Umstellung. ... Bei Dateneingabe am Bildschirmarbeitsplatz muß die Pupille des menschlichen Auges bis zu 33.000 mal pro Schicht zwischen verschiedenen Helligkeiten und Entfernungen springen. Wenn auch das Auge mit die schnellsten Muskeln des menschlichen Körpers besitzt, sind Ermüdungen und Überforderungen nach bestimmten Zeiten unvermeidlich."
Blüm zu Arbeit und Ewigkeit: Schuften und Schöpfung
"Für Jahrtausende bis zum Mittelalter lebten Götter und Menschen in einer gemeinsamen Welt. Erst Aufklärung und industrielle Revolution entzauberten diese Gemeinschaft und entrissen den Menschen der transzendentalen Geborgenheit. Die totale Säkularisierung schnitt ihn von seinen metaphysischen Quellen ab und reduzierte seinen Lebensraum allein auf Entdeckung und technischen Fortschritt, Produktion und Konsum. ...
Der Mensch wird seine Arbeit nicht verlieren. Sie kann ihm fremd werden. Sie kann ihn vorübergehend überholen, verlassen, zurücklassen, überwältigen, demütigen. Jedes Menschen Arbeit ist nicht nur Broterwerb. Sie ist schicksalhafte Verwobenheit in Menschheit und Schöpfung.
Die Arbeit geht weiter."
Blüm zu Jugendarbeitslosigkeit: Bei Einsteins tropft die Dachrinne
"Ein Lehrling ist genauso viel wert wie ein Student. Dem 16jährigen Lehrling gebührt genauso viel Aufmerksamkeit wie dem 16jährigen Gymnasiasten. (Beifall) Es nützt nichts, wenn wir alle die einsteinsche Relativitätstheorie erklären können, niemand aber eine Wasserhahn abdichten kann. Das kann doch nicht die Zukunft unserer Nation sein: Mondbahnen berechnen, aber keine Dachrinne reparieren können. ... Vielleicht sind es nur diejenigen, die in der Hauptschule nicht bei ihren eigentlichen Interessen, bei ihren Begabungen gepackt wurden, weil auch die Hauptschulen den Theoriespleen haben. (Beifall)" (Vortrag beim CDU-Parteitag 1983)
Blüm zu Mann und Frau: Letztere sind anders
"Die Vorbaoten der egalen Gesellschaft kündigen sich an. Ich sehe im Programm der Geschlechtsangleichung den Todestrieb der Spannungslosigkeit. ... Es kündigt sich im Fanatismus der Gleichheit die Präparation der allgemeinen Vertauschbarkeit menschlicher Beziehungen an. Eine Modernität, die Mütterlichkeit einer süffisanten Geringschätzung ausliefert, bereitet der Verkünstlichung des Lebens die Bahn. In der Kunstwelt gibt es nur Funktionalität, aber keine Gemeinschaft.
Die schönsten Liebesgedichte wären nicht geschrieben worden, hätten die Liebenden im Anderen nur den Gleichen gesucht. Wir hätten nichts von Romeo und Julia erfahren. Das Liebesleid von Abälard und Heloise wäre uns unbekannt geblieben."
(Alle Zitate aus Norbert Blüm, Die Arbeit geht weiter, Piper-Verlag 1983)